Und die letzte Szene suggeriert: es war doch alles bloß ein Spiel. Ein filmisches Spiel in theatralischen Kulissen mit musicalesquen Choreographien, so verfilmt Joe Wright “Anna Karenina”.
Eine gute Idee in vielen Szenen, durch geschicktes Einbinden einer Bühne, gar des ganzen Theaters inklusive Publikum, und seien es nur die Darsteller selbst, den Film im Schauspielhaus aufzuführen.
Erscheint es anfangs hin und wieder zu aufgesetzt entfaltet dieser Einfall über den Film eine eigene Dynamik, die als Spielerei zu starken Bildern führt: einzelne Darsteller blicken auf das Geschehen wie auf die Bühne; Anna im Spot, wenn alle Welt sie als Ehebrecherin anstarrt; starke Umsetzung wie Kitty auf ihrem ersten Ball immer mit anderen statt Wronski tanzt und Anna nur mit diesem; besonders hervorzuheben das Pferderennen, bei dem Wronski stürzt und dessen Pferd das Rückgrat bricht.
Und immer wieder, wie auch im Roman, das starke Leitmotiv des ungeheuren, todbringenden Zuges.
So gespalten meine Meinung zu Tolstois Anna war (Rezension zum Roman), so ist sie auch zum Film: ich bin hin und her gerissen, eine Empfehlung auszusprechen oder von diesem abzuraten.
Einerseits sind die Charaktere schwer zu verstehen, kennst man das Buch nicht, die Lektüre des Buches also fast notwendig. Außerdem, ich bleibe dabei, kein Charakter ist mir so richtig sympathisch; Wronski ein pathetisch schleimiger Fatzke; Alexej ein unsympathischer, unsensibler Bürokrat; Anna die weinerlich-selbstsüchtige, labil manisch-depressive Puppe; Lewin der tumb, naiver Bauer; Kitty sein Gegenstück die tumb naive Bäuerin.
Andererseits sind gerade diese Merkmale der Personen und durch sie erzeugten Gegensätze und Reibungen der Zauber und die Kraft des Romans bzw. der (verfilmten) Geschichte: die Kälte Alexejs gegen die aufwallende Emotionalität Annas, Wronskis Begierde gegenüber Alexejs Gleichgültigkeit.
Die filmische Umsetzung – bei 1200 Seiten wird immer ausgespart, was klar sein muss – ist meiner Meinung nach, und ohne die älteren Version (bis jetzt) zum Vergleich hinzuziehen zu können, gelungen. Unentschlossen bin ich nur, ob er auch ohne die Lektüre vorher genießbar, im Sinne von Genuss, nicht von Erträglichkeit, ist.
Aber unterm Strich ist Tolstois Werk auch heute noch modern, spielt mit Bildern und Personen, die aktuell und stark bleiben, wenn auch sehr amerikanisch verfilmt wurde. Doch z.B. gewinnt gerade Lewin , mehr als im Roman, seine Erkenntnis nicht so sehr belehrend, sondern (unreligiös) geläutert, als einziger reflektierte Emotionalität – absoluter Pluspunkt, der auch seinen Sympathiewerten gut tut.
Die Verwicklung der Gefühle ist, (auch/gerade) ohne die vielen politischen, religiösen und zeitgenössischen Ausführungen Tolstois starke Unterhaltung, denn es handelt sich eben bei Handlung und Charakteren – um Klassiker. Die besagte Kraft entfaltet sich aber wohl erst du den “steinigen Genuss” des Buches und die Aufarbeitung durch die Bilder des Films vollständig.
In diesem Sinne:
”Gestatten Sie mir die Ehre Ihnen ein Eis zu bringen?”
Sehr schöne Rezension ! Trotz dyslike werd ich mir nun den Film auch ansehen. Danke!
Übezeugende Rezession.
Ohne das Buch gelesen zu haben, sah ich den Film und kam zu selbigem zwiegspaltenen Ergebnis. Die Inszenierung als Theaterstück mit Bühnenelemente und allem Pipapo war sehr eindrucksvoll und wirklich sehenswert.
Die Geschichte selbst konnte mich jedoch wenig in den Bann ziehen. Auch mangelte es an Sympathie für die Figuren.
Insgesamt wurde mir durchaus fad und man sehnte letztlich das Ende herbei. Wie sagt man so schön: Der Film hatte durchaus seine Längen. Auch von mir keine umfassende Empfehlung.