Eine literarische Erzählung von Jochen Veit
Das Haus stand allein gegen eine Architektur im Übergang zum Industriegebiet. Wenn man auf dem Balkon stand und über die Nachbarschaft blickte, konnte man nicht wissen, in welchen Gebäuden ein Mensch lebte und in welchen Chemie. Sie wohnten im einzigen Altbau der Gegend, die erste gemeinsame Wohnung, irgendwie waren sie oder war das Haus der Zeit entkommen. Richtig hatte er sich nicht gewöhnt an die hohen Decken, den Erker, die klimatischen Bedingungen, die ein rigoroses Lüftungs- und Heizregime nötig machten, um den Ausbruch des Schimmels an die Oberfläche zu verhindern.
Vor einigen Wochen fing eine Frau an, nachts zu weinen. Sie schluchzte, unterbrach sich selbst, ihre eigene durchweinte Stimme. Sie redete, aber niemand antwortete. Offenbar telefonierte sie.
Er konnte nie richtig bestimmen, woher das Weinen kam, weil die Akustik des Gebäudes durch den unterschiedlichen Verwitterungsgrad der Bauelemente völlig verzerrt war. Er war sich nicht einmal sicher, ob es ihre Wohnungstür war, die ins Schloss fiel, oder eine andere. Es kam immer wieder vor, dass er in den Flur lief, weil er glaubte, sie sei nach Hause gekommen, aber dann war da niemand.
Es klopfte an irgendeinem Morgen an der Tür, er wankte aus dem Bett, öffnete, und das Treppenhaus war leer (aber es roch noch nach Anwesenheit und die Schuhe standen so herum, als hätten sie gerade noch jemanden gesehen oder als sähen sie noch immer). Dann ging er zurück und küsste sie wach. Durch die großen Fenster schien die Sonne ins Bett und sie öffneten sie und legten sich nackt in die Strahlen (sie glaubten, dass niemand sie sehen konnte). Das Weinen war nicht zu hören – und überhaupt war es sehr still an diesem Sonntagmorgen (War es dieser Sonntagmorgen? Schlief er nicht längst im Wohnzimmer?), der sich unweigerlich in einen Mittag verwandeln würde, bis sie aufstanden.
Nachdem sie aufgestanden waren, ging sie Mittagessen besorgen. Während sie fort war, lief er nackt in der Wohnung herum, putzte seine Zähne, setzte den Tee auf, starrte das Werkzeug auf der Anrichte an. Hatte sie es wieder dorthin gelegt, während er bei der Arbeit gewesen war? Der Bohrmaschinenkoffer, die Nägel, der Hammer. Alles lag dort. Es klingelte.
„Bin gleich da!“, rief er, doch selbst das Klingeln konnte er nicht mit letzter Sicherheit ihrer Wohnung zuordnen. Kurz stellte er sich vor, wie die Person, die vielleicht vor der Tür stand, sich fragte, von wo seine Stimme kam. Er zog sich eine Jogginghose an und öffnete die Tür. Für einen Moment glaubte er, dort stünde tatsächlich niemand, obwohl doch direkt vor ihm eine Frau stand.
„Ja?“, fragte er und sie antwortete mit einer Stimme, die seine Aufmerksamkeit einfing wie ein tropfender Wasserhahn, gegen dessen Tropfen er nichts tun konnte, weil er nicht wusste, wie, die war wie der Moment, bevor er einen anderen Fahrgast bitten musste, ihn herauszulassen, und dann lieber seine Haltestelle verpasste, und auch diese Haltestelle war ihre Stimme: „Ich wollte fragen, ob ich mir einen Schuss Milch leihen kann. Für meinen Kaffee.“ Ob das ein Vorwand war, fragte er sich, und vielleicht war das in seinem Gesicht zu sehen.
„Ich kann den wirklich nicht schwarz trinken.“ Er trat zur Seite und machte diese alberne Armbewegung, um sie hereinzubitten. Sie lief sofort auf die Küche zu. Woher sie wusste, wo die Küche war? „Unsere Wohnung ist genau gleich geschnitten wie eure.“ Während sie das sagte, zeigte sie auf den Boden. Als er ihr die Kühlschranktür aufhielt, wurde ihm unangenehm bewusst, dass er kein T-Shirt trug und gleichzeitig, dass die Frau bereits eine Kaffeetasse in der Hand hielt, die wegen der Kleinheit ihrer Hände riesenhaft wirkte. Nachdem sie sich Milch eingeschenkt hatte, griff er nach der Tasse in ihrer Hand und nahm, ohne darauf zu achten, wie sie reagierte, einen großen Schluck.
„Wer war das?“ „Wer?“ „Die Frau, die mir gerade entgegengekommen ist. Ich dachte, sie wäre aus unserer Wohnung gekommen.“ „Nicht, dass ich wüsste.“ „Okay.“ Sie stellte die Nudel-Boxen auf den Tisch. Die beiden aßen. Danach gingen sie spazieren, zum alten Industriehafen, der gerade in ein Wohnquartier umgebaut wurde, und von dort aus ein bisschen den Fluss entlang. „Man kann kaum sehen, in welche Richtung der Fluss fließt.“ „Das stimmt.“ „Hm.“
In der Nacht lag sie auf seiner Brust und strich mit einer Hand über seinen Oberkörper, aber er bemerkte es kaum. Er hörte das Schluchzen wieder und war sich sicher, dass sie es auch hören musste. Aber als er sich zu ihr umdrehte und sie darauf ansprechen wollte, war sie schon eingeschlafen. Kurz versuchte er, sie durch Streicheln zu wecken, aber sie grummelte nur ein bisschen, da gab er auf. Die Frau redete jetzt wieder und er hörte sie, die vor Trauer eigentlich nicht mehr sprechen konnte oder die gegen eine Trauer ansprach, die eigentlich schon Wortlosigkeit war. Er blieb liegen und versuchte, sich überhaupt nicht zu bewegen, weil er das Gefühl hatte, etwas zu hören, das er nicht hören durfte. Er lächelte. Er lag auf der Couch im Wohnzimmer. Er schlief ein.
Am nächsten Morgen begannen Bauarbeiter, ein Gerüst aufzustellen. Für die nächsten Wochen mussten sie das Sonnenbaden aufgeben (falls sie das nicht längst schon hatten). Beim Frühstück sprach er das Weinen an. Sie hatte es nicht bemerkt. „Ich hoffe, es hört bald wieder auf.“ Sie nickte, lächelte, berührte seine Wange und nannte ihn sensibel. Sie kannten sich fast seit einem Jahrzehnt, waren seit Jahren ein Paar. Und trotzdem kennt sie mich überhaupt nicht, dachte er. Er sagte nichts darüber.
Sie ging immer früher aus dem Haus als er, weil sie arbeitete und studierte, während er nur arbeitete, aber heute ging er überhaupt nicht. Er rief im Büro an und sagte, er würde heute, und am liebsten auch morgen, von Zuhause aus arbeiten. Das wurde bewilligt. Also trug er seinen Laptop und die wenigen Arbeitsmaterialien, die er brauchte, in die Küche und schaute aus der Tür hinaus über den Balkon in die Industrie. Das Homeoffice entsprach in seiner Firma einem Bereitschaftsdienst. Bei eventuellen Störfällen musste er mit den Filialen telefonieren, Hilfe bei der Problemlösung bieten. Er spielte ein bisschen mit dem Tacker und einer Büroklammer herum. Schließlich ging er einkaufen.
Als er zurückkam, war die Tür angelehnt. Hatte er sie nicht hinter sich geschlossen? Die Schuhe standen schon wieder herum und bildeten sich wahrscheinlich etwas darauf ein, schon mehr zu wissen als er. Er drückte gegen die Tür. Sie schwang auf. Gleichzeitig war da ein Geräusch: Das Quietschen einer sich öffnenden Tür.
Er nahm den Hammer von der Ablage und drehte ihn in seiner Hand so, dass seine Spitze nach vorn zeigte. Einen Eindringling hoffte er so einzuschüchtern. Auch wenn er nicht hätte zuschlagen können. Als Erstes ging er durch den engen Gang zum Bad. Gab der Tür einen Stoß. Es war leer. Er ging hinein. Sah hinter der Tür nach. Nichts. Er drehte sich um. Ging in die Küche. Er warf sogar einen Blick auf den Balkon, die Industrie starrte, aber da war niemand. Das Wohnzimmer: leer. Erst jetzt ging er ins Schlafzimmer. Auf den ersten Blick schien es leer. Aber erst nach Minuten, in denen er regungslos im Zimmer stand, war er sich sicher. Niemand war hier.
Nur die Bauarbeiter mussten an den Fenstern vorbeigekommen sein, denn das Gerüst stand bereits da. Nichts regte sich mehr darauf. Es war ihm kaum aufgefallen, aber es war Abend geworden. Er ging nah ans Fenster, um sich das Gerüst anzusehen. Als er sich gegen die Wand lehnte, bemerkte er, wie kalt sie war.
Er erschrak. Ging zurück zur Tür und machte Licht. Die Wände blieben dunkel. Das Licht der Energiesparleuchte reichte noch nicht aus, sie wirklich sehen zu können. Auch von draußen kann man mich noch nicht sehen, dachte er. Er zuckte mit den Schultern, ging aus dem Schlafzimmer in den Flur, erschrak ein weiteres Mal, da die Wohnungstür immer noch offen stand. Er hob den Hammer, er schien ihm jetzt fast eine Verlängerung seines Arms, und ging auf die Tür zu. Draußen war niemand, nur die Schuhe und die Einkäufe. Er nahm alles, ging in die Küche und räumte es ein. Dann kontrollierte er die Räume erneut. Als er im Schlafzimmer ankam, war es dort hell. Er ging auf die kalte Wand zu und starrte. Schimmel. Ganz sicher. Kleine graue Flecken, die sich fast die ganze Fläche entlangzogen, noch nicht eigentlich sporig, sondern als würden sie langsam durch die Tapete eindringen. Er trat etwas weiter zurück, nahm sein Smartphone aus der Tasche, aktivierte die Lampenfunktion, um die Seitenwand mit der Außenwand vergleichen zu können. Eindeutig. Die Vormieter hatten nur überstrichen. Die Tapete darunter musste vollkommen verschimmelt sein, vielleicht die ganze Wand. Es gab keinen Zweifel, beschloss er (obwohl er eigentlich nichts von diesen Dingen verstand). Trotzdem kniete er sich hin, um die Fugen an den Fußleisten zu kontrollieren. Hier war nichts zu erkennen, aber als seine Hände das Fischgräten-Parkett berührten, bemerkte er, dass es genauso kalt war wie die Wand. Wenn tatsächlich jemand unter uns wohnt, dann kann der Boden nicht so kalt sein. Die Wohnung musste leer stehen. Das dachte er.
„Warum hast du so viel Milch gekauft?“ „Bitte?“ „Vier Liter? Warum hast du vier Liter Milch gekauft?“ „Ich glaube, die Wand in unserem Schlafzimmer schimmelt.“
Sie lief an ihm vorbei ins Schlafzimmer und machte Licht. Er warf sich aufs Bett und wartete, bis sie etwas erkennen konnte. Die Kälte des Bodens hatte sich in die Matratze hineingefressen und überall, wo sein Körper sie berührte, wurde es kalt und für einen Moment dachte er, feucht. Sie legte prüfend ihre Hand auf die Wand. „Die ist ziemlich kalt. Aber nicht feucht.“ „Okay.“ „Also dürfte es eigentlich nur etwas Oberflächliches sein. Dann müssen wir einfach besser lüften. Aber eigentlich glaube ich nicht, dass das Schimmel ist. Das sind einfach Flecken.“ Während sie all das sagte, schielte sie die Wand rauf und runter. „Das sieht eher so aus, als hätte sich irgendjemand an der Wand gerieben.“ „Vielleicht hast du recht.“ Sie drehte sich um und küsste ihn. „Du schmeckst nach Kaffee. Ist noch was da?“ „Nein, aber ich setz dir gern einen auf. Und dann fang ich an zu kochen, ja?“ „Gern“, sagte sie, setzte sich auf das Bett und schaute irgendetwas auf ihrem Laptop an.
Nach dem Essen startete er die Waschmaschine, und da sie beide ihr Geräusch nicht ertragen konnten, beschlossen sie, noch zu spazieren. Er zog seine Jacke an und sie ihren Trenchcoat und den Schal, da erinnerte er sich kurz daran, dass sie schön war. Zum Fluss konnten sie nicht, weil die Gerüstbauer den Fußweg, den fast niemand nutzte, mit ihrem Material versperrt hatten.
Also hinein in das Gebiet, in dem sich monolithische Blöcke mit Fenstern wie Gitter und futuristische Firmensitze abwechselten. Obwohl kein Sportereignis bevorstand, hingen von vielen der Balkone Fahnen, die meisten deutsch, ein paar türkische, aber auch eine portugiesische, eine schweizerische und so weiter. Die Sonne ging gerade im Smog des Horizonts unter. Als sie eine Weile gegangen waren, sahen sie eine Gruppe von Menschen, Hundert vielleicht, die in Kreisen herumstanden, als würden sie nur noch warten, bis irgendetwas begann. Sie waren dunkel gekleidet, hatten aber keine Transparente oder Fahnen dabei. Als sie näher kamen, lösten sich zwei Männer aus der Gruppe und kamen auf sie zu. „Ihr könnt hier nicht lang.“ Der andere baute sich nur auf und machte einen Schritt auf die beiden zu. Ihr Körper kämpfte schon. Man sah es, ihre ganze Haltung. „Komm“, sagte er. Sie bogen in eine andere Straße ein. Nach einer halben Stunde waren sie wieder in ihrer Wohnung. Während sie ins Bad ging, stellte er sich auf den Balkon und hängte die Wäsche auf. So hörte er sie nicht. „Warum hängst du das draußen auf? Das wird doch ganz nass über Nacht.“ „Lass mich das einfach machen.“
Es war gut, dass sie nicht herausgekommen war. Er sah es längst, aber es ging an ihm vorbei. Durch die Straße zog sich der Marsch. Einige trugen Fackeln. Ihre Schatten auf den Wänden der Wohnhäuser wirkten riesenhaft. Es war schwer zu sagen, wie viele es waren. Sicher Tausend, eher mehr. Kurz fragte er sich, ob er nicht noch einmal hinunter gehen sollte. Er ging hinein. Sie saß im Wohnzimmer und schaute sich eine Dokumentation auf ihrem Laptop an. Auf einmal war er froh, dass das Gerüst um sie herumstand.
Heute Mittag hatte er zufälligerweise den Vermieter im Treppenhaus getroffen und gefragt, was für Arbeiten durchgeführt würden. „Die Fassade wird restauriert. Das ist gar nicht so einfach bei diesen Altbauten. Wir müssen vernünftig dämmen und den Denkmalschutz wahren. Diese verdammte Behörde. Es gibt zu viele Wärmebrücken. Ein paar Mieter hatten Probleme mit Schimmel, Sie doch nicht etwa auch?“ „Nein, nein, alles bestens.“ „Na, immerhin das. Ich hoffe, es stört sie nicht, dass das ganze Haus eingerüstet ist. Aber es ging nicht anders. Nicht, dass Sie sich fühlen wie in einem Gefängnis.“ „Na ja, wir wohnen ja freiwillig hier.“ Sie lachten.
Und jetzt saß er also neben ihr und glotzte auf diese Doku. Seine Füße auf dem Boden wurden langsam kalt. Er beschloss, dass jetzt der richtige Zeitpunkt war und sprach es an. „Niemand weint hier. Ich habe es dir doch schon erklärt, die Leute unter uns machen ständig Partys und da schluchzt niemand, die sind einfach komisch und machen komische Geräusche.“ „Ja sicher, aber drauß-“ „Sei jetzt bitte still, du siehst doch, dass ich mir das anschauen will!“
Im Schlafzimmer warf er sich aufs Bett. Draußen stand das Gerüst, und die Nacht hatte einen rötlichen Schimmer, die Rufe wie von fern, aber das hieß nichts, sie konnten längst im Haus sein, sie konnten längst im Haus sein, und der Wind rüttelte an allen Verbindungsstücken des Gerüsts und den Bäumen davor, und er konnte nicht so tun, als wäre er nicht müde und sogar existentiell erschöpft.
„Wo ich Sie schon treffe“, er war bereits drei Stufen nach oben gegangen, drehte sich aber noch einmal zum Vermieter um, „wer wohnt eigentlich in der Wohnung unter uns?“ „Das kommt darauf an, in welchem Stock Sie wohnen.“ „Im vierten.“ „Dann steht sie leer.“ Um sich nichts anmerken zu lassen, ging er ein paar Schritte weiter. „Oder, warten Sie. Ich glaube, dort wohnen irgendwelche Studenten. Ja, ja, dritter Stock links, eine WG. Ziemlich sicher. Die im vierten Stock steht leer, jetzt erinnere ich mich.“ „Alles klar.“ Wieder lachten sie.
Er bekam wenig Luft. Es musste an den Sporen liegen. Seine Luftröhre fühlte sich an wie ein Metallrohr. „Was zur Hölle ist das da draußen?“ Sie stand im Zimmer, an die kalte Wand gedrückt und schaute durch das Fenster, durch die Stäbe ihres Gerüsts auf den Marsch hinab. „Ich weiß es nicht.“ „Wollen die irgendwas von uns?“ „Von uns? Warum denn von uns?“ „Ja, stimmt. Aber irgendwie macht mir das Angst.“ „Okay. Du … ich kann hier drinnen nicht richtig atmen. Ich glaube, ich schlafe heute Nacht wieder im Wohnzimmer.“ Er stand auf und setzte sich im Wohnzimmer auf die Couch. Er machte Licht. Während es langsam stärker wurde, hörte er die Geräusche. Er öffnete das Fenster, sie schrien herein, er schloss es sofort wieder. Unter dem Sofa gab es Bettzeug für Gäste. Er suchte danach, da bemerkte er, dass das Sofa schon bezogen war. Natürlich, dachte er, und ging noch ein letztes Mal ans Fenster.
Die Welt hatte aufgehört, sich zu zerreißen. Die Straße war leer. Als er die Wand berührte, zuckte er zurück. Auch sie war kalt und er war sich sicher, auch feucht. Er nahm die Lampe vom Schreibtisch, steckte sie ein und strahlte gegen die Wand. (Das war von draußen zu sehen.) Da war kein Schimmel. Er schaute fester hin. Nichts. Nachdem er die Lichter gelöscht, alle Fenster geöffnet hatte, zog er sich aus und legte sich hin. Kurz war er sich nicht sicher, ob er da war, dann lächelte er und schlief ein.
Ein paar Stunden später wachte er auf. Das Geheule war unerträglich geworden. Erst dachte er, es wäre das selbe, zarte Geräusch, das ihm die Existenz einer Außenwelt bewies, dann aber bemerkte er, dass es ein profanes, ein krankhaftes Geschrei war, guttural, tierisch, und er verstand einfach nicht, wie man als Mensch heute noch so erschüttert sein konnte, denn seit Jahren machte doch alles höchstens noch dröge und irgendwie morsch, und unter dem Parkett und hinter der Tapete war alles verschimmelt, und es stank, ein unerträglicher Gestank und eine unerträgliche Feuchtigkeit zogen herein oder waren schon drinnen, und auf einmal schreckte er aus diesem Traum auf und wusste zum ersten Mal, woher die Geräusche kamen.
Jochen Veit wurde 1992 geboren. Er studierte Philosophie und Komparatistik in Mainz und Wien. Im Jahr 2016 war er Stipendiat der Schreibwerkstatt der Jürgen-Ponto-Stiftung in Edenkoben und 2018 nahm er am Literaturkurs in Klagenfurt teil. Seine Texte erschienen in mehreren Literaturzeitschriften und Anthologien, u.a. in KRACHKULTUR und STILL. Sein Debütroman „Mein Bruder, mein Herz“ erschien am 22. März 2019 im Arche Literatur Verlag. Er lebt in München.
Beitragsbild von MattSmart