„Zum einen gibt es eine lebendige Lyrik-Schreibszene, viele Töne, sehr gute deutschsprachige Lyrik aus vielen verschiedenen Quellen, von ganz unterschiedlichen Altersgruppen, die sich aneinander reiben. Auch der Zustrom zu Festival-Lesungen ist bekanntlich immer noch gut, und natürlich trägt das Internet noch einmal ganz anderes zur Möglichkeit bei, Lyrik überhaupt wahrzunehmen und zu rezipieren. Doch im Buchwesen sieht es traurig aus: Die tatsächlichen Buchverkäufe halten in keiner Weise mit, Lyrik wird in den großen Verlagsprogrammen zunehmend marginalisiert, sie wird manchmal nur noch mitverlegt, weil ein Autor andere Genres bedient, sie wandert ab, und das Geld wandert ab aus diesem Beruf“, sagt Ulrike Draesner im Gespräch mit Volltext und hat damit natürlich recht.
Wird so wenig Lyrik gelesen, weil zu wenig Lyrik besprochen wird oder wird so wenig Lyrik besprochen, weil so wenige potentielle Leser zu erreichen sind?
Gibt es zu auch Du liest selten Gedichte – aber warum? [Mehrfachnennung möglich.]
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Ich lese Lyrik, immer schon – selbst inzwischen die langen Balladen, die mir als Schülerin zunächst verleidet wurden. Und ich würde mir mehr Raum für Lyrik wünschen – aber die berechtigte Klage, dass sie im Verlagswesen nur eine randständige Rolle spielt, ist ja leider auch nicht neu.
Allerdings traue ich mir selbst nicht zu, z.B. moderne Lyrik auf dem Blog zu besprechen und damit evt. auch bekannter zu machen: Da könnte ich über Geschmacksurteile hinaus wenig schreiben, da fehlen mir die Kenntnisse und das Handwerkszeug. Dafür gibt es aber wenigstens gerade im Netz schon ganz hervorragende, kompetente Anlaufstellen.
Darf ich fragen, welche Anlaufstellen du unter anderem meinst? 🙂
Ich glaube man muss bei den Besprechungen einfach nur mutiger werden. Und wenn es dann eben mal nur ein paar Geschmacksurteile sind, hat man wenigstens empathisch empfohlen und das ist ja schon mehr als die Meisten für Lyrik tun. (Sollen wir mal?)
Anlaufstellen würde mich auch interessieren.
Bei den Bloggern ist Marina von literatur leuchtet eine, die regelmäßig Lyrik mit viel Verstand und Feingefühl vorstellt.
Wenn ich selber Infos suche, greife ich gerne auf Planet Lyrik zurück: http://www.planetlyrik.de/ und auf die Lyrikline: http://www.lyrikline.org/de/startseite/
Das nur mal auf die Schnelle drei Adressen.
Ich liebe Lyrik! Auch wenn ich zugeben muss, dass ich gerade zu Schulzeiten ziemlich die Nase voll von Gedichten (aber auch von Büchern) hatte. Meine Deutschlehrerin hat mir die Lust auf alles Geschriebene genommen…heute lese ich zum Glück wieder viel, habe meine Liebe zu guten Büchern, aber vor allem zu schönen Worten wiedergefunden – und wo findet man schönere Worte als in der Lyrik? Zwar bin ich noch ein blutiger Anfänger, wenn es um Lyrik geht, aber ich liebe zum die Gedichte von Rilke. Ich bin gespannt, wie das Voting ausgeht, momentan liegen die Lyrikleser vorne 🙂
Liebe Grüße,
Cora
Das sind bestimmt alles nur Lügner, die sich nicht die Blöße geben wollen.
Aber Schule dürfte da natürlich ein „Problem“ sein. Wie aber sollte man anders über Lyrik im Unterricht sprechen als sich erstmal über Analysen zu nähern. Aber als junger Mensch, ich nehme mich da nicht aus, verweigert man sich manchen Dingen leider auch aus Prinzip – Lyrik scheint ja auf den ersten Blick immer zu „gefühlig“.
Ich lese sehr selten Lyrik, und wenn, bleibe ich meist bei Altbewährtem: Tucholsky, Heine, Fried… Ich habe mir mal einen Gedichtband von May Ayim gekauft, einer schwarzen Autorin, die in ihren Gedichten auch Rassismus aufarbeitet. Den fand ich tatsächlich ziemlich gut.
Vielleicht sollte ich einfach mutiger werden und wieder vermehrt Lyrik lesen, denn per se habe ich nichts dagegen. Nur bei jungen Autoren bin ich sehr unsicher…
Ich lese Lyrik sogar vor 😉 Und habe da durchaus lebhaftes Intersse im Auditorium.
Allerdings – ich bin nicht so kundig in der allerneuesten Lyrik, das gebe ich zu. Ich habe meine Lieblings-Autorinnen und -autoren, ich kann ein paar Sachen auswendig (zwar aus Schulzeiten, aber nicht wegen der Schule, sondern aus wohl verstandenem Eigeninteresse).
Und wegen der Urheberrechte kommen in meiner Blog-Kategorie „Hauptsache Lyrik“ nur gemeinfreie Texte vor.
Wenn sich hier so viele als Lyrik-Fans outen – vielleicht interessiert die Frage nur Leute, die eh‘ was dafür übrig haben?
„Wenn sich hier so viele als Lyrik-Fans outen – vielleicht interessiert die Frage nur Leute, die eh‘ was dafür übrig haben?“ – gute These.
Ich persönlich lese gerne Lyrik, bin aber allgemein vielen gedruckten Genres gegenüber aufgeschlossen und zunehmend kritisch dem Roman (und vor allem längeren Romanen gegenüber) eingestellt. Auf unserem noch recht jungen Blog, der nur etwa jeden Monat einen neuen Beitrag erhält, haben wir immerhin schon über den portugiesischen Nationaldichter Camoes, die polnische Nobelpreisträgerin Szymborska, die deutsche Nobelpreisträgerin Nelly Sachs, den zeitgenössischen Dichter Christian Lehnert sowie – obgleich nicht direkt über ihre Lyrik – über die in den letzten Jahren sehr präsente Dichterin Sylvia Plath als auch über Rilke geschrieben. Wollte man, könnte man noch unsere eigenen Gedichte oder lyrische Prosa hinzunehmen.
Zur Antwortmöglichkeit „Zu kurz“: Lyrik zu lesen, beansprucht in anderem Maße die Konzentration und die Psyche, als dies ein Roman tut. Mitunter braucht es mehr Zeit, einen Gedichtband zu lesen als eine von der Seitenzahl gleich lange Novelle. Im Gegensatz zu Romanen verschwindet ein Gedichtband nicht für immer im Bücherregal, wobei ich die Meinung natürlich exklusiv haben könnte. Metaphern und Leitmotive wie der „Staub“ in Nelly Sachs‘ Werk begleiten mich oftmals deutlich länger, als dies durch Romane möglich wäre. Ich habe das einmal (etwas hochtrabend) so formuliert:
„Gedichte und ineinandergeschobene Gedanken sind ein Konzentrat, das erst durch Zeit und Transzendenz zu größerer Klarheit führt, indem es sich selbst verdünnt und uns verdichtet.“
Auch die Antwortmöglichkeit, Lyrik sei zu kompliziert, ist natürlich unhaltbar, allerdings wird zu kompliziert über Lyrik geschrieben. Selbstverständlich gibt es kompliziert oder nahezu unmöglich zu lesende Lyrik, es gibt solche, die nur kleingeschrieben wird, keine Kommas enthält. Es muss einem nicht alles gefallen, es verhält sich wie mit Romanen oder Romanciers.
Für meinen Geschmack gibt es zu wenig Orientierung in Sachen Lyrik, vermutlich fühlen sich viele vom Genre überfordert, weil sie nicht wissen, was sie zuerst lesen könnten, wie sie dann weiter vorgehen sollten. Hier wären Blogs gut geeignete Türöffner. Die Verkäufe sind mir nicht so wichtig, aber mehr Freude und Überschwang in Bezug auf Lyrik – das wäre ein lohnenswertes Ziel. Wenn der Bremer Verlag Sujet den Gedichtband „Jene Tage“ (vormals Suhrkamp; die Ausgabe wird für 40 Euro und drüber gehandelt, mitunter in miserablem Zustand) von Forugh Farrokhzad neu auflegt (nächstes Jahr soll sogar eine zweisprachige Ausgabe Deutsch-Persisch erscheinen, auf die ich mich bereits sehr freue) und dennoch kein Feuilleton darüber die Floskel „Ein Glücksfall!“ verbreitet, müssten Blogger einspringen und etwas in der Art tun.
Es gibt genug Lyrik in den Backlists der Verlage zu entdecken, es ist nicht eigentlich unser Problem, wenn aktuell wenig Lyrik auf den Markt kommt. Wichtig sind mehr Menschen, die sich für Lyrik interessieren, der Rest wird sich entwickeln oder auch nicht. Als kürzlich Karl Dedecius starb, da war das auch die Möglichkeit, das Übersetzungwerk eines ganz besonderen Kulturvermittlers vielleicht erstmalig kennenzulernen. Es wird berichtet und es gibt die Literatur, aber es obliegt letztlich einen jedem einzelnen, die Berichte wahrzunehmen und ein wenig Interesse aufzubringen. Vielleicht sollte man „die“ Berichte oder besser Klappentexte und Feuilletontexte über Lyrik mehrheitlich ignorieren, die schrecken nämlich mit ihrer übermäßig komplizierten (Pseudo-)Analyse mehr ab, als dass sie Lust machen.
Mein Lyrikkonsum ist kontinuierlich, aber sehr konventionell und kanonisch. Bei zeitgenössischer Lyrik bin ich ziemlich ignorant.
Es gibt etliche ausgezeichnete Romane. Es gibt Hunderte gute Romane. Es gibt tonnenweise passable Romane. Es gibt nur wenig gute Lyrik. Und vieles davon ist in einer Sprache geschrieben, die ich nicht beherrsche. Lyrik sollte in der Muttersprache gelesen werden. Ergo: Ich lese wenig Lyrik, weil es wenig gute Lyrik zu lesen gibt.
Oben wurde ja schon mal eine zweisprachige Lyrik-Ausgabe erwähnt; das ist in meinen Augen eine gute Möglichkeit, Lyrik in Sprachen kennenzulernen, die ich zumindest ein bisschen beherrsche. Klang ist – der musikalischen Herkunft entsprechend – ein wichtiger Bestandteil von Gedichten und mit so einer Ausgabe kann ich mir Inhalt und Form erschließen.
Bei Sprachen, von denen ich keine Ahnung habe, muss ich mich ggf auf die Übersetzung verlassen. So habe ich als Teenager japanische und chinesische Gedichte in der Übertragung (!) von Manfred (?) Hausmann geliebt.
Ich habe die Frage, warum ich eigentlich keine Lyrik (mehr) lese, jetzt schon ein paar Tage im Hinterkopf, komme aber zu keiner zufriedenstellenden Antwort. Als Jugendliche habe ich viel Lyrik jenseits der Schullektüre gelesen, aber so ab Anfang Zwanzig nicht mehr. Ich habe sogar einen gewissen Widerwillen entwickelt.
Gedichte nerven mich, ich finde sie aufdringlich: schon durch ihre Form drücken sie mir aufs Auge wie extrem verdichtet und tiefsinnig sie sind, und dass ich nur etwas von ihnen habe, wenn ich sie bewusst und konzentriert interpretiere. Prosa bietet das alles gewissermaßen durch die Hintertür, auch sie ist gestaltet, verdichtet, tiefsinnig, rhythmisch, voller Tropen, Bilder, Analogien, aber all das entfaltet sich langsamer und leiser, sozusagen gedämpft durch die Handlung.
Ich vermute, dass diese Erwartungshaltung der Lyrik viele Leser einschüchtert. Bei Prosa entdecke ich en passant ihre Strukturen, tieferen Bedeutungen und Interpretationsmöglichten, freiwillig, manchmal fast zufällig – bei Lyrik fühle ich mich dazu verpflichtet, sie zu entdecken. Und aus Trotz habe ich keine Lust dazu.
Die Frage, warum ich keine Lyrik (mehr) lese, geht mir jetzt schon seit ein paar Tagen durch den Hinterkopf und ich bin noch immer auf keine zufriedenstellende Antwort gekommen. Als Jugendliche habe ich viel Lyrik jenseits der Schullektüre gelesen, ab Anfang Zwanzig dann nicht mehr. Ich habe sogar einen gewissen Widerwillen entwickelt.
Gedichte nerven mich, ich finde sie aufdringlich: Schon ihre Form drückt mir aufs Auge, wie verdichtet und tiefsinnig sie sind, und dass ich nur etwas von ihnen habe, wenn ich sie bewusst und konzentriert interpretiere. Prosa bietet all das gewissermaßen durch die Hintertür, sie ist auch gestaltet, verdichtet, tiefsinnig, rhythmisch, voller Tropen, Bilder, Analogien, Klang, aber all das entfaltet sich langsamer, leiser, sozusagen gedämpft durch die Handlung.
Ich vermute, dass diese Erwartungshaltung der Lyrik viele Leser abschreckt. Bei Prosa entdeckte ich en passant ihre Strukturen, tiefere Bedeutungen und Interpretationsmöglichkeiten, freiwillig, manchmal fast zufällig – bei Lyrik fühle ich mich dazu verpflichtet sie zu entdecken. Und aus Trotz habe ich dazu keine Lust.
Vielleicht kenne ich ja auch nur die falsche Lyrik. Manche Gedichte mag ich schließlich, zum Beispiel einiges von Jandl. Ich nehme diesen Blogpost mal zum Anlass, mich der Lyrik wieder mehr zuzuwenden. Vielen Dank dafür!
Lyrik ist, wie im deutschen Namen ja festgehalten, extrem verdichtete, destillierte und stilisierte Kunst. Meist komm ich darauf nicht klar. Im Sprechkunststudium habe ich mich vier Jahre lang mit ihnen auseinandergesetzt und es gab bei mancher Lyrik irgendwann einen Punkt, wo ich einhaken konnte, wo ich dahinter gekommen bin. Aber meist kriege ich das nicht hin. Balladen noch am ehesten. Ich suche nach der Geschichte und die finde ich in den wenigsten Gedichten. Kurz gesagt, ist einfach nicht meine Kunstform.
„Ich suche nach der Geschichte“ – das kenne ich beim Vorlesen von Gedichten auch – aber manchmal erschließt sich mir ein Gedicht gerade beim Laut-Lesen über den Klang und dann bin ich frei vom „Geschichte-Suchen“. Der Klang ist dann auch manchmal etwas, was nachwirkt, „nachklingt“ gewissermaßen. Ich habe früher viele Gedichte auswendig gelernt – einfach so, aus Spaß an der Freud – und merke, dass die über den Klang „wiederkommen“ können; wenn ich einmal anfange, früher Gelerntes zu repitieren, komme ich am Ende auf viel mehr als vorher gedacht. Von daher habe ich das „Geschichte suchen“ nicht mehr als erstes im Fokus, wenn ich ein Gedicht lese.
Ich lese sehr gerne Gedichte und wunderbar ist es auch, Interpretationen dazu zu lesen. Oder etwas auswendig zu können und vor sich hin zu murmeln oder im Kopf aufzusagen, wenn man sich die Zeit vertreiben muss … Dazu einen Buchtipp: „Die verdächtige Pracht“ von Peter von Matt. Verdächtig, weil: Gedichte wollen SCHÖN sein. Und das macht sie uns heute, wo Kunst doch WAHR sein soll, verdächtig.
Herzliche Grüße,
die Bücherflocke
Eigentlich eine gute Frage, warum ich keine Gedichte lese. Und ich habe in den Kommentaren auch viele interessante Meinungen gelesen, denen ich zustimmen kann. Vielleicht liegt es daran, dass man sich so schlecht über sie unterhalten kann. Einen Roman kann man nacherzählen, aber über ein Gedicht kann man sich nicht einfach so unterhalten. Da müsste man länger drüber reden.