Gleichmacher über Meinungsmacher

Blogger* sind ein eitles Volk. Mit inhaltlicher Kritik an ihrer Arbeit können die meisten umgehen, nicht aber mit der Frage nach der Existenzberechtigung von Blogs im Allgemeinen. Unter dem Titel Jetzt reden wir! – Buch-Blogger: Die neuen Meinungsmacher in der Literatur? wurde am letzten Samstag in Göttingen eine Podiumsdiskussion mit Stefan Mesch und Harun Maye geführt. Die Ergebnisse** dieser Veranstaltung schlagen nun leichte Wellen, denn Maye bezeichnete im Verlauf der Diskussion Blogs als „das Schlechtere vom Schlechten“. Viele würden einfach nur das Feuilleton kopieren und das auch noch dürftig. (Er gibt aber ebenfalls zu bedenken, dies fällt in der losgetretenen Diskussion etwas unter den Tisch, dass auch das Feuilleton inzwischen nicht immer den eigenen hohen Ansprüchen genügt.)

Statt einer allgemeingültigen Antwort zur Existenzberechtigung (warum sollte es eine solche auch nicht geben?) sollte man sich anhand zweier Fragen dem Spannungsfeld Feuilleton ↔ Literaturblog nähern. Für wen schreibt der Blogger und wie tut er das?

Die meisten schreiben mit einem persönlichen Einschlag, denn sie erhalten ihre Glaubwürdigkeit (gerade) nicht über den Namen ihres Mediums, sondern erlangen diese durch ihre Authentizität und den persönlichen Bezug zum Leser, so entsteht eine Art Vertrauensverhältnis. Jeder der hier regelmäßig liest, lernt mich kennen, denn in vielen Besprechungen steckt eine ganze Menge meiner Vorlieben und auch persönliche Geschichten. Meine Texte sind, und das meist sehr deutlich, subjektiv, daraus mache ich keinen Hehl. Zeitungen dagegen berichten, es sei denn in einer Glosse oder Kolumne, objektiv. Von meiner Person und meinen Vorlieben lassen sich für den Leser konkrete Erkenntnisse gewinnen: Meine Stammleser, the happy few, wissen inzwischen welche Art Bücher ich lese, welche ich lobe, feiere oder nicht ertragen kann. Vielleicht sagt also der ein oder andere, wenn der das gut fand, könnte es auch für mich interessant sein und ein „Wenn er das schlecht fand, werde ich es mögen“ wäre für mich ebenso vollauf in Ordnung. Die Texte selbst richten sich prinzipell an Leser mit ähnlichen Vorlieben, aber auch an solche mit Drang über den Tellerrand. Wer aber meinen Stil nicht mag, meine Geschichten langweilig findet, wird sich hier, eben aufgrund der starken Subjektivität, nicht wohl fühlen und auch nichts mit den Besprechungen anfangen können, selbst wenn das Buch vielleicht etwas für ihn wäre.

Die Qualität der eigenen Besprechungen kann man nur schwer einordnen. Ich gehe sehr selbstbewusst davon aus, dass ich auf bestimmten Gebieten belesener bin, als mancher Literaturwissenschaftler. Denn ein Hochschulstudium allein bietet keine Gewähr für Expertentum, gleichmaßen gilt das für einen Posten im Feuilleton einer Zeitung. Dagegen wird es unzählige, unstudierte, Juristen*** z.B. in der Verwaltung geben, die mich auf ihrem Gebiet locker in die Tasche stecken. Soll ich nun aus Neid (oder was auch immer?) die Notwendigkeit ihrer Arbeit in Abrede stellen? Soll ich ihre Arbeit klein reden, damit ich besser dastehe? Nur weil ich fünf Jahre Dinge studiert habe, die ich in der Praxis nicht anzuwenden brauche, weil ich vermeintlich das große Ganze überblicken kann, das der Praktiker nicht versteht? Im Bereich der Literaturkritik verstehe ich mich als Praktiker und bin der Meinung, dass ich auch ohne Kenntnisse des Althochdeutschen, einen modernen Text ganz ordentlich einordnen und bewerten kann. Nie aber wäre ich so vermessen zu behaupten, dass meine Texte literaturwissenschaftlichen Kriterien genügen würden oder könnten, denn das können sie nicht. Wen es dann aber überrascht, dass es große Qualitätsschwankungen unter Blogs gibt, stellt auch das ZEIT Feuilleton und das einer Provinzzeitung**** auf eine Stufe oder den Juraprofessor mit der Sachbearbeiterin im Schifffahrtsamt.

Das laute Zetern des Feuilletons gegen jede andere Form der Literaturkritik ist wohl vor allem der eigenen Existenzangst geschuldet. Eine Verlagsmitarbeiterin hat mir neulich erzählt, dass selbst die Besprechung in einer der großen Zeitungen nur ein kurzes und nicht nachhaltiges Klettern im Amazon-Ranking verursacht (selbst Idealisten wollen ihre Bücher verkaufen), das Feuilleton wird somit als Werbefläche immer uninteressanter. Blogger dagegen haben ihre feste Zielgruppe, hier treffen sich Gleichgesinnte und empfehlen sich gegenseitig Bücher. Blogger besprechen Bücher abseits des Mainstreams, das noch Jahre nach Erscheinen und in einer Breite, die von Zeitungen, allein aufgrund der Flut an Neuerscheinungen, nicht mehr ansatzweise abgedeckt werden kann: Graphic Novels werden mal im Rahmen eines Hypes im Feuilleton besprochen, während Tobi dies fast ausschließlich tut; Klassiker werden zu einem Jubiläum vorgestellt, mal eine Neuübersetzung besprochen, für die große Gruppe der Klassikerfreunde bleibt sonst aber nur das Internet. So wird meine Don Quijote Besprechung über hundert Mal die Woche gelesen, ohne dass ich sie besonders bewerben würde oder müsste, es gibt nur anscheinend viele Leute, die Interesse hieran haben und informiert werden wollen. Google schickt sie dann zu mir, weil sie diese Informationen nur bei mir oder an wenigen anderen Orten finden. Will das Feuilleton nicht nur noch sich selbst, sondern auch Lesern, Autoren und Verlagen dienen, muss es umdenken oder die Vorzüge von Blogs anerkennen. Die Verlage habe die Vorzüge schon lange entdeckt.

Wenn aber Berufskritikerinnen wie Sigrid Löffler sagen, dass die Literaturkritik durch Blogger entprofessionalisiert würde, weil diese „zumeist nur ihre unüberprüfbaren Bauch-Urteile und willkürlichen Begeisterungsanfälle ins Netz [schütten]“, für ihre Besprechungen meist nicht mit ihrem eigenen Namen stehen und weder „ihre Glaubwürdigkeit, noch ihre Unabhängigkeit noch ihre professionelle Legitimation überprüfbar [sind]“, mag dies für anonyme Kritiken bei Amazon gelten. Mir kann man gerne jederzeit eine Email schreiben und ich stehe mit meinem Namen, für das was ich hier von mir gebe, bei Rezensionsexemplaren bleibe ich unabhängig und sage deutlich meine Meinung (mit direktem Bezug dazu z.B. hier und hier). Oder wann hat Frau Löffler oder selbst der kleinste Popanz im Käseblatt von Jottwede das letzte Mal das besprochene Buch selbst gekauft? Ich, als der von Frau Löffler als durch „nichts legitimierte Laie“, legitimiere mich durch Leidenschaft, zwanzig Jahre Leseerfahrung und über 100 gelesene Bücher im Jahr.

Natürlich bleibt das Betreiben des Blogs Hobby und weil das Redigieren eines Textes bei mir länger dauert als das Schreiben selbst, bleiben auch nach der dritten Durchsicht Fehler und Stilbrüche – anders als der Journalist von xyz bekomme ich aber auch kein Geld für meine Arbeit. Und Arbeit ist es ja ohne Frage. Doch die Qualität allein an einer spezifischen Ausbildung oder dem Namen des Mediums festzumachen, ist leider schlicht dumm.*

Und am Ende bleibt es so einfach: Jemand schreibt einen Text, stellt ihn zur Verfügung (gratis oder gegen Geld) und ob man ihn dann liest, steht jedem frei. So handhabe ich es schon immer, sowohl bei Blogs als auch bei Zeitungen. Einem von beiden Medien deswegen die Daseinsberechtigung abzusprechen, käme mir aber nicht in den Sinn.

*Für alle Berufsgruppen in diesem Artikel gilt das alte Spiel von „Ausnahme und Regel“. Es gibt herausragende Blogger, ebenso wie schlechte Kritiker im Feuilleton, schlechte Juristen mit Doktortitel und Ministeramt, herausragende Juristen im Bezirksamt Buxtehude, das ist die Natur der Sache.
**Beiträge außerdem noch von Sophie, Petra und Stefan.
***Mein Brotberuf.
****Dieser Satz muss eigentlich sofort wieder relativiert werden, wenn ein Ein-Mann-Feuilleton besser ist als eine große Redaktion, dann ist das eben so und soll vorkommen, gleich welcher Name oben auf der Seite steht.

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Eigentlich, das darf ich nicht verschweigen, bin ich mit Herrn Maye, legt man dieses Interview zugrunde, ziemlich einig in seiner Einschätzungen zu einer spezifischen Sorte Blogs. Problematisch werden diese Einschätzungen nur, wenn sie diese spezifische Sorte als Allgemeinheit dargestellt werden. Denn alle Blogger in solche Schubladen zu stecken, ist falsch, vgl. exemplarisch meine Blogroll.

Kategorien Allgemein Diverses

Tilman berät als Rechtsanwalt Verlage, Autoren und andere Kreative im Urheber- und Medienrecht. Als Blogger hat er sich sowohl im Bereich der Literaturkritik als auch -vermittlung in der Branche einen Namen gemacht. Rechtsanwalt Winterling ist zudem als Jurymitglied (u.a. Hamburger Literaturförderpreise) und Moderator von Lesungen tätig, sowie gefragter Interviewpartner (u.a. Deutschlandfunk, Radio Eins), wenn es darum geht verständlich und unterhaltsam über rechtliche Themen und solche des Bloggens zu berichten.

  1. Starker Artikel! Besonders interessant finde ich den Teil, in dem du schreibst, dass die Leser den Geschmack des jeweiligen Bloggers mit der Zeit kennenlernen und dies bei der Einschätzung einer neuen Rezension eben dieses Bloggers berücksichtigen. Das habe ich schon immer unterschwellig gewusst, aber mir ist es noch nie so deutlich geworden, wie nach Lektüre deiner sehr klar und ohne beleidigte Fleppe geschriebenen Zeilen. Dein großartiger Text ist ein echtes Highlight in dieser Diskussion!

    • 54books

      Lieber Frank,
      vielen Dank für diese lobenden Worte, das schmeichelt mir! Ich finde, dass gerade dieses Kennenlernen den Reiz der Bloglektüre ausmacht, besonders schön, wenn man dasselbe Buch gelesen hat und vergleichen kann.

  2. Deinen Hinweis auf die Relativierung von Zeitungsrezensionen für den Verkauf von Büchern finde ich interessant. Bezog sich die anonyme Dame nur auf Print-Zeitungen oder auch auf deren Online-Ableger?

    Ansonsten: Bin ganz Deiner Meinung. Qualität findet man überall – man muss sie nur entdecken!

    • 54books

      Ich glaube sie bezog sich nur auf die Print-Ausgabe, wobei der Effekt, sollte eine Rezension im Onlineportal der entsprechenden Zeitung zeitgleich online gehen, davon nicht zu trennen ist.

  3. Petra Gust-Kazakos

    Bravo! Ich freue mich, dass du auch deinem Statement dazu einen eigenen Beitrag gewidmet hast. Wir werden nicht die Welt verändern mit unseren Blogs, ebenso wenig wie das die „Profis“ im Feuilleton tun. Aber wir haben die Art und Weise, wie man sich über Bücher informiert und austauscht, verändert, erweitert und bereichert mit zeitgemäßen Mitteln – das ist doch was! Ich bin jedenfalls gespannt, welche Möglichkeiten uns die Zukunft noch bieten wird : )

    • 54books

      Du bringst es in zwei Sätzen auf den Punkt: Kein Blogger hat die Intention die Kulturwelt zu verändern, das Feuilleton scheint aber immer noch diesen „Heilsbringer“-Ansatz zu pflegen, über kurz oder lang werden sie aber darüber stolpern. Blogs haben auch nicht dieses „von oben herab“, sondern man begegnet sich auf Augenhöhe, keine Zeigefinger und (nur wenig) Besserwisserei.

  4. Sehr gut. Mit nur einer Einschränkung – die Unterscheidung zwischen subjektiven Kritiken der Blogwelt und der scheinbar „objektiven“ Herangehensweise in den Medien. Ich habe das als Journalistin erleben dürfen – auch in zwei Kulturredaktionen (wenn auch nicht bei herausragenden Blättern): Ein entsprechendes Fachstudium und jahrzehntelanges Feuilletonieren schützt letztendlich nicht davor, dass der Redakteur beim Lesen eines Buches und bei dessen Besprechung ganz einfach nur ein Mensch ist, der vielleicht gerade Krach mit der Ehefrau hat, vom Autor mal schräg angesprochen wurde oder einfach nur miese Laune hat. Will sagen: Was macht eigentlich die Qualität eines Berufskritikers aus? Man sollte die Diskussion mal umdrehen. LG Birgit

    • 54books

      Du hast natürlich recht, dass jeder sich von der Subjektivität nicht freimachen kann. Ich wollte damit nur zum Ausdruck bringen, dass das Schreiben des Textes bei den verschiedenen Medien von vornherein andere Adressaten hat. Auf Blogs wird dieser viel persönlicher angesprochen wird, das Feuilleton bleibt seiner unpersönlichen Schreibe dagegen meist treu.

  5. Danke für die neuen Aspekte, die Du in die Diskussion mit einbringst. Es braucht nicht nur Schulterklopfen in der Blogosphaere…

  6. Ein sehr guter und ausführlicher Artikel ! Ich habe auch Stammleser, die ungefähr meinen Geschmack haben und oft ihre Bücher nach meinen Rezensionen auswählen. Genauso habe ich aber auch Stammblogger, von denen ich weiß, ich kann mich auf die Meinung verlassen. Das klappt aber wirklich nur, wenn man stets eine ehrliche Rezension abgibt. Doch das haben die Leser ziemlich schnell raus….L.G. Annette

    • 54books

      Ich denke auch, dass man als Leser schnell den bloggenden Gegenüber einschätzen kann und so schnell Blogs findet, die man immer wieder liest, andere dagegen die man aussortiert, das geht natürlich schon beim Schreibstil los.

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