„Was macht das Meisterhafte aus?“, fragt Michael Maar in dem kürzlich bei C.H.Beck erschienenen Tamburinis Buckel – Meister von heute und forscht diesem in 18 Reden und Rezensionen zu Literatur und Literaten nach.
Das Meisterhafte darf rätselhaft, aber nicht hermetisch sein; individuell, aber nicht privat. Das Meisterhafte ist intim und allgemein. Vor allem aber ist es eines: selten.
Harald Hartungs Gesammelte Gedichte
Michael Maar ist dem geneigten 54books-Leser vielleicht bereits seit Heute bedeckt und kühl bekannt, einer Abhandlung über Tagebücher von Autoren und Intellektuellen. Diesem Buch verdanke ich u.a. die Entdeckung der Tagebücher von Fritz J. Raddatz, aber auch die Kurzgeschichten von John Cheever oder das nachhaltige Verlangen Arbeit und Struktur zu lesen. Ganz besonders eindringlich zeigte mir Michael Maar seine Meisterschaft kürzlich in einer Rezension zu Elias Canettis Buch gegen den Tod auf und nun, dass sie bei ihm eines nicht ist: selten. Denn nun lesen wir fast 18 mal Meisterschaft in Tamburinis Buckel.
Warum ist er so gut?
Heinrich Mann zu lesen, hat mitunter etwas von einer gymnastischen Übung. Weil er fast prinzipiell die ungewöhnlichste, gerade noch zulässige Wortstellung wählt, muß man immerzu Denkmuskeln dehnen, die man gar nicht mehr gespürt hat. Auch seine Syntax ist anstrengend. […] Manches liest sich wie von Google übersetzt.
Dankrede zum Heinrich-Mann-Preis
Darf man das über ein Denkmal der deutschen Literatur sagen? Ja, man „muß“ es sagen dürfen! Ein guter Kritiker ist ehrlich, auch mit Ikonen. Heinrich Mann wird ja auch nicht die Qualität per se abgesprochen, vielmehr schildert Maar nur authentisch sein Leseerlebnis. Einen Kritiker den man derartig „kennenlernt“, dem man anmerkt wie sehr ihn Literatur berühren und enttäuschen kann, dem kann man trauen!
Und mit voranschreitender Lektüre wird die Liste der zu lesenden Bücher länger, die Maar lobt und den Leser mit Begeisterung ansteckt: die Erinnerungen Heinrich Manns, Before she met me von Julian Barnes, Idylle mit ertrinkendem Hund von Michael Köhlmeier, Gustav Seibt.
Alle Besprechungen sind fernab vom plumpen Lesetipp oder wissenschaftlicher Abhandlung, weder anbiedernd noch abgehoben und doch voller Wunderbarkeiten, die man selten in klassischer Literaturkritik findet.
Köhlmeier ist das Schwierigste gelungen: das Intimste so gründlich mit Kunst zu kalfatern, daß kein Tropfen Peinlichkeit eindringen kann.
Über Michael Köhlmeiers „Idylle mit ertrinkendem Hund“
Nach einem solchen Satz könnte ich mir jeden weiteren über dieses Buch sparen, sollte den Blog schließen. Solche Latten überspringt man nicht, man reißt sie nur.
Die Fähigkeit eines Buches, sich tintenfischgleich mit Tentakeln und Saugnäpfen im Gedächtnis des Lesers einzunisten, ist noch kein hinreichender Beweis für literarische Qualität – man kann sich auch an besonders grauenhafte Stellen in miserablen Büchern lebhaft erinnern; aber es ist eine notwendige Bedingung dafür.
Martin Mosebach, revisited
Dieses Buch, dieser Autor hat sich tintenfischgleich mit Tentakeln und Saugnäpfen in meinem Gedächtnis festgepfropft, dabei sind Literaturkritiker doch nur Werber, oder? Kann Literaturkritik berühren? Ja sie kann! „Es müssen nicht immer Funken sprühen, wenn die großen Gesiter aufeinandertreffen.“, notiert Maar über ein Treffen von Picasso, Proust, Joyce und Strawinsky. Trifft Maar die großen Geister in seinen Besprechungen stieben die Funken.
Und ich schweige.
Klingt nach einem Must-read!
Ich bin wirklich begeistert!
Eine schöne Besprechung! Die Begeisterung merkt man 54books an. Die eingerückten Zitate gefallen mir besonders.
Ich persönlich finde es hilfreich, wenn man in Besprechungen Hinweise und Meinungen zu Ausstattung und Umfang des Buchs, Stil des Autors und die ISBN findet.
Hallo Flo,
ich danke für das Lob.
Hinweise zur Ausstattung des Buches gebe ich nur, wenn diese besonders positiv oder negativ hervorsticht. Der Stil wird je nach Form der Besprechung mal angesprochen oder herausgehoben, mal nicht. Auf die ISBN verzichte ich (wieder), da meiner Erfahrung nach heute niemand mehr anhand der ISBN bestellt, sondern fast immer entweder direkt im Browser oder durch Nennung von Namen des Autors und/oder Buchs im Buchhandel erfolgt.
Beste Grüße
Tilman
Danke für die Antwort. Ich verstehe. Die Antwort zur ISBN leuchtet mir ein, auch ich bestelle Bücher nicht mit der Nummer, es sei denn, es kommt ausnahmsweise auf eine bestimmte Ausgabe an (dann habe ich tatsächlich meiner Buchhändlerin die Nummer gegeben). Insofern kann man fast immer darauf verzichten.
Ausstattung und Stil des Autors sehe ich immer als wichtig an, da sie die Lesefreude nicht unerheblich beeinflußen; will man denn das schönste Buch auf Toilettenpapier in Schreibmaschinenlettern lesen?
Eine Nachfrage noch: Welche „Form[en] der Besprechung“ gibt es denn bei dir/euch?
Mit „Form“ meine ich weniger, dass es verschiedene Genres der Besprechungen gibt, als den persönlichen Einschlag der Rezension an sich. So bespreche ich schon mal ein Buch bewusst hin auf, manchmal ausschließlich, die Gestaltung – siehe z.B. die Kategorie „Schöne Bücher“. Gerade als Mitglied der Buchguerilla will ich natürlich kein Buch auf Toilettenpapier lesen.
Und natürlich hast Du recht, dass Ausstattung und Stil das Lesevergnügen zu großen Teilen bestimmen. Ich hoffe aber, dass gerade Letzteres sich aus dem Kontext der Rezensionen ergibt, sich also, zumindest zwischen den Zeilen, aus meinem Text herauslesen lässt, sollte ich es nicht direkt ansprechen, was z.T. auch vorkommt. Eine steckbriefartige Liste zum Abhaken der Kritieren will ich dagegen nicht einführen, um nicht zu engstirnig zu besprechen.