Symbolbild Hessen

Ein Schwein schlachten mit Krimiautorin Simone Buchholz

Das deutsche Feuilleton ist träge geworden, geht nicht mehr dorthin wo es weh tut. Um das Vakuum an extraordinären Reportagen zu füllen, treffe ich mich mit Simone Buchholz in unserer hessischen Heimat. Die Autorin und Kolumnistin lebt zwar eigentlich in Hamburg, doch für unser Vorhaben brauchen wir den Schutz hügeliger Rhönausläufer. Wir wollen ein Schwein schlachten.

Nur wenige Betriebe in Deutschland verarbeiten ihre Wurst noch warm. Die Hygienestandards sind hoch. Die beste Möglichkeit, solche Vorschriften zu umgehen, bietet immer noch eine Hausschlachtung. Daher haben wir im Frühjahr in Wippershain bei Bad Hersfeld für 25 Euro das Dorfgemeinschaftshaus angemietet. Hier bietet man neben einem Partykeller und einem „Festsaal“ auch einen Schlachtraum; ebenfalls integriert ist das Gerätehaus der Freiwilligen Feuerwehr. Etwas unsicher in Bezug auf Beschaffung und Tötung eines Schweins haben wir uns Hilfe aus dem ebenfalls im Kreis Hersfeld-Rotenburg gelegenen Dorf Heenes geholt. Peter Sorga ist gelernter Metzger, war für Kali und Salz unter Tage und hat im Laufe seines Lebens an die tausend Hausschlachtungen betreut. Wir treffen uns auf seinem Hof in Heenes. Hier hält er noch zwei Schweine, eines für sich und seine Familie, ein weiteres, das er uns verkauft hat. Beide Sauen kamen als Ferkel zu ihm und wurden über ein Jahr, also fast dreimal so lange wie in der Massentierhaltung, persönlich umsorgt. Auch an Platz mangelt es den beiden hier nicht, den Stall, früher für eine niedrige zweistellige Zahl von Paarhufern vorgesehen, bewohnen nun die beiden Wutzen allein.

Pit, so nennen Freunde und Familie Peter, empfängt uns in Gummistiefeln und langer Schürze, an seinem Gürtel baumelt so etwas wie ein Holster mit einem Messer. „Holen wir die Sau?“, fragt er die beiden verschüchterten Großstädter nach kurzer Begrüßung und wir nicken stumm. Der Schweinstall riecht naturgemäß, aber irgendwie milder als erwartet, auch sieht es dort nicht so aus. Ein riesiges Tier liegt in einer Ecke der großen Box. Simone schaut mich an und wir sind beide überrascht ob der Fülle an Tier, der Respekt vor diesem und dem vorgesehenen Prozedere steigt. „Da honners“, sagt Sorga in nordhessischem Platt. Um Zeit zu gewinnen, frage ich nach dem Namen der Sau. „Meine Kinder haben den Schweinen früher Namen gegeben, aber das macht es schwerer“, gibt er zu, während er dem Tier den mitgebrachten Strick wie eine Leine umlegt, und es mit leisen Worten zum Aufstehen animiert. Plump durchbreche ich mit neuen Fragen seine andächtige Stille und merke erst später, dass ich wichtige Momente für Bauer und Schwein dadurch zerstöre. „Was hat das so gefressen?“ – „Die Küchenabfälle und Essensreste, den Rest haben wir zugefüttert. Dafür lasse ich mir immer eine Mischung machen, mir ist das wichtig, hauptsächlich Mais und Soja, aber aus konventioneller Landwirtschaft. Nicht so moderne Sachen.“ – „Ein richtiges Bioschwein?!“ Sorga winkt ab. „Bio? Das ist doch auch so eine Mode, da tricksen sicher irgendwelche Chinesen und jubeln uns Sachen unter, die wir früher selbst besser gemacht haben.“

Unter beruhigenden Worten lotsen wir die Sau in die Mitte des Hofes. Pit drückt Simone einen Eimer und ein übergroßen Kochlöffel in die Hand, verschwindet nochmal kurz und kehrt mit seinem Schwiegersohn und einem Bolzenschussgerät zurück. Dieses muss man sich wie eine große Thermoskanne vorstellen aus deren einer Seite mittels Drucks einer Platzpatrone ein Bolzen hervorschießt. Wird das Gerät etwas oberhalb der Augenpartie mittig auf der Stirn des Schweins ausgelöst, stößt der Bolzen ins Hirn des Tieres und betäubt es. Pit und sein Schwiegersohn binden der Sau nun noch zwei weitere Stricke an die Hinterläufe und Pit weist uns ein: Sobald das Schwein betäubt ist, eröffnet er ihm die Halsschlagader, Simone soll das Blut im Eimer für die Blutwurst auffangen und rühren, sonst gerinnt es. Es ist zu erwarten, dass das Nervensystem des Schweins trotz der Betäubung verrückt spielt, daher hält sein Schwiegersohn die Hinterbeine an den Stricken. Ich soll mich auf das Schwein setzen, aber sehr weit vorne, dort wo man die Schultern vermuten würde, und versuchen es zu halten, 100 Kilogramm gegen fast 220.

Auf einmal geht alles so schnell, dass wir uns gar nicht mehr sortieren können. Peter, der gerade noch leise der Sau gut zuredet, zieht sofort nach dem Knall des Bolzenschusses sein Messer aus dem Holster und sticht dem Schwein in den Hals. Der erste Schwall dampfendes Blut ergießt sich auf Simones Stiefel bevor sie den Eimer hochreißen und in die richtige Richtung manövrieren kann. Als der Bolzen im Schädel der Sau einschlägt, grunzt diese dumpf und beginn kurz danach zu schreien. Ein hohes Kreischen hallt von den Wänden der umliegenden Gebäude wider, und unter mir versucht das Schwein im Todeskampf sich aufzubäumen. Der Schwiegersohn zerrt an den Stricken und kommt fast zu Fall, sämtliche Läufe schlagen unkontrolliert aus. Nicht stark, aber schwer, versuche ich die Kontrolle über Gewichtsverlagerung zurückzugewinnen, doch was kann Masse gegen Todeskampf ausrichten. Der Eimer in Simones Armen füllt sich erschreckend schnell, obwohl sich wegen der heftigen Zuckungen auch einzelne Blutpfützen auf den unebenen Betonsteinen sammeln. Das Ausschlagen unter mir wird weniger, die Sau langsamer, bis sie zusammenbricht.

Alle Anwesenden schweigen. An der Hauptstraße waren ein paar Passanten vorbeigelaufen, aber niemand stehen geblieben, in Heenes scheint man noch ans Schlachten gewöhnt zu sein. Ich bin es nicht. In meinen leuchtend neuen Gummistiefeln stehe ich breitbeinig über einem toten Schwein, dessen Blut sich unter meiner Schuhsohle sammelt. Es will sich kein Gefühl archaischer Männlichkeit einstellen, kein Triumph. Vielmehr schwanke ich unsicher zwischen Übelkeit und Sprachlosigkeit, während die anderen Herren bereits den Hänger aus dem Schuppen rollen. Das Schwein muss ausbluten, damit wir es verarbeiten können, und das soll möglichst bald sein. Wieder bleibt keine Zeit zur Vorbereitung oder Besinnung, wir wuchten und ziehen, ich weiß nicht wie, das Vieh auf den Hänger. Pit, in emsiger Geschäftigkeit, verschließt den Eimer mit dem Schweineblut mit einem Deckel, stellt ihn neben das Tier auf den Hänger, besteigt sein Auto und zuckelt los. Seine Tochter verabschiedet uns, und beginnt mit Wasser aus einem Gartenschlauch das Blut von den Betonplatten in den Gulli zu spülen.

Autorin und Blogger sind sprachlos. Wir schauen uns an und steigen ins Auto, starren zwei Minuten schweigend aus dem Fenster. Als ich den Motor anlasse, holt Simone Luft um etwas zu sagen, verschluckt es aber wieder. Wir sprechen erst wieder, als wir in Wippershain das Dorfgemeinschaftshaus nicht finden.

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Peter Sorga (links) sticht die Wutz, Simone Buchholz (rechts) fängt das Blut auf. Aus Gründen der Pietät, und weil wir Angst hatten, wurden keine Bilder vom Tötungsvorgang angefertigt.

Als wir durch die Toreinfahrt auf den Hof rollen, koppelt Pit bereits den Hänger ab und schiebt ihn in eine Parklücke. Der kleine, drahtige Mann ist für sein Rentenalter äußerst fit. Ein paar Jungs von der Freiwilligen Feuerwehr haben ihm geholfen das Schwein vom Hänger in den Schlachtraum zu hieven. Mit heißem Wasser hat er die Haut des Tieres überbrüht und mit Glocken gegen den Strich die Borsten abgeschabt. An den Hinterläufen neben den Achillessehnen hat er eingeschnitten und zwei Haken eingehängt. Wir betreten gemeinsam den hohen, feuchten Raum, der bis unter die Decke gefliest ist. Peter betätigt die Winde an der Wand. Die Stahlseile an den Läufen der Sau straffen sich und schleifen den Körper ein Stück über den Boden bis er sich langsam anhebt. Ich frage, ob ich helfen kann, doch Pit winkt ab. Nach kurzer Zeit hängt kopfüber ein knapp zweieinhalb Meter langer Kadaver von der Decke. Nur der Kopf fehlt bereits. Dank des Verfahrens auf dem Weg zum Schlachthaus mussten wir nicht mit ansehen wie das erledigt wurde. Peter, sonst offenbar nicht sehr zimperlich, hat wohl aus Rücksicht auf uns nicht gewartet. Andererseits ist jeder Ablauf bei ihm automatisiert, wahrscheinlich kam er gar nicht auf die Idee, für dieses „Highlight“ auf uns zu warten, er ist einfach bei der Arbeit. Der Kopf ist nirgends zu sehen, was macht man wohl damit? Aus dem Hals der Sau tropft noch etwas Blut in den Ausguss in der Mitte des Raumes, über dem sie hängt.

„Wir brauchen einen von den Tischen“, weist Pit uns an. Was er Tische nennt sind eigentlich aufgebockte übergroße Schneidbretter. Simone und ich heben die Platte an, während Peter die Böcke vor die Bauchseite der Sau stellt und wir das sicher drei Meter lange Plastikbrett darauf legen. Die Routine, mit der Pit die meisten seiner Handgriffe ausführt, gepaart mit unserer Rolle als Handlanger und Zuschauer führt zur nächsten Überraschung. Ohne Ankündigung stellt er sich auf die Zehenspitzen, greift wieder in sein Holster und öffnet dem Tier mit einem großen Schnitt den Bauchraum. Das Innere dampft in den ungeheizten Raum und mit einem schmatzenden Klatschen ergießen sich die Innereien auf den Tisch. Hatten wir uns inzwischen an das Odeur des Schweineäußeren gewöhnt, werden unsere Nasen nun völlig neuen olfaktorischen Reizen ausgesetzt. Der Gestank nach Blut und Scheiße erfüllt in Sekunden den Raum.

Ein Jeep rollt auf den Hof und eine riesige Frau steigt aus, die Tierärztin. Die Fleischbeschau verläuft positiv, zumindest aus Sicht des späteren Konsumenten. „Die Leber müsst ihr aber wegmachen“, sagt die Veterinärin mit Blick auf einen riesigen dunkelbraunen Lappen auf dem Tisch. Positiv also auch der Befund in Bezug auf Würmer in der Leber. „Nicht schlimm“, sagt Peter und zeigt auf Löcher im Gewebe, „nicht schlimm.“ Er zückt ein prähistorisches Mobiltelefon und ruft „die Tochter“ an. Sie solle bitte mal in den Hersfelder Schlachthof fahren und eine neue Leber kaufen. Während des Gesprächs tritt er nah an das Schwein heran, öffnet mit einer Hand wieder den Schnitt und betrachtet ihn. „Und Fett brauchen wir auch, schau mal, zehn Kilo, besser fünfzehn.“ Simone und ich schauen uns an. „Wenn man zu wenig Fett an der Wurst hat, wird die schlecht, Fett ist gut für die Haltbarkeit“, erklärt uns Pit beiläufig und drückt der Tierärztin zwanzig Euro in die Hand. Nutzlose Helfer, die wir sind, stehen wir weiter in der Gegend rum, während Pit wieder nach draußen wuselt. Er kommt mit einem Bottich wieder, der eigentlich eine Wanne zum Anrühren von Zement zu sein scheint. Er zieht und zerrt Teile der Eingeweide hinein. Der prallgefüllte Darm, die Lunge und viel undefinierbare Matsche rutschen vom Tisch in den Kübel. Der kleine Mann zerrt den Pott nach draußen und der Gestank lichtet sich etwas. Peter hat eine Säge in der Hand. Er weist Simone an mittels eines überdimensionalen Wasserhahns den Kessel an der einen Längsseite des Raums zu befüllen. Knapp eine Badewanne voll fasst dieser als er nur zu zwei Dritteln gefüllt ist und Simone auf Pits Anweisung beginnt die restlichen Innereien hineinzulegen. Das Herz, die Nieren, irgendwelche Fleischlappen und einen zwei Kilo schweren Rinderbraten, den Peter aus einer Kühlbox holt. Da ist auf einmal der Kopf der Sau. Aus dem Nebenraum trägt Pit ihn rein. Die Augen fehlen. „Eigentlich schneide ich die Augen immer schon auf dem Hof raus. Schwerer, wenn man ständig angeguckt wird. Aber unser junger Kollege hier scheint nicht so belastbar, da dachte ich, das mach ich, wenn ihr nicht dabei seid.“ Diese Rücksicht überrascht mich etwas. Ich bin fast gerührt. Für viel mehr Einfühlung ist jetzt aber auch kein Raum mehr, denn Pit setzt die armlange Säge mittig auf den Kopf und beginnt ihn zu zersägen. Das geht überraschend schnell. Jeder Hälfte schneidet er die innen sehr dreckigen Ohren ab, trägt sie zum Kessel und lässt sie hineingleiten. Die Säge über dem Arm besteigt er auf der Rückenseite des Schweins eine kleine Leiter und beginnt den Körper mittig zu zersägen. Das klingt wie das Zersägen eines Schweins.

„So“, sagt der Mann in der Plastikschürze als er von der Leiter steigt und die Säge an einen der vielen Haken an der Wand hängt, „jetzt kurz verschnaufen.“ Er gießt Schlitzer Burgenkümmel in Gläser und erhebt das Pinnchen „Auf die Sau.“ Wir repetieren und trinken. Es ist das erste Mal seit wir den Stall betreten haben, dass etwas Ruhe in den Metzger kehrt. Das Schlimmste haben wir jetzt aber hinter uns, hoffe ich. Das vorhin noch lebende Tier hängt in Hälften entpersonalisiert von der Decke. Der Anblick von Schweinehälften ist deutlich erträglicher als der von augenlosen Köpfen und Tischen voller Eingeweide. Auch unser Zeremonienmeister ist das erste Mal entspannt und erzählt, wie seine Eltern ihn zur Metzgerlehre drängten, wie sehr ihn der Beruf abgestoßen hat und die Übelkeit, die ihn bereits morgens überkam, wenn er um sechs Uhr früh mit dem Geruch von Tod und ausgekochtem Fleisch konfrontiert wurde. Als er bei Kali und Salz im Werratal arbeitete und genügend Abstand vom täglichen Schlachten hatte, begann er auf Bitten vieler Bekannter wieder mit Hausschlachtungen. „Oh ich zeig euch was Lustiges!“ Pit wuselt von dannen, kramt, spült einen Hautlappen im Waschbecken aus, setzt ihn an den Mund und bläst Luft hinein. „Die Blase“, lacht er und bindet sie mit grobem Garn zu. Den Bioluftballon hängt er an den Haken neben die Säge.

Simone und ich bekommen jeder einen Tisch zugewiesen und ein Messer in die Hand. Die von mir mitgebrachte Klinge, die beste des Hauses dachte ich, legt er lächelnd wieder in meine lila Klappbox zurück. Auch meine kleine Schleifmaschine von Tchibo wird ignoriert, blitzschnell dagegen schärft Pit mit einem Wetzstahl mehrere Messer verschiedener Größen, die er in sein Cowboyholster steckt. Behände trennt er den Vorderlauf der einen Hälfte vom Rest. Ich muss halten, so schwer ist das Teil. Es wird immer mal wieder gesägt, viele Knochen löst er durch gekonnte Schnitte sauber und ohne Fleischverlust vom Rest und legt Simone und mir je ein circa vier Kilo schweres Stück auf den Tisch. „Schaut euch den Fleischwolf an“, Peter zeigt auf das Loch in der großen Schale, das in eine Röhre in den Fleischwolf führt, „da müssen die Stücke durchpassen.“ Erst jetzt scheint unsere Hilfe wirklich gebraucht, schweigend arbeiten wir nebeneinander. In unserem Rücken zerteilt Pit das Schwein immer weiter, sobald er den hängenden Rest nicht mehr leicht erreichen kann, kurbelt er ihn an der Winde etwas herab. Immer mal wieder muss ich schleppen helfen.

Das vorherige Tier ist jetzt nur noch Fleisch, es ist ein bisschen wie Kochen mit großen Mengen. Nur das Dampfen der riesigen Brocken, die wir auf den Tisch gelegt bekommen, erinnert an das vorhin noch pulsende Leben darin. „Wir könnten tolle Schnitzel machen“, freue ich mich und patsche auf einen Teil des riesigen Schinkens. Mit Produktwerdung des Schweins in Fleisch löst sich auch bei mir langsam die Stimmung. „Nee, wäre zu zäh, die Sau ist zu alt, das macht keinen Spaß. Diese Schnitzelviecher sind drei Monate alt, das hier wird alles Wurst“ Pit legt mir den ausgelösten Kotelettstrang auf den Tisch, Bemerkungen zum Grillen von Selbstgeschlachtetem, das keine Wurst ist, verkneife ich mir. Er wiederum blickt auf die von mir geschnittenen Stücke, befindet die Größe für angemessen. „Wasn das?“ fragt er dagegen bei Ansicht eines Haufens, den ich still „Schlabber“ getauft habe. „Dachte das macht man weg, das war so … Schlabber?“ „Simone machst Du das etwa auch so?“ Nein, Simone hat brav nur Fleisch zerschnitten. „Das kommt alles in die Wurst. Das ist doch einfach nur Fett und ein bisschen Bindegewebe.“ Ich mische betreten den Schlabber unter die schönen Stücke schieren Fleischs. Ein letzter Versuch. „Wir könnten tolle Fleischwurst machen, so Lyoner, Kinderwurst, Du weißt schon Pit.“ „Ja, aber dafür bräuchten wir nur den Schlabber, einen Kutter, Eis, sehr viele Gewürze und Stabilisatoren.“ Ich sehe ein, wir werden heute keine Fleischwurst zubereiten.

Was der Bürger sonntags auf den Tisch zaubert, die „feinen Stücke“ des Schweins, alles kommt bei uns in die Wurst, Filets, Schinken, Braten, Koteletts, einfach alles. Dem Nichthessen sollte spätestens jetzt klar sein, warum der Hesse unwirsch wird, bezeichnet man seine „Stracke“ als Mettwurst oder gar Salami. Für solche Stücke, die Peter für minderwertig erachtet, gibt es einen eigenen Haufen, daraus wird Blut- und Leberwurst und Schwartemagen gemacht. „Das was da liegt“, Pit weist auf das Fleisch, „ist immer noch besser als alles was die Industrie in ihre Salami macht.“ Und ich dachte kurz es wären die Abfälle. Für besagten Schwartemagen hat Peter von den Rückenstücken die Haut des Schweins abgezogen, bevor er sie uns zugeteilt hat. Diese kommt ebenfalls in den Kessel. Der dadrin simmernde Sud verströmt inzwischen einen leichten Geruch nach sehr fettiger Brühe, die Scheiben des Schlachtraums beschlagen und von der Decke tropft Kondenswasser. Zwischenzeitlich bringt „die Tochter“ eine neue Leber und einen Müllsack voller fettem Speck. Peter wuchtet eine Wanne, „Marke Eigenbau“, auf eine riesige Waage. Sämtliches Fleisch der guten Seite wandert in die Wanne. Die Waage verrät uns, dass wir bereits über hundert Kilo Fleisch zerlegt haben. „Hmm“, überlegt der Metzger und legt uns fast den gesamten Inhalt des Fettsacks zum Zerkleinern auf den Tisch, während er Gewürze abwiegt, sehr viel Salz, frischen Knoblauch, Kümmel, Muskatnuss, Pfeffer. Er verteilt die Mischung, sicher mehr als zwei Kilo, über dem Fleisch in der Wanne. „Pulli aus oder Ärmel hochkrempeln“, sagt er zu mir und verschwindet bis zu den Schultern mit den Armen in der Wanne, „jetzt wird erstmal vorgemengt.“ Das Salz entzieht dem Fleisch schon merklich Feuchtigkeit, die sich am Boden sammelt, mit dem Umwälzen geben die Berge schmatzende Geräusche von sich. Die großen Stücke sind bald alle mit einer Schicht Salz und Gewürze umgeben und Pit kramt schon wieder in einer Kiste. „Wisst ihr, die Messer von dem Fleischwolf hier sind nicht so gut, da bringe ich immer extra meine eigenen mit, das ist wenn so viele Amateure dadran rumfuhrwerken.“ Während ich mir meine Arme noch mit sehr heißem Wasser und Spülmittel wasche, beginnt Simone mit dem Befüllen des Wolfs. Weil wir nur eine Wanne haben, hat Peter das Fleisch in die eine Ecke geschoben und in den freien Raum plumpsen bereits die ersten Portionen Gehacktes. Nach vielleicht zehn Kilo unterbricht Peter Simone und krempelt die Ärmel wieder nach oben. Er klemmt die eine Seite der Wanne unter das Fensterbrett und beginnt das Hackfleisch mit den Händen zu bearbeiten. „So kippelt nichts und man rutscht nicht weg.“ Er knetet. „Ihr müsst den Wurstteig richtig gut mengen. Einmal damit die Gewürze gleichmäßig verteilt sind, andererseits aber auch, dass das ganze Bindung kriegt, sonst kommt Luft in die Wurst, es bilden sich Hohlräume und darin schimmelt sie. Ihr müsst das Fleisch mit den Handballen aufeinander reiben, so hin und herrutschen, das wird richtig klebrig dann.“ Ich darf beginnen, nach fünf Minuten werden Simones Künste überprüft. Geschwindigkeit und Ergebnis sind zumindest derart zufriedenstellend, dass Pit das Geschaffene zur Weiterverarbeitung freigibt. Simone und ich wechseln uns im Wolfen und Mengen ab. Die Arme werden bei letzterem schneller lahm als man glaubt. Pit holt immer wieder den fertigen Wurstteig, außerhalb Hessens sagt man eher Brät, und schmeißt diesen in einen Kolben. Das klatscht kräftig. „Auch damit keine Luft in die Wurst kommt“, erklärt er. Vorne an dem Kolben befindet sich eine Tülle, über die er nun gewässerten (Fremd-)Darm zieht, der eigene liegt ja draußen im Eimer und ist noch reichlich mit Unappetitlichem gefüllt. Auf den Kolben montiert Peter einen Stempel, der die Wurstmasse durch die Tülle in den Darm presst, wenn man an einer Kurbel dreht. Durch nicht nachvollziehbare Knoten wurde das grobe Garn am Tisch befestigt und immer wenn ausreichend Darm gefüllt ist, wird vorne und hinten abgebunden. Einen Teil der so entstehenden Würste werden in der Geraden gelassen, Stracke, andere zu einem Kringel gebunden. Es dauert sicher zwei Stunden bis Simone und ich den gesamten Haufen Fleisch zerkleinert und gemengt haben und Pit die Würste gefüllt hat.

Zwischendurch machen Simone und ich immer wieder Pausen, trinken Kaffee aus einer großen Kanne mit 70er-Jahre-Blumen-Motiv von Pit. Mit kleinen Späßen versuchen wir weiter zu kaschieren, dass wir immensen Respekt davor haben, was gerade um uns passiert ist. Meine Mutter hatte Brötchen gekauft, die wir mit dem frischen Wurstteig belegen, Mettbrötchen deluxe. Dafür unterbricht auch Pit kurz seine Arbeit. Als wir die gesamte erste Fuhre Fleisch zerkleinert und Pit sie in Därme gefüllt hat, wird wieder gewogen. Aus der heißen Brühe hatten wir nach Anweisung alle schwimmenden Teile gefischt, Herz, Nieren, die Kopfhälften, aber auch Teile der Rippen, an denen noch kleine Fleischfetzen hängen. Die sollen wir jetzt abklauben, den Rinderbraten schneide ich in Würfel, ebenso ein großes gekochtes Stück fetten Speck. Die langen Streifen der Schwarte sind inzwischen grau und sehr glitschig, diese wandern erstmal zum Auskühlen in eine Blechwanne. Die Mengen an „schlechtem“ Fleisch und den angehäuften Resten sind deutlich kleiner. Simone schält ein Netz Zwiebeln und lässt sie zum Fleisch durch. Pit wiegt wieder Gewürze. Diesmal ist noch sehr viel Majoran dabei. Die gesamte Masse sind nur etwas über vierzig Kilo. Die gekochte Schwarte kommt nun auch in den Fleischwolf, den sehr klebrigen Brei geben wir zu einer Hälfte der Masse. Die andere Hälfte wird wieder halbiert, ein mit der frischen Leber, die sich im Wolf in einen widerlichen braunen Matsch verwandelt, und der Hälfte von Rind- und Fettwürfeln vermischt. Der andere Teil wird Blutwurst und erst nochmal zurückgestellt. Pit füllt den Schwartemagenteig in Schweineblasen, auch der Luftballon von vorhin ist dabei, und in Weckgläser. Die Leberwurst wird in Gläser und Därme gefüllt. Die Blasen und Därme mit Leberwurst und Schwartemagen werden im Kessel gekocht. Simone soll derweil das von ihr gerührte Blut holen.

Auf der Oberfläche hat sich irgendeine Eiweißschlacke abgesetzt. „Müsster abschöpfen“, sagt Pit, doch weder Simone noch ich haben große Lust darauf mit bloßen Händen in fünf Litern Blut zu fischen. Der Metzger übernimmt wenig zimperlich und gießt einen großen Schwall in die Wanne mit Blutwurstteig. Simone greift in den Eimer, feuchtet ihren Finger im Blut an und wischt mir unter der Nase lang. „Mengen“, weist Pit an, doch wir möchten nur ungern. Pit mengt vor, durch die Flüssigkeit ist der Wurstteig nun viel breiiger. Zwischendurch probiert Peter. Es schüttelt uns. Rohes Gehacktes zu essen, das noch warm ist, aber sonst wie gewohnt, mag angehen, mit Leberbrei Versetztes war schon eklig, aber einen Brei aus warmen Fleisch und Blut zum Munde zu führen, von den Fingern zu lecken, ist sehr abstoßen. Unsere Blicke sagen ihm das. „Ja, und wenn die Wurst nicht schmeckt? Wenn nicht genug Salz dran ist? Muss man halt probieren“, die Erklärung leuchtet ein, nur tauschen wollen wir mit Pit nicht. Wieder werden Gläser und Därme gefüllt, Därme in den Kessel gelegt. Draußen wird es langsam dunkel. Unter Pits Anleitung räumen wir auf und putzen, nutzen sehr viel Putzsand und sehr heißes Wasser. Zuletzt fischen wir die Würste aus dem Kessel und lassen die Brühe in den Ausguss plätschern. „Stop! Da honner gute Worschtsubb“, Pit holt einen Topf und füllt fünf Liter ab.

blut abschöpfen

Pit wässert und schrubbt die Ladefläche des Hängers, wir heben gemeinsam den Bottich mit den Innereien hinauf, die er auf seinem Hof auf den Mist schmeißen wird. Fast alle Würste laden wir in sein Auto, sie sollen geräuchert werden. Von Blut- und Leberwurst gibt er uns jeweils ein paar frische mit. Ohne große Sentimentalitäten gehen wir auseinander, die Rechnung für das Schwein und seine Arbeit schickt er uns mit der Post. Außerdem gibt er Bescheid, wenn wir die geräucherte Wurst abholen können. „Denkt dran“, verabschiedet uns Pit, „nur schlechte Wurst braucht Senf.“

Vor lauter Schlachten haben wir gar nicht über Simone Buchholz‘ Schreiben, ihren neuen Krimi „Blaue Nacht“, der bei Suhrkamp erschienen ist, gesprochen, nicht über ihre Zeit bei einem Frauenmagazin in Hamburg, über die brennende Außenbestuhlung der Pizzaria gegenüber, das Schwarzangeln, das Schuppen von Fischen in Ferienwohnungen. Simone ist ein lustiger Mensch, mit dem man sehr gut Zeit verbringen und/oder Schweine schlachten kann, ihre Krimis sind schnodderig ohne aufgesetzt, unterhaltsam ohne doof zu sein. Kauft alles von Simone Buchholz.

Kategorien Gespräche und Sonstiges

Tilman berät als Rechtsanwalt Verlage, Autoren und andere Kreative im Urheber- und Medienrecht. Als Blogger hat er sich sowohl im Bereich der Literaturkritik als auch -vermittlung in der Branche einen Namen gemacht. Rechtsanwalt Winterling ist zudem als Jurymitglied (u.a. Hamburger Literaturförderpreise) und Moderator von Lesungen tätig, sowie gefragter Interviewpartner (u.a. Deutschlandfunk, Radio Eins), wenn es darum geht verständlich und unterhaltsam über rechtliche Themen und solche des Bloggens zu berichten.

6 Kommentare zu “Ein Schwein schlachten mit Krimiautorin Simone Buchholz

  1. Brasch & Buch

    Das ist grandios. Das werde ich zu gegebener Zeit meinem Sohn zu lesen geben oder vorlesen.

  2. Vielen Dank für das Erlebte!
    Habe vor einiger Zeit auf der republica das Zerlegen einer Schweinehälfte miterleben dürfen.
    Ohne Schlachtung vorher. Dafür konnten bei dem Tier die meisten Teile einzeln verwendet werden und nur weniges kam in die Wurst.
    Das war ein sehr respektvolles Erlebnis. Vor allem
    als die Leber aus der Pfanne kam und die Milz auf Toast als Milzschnitte gereicht wurde.

    Das bis zum Ellenbogen in Fleisch stecken erlebe ich zu Hause trotzdem regelmäßig, da wir unser Rindfleisch direkt vom Züchter kaufen und dann meist 30-40 Kilo geliefert bekommen die wir selbst anpacken müssen.

    Das erste Mal mit gehörigem Bammel vor der Aufgabe und mit einem Onkel der Fleischer gelernt hat als Aufpasser damit wir nichts falsch machen.

    Trotzdem fühlt es sich richtig an, bei der Verarbeitung dabei zu sein und ich kann jedes einzelne Stück später anders genießen. Alleine schon weil ich sicher sein kann, dass das Tier ein gutes Leben hatte und 2 Jahre auf der Weide mit seiner Herde im Naturschutzgebiet stand.

    • Hallo Alex,
      Danke für Deinen Kommentar. Bei uns stand tatsächlich die Wurst im Vordergrund und war von vornherein aufgrund des Alters des Schweins so abgesprochen. Mit am Eindrucksvollsten war für mich, neben dem Akt an sich, die Erkenntnis was bei anderen in die Wurst kommt. Pit war da sehr drastisch und plastisch. Dies erhöht den Respekt, aber auch das Nachdenken, vor dem Verspeisen von (Fremd-)Wurst.

      Kompetente Hilfe ist bei einem solchen Unterfangen wohl immer nötig, weil der normale Bürger inzwischen kaum mir Wissen und Fähigkeiten haben wird, das Schlachten, vom Tötungsvorgang sowieso abgesehen, richtig durchzuführen.

  3. Das erinnerte mich einerseits an Erzählungen meines Onkels, der in der Wirtschaft meiner Großeltern regelmäßig ein Schwein schlachtete, und andererseits daran:
    http://theseustempel.tumblr.com/post/149240357331/därme-putzen-abflensen-und-prüfen

    • Vielen Dank für diese sehr anschauliche Bilderserie, lieber Norman 🙂

  4. Metzgerin Ela

    Ein guter Beitrag. Ich kann vieles nur unterstreichen und kenne es gut. Denn ich bin Metzgerin, Schlachterin, Fleischerin oder wie immer man es nennen will. Ich arbeite in einer Metzgerei, in der noch selbst geschlachtet wird. Als Frau schlachte ich Schweine, Bullen, Kühe, Kaninchen, Hasen, Geflügel und andere Tiere sogar selber. Oft mit meiner Schwester. Für manche vielleicht komisch, ist es für mich aber nicht. Auch Frauen können Schlachten emotional hinbekommen, wenn man die richtige Einstellung und den Willen beim Betäuben und Abstechen hat. Als Mädchen bin ich bei Hausschlachtungen schon wie hier auf betäubten Schweinen gesessen und habe Kaninchen geschlachtet. War eben so, man hat wenn man auf einem Hof aufwächst eine viel pragmatischere Einstellung dazu.
    Hausschlachtungen bei denen die Tiere vor Ort auf dem Hof geschlachtet werden mag ich jedenfalls. Für das Tier, egal ob großes Schwein, Ferkel oder selbst kleines Kaninchen ist das Schlachten in gewohnter Umgebung entspannter als in der Metzgerei. Mir ist es auch immer wichtig, dass das Schwein bzw. Tier Vertrauen zur Schlachterin bekommt. Da lasse ich mir die Zeit und auch die Gummischürze erst mal weg. Lieb und respektvoll aber trotzdem zielstrebig, mit Strick, ein bisschen List und wenn nötig etwas Strenge geht es ans Werk.
    Gut auch, dass nach dem Schlachten fast alles verwertet wird. Nichts mit Schwabbel wegwerfen. Es wächst eben nicht nur Schnitzel am Schwein. Das lernt gleich jeder, der bei der Hausschlachtung ist. Bei den Zusatzstoffen in Industriewurst wurden oben noch die Farbstoffe vergessen, damit die Wurst vor lauter Wasser noch nach Wurst aussieht. Braucht es bei der Hausschlachtung und in kleinen Metzgereien alles nicht. Wenn alle so was wie im Artikel mitmachen würden, wäre der Fleischkonsum bestimmt geringer, das Essen gesünder und die Tiere könnten auch besser gehalten und geschlachtet werden. So wie die Sau hier. Auch müsste man keine Eber als Ferkel mehr kastrieren. Klingt komisch, obwohl ich als Schlachterin vom Schlachten und Wursten lebe wäre mir Klasse statt Masse nur recht.
    Wer die Schlachtung von Tieren bei Hausschlachtungen oder in kleinen Metzgereien übrigens brutal findet, sollte mal anschauen, wie Schweine im Großbetrieb betäubt werden und wie lange sie vorher unterwegs waren. Wobei die Sau hier im Artikel glaub ich auch nicht gut betäubt war. Ein Schwein darf nach dem Bolzenschuss noch zappeln und zucken aber schreien nein. War wohl der Bolzenschussapparat zu schwach für die schwere große Sau. Abstechen hätte man sie so nicht dürfen.
    Toll und mutig auf jeden Fall, dass sich die beiden im Artikel dem Schlachten so gestellt haben. Nicht alle Frauen schlachten Schweine, Rinder, Kaninchen, Hühner etc. Nicht jede Frau schlachtet ein Tier und wird gleich Metzgerin. Aber jeder, der Fleisch isst sollte sich bewusst machen, das erst jemand ein Tier dafür tötet und verarbeitet. Da hilft nur, den Vorgang gut zu machen oder gar kein Fleisch zu essen. Das respektiere ich tatsächlich auch absolut.
    Ich tausche mich übrigens gerne zu diesen Themen aus. Wer mich mit sachlichen Argumenten kritisieren mag, Fragen hat oder meine Arbeit einfach gut findet (was auch schön ist, ich bin kein Unmensch, entspreche nicht dem Klischee und bin sogar tageslichttauglich), kann mir übrigens gern schreiben. groovecat und das dann @ arcor Punkt de. Ich antworte gern.

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