von Barbara Peveling
“Standing in the light of your halo
I got my angel now”
LP
Eins ist die erste Woche mit Kindern im Stipendium. Sie kommen, um zu bleiben. Wie das so ist mit Kindern. Corona hat die Vereinbarkeitslüge endgültig sichtbar gemacht. Was bleibt sind die Kinder und ich.
Der Engel ist schon da. Mit weit ausgebreiteten Flügeln geht er durch die Räume und lächelt. Die Haare fallen ordentlich und gerade auf den Rücken, wie Regen, der in langen Tropfen vom Himmel fällt. Er trägt eine Schürze. Der Engel ist schon so lange da. Er hat kein Geschlecht, aber wenn ich ihm eines zuschreiben würde, dann das einer Frau. Der Engel hat das Haar, die Finger, das Lächeln, und auch den gütigen Blick einer Frau.
Der Engel widerspricht und sagt, dass er weder Mann, noch Frau ist, sondern die Liebe selbst. Ich schaue ihn an, prüfend, und wende ein, dass Convetry Patmore ihn aber bereits im viktorianischen Zeitalter als Frau beschrieben hat. Eben die, die das Haus zusammenhält. Er lächelt, zuckt mit den Schultern und wirft einen abschätzigen Blick auf meinen Laptop, als würde er sich fragen, was ich überhaupt will, mit so einem Ding. Immerhin, überlegt er laut, habe ich Familie und ob ich schon all die Freude vergessen habe, die aus der Schwangerschaft und der Geburt und überhaupt, dass ich Kinder habe, das reicht doch völlig, warum ich denke, dass ich jetzt auch noch was schreiben muss. “Den Engel im Haus zu töten”, hat Virginia Woolf geschrieben, “wäre eine der Hauptaufgaben von schreibenden Frauen.”
Der Engel fragt mich unbeeindruckt, warum es hier keine Waschmaschine gibt. Wie sollen wir denn nun die Kleider der Kinder waschen? Ich reagiere genervt, sage, dass ich dafür keine Zeit habe, soll der Engel doch selbst bei den Stipendiengebern fragen, wieso hier keine Maschine steht. Der Engel geht durch die Räume, streicht die Betten glatt, schüttelt nervös die Haare, flattert mit den Flügeln.
Krankenpflege ist mein zweites ich. Ein Kind hat eine Zecke im Arsch, sein Bruder eine unter der Vorhaut. Ich archiviere die Parasiten, man weiß ja nie, auch der Hund hat eine ganze Sammlung vom Spaziergang mitgebracht, ihm schere ich das Fell im Garten der Residenz, eine wahre Zeckeninvasion, während die Kinder wieder online spielen und ich NICHT schreibe. Der Tierarzt verkauft mir wohlwollend Salben, die ich sieben Tage lang mindestens fünfmal dem Hund auf die Haut schmieren soll. Kann man mit der Paste auch Gedichte schreiben, will ich wissen, aber der Veterinär lächelt nur. Den Kinderarzt später frage ich schon gar nicht mehr, ob ich mit seinen Medikamenten auch auf Papier schreiben kann. Als ich zurück in die Schreibresidenz komme, sitzt der Engel mit überkreuzten Beinen auf der Herdplatte und nickt zufrieden.
Drei ist dieses verzweifelte Gespräch mit dem anderen Elternteil. Der besseren Hälfte unserer Familie, die mit ihrer Festanstellung das Einkommen und Überleben unserer Mannschaft sichert. Aber selbst bei einem sicheren Einkommen ist ständig Landunter. Und dann noch Corona. Der andere kann nicht kommen, ich muss hier alleine bleiben, mit den Kindern, dem Wunsch zu Schreiben. Der Engel schiebt die Kochtöpfe zusammen, meint, es sei doch schön hier, mit den Kindern zusammen im Haus, wenn es auch nur eine Residenz ist. Ich lache nur laut und fasse ihm zwischen die Beine, muss aber feststellen, dass da nichts ist, als eine Leere, an der ich mich nicht reiben kann.
Überhaupt diese Nächte, und vier, sie tragen mich durch die Tage, an denen ich wie eine Alkoholikerin nur auf den Abend warte, um mir die Worte hinter die Binse zu kippen, ich sehne mich nach den Momenten, an denen meine Finger über die Tastatur fliegen, die Arztpraxen geschlossen sind und selbst Zecken schlafen. Meine Nächte sind süß und immer steigt ein Kind zu mir in den Traum und wenn ich dann wach werde, liegt sein kleiner Körper neben mir, mit all seiner Wärme und diesem Geruch nach Ewigkeit, den nur Kinderkörper verstreuen können, Atemzug um Atemzug. Und ich weiß, dass es richtig ist, dass die Kinder hier sind, dass es so sein muss, denn nur so hat endlich auch die Zerrissenheit ein Ende, das hier und dort sein, mental load auf Distanz, wer holt jetzt die Kinder aus der Schule während ich in der Schreibresidenz bin, wenigstens das hat ein Ende.
Fünf. Betreuung, meine Kinder sind käuflich. In weniger als fünf Minuten haben sie ihre Wahl getroffen. Ich gebe mich großzügig und ohne Hintergedanken, nur beim Hinausgehen, bemerke ich, dass es jetzt aber kein Meckern mehr gibt, wenn sie in den fremden Hort gehen müssen. Diesen Ort, mit Menschen, Kindern vor allem, die ihnen völlig unbekannt sind. Leicht ist das nicht, wir wissen es, unter Menschen wird dem Fremden nichts geschenkt. Die Kinder nicken und halten die Geschenke fest in den Händen.
Wie billig ist das denn! Schimpft der Engel, als wir nach Hause kommen. Erst vor dem Einschlafen verrät mir das ältere Kind flüsternd, dass es dem Kleinen geraten hat, dass billigere Spiel zu nehmen. Sein Atem riecht nach Schokolade, als er mir erklärt, dass er das für mich getan hätte, ich verdiene ja so wenig Geld mit dem Schreiben. Später fallen ein paar Tränen auf meine Tastatur und natürlich ist es dann auch der Kleine, der am nächsten Tag beim Abgeben weint und ich schaue noch seinen dicken Beinen hinterher, als ihn sein Bruder mit sich über die Schwelle in den Hort zieht und glaube mein Herz bricht. Mutter in Schreibresidenz, ich.
All die sechs und so viel mehr kleinen Momente, in denen wir eins sind. Diese Augenblicke wachsen und blühen wie Klee auf der Wiese. Wir tanzen zur Musik der Rewe-Werbung am Abend. Der Kleine weckt mich um vier Uhr morgens. Wir stehen lange am Fenster und hören den Vögeln beim Aufwachen zu. Dann fragt er mich, warum sie gerade bei Sonnenaufgang so schön singen. Als er wieder eingeschlafen ist, setze ich mich hin und schreibe und schreibe mit singenden, flatternden Vögeln im Kopf. Auch der Engel hat sich wieder schlafen gelegt und schnarcht.
Siebenmal drehe ich den Kaiserschmarren in der Pfanne. Der Teig klebt. In der Residenz gibt es kein Zimt und keinen Zucker. So ist das eben, wenn man nur vorübergehend irgendwo wohnt. Alles fehlt, Zimt und Zucker, die richtige Pfanne, vor allem die Waschmaschine, ruft der Engel dazwischen. Den Schmarren schmeiße ich in den Müll und drehe die Hemden der Kinder einfach auf die andere Seite. Ich hole einen Apfelkuchen aus dem Tiefkühlfach und stecke eine Kerze drauf. An diesem Tag habe ich zehn Seiten geschrieben, das tröstet mich, denn wenn ich zu Hause bin, dann backe ich selbst den Kuchen, dann wasche ich, putze, räume auf und schreibe nicht.
Acht Uhr ist schon lange vorbei und er hat Tränen in den Augen. Ehrlich Mama, ich habe nur mit dem Steinmonster gespielt, so und so und so. Er macht die Bewegungen nach, lässt das Monster nochmal über den Nachttisch gleiten, es hüpft über die Lampe. Das muss der Moment sein, an dem das Monster den Lampenschirm zerschlug.
Ich seufze, schüttele den Kopf. Mein Kind fängt wieder an zu weinen.
Wenn man in einer Schreibresidenz mit seinen Kindern ist, dann muss man dazu auch die richtigen Kinder haben. Sie müssen brav sein und stillhalten können und nichts kaputt machen. Sie müssen gut erzogen sein: Schreibresidenzkinder, die sich woanders so benehmen, als wären sie nicht zu Hause. Nicht dort, wo sie rumtoben können, wo auch mal was kaputt gehen kann, weil man ja zu Hause ist. Am besten, man hat keine Kinder, dann kann auch nichts kaputtgehen in der Schreibresidenz wird dann nur geschrieben, wie es sich gehört.
Der erste Abend, neun, der Besuch der großen Tochter ist eine Katastrophe. Dabei hatte ich mich so auf sie gefreut. Sie hat mich zur Mutter gemacht, und die anderen, die sie zur großen Schwester gemacht haben, hatten sich auch gefreut. Wir haben uns alle gefreut. Die kleinen Geschwister können vor Aufregung kaum die Beine voreinander setzen. Auch der Engel zittert erregt. Er ermahnt, mich, appelliert an meinen Mutterinstinkt. Ich soll auch das große Kind pflegen, hegen, sie nicht mit den Kleinen lassen, um für mich allein zu sein. Ich halte mir die Ohren zu.
„Sieg der Häuslichkeit über die Poesie“ schrieb Elisabeth Grube vor gut zweihundert Jahren und dass es immer noch so ist, ich so bin, oder wenigstens sehr lange war, macht mich wütend. Wir sehen uns die Stadt an, gehen in ein Museum, was man so macht als Familie und es ist schön, weil es sich gut anfühlt, wieder als ganze Bande unterwegs zu sein, zusammen. Zurück in der Wohnung schmeiße ich die Spätzle in die Pfanne, sage der Großen sie soll mal nachschauen, ich muss noch eine Mail an eine Verlegerin schreiben, in meinem Zimmer, allein nur diese Mail dauert dann mal wieder zu lange. Die Große will mich nicht stören, sie weiß doch, wie sehr ich ringe, doch sie kennt sich nicht aus, weiß nicht wie das geht mit Schnellkochplatte kochen, in ihrer Stipendienbude steht nur ein sehr alter Gasherd. Erst ist da dieser Geruch. Dann höre ich das hektische Hantieren mit dem Pfannenschieber aus der Küche, schließlich der Rauchalarm, schrill und sehr laut. Ich drücke vor Schreck auf absenden, die angefangene Email ist unvollkommen, ein unfertiges Gestammel, überhaupt, habe ich den Namen der Verlegerin falsch geschrieben. Doch jetzt rette ich erstmal den Herd, den Engel, die Pfanne, die Kinder. Der Hund hat angefangen im Rhythmus des Alarms zu jaulen. Ich klettere auf einen Stuhl und stelle den Alarm ab. Ein schwarzer runder Fleck auf der Tischmitte zeigt mir, wie gefährlich es ist, den Engel auszusperren. Ich schreie meine Wut und auch meine Verzweiflung durch den Raum. Ein großes Flügelrauschen, der Engel nimmt die Kinder in den Arm, auch die Große. Alle weinen. Ich schreibe nicht, ich kämpfe mit dem Alltag und vor allem mit mir, und zwar um jedes weitere Wort, auch um dieses hier.
Zehn und schon als ich mit dem Wagen um die Ecke biege, um die Kinder aus dem Hort zu holen, weiß ich, dass etwas nicht stimmt. Der Engel steht auf der Motorhaube wie eine Gallionsfigur mit flatternden Flügeln. Er brummt lauter als der Motor, denn ich bin wieder mal zu spät, habe mich gehen lassen beim Schreiben, konnte nicht aufhören. Die Erzieherin vom Hort steht schon an der Straße, meine beiden jüngeren Kinder neben sich. Sie sehen aus wie die Säulen eines antiken Tempels. Den Blick gesenkt. Die Worte sind da, so ist es nun mal, die Worte waren vor ihnen da und sie werden immer bleiben, bis zum Schluss. Die Erzieherin, meine Kinder, alle machen ein ernstes Gesicht. Mist, denke ich, es ist zu gut gelaufen mit dieser Residenz. Du hast mich zu oft ausgesperrt, schimpft der Engel, das hast du nun davon. Die Erzieherin stürzt auf mich zu, lässt mich nicht mal aus dem Wagen steigen, meint, das ginge so nicht, die Kinder wären mal wieder zu wild gewesen. Ich hole tief Luft. Ich schreie nicht. Dabei wäre es vielleicht an der Zeit zu schreien. Aber wer hörte mich denn, außer meinem Engel? Das Jugendamt? Die Fürsorge? Doch die Wut ist da. Sie steht zwischen uns, obwohl ich schweige, mich entschuldige, die Kinder steigen ins Auto. Der Engel schlägt mit den Flügeln. Ich muhe nur, wie eine Kuh auf der Weide, als wäre ich das dümmste Tier dieser Welt.
Elf, die Sache mit der Presse. Der Engel sitzt mal wieder beleidigt auf der Herdplatte, flattert hin und wieder mit den Flügeln. Aus einer unzuverlässigen Erzählerin wird eine unberechenbare Mutter. Das Flattern ist Wind auf unseren Gesichtern. Der Termin in fünf Minuten. Auf dem Rücksitz wird laut gestritten, ich versuche einzugreifen und bin so abgelenkt, dass ich die Ausfahrt verpasse. Die Nächste kommt erst in 25km. Ich rase mit gefühlten zweihundert über die Autobahn. Wahrscheinlich weniger, weil ich mir gar nicht so einen Wagen leisten kann, mit dem man so schnell fahren kann. Das Fahrzeug ist voller Kinder, sogar der Hund ist dabei, die ganze Familie. Wo sollen sie auch sonst sein, außer bei mir? Immer wieder schlage ich auf das Lenkrad, haue so fest drauf, dass mir die Finger wehtun, hinterher. Ich rufe Kacke und was mir sonst noch an Schimpfwörtern einfällt. Ich bin zu spät, weil ich immer zu spät bin; seit mir das Label der Elternschaft anhängt. Ich bin zu spät für Ausschreibungen, denn ich kriege meine Texte nicht fertig. Es klingelt auf meinem Handy, das ist die Nummer des Pressemenschen, er will wissen, wo ich bleibe. Ich antworte nicht, sondern schreie meine ganze Wut auf die Fahrbahn. Die Kinder schweigen, jemand weint, ich glaube, es ist der Hund.
Das ist, zwölf, Sommer und das Wasser steht mir bis zum Hals, also verbringe ich die Nachmittage am Badesee. Während die Kinder mit glücklichem Lächeln in Badehose über das Gras laufen, versuche ich, erfolglos, mich wenigstens aufs Lesen zu konzentrieren. Jetzt lasst mich mal in Ruhe. Sie trollen sich allein ins Wasser. Der Engel sitzt oben auf dem Baum, unter dem ich liege und streckt mir die Zunge raus. Drei Seiten, mehr habe ich nicht gelesen, dann höre ich lautes Geschrei. Ich weiß, es ist mein Kind, aber ignoriere es trotzdem. Guck mal Mama, dem Jungen kommt Blut aus dem Hinterkopf. Die Stimme kenne ich nicht, dafür aber den Hinterkopf, über den gerade gesprochen wurde. Hektisch packe ich die Sachen zusammen, fahre ins Krankenhaus. Es ist schon Mitternacht, als wir wieder in der Schreibresidenz sind, in der ich heute wieder nicht geschrieben habe. Als ich die Badesachen auspacke, fällt mir auf, dass ich das Buch am See vergessen habe. Auch der Engel ist nicht da. Sicher sitzt er unter dem Baum und liest.
Dreizehn und da ist die Fürsorge der anderen, ohne die es auch nicht gehen würde. Der Redakteur, der meinen Kindern Currywurst und Cola spendiert, um mit mir in Ruhe reden zu können. Die Koordinatorin der Residenz, die die Kinder hütet, als das Fernsehen kommt. Ohne Fürsorge geht das Schreiben nicht, geht Gesellschaft nicht, geht Literatur und Kunst nicht für Menschen, die außer produktiv auch reproduktiv sind. Und dann ist da noch diese Steckdose mit dem abgerissenen Stecker vom Ladegerät. Lass mich das machen, hat der Engel gesagt und mit beiden Händen und spitzen Fingern an den hervorstehenden Schrauben gezogen. Alles, was ich dann noch von ihm gesehen habe, war ein Funkeln und Leuchten, war der Moment, als der Engel sich endlich von mir verabschiedete.
„… to continue my story. The Angel was dead; what then remained?”
Virginia Woolf
Photo by Fábio Lucas