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Der Monat beginnt mit einer Klage. Leere Ränge, leerer Stream bei der Verleihung des Büchnerpreises an Elke Erb, vermeldete die FAZ. Mit einer gewissen Strenge wurden dort die geringen Zuschauerzahlen des Livestreams durchgegeben. War wohl doch nichts mit der Digitalisierung von Events? Ähnliche Klagen hörte man dann zum Open Mike, wo wohl auch nicht die Massen strömten. Allerdings kann man sich da fragen, ob die Erwartungshaltung gerechtfertigt ist, eine Veranstaltung, die man einfach nur digitalisiert, müsste dann sofort ein großes Publikum ziehen. Für jede analoge Veranstaltung muss man ja auch erst einmal Aufmerksamkeit erzeugen. Und eine altehrwürdige Veranstaltung wie der Büchnerpreis kann sich bei der Gelegenheit vielleicht einmal eingestehen, dass die vollen Ränge mehr mit der habitusfördernden Anwesenheit zu tun hat, als mit tatsächlichem inhaltlichen Interesse. Jedenfalls droht hier eine self fullfilling prohecy: Erst behandelt man digitale Formate stiefmütterlich, was die Öffentlichkeitsarbeit und das Veranstaltungsdesign angeht und dann nimmt man den Mangel an Zuschauer*innen als Beweis dafür, dass sie nicht funktionieren.
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Die kreative Kraft, die hinter der Idee steckt, Personen des öffentlichen Lebens in teils absurde fiktionale Geschichten zu verstricken, hat schon zu zahlreichen beeindruckenden Fan Fictions geführt. Kein Wunder also, dass auch Noch-US-Präsident Donald Trump und Bald-US-Präsident Joe Biden in der fiktiven Welt durch eine lange Bekanntschaft verbunden sind, die sich von einer Rivalität in Kindheitstagen an entwickelte, durch gemeinsame Liebesnächte geprägt war und schließlich im Kampf um die Präsidentschaft endet. “The ‚enemies to friends to lovers‘ trope is a trope that I enjoy, ” sagt der 17-jährige Autor, in dessen Story sich auch ein amouröser Subplot zwischen Mike Pence und Barack Obama findet. Interessant ist vor allem, dass sich diese Art der fiktionalen Gegenwartsverarbeitung dafür eignen kann, mit den eigenen Ängsten angesichts der politischen Zukunft umzugehen: “It’s just a fun way to make it so that I can stay involved in what’s happening, without worrying myself too much.”
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Ein neues Genre plagt den Diskurs: Die Klage darüber, dass auch kulturelle Institutionen von den Coronamaßnahmen betroffen sind. Ist Kunst denn nicht auch Lebensmittel? Ist sie nicht auch systemrelevant? Warum dürfen ____ (Hier etwas einsetzen, was dem Bildungsbürger egal ist) aufbleiben, aber nicht die Theater? Diese eigentümliche Selbstheroisierung erreichte ihren hyperbolischen Höhepunkt in der letzten Woche, als eine Aufruf für mehr staatliche Hilfe für Künstler*innen in Bayern allen ernstes mit “AutorInnen sterben einen leisen Tod” überschrieben wurde. Da kann man sich nur wünschen, dass es noch ein wenig leiser geht. Was hinter dieser Klage, die angesichts täglich erschreckender Infektions- und Todeszahlen ziemlich tone deaf und eitel wirkt, steht, plaudert Carsten Brosda, Hamburger Senator für Kultur und Medien, in diesem ellenlangen Artikel in der Zeit mehr oder weniger aus Versehen aus. Er kann nämlich nicht verstehen, warum das hochkulturelle Leben eingeschränkt werden soll, während Gottesdienste weiter erlaubt seien. Kunst ist dem Bürgertum Religion. So kann man auch den Präsenzfetisch erklären, der aus Theater und Kinos ein säkulares Gotteshaus machen möchte, in dem man auch erscheinen muss, um an der Heiligkeit des Ritus zu partizipieren.
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Was wir gerade lesen? Zum Beispiel das neue Buch von Adrian Daub: What Tech calls Thinking (Seit Mitte November auch auf Deutsch). Warum? Unter anderem wegen Sätze wie diesem: “Disruption is newness for people who are scared of genuine newness.” So elegant und kurzweilig wurde schon lange nicht mehr die heiße Luft aus einer aufgeblasenen Ideologie wie dem Techmessianismus gelassen.
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Ein weiteres feuilletonistisches Format, von dem wir in Zukunft noch viel weniger sehen wollen, ist das arbiträre Befragen von Autor*innen zu irgendeinem Thema. Ein gutes Beispiel dafür ist diese Sammlung von tiefsinnigen Einschätzungen zu den neuen Coronamaßnahmen (“Shutdown”). Dazu dürfen sich berühmte Epidemiolog*innen und Politikwissenschaftler*innen wie Thea Dorn, Juli Zeh und Eugen Ruge äußern, die dazu vor allem das sehr deutsche Selbstvertrauen von Autor*innen legitimiert, Experten für alles zu sein. Ruge etwa kommt mit gar nicht mal so unterschwelligem DDR-Vergleich daher, und vielleicht ist das gemeint, wenn er schreibt, “ dass der gesellschaftliche Konsens immer neu und unter Schmerzen ausgehandelt werden muss”. Die Schmerzen, das können wir bestätigen, sind da – es fehlt allerdings noch der Konsens. Und warum müssen wir dann auch noch die grämliche Kulturkritik von Daniel Barenboim lesen, der uns mit solchen Aperçus beglückt: “Der Geist leidet natürlich schon längere Zeit, es gibt ein großes Diminuendo in der Bildung.” Immerhin hat uns der Folgende krachende Selbstwiderspruch aus derselben Wortmeldung ziemlich amüsiert: “Weil so viele Politiker so wenig davon verstehen, keine Bildung haben, sagen sie, Musik sei elitär, aber das stimmt nicht.” Und vielleicht ist das die eigentliche Funktion dieses feuilletonistischen Formats, dass möglichst viele Künstler*innen mit möglichst seltsamen Wortmeldung für allgemeine Erheiterung sorgen.
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Essays, die man diesen Monat (auf Englisch) lesen kann:
1. Was treibt eigentlich die “Free Britney” Kampagne?
2. Was haben Jeopardy! und Wikipedia miteinander zu tun?
3. Welche Rolle spielt Venture Capital für den Geniemythos der Tech Bubble?
4. Warum sind Archive wichtig und was passiert, wenn man sie nicht respektiert?
5. Wie passiert, wenn die Sex Toy Industry und Tech-Ideologie aufeinandertreffen?
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Der Cornelsen-Verlag besetzt einen Platz in der Liste der fünfzig umsatzstärksten Verlage der Welt und hatte im Jahr 2018 einen Umsatz von 254 Millionen Euro. Das scheint aber kein Hindernis dafür zu sein, bei Honorarverhandlungen einen, sagen wir, interessanten Verhandlungsstil zu pflegen. Das Greifswalder Magazin Katapult hat sich dagegen öffentlich gewehrt und der Cornelsen-Verlag hat sich mittlerweile entschuldigt. Was spricht eigentlich dagegen auch bei Schulbüchern die Vergabe von öffentlichen Mitteln an faire Honorare für die Urheber*innen zu binden, wird auf Twitter gefragt. Der dortige Verweis, dass die Universitätsbibliotheken bereits gezeigt haben, wie sich staatliche Institutionen erfolgreich gegen Verlage wehren können, gibt zumindest Anregung auch im Schulbuchbereich darüber nachzudenken, welche Unternehmenspraktiken mit öffentlichen Geldern finanziert werden sollten.
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Die Debatte über die Verteilung von Geldern im Literatur- und Kulturbetrieb ist auch an anderer Stelle im vergangenen Monat immer wieder hochgekocht. Besonders über die Vergabe von Mitteln aus dem Pandemie-Sofortprogramm “Neustart Kultur” wird diskutiert. Die Stiftung Kulturfonds hat beispielsweise von ihren Mitteln für Künstler*innen mit Sorgeverpflichtung überproportional viele Männer begünstigt (“Sie waren zufrieden, bis sie die dezidiert misogyne Jury-Entscheidung zur Kenntnis nehmen mussten – hatten die Bewerbungen von Frauen für das Stipendium doch 60 Prozent betragen, die dann disproportional mit nur 45 Prozent positiven Bescheiden beantwortet wurden.” schreibt die taz). Die Vergabe von Mitteln im Bereich der Literatur wurde bereits im Juli kritisiert, damals wurde das Programm im Bereich der bildenden Kunst noch als beispielhaft genannt – die problematische Vergabepraxis der Jury dürfte diese initiale Freude ad absurdum geführt haben. Im Bereich der Literatur hat der Literaturfonds beschlossen Gelder an ehemalige Stipendiat*innen verteilt. Das Netzwerk freie Literaturszene Berlin kritisierte schon im Sommer: “Statt der Auszahlung kleiner Honorare, die in Summe gerade ein Prozent der gesamten Fördersumme ausmachen, an eine Vorauswahl ehemaliger Stipendiat*innen des Deutschen Literaturfonds für die Erstellung von Lesungsvideos (was den Eindruck erweckt, nur die eigene Klientel zu bedienen), fordern wir eine deutliche Mittelaufstockung für flexible, unbürokratische Überbrückungsstipendien an Autor*innen, aber auch an andere literarische Akteur*innen.” Mittlerweile sind diese mit Mitteln des Literaturfonds finanzierten Videos (pro Video gab es 500€ für 100 Autor*innen) auf Youtube mit dem Titel “Hundert Autoren präsentieren ihre Arbeit im Internet” veröffentlicht worden. Man kann sich über die Qualität der hundert Aufnahmen also selbst einen Eindruck verschaffen (und so vielleicht auch zur Resonanz beitragen, die bei vielen der Videos noch nicht mal im höheren zweistelligen Bereich liegt).
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Geld, nämlich bis zu 220 Millionen Euro, möchte die Bundesregierung für den Erhalt der Medienvielfalt und -verbreitung in Deutschland ausgeben und damit den Journalismus und darin tätige Medienschaffende stärken. Das funktioniert in Zeiten wie diesen laut Internet am besten, wenn man Geld ins Internet steckt. Da unsere Leser*innen diesen Text bereits im WWW lesen können, benötigen wir offensichtlich keine Unterstützung. Das Geld soll daher voraussichtlich erstmal an diejenigen fließen, die das Internet verschlafen haben; anders ausgedrückt in die „Förderung der digitalen Transformation des Verlagswesens“. Dass es die Digitalisierung schon lange gibt bzw. schon lange davon geredet wird, weiß auch der medienpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Martin Rabanus. “Wir haben das irgendwie alle gemerkt, dass unsere Gesellschaft zwar seit 25 Jahren von Digitalisierung redet, aber erst seit drei Monaten auch einen Schub bekommt.“ Wie das aber so ist mit den Schüben, sie kommen und gehen, daher war irgendwie nicht so richtig klar, wann der Schub mit dem Geld kommt und an wen er geht. Das aktuelle Konzept des Wirtschaftsministerium sieht erstmal vor, dass das entscheidende Kriterium die Auflage der gedruckten Zeitungen oder Zeitschriften ist. Margit Stumpp, die medienpolitische Sprecherin der Grünen, kritisiert das deutlich, denn damit “wird nichts für den Journalismus und die Medienschaffenden getan. Sie spielen darin keine Rolle. Hauptsächliches Kriterium der Förderhöhe ist die Auflagenhöhe. Die größten Verlage erhalten das meiste Geld. Das stärkt die Medienvielfalt nicht, das schwächt sie und damit relevantes Element unserer Demokratie.”
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Gegen die Umsetzung des Konzepts wendet sich auch ein Appell des “Arbeitskreises Digitale Publisher”, den wir ebenfalls unterzeichnet haben. Und an dieser Stelle natürlich auch: wenn ihr 220 Mio Euro über habt, könnt ihr diese gerne per Paypal an uns schicken oder ihr schließt eine sehr lange Steady Mitgliedschaft ab.
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Anfang November rief Herbert Grönemeyer die wohlhabendsten Deutschen dazu auf, die in der Corona-Krise darbende Kulturszene finanziell zu unterstützen. Eine “zweimalige Sonderzahlung von zum Beispiel 50.000 bis 150.000€” von den ungefähr 1,8 Mio. deutschen Millionär*innen visierte Grönemeyer an und rechnete sich damit ca. 200 Milliarden Euro für Künstler*innen und andere kulturell arbeitende Menschen aus. Manch einer könnte da nicht zu unrecht auf den Gedanken kommen, dass das im Prinzip die lang geforderte Vermögenssteuer ist und dass es dafür eigentlich keine wohltätige Geste von reichen Menschen brauchen sollte. Prinzipiell gut ist die Idee im Ansatz aber dennoch. Problematisch erscheint jedoch die These, „ein Land ohne die so unmittelbare Livekultur” würde “den Raum für Verblödung, krude und verrohende Theorien“ öffnen. Nichts gegen ein paar Zehntausend, die 2002 “Telefon, Gas, Elektrik, unbezahlt und das geht auch” gegröhlt haben, aber wir wollen nicht die Hand dafür ins Feuer legen, dass einige von denen heute nicht auch für Verschwörungsideologien demonstrieren.
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Diese Woche tobte der erste Teil der Veranstaltung “Vom Unbehagen in der Fiktion”, das von einer einer Gruppe von Literaturhäusern veranstaltet wurde. Die drei Veranstaltungen mit Gästen wie Hanna Engelmeier, Deniz Utlu, Christian Baron, Isabelle Lehn, Lena Gorelik und vielen mehr (auch die 54books-Redaktion war beteiligt) kann man sich hier anschauen.
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Unsere Erwähnung der “Causa Maron” im letzten Monat war eigentlich schon zu viel. Zu laut und zum Teil quatschig erhitzt wurde diese Debatte geführt. Nicht unerwähnt soll trotzdem das Bonmot von Hoffmann und Campe-Verleger Tim Jung bleiben, der ebenfalls, ob der “sehr umfangreichen Berichterstattung in den Feuilletons zum Verlagswechsel und über die Personalie Monika Maron in den letzten Tagen bzw. Wochen” spürte, dass “der Ruf nach einem Gespräch über Literatur immer stärker wird.” Auf ein Interview (engl. Gespräch) wollte er deshalb, aber verzichten. Weniger kryptisch, sondern schlicht falsch sprach dann noch die zu HoCa gecancelte Autorin selbst davon, dass Hoffmann und Campe einer der wenigen Verlage in Deutschland sei, “die konzernunabhängig geführt werden.” Das ist natürlich nicht nur, angesichts einer riesigen Indieverlagsszene, Blödsinn, sondern vor allem aufgrund der Tatsache, dass HoCa zur Ganske Gruppe mit 1.500 Mitarbeitern (2007) und einem Umsatz von 270 Mio Euro (2007) gehört. Ebenfalls unabhängig nach dieser Logik u. a. Random House und Holtzbrinck.