Mai 2015/2

7Vom Zauber des seitlich dran Vorbeigehens – Max Goldt
Regel Nr. 1: Bist Du in einem Buchladen und in Eile, brauchst schnell Lektüre für eine anstehende Reise, der Buchhändler hat natürlich keines der Bücher Deiner sehr speziellen Wunschliste vor Ort – ach was, selbst wenn – kaufe ein Buch von Max Goldt. Du bist traurig, lies Max Goldt, Du bist fröhlich, lies Max Goldt, Du kannst nicht lesen, lerne es umgehend und lies Max Goldt! Der Schriftsteller und Kolumnist ist wahrscheinlich einer der unterschätztesten Beobachter und Intellektuellen unserer Zeit! Voller Witz und Können, sprachlicher Brillianz und Tiefgang schreibt der medienscheue Goldt über alles was es gibt: Zahnreinigung und die Erinnerung an Orangenbonbons, Bärchenanhänger an Rucksäcken, Fernsehmusik, alte Kabel, neuen Namen für die Ostsee und Günter Grass (s.u.).

6QQ – Max Goldt
Das sicher etwas stärkere Buch der beiden Sammlungen ist QQ und statt eigener Lobpreisung kann ich mich im zweiten Teil nur Daniel Kehlmann anschließen, wenn er sagt „Daß (Max Goldts Werk) aber, liest man genau, zum am feinsten Gearbeiteten gehört, was unsere Literatur zu bieten hat, daß es wahre Wunder an Eleganz und Poesie enthält und daß sich hinter seinen trügerischen Gedankenfluchten die genaueste Komposition und eine blendend helle moralische Intelligenz verbergen, entgeht noch immer vielen, die nur aufs Lachen und Pointen aus sind.“ Amen.

Sehr gut zum Einstieg eigenen sich auch Ä und Ein Buch namens Zimbo. Ach egal was, lest einfach alles von Max Goldt!

urlEintagsfliegen – Günter Grass
„Sollte ich eines Morgens in mein Wohnzimmer treten und feststellen, daß dessen angestammter und vertrauter Wandschmuck über Nacht von unbekannter Hand durch zweihundert Graphiken von Günter Grass ersetzt wurde, würde ich mich trotz des vermutlichen Wertzuwachses außerstandes sehen, von Herzen kommende Symptome von Begeisterung zu zeigen. In Kiel mußte ich einmal aufgrund eines Wolkenbruchs in eine Galerie flüchten, die das zeichnerische Werk des Günter Grass präsentierte, und angesichts all der akademisch abgezeichneten Meerestiere und Gegenstände dankte ich dem Himmel erst für die Kürze des Niederschlages und bat ihn anschließend darum, Sorge zu tragen, daß sich meine Wohnung niemals, weder selbstständig noch fremdverschuldet, in einen Showroom für Günter Grass’sche Graphiken verwandeln möge, was eine Bitte ist, der bislang entsprochen wurde, wofür ich wiederum dankbar bin.“
Aus: Max Goldt „Vom Zauber des seitlich dran Vorbeigehens“

Ein Alterswerk voller zumeist ziemlich mittelmäßiger Gedichte, natürlich inklusive berühmter Israelschmähung, gespickt mit immer neuen Variantionen über die Eintagsfliege als Illustration. Über Tote nur Gutes, aber lieber Blechtrommel lesen, als 28€ für dieses handwerklich hervorragende Buch des Steidl Verlages ausgeben. Daher nutze ich auch diesen für Günter Grass reservierten Spot, um Max Goldt zu huldigen.

5Prozesse – Uwe Nettelbeck
Die Berichterstattung aus deutschen Gerichten ist nicht unbedingt die beste. Von obenherab muss es dem Laien erscheinen was BGH, BVerfG und EuGH in ihrem antiquierten Juristendeutsch ex cathedra richten, niemand nimmt den berühmten kleinen Mann bei der Hand. Auch der von mir sehr geschätzt Thomas Fischer bleibt in seiner Kolumne bei ZEIT Online zu weit vom gemeinen Volk entfernt, obwohl er verständlicher spricht als fast alle anderen ranghohen Juristen, merkt man seiner Haltung häufig doch zu sehr den Bundesrichter an (trotzdem unbedingt lesen! sehr kluger Mann). Wie anders war da doch ein Uwe Nettelbeck, der, wenn er einen seiner nun bei Suhrkamp erschienen Gerichtsbericht von 1967-1969 beendet mit dem, „Daß es auf die Tat des Mannes, der ihr die Tochter nahm, nur dieses Urteil geben konnte – diese Einsicht kann niemand von ihr verlangen. Von ihr nicht. Von uns aber, auch von den Bayreuthern, muß man sie verlangen.“, weiß, dass der aufmerksame Leser eben diese Einsicht aufbringen wird, denn er hat ihn hierhin geführt. So genau wie ein guter Jurist, obwohl er keiner war, und so verständlich wie ein guter Journalist, obwohl die ZEIT ihn entließ, weil zu unbequem, schildert Nettelbeck nicht nur, sondern erklärt. Die das Land erschütternden Mordfälle, die „geistesgestörten Triebtäter“ und die ersten RAF-Taten – der Autor analysiert Täter, Opfer, Zeugen, Polizei und Gericht, und damit nicht zuletzt auch die Gesellschaft, ganz sicher waren auch seine Einsichten, die er auch dem Leser vermitteln wollte, einer der Gründe für seinen Rausschmuss bei der ZEIT.

Und wenn man von einem Prozess aus dem Jahr 1967 liest, dass das Hamburger Schwurgerichts Eckart Mellentin zu zweimal lebenslangem Zuchthaus und Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte auf Lebenszeit verurteilt, liest man auch über die deutsche Geschichte der Strafjustiz der jungen BRD, denn weder das Zuchthaus, noch die doppelte lebenslange Stafe oder die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte gibt es noch. Den Einsichten aber, die Nettelbeck vermittelt, kann eine Kenntnis dieser Geschichte und den Geschichten dahinter nur förderlich sein. Jedem, auch dem Juristen.

24171.books.origjpgEvery Day is for the Thief – Teju Cole
Good news first: your school english is good enough to read this book. It only takes 20 pages and you’re back in the language business.

Bad news: this book is not worth the bad paper which it is printed on. I cannot see why this young man is celebrated as the new hero of literature. This novel is just a story of his journey to Nigera. Corruption, meeting his familiy, seeing old friends – no esprit or special way of storytelling, just the damn story of a journey.

Kategorien Allgemein Rezensionen

Tilman berät als Rechtsanwalt Verlage, Autoren und andere Kreative im Urheber- und Medienrecht. Als Blogger hat er sich sowohl im Bereich der Literaturkritik als auch -vermittlung in der Branche einen Namen gemacht. Rechtsanwalt Winterling ist zudem als Jurymitglied (u.a. Hamburger Literaturförderpreise) und Moderator von Lesungen tätig, sowie gefragter Interviewpartner (u.a. Deutschlandfunk, Radio Eins), wenn es darum geht verständlich und unterhaltsam über rechtliche Themen und solche des Bloggens zu berichten.

  1. QQ soeben bestellt.

  2. „QQ“ war mein erstes Buch von Max Goldt. In der Deutschen Bibliothek in Vilnius fiel es mir zufällig in die Hände. Beim Lesen und Lachen merkte ich, was ich an Deutschland vermisse: die deutsche Sprache und das, was ein kreativer Kopf mit ihr anstellen kann.

    Seither bestelle ich mir alle paar Monate ein weiteres Buch von Max Goldt und versuche, nicht zu viele Geschichten auf einmal zu lesen, um den Genuß über möglichst lange Zeit zu strecken.

    „Für Nächte am offenen Fenster“ bietet mit über 500 Seiten das beste Preis/Leistungs-Verhältnis.

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