Homeoffice im Altkanzleramt – Eine Bildbetrachtung

von Benedikt Wintgens

 

Soyeon Schröder-Kim hat einen erfolgreichen Auftritt bei Instagram. Es ist dort zwar keiner der ganz großen Accounts, aber immerhin 16.000 Follower warten derzeit auf die neuesten Posts. Wie bei Instagram üblich wirft Schröder-Kim Schlaglichter vor allem auf die schönen, glänzenden Seiten des Lebens. Wer ihr folgt, sieht Äpfel, Tomaten und immer wieder Blumen. Gezeigt werden aber auch Fotos aus Konferenzräumen und Kongresshotels, wenn die in Seoul geborene Dolmetscherin und Übersetzerin Einblicke in ihr Berufsleben gibt. In der Corona-Pandemie gehören natürlich Screenshots aus dem Zoom-Universum dazu. An anderen Tagen steht Schröder-Kim zuhause am Induktionsherd und brät Gemüse. Mit ihren zweisprachigen Beiträgen schlägt sie auf Instagram nicht nur eine Brücke zwischen Südkorea und Deutschland, es zerfließen auch die Grenzen zwischen Öffentlichkeit und Privatheit, zwischen dem Anschein von Authentizität und Selbstdarstellung.

Leitmotivisch steht Schröder-Kims Account unter #Hasosul, wofür sie als Übersetzung vorschlägt: „Eine kleine Freude an einem Tag“. Unter den makellosen Oberflächen sind ihre Beiträge allerdings keineswegs unpolitisch – dem pandemiebedingten Rückzug in die eigenen vier Wände und der Inszenierung dieser Häuslichkeit zum Trotz. Schon im Frühjahr gab es Schnittmuster für Mund-Nasen-Schutz und regelmäßige Plädoyers fürs Maskentragen, als diese Kulturpraxis in Deutschland noch ungeübt war. Darüber hinaus bezieht Schröder-Kim Stellung für eine Statue, die in Berlin-Moabit an die sexuelle Gewalt erinnert, die koreanische Frauen während der japanischen Besatzung im Zweiten Weltkrieg erlitten haben.

Seinen besonderen Reiz gewinnt Schröder-Kims Account durch die regelmäßigen Auftritte des Ehemanns. Der ist deutlich älter als seine Frau und in Deutschland nicht unbekannt. Gerhard Schröder war von 1998 bis 2005 – getragen von einer rot-grünen Parlamentsmehrheit – der siebte Bundeskanzler in der Geschichte der Bundesrepublik, zunächst ein paar Monate noch in Bonn, dann für sechs politisch turbulente Jahre in Berlin. Heute ist der Altkanzler als Anwalt und Lobbyist tätig, insbesondere für russische Energiekonzerne, die zur Gazprom-Gesellschaft gehören; unter anderem ist er Aufsichtsratsvorsitzender von Rosneft. Wegen dieser Verbindungen steht Schröder öffentlich immer wieder stark in der Kritik. Zuletzt bezeichnete ihn etwa der russische Oppositionelle Alexej Nawalny als einen „Laufburschen“ von Präsident Putin. Für den langjährigen SPD-Außenpolitiker Gernot Erler verbindet Schröder mit Putin eine „Männerfreundschaft ohne Rücksicht auf Verluste“.

Zuhause aber, jedenfalls bei Instagram, erscheint Schröder als liebender Ehemann. Er bringt seiner Frau Blumen, um ihr eine Freude zu machen, und in Pantoffeln erntet er auf der Terrasse gezogene Tomaten. Alles in allem entsteht so der Eindruck, als wäre es nicht zuletzt sein Werk, dass es privat in Hannover richtig hyggelig zugeht, äußerst entspannt. Höchstpersönlich steht der Altkanzler am Herd und macht Bratkartoffeln, lässig-nachlässig trägt er dazu eine blaue Steppweste, darunter sichtbar die nackten Oberarme. Großes Kino ist das Instagram-Video, in dem Schröder an einem Spätsommerabend auf dem Balkon sitzt und – aus dem Gedächtnis sowie mit seiner sonoren Stimme – Rilkes berühmtes „Herbsttag“-Gedicht rezitiert, einen Teller Suppe, Rotwein und einen Sonnenblumenstrauß vor sich auf dem Tisch: „Herr: es ist Zeit.“

Es soll Charme und Selbstironie zum Ausdruck bringen, wenn der inzwischen Sechsundsiebzigjährige Hagebuttenzweige in einer Vase trägt und dabei ins Smartphone erzählt, wie er als kleiner Junge die Mädchen mit Juckpulver aus Hagebutten getriezt hat. Gleichzeitig regt sich beim Zuschauen oft eine Art Schamgefühl, stellt sich Frage, ob man das wirklich sehen möchte, ob man nicht unversehens voyeuristisch wird – und ob es möglicherweise ein Nebeneffekt dieses anscheinend privaten Accounts sein könnte, Schröders umstrittene Verbindungen vergessen zu machen. „Andere Aufsichtsratsvorsitzende russischer Energieriesen wohnen vermutlich anders“, bemerkte dazu süffisant der Publizist Arno Frank.

Eine Mischung aus Staunen und Faszination stellt sich auch beim Betrachten jenes Fotos ein, das die Eheleute Schröder im Arbeitszimmer zeigt (und das offensichtlich von einer dritten Person fotografiert wurde). Nebeneinandersitzend signieren die beiden Autogrammkarten – seine schwarz-weiß, ihre in Farbe, etwas kleiner im Format allerdings. Die Autogrammkarten sind eine Dankeschön-Aktion des Paars für die Unterstützung des Vereins HeRo, dessen Schirmherrin Soyeon Schröder-Kim ist und der sich um kultursensible Altenhilfe für Koreaner*innen kümmert, die in den 1960er Jahren nach Westdeutschland gekommen waren.

 

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Über die Köpfe der beiden wandert der Blick beim Betrachten des Bildes hinaus in den Raum, der mit Parkettboden, weißen Wänden sowie hochwertigen Büromöbeln eine aufgeräumt-elegante, aber nicht unpersönliche Arbeitsatmosphäre ausstrahlt. In halbhohen Regalen stehen Bücher (ohne dass der Eindruck einer überladenen Bibliothek entstehen würde); die Buchtitel sind nicht genau zu identifizieren, gut zur Hälfte handelt es sich um großformatige Kataloge, viel Kunst also, eine bekannte Leidenschaft Schröders. Dazwischen stehen allerlei kleinere Gegenstände, Souvenirs vielleicht, hinter denen sich wohl weitere Geschichten verbergen. Die rotweiße Blechtrommel etwa ganz wie auf dem Buchcover des gleichnamigen Romans: Hat Schröder sie von Günter Grass geschenkt bekommen, dem streitbaren Freund der „EsPeDe“, oder vom Regisseur Volker Schlöndorff, der für die Verfilmung der „Blechtrommel“ mit einem Oscar geehrt wurde? Als Schröder Bundeskanzler war, haben sich beide öffentlich für ihn stark gemacht.

Rätsel gibt auch ein großes Bismarck-Porträt auf – Bismarck, ernsthaft? Der „eiserne Kanzler“, dessen Sozialistengesetz Linke und Arbeiterbewegung als „Reichsfeinde“ polizeilich bekämpft hatte? Vielleicht steht sein Bild bei Schröder in Hannover für Durchsetzungskraft, historische Größe und politischen Erfolg. Bismarck regierte mit sprichwörtlich harter Hand, doch die Sozialdemokraten haben die Zeit der Unterdrückung überstanden – und 100 Jahre nach Bismarcks Tod wurde der aus kleinen Verhältnissen stammende Gerhard Schröder Kanzler. Besonders auffällig in seinem Zimmer sind da noch zwei Bronzeplastiken, die nur von der Seite zu sehen sind. Trägt die eine Büste wirklich Schröders Gesichtszüge? Hat er sich sein also eigenes Herrschaftszeichen ins Zimmer geholt? Und wen repräsentiert der Frauenkopf an seiner Seite, ist das Soyeon Kim?

Klarer liegen die Dinge bei der weiträumigen Bildergalerie der Bundeskanzler, die in der chronologischen Reihenfolge gehängt wurden, ohne Hinweis auf Parteizughörigkeit oder unterschiedlich lange Amtszeiten: zuerst der greise Patriarch Adenauer zivil-distanziert mit Hut, Ludwig Erhard und Kurt Georg Kiesinger, dann Willy Brandt und Helmut Schmidt, die beiden Sozialdemokraten (zu deren Zeit Schröders politische Karriere begann), Helmut Kohl – und endlich Schröder selbst. Die Porträts stammen alle von Konrad R. Müller, einem der großen Porträtfotofrafen der kleinen Bonner Republik.* Die Serie hängt auch in mehreren Museen. Es sind Fotografien in schwarz-weiß, als Porträts weder Herrschergemälde noch Karikatur, mit Passepartouts in schlichten, aber eleganten Holzrahmen, die perfekt zum sachlich-bescheidenen Stil der alten Bundesrepublik zu passen scheinen.

Bis auf Kohl, der sich verschmitzt ins Fäustchen lächelt, schauen alle Kanzler ernst und konzentriert drein, nachdenklich oder besorgt – fast so, als gelte es, die besondere Würde, Schwere, Gravitas ihres Amtes ins Bild zu setzen. Schröders Büro-Fotos stellen eine historische Kontinuität bundesrepublikanisch-deutscher Staatlichkeit her (damit korrespondiert sogar der verblassende Bismarck), und sie knüpfen an die Selbstdarstellung klassischer Herrschaftslegitimation an: Schröder reiht sich im Wortsinn ein in die Linie derer, die es nach ganz oben geschafft haben – und die ihrem Land dann (dem Eigenbild nach) gedient haben.

Die „Ahnengalerie“ des Altkanzlers ist auch eine Anspielung auf die „offizielle“ Porträtfolge, die heute im Bundeskanzleramt hängt. Diese Galerie befand sich zunächst im 70er-Jahre-Bau des Bundeskanzleramts in Bonn, genau jenem Gebäude also, an dessen Zaun der junge Abgeordnete Schröder in den 80er Jahren nach einem fröhlichen Abend in der „Provinz“-Kneipe gerüttelt haben soll: „Ich will hier rein.“ Die Galerie geht auf eine Idee von Helmut Schmidt zurück, dessen Vorliebe für die deutschen Expressionisten, namentlich den nationalsozialistisch belasteten Emil Nolde zuletzt historisch aufgearbeitet wurde. Schmidt wollte mit seinem Kunstprogramm die Bonner Regierungszentrale, deren Architektur ganz aufs Praktische und Funktionale ausgerichtet war und die Schmidt nicht leiden konnte, bildsprachlich konterkarieren. Neben einem nach Nolde benannten Arbeitszimmer und einem Worpswede-Salon entstand stückweise eine Ahnengalerie, für welche die noch lebenden Altkanzler ihren Maler selbst vorschlagen durften. Helmut Schmidt etwa entschied sich für den ostdeutschen Maler Bernhard Heisig; Kohls Wahl fiel später auf den Leipziger Albrecht Gehse. Da Adenauer nicht mehr lebte, behalf man sich mit einem Bild, das Hans Jürgen Kallmann 1963 gemalt hatte, während das künstlerisch weitaus interessantere Adenauer-Porträt von Oskar Kokoschka damals nicht verfügbar war und heute über Angela Merkels Schreibtisch hängt.

Der gemeinsame Nenner dieser sechs „amtlichen“ Kanzleramtsbilder von Adenauer bis Kohl ist, dass sie zwar dem Anschein nach an das Genre klassischer Herrscherporträts zitieren, aber allesamt Politiker zeigen, die nicht mehr aktiv sind und ihre Macht abgegeben haben. Wie die Kunsthistorikerin Merle Ziegler in ihrer Studie über das Bonner Amtsgebäude hervorhebt, erscheinen die Kanzler „im Gestus des bürgerlichen Privatmannes“ – ein bisschen so wie Schröder heute bei Instagram. Dessen Porträt in der Kanzlergalerie, gemalt von Jörg Immendorff, fällt demgegenüber aus dem Rahmen. Hier sitzt kein Ruheständler, sondern es ist eine goldene Büste mit entschlossenem Blick. Auf diesem Bild strahlt Schröder als Medienkanzler wie als Machtmensch, ironisch flankiert von mehreren Maleraffen. Seine Anmutung ist cäsarenhaft oder erinnert an einen Renaissancefürsten. Eine freilich fehlt in dieser Reihe: Angela Merkel, Bundeskanzlerin seit 2005. Sie hat auch in Schröders Arbeitszimmer in Hannover kein Bild – zumindest im Bundeskanzleramt wird sich das wohl eines Tages ändern. Schröder schreibt derweil Autogramme, und Soyeon Schröder-Kim wird weiter auf Instagram posten. Nicht alles geht glatt auf, nicht alles wirkt stimmig. So ist das Leben, lächelt heute das Ehepaar Schröder-Kim bei Instagram. Heiter und gelassen.

 

* Für den Hinweis danke ich Wolfgang Ullrich

 

Photo by Solen Feyissa on Unsplash

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