Ach du Scheiße!
Man entschuldige die Wortwahl, aber das ist nichts anderes als Kitsch, das ist unterste Schublade, schämen würde ich mich so etwas in das Poesiealbum einer Siebenjähirgen zu schreiben – ich zitiere Novalis:
Wer Schmetterlinge lachen hört,
der weiß wie Wolken schmecken.
Reicht! Aufhören! Wenn man die erste Zeile googlet, überschwemmt einen bereits die Flut an Möglichkeiten dieses Zitat an die Wand zu kleben, Briefe damit zu beschweren oder sich auf den Nacken tätowieren zu lassen, von Bannern für Facebook-Walls ganz zu schweigen.
In wunderschönes blaues Leinen gebunden, mit Lesebändchen liegt er vor mir, der Band mit den Werken Novalis bereits in der 5. Auflage herausgegeben und kommentiert von Gerhard Schulz, einem der Novalis Experten Deutschlands, Träger der Goethe Medaille in Gold, des Bundesverdienstkreuzes erster Klasse, der Eichendorff-Medaille etc. pp. Ein Literaturwissenschaftler ersten Ranges also, der sich mit klebrigen Kitsch abgibt. Liest nicht sogar der Held meiner Jugend, Werther, diesen Dichter, Novalis, – oder irre ich mich?!
Er sah nichts als die blaue Blume, und betrachtete sie lange mit unnennbarer Zärtlichkeit.
Naja gut das ist halt frühe Romantik und sollte als Bild die gesamte Romantik von da an prägen – nicht direkt Kitsch, vielleicht etwas dick aufgetragen. Suchen wir weiter:
Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren
Sind Schlüssel aller Kreaturen
Wenn die, so singen oder küssen,
Mehr als die Tiefgelehrten wissen,
Wenn sich die Welt ins freie Leben
Und in die Welt wird zurückbegeben,
Wenn dann sich wieder Licht und Schatten
Zu echter Klarheit wieder gatten,
Und man in Mährchen und Gedichten
Erkennt die wahren Weltgeschichten,
Dann fliegt vor Einem geheimen Wort
Das ganze verkehrte Wesen fort.
Kein Kitsch, sondern wunderschön. Was müssen mit diesem Mann damals bei den Schmetterlingen und Wolken die Pferde durchgegangen sein.
Die Liste derer, die sich auf Novalis als Einfluss und Referenz berufen ist lang: Heine, Eichendorff, Steiner, Hegel, erstmals verlegt durch Schlegel und Tieck – irrten sie alle?
Zwei Romanfragmente, einige Gedichte und einzelne Studien über die Naturwissenschaften, Religion und weitere essayistische Fragmente sind in dem Band versammelt, liebevoll und detailliert kommentiert von Gerhard Schulz.
Und endlich – ENDLICH! – finde ich was ich geahnt, nein nur gehofft habe: es gibt eine Band namens Novalis, eine deutsche Rockband aus den 70er und einer ihrer bekanntesten Songs: Wer Schmetterlinge lachen hört. Ich bin erlöst und kann ruhig schlafen, denn wer die Gedichte, vor allem die geistlichen, und das sagt der Ungläubige, liest, ist berührt von den Emotionen dieses jungen, früh verstorbenen Mannes, von der Wucht, die solche Einfühlsamkeit und Zartheit entwickeln kann.
Wer sich in das interessante Werk dieses großen deutschen, teilweise unterschätzten, Dichters einarbeiten möchte, Freude an schönen Büchern und einem lehrreichen Kommentar hat, möge sich die C.H.Beck Ausgabe der Werke von Novalis zulegen.
Haben Sie das Gedicht mit den Zahlen und dem geheimen Wort aus der gelobten Ausgabe zitiert?
– Leider schützt die „Gold Dekoration“ und das Verdienstkreuz nicht vor Fehlern! – Es muss heißen:
„Dann fliegt von Einem geheimen Wort
Das ganze verkehrte Wesen fort.“
Das kleine Wörtchen „von“ statt „vor“ gibt dem Gedicht die aktive Note, die Novalis so eigen ist.
Und dem Herrn Prof. Schulz ist das wohl bekannt, er ist Gründungsmitglied der Internationalen Novalis Gesellschaft,
und zur 1. Mitgliederversammlung dieser Gesellschaft wurde dieses Gedicht in der hardenbergschen Handschrift veröffentlicht.
Aber leider gehört auch er zu den Wissenschaftlern die lieber ihre eignen Fehler weiter veröffentlichen, als dass sie neue Erkenntnisse anderer anerkennen. – Unter diesem traurigen, allgemeinem Bestand ist dann das Lachen der Schmetterlinge schon besser zu ertragen.
Vielen Dank für Ihren Kommentar!
Ich hatte tatsächlich das Gedicht in meiner Bequemlichkeit einfach aus dem Internet kopiert und nur überflogen. Jetzt habe ich es an die besagte Ausgabe angepasst. Nun heißt es „Zu echter Klarheit wieder gatten“ – vorher „werden“.
Die von Ihnen angesprochene Stelle steht aber tatsächlich auch in der aktuellen 5. Auflage noch genau so. Der Kommentar zu dieser Stelle sagt nur:, dessen begeisterten Lippen gelingt“ Und dies ist nur ein Fremdzitat von Rehm.
„vor Einem geheimen Wort: ‚Das eine geheime Wort, – das Zauber-Wort – es ist das erlösende Wort des Dichters, des
Dann hätte man sich bei den von Ihnen geschilderten Umständen doch wenigstens einen Hinweis gewünscht.
Hallo,
Trotz Deutsch LK und -Studium bin ich einfach kein großer Gedichtefan, aber ich werde mir mal den Rest seines Werkes vornehmen.
Dein Artikel ist toll geschrieben, der Aufhänger gefällt mir. (Aber mal im Ernst, so ein Novaliszitat als Tattoo, besser kann man seine Liebe zu romantischer Lyrik doch gar nicht manifestieren, oder?!)
Viele Dank für deinen Kommentar, so habe ich deinen Blog wesentlich schneller gefunden – ich komme wieder!
Viele Grüße
Ulrike
Ich bin bei Gedichten auch noch recht scheu, wage mich aber inzwischen immer mehr aus dem Dickicht und mochte, wie gesagt, sogar die geistlichen Lieder. Ebenfalls empfehlenswerte Novalis‘ Hymnen an die Nacht.