In den letzten Jahren hört man immer wieder von „kultigen“ oder „authentischen“ Milieus, in denen literarische Handlungen angesiedelt sind – zuletzt im Roman Große Freiheit von Rocko Schamoni. Für gewöhnlich betrachtet darin eine sich selbst als hochkulturell definierende Szene einen sozialen Bereich, der ihr in irgendeiner Form fern ist. Oft wird eine Mischung aus maskuliner Authentizität und Nostalgie für Zustände gewählt, die man aus guten Gründen nicht mehr haben will, deren Charme man sich aber auch nicht vollkommen erwehren kann. Jemand, der mit Kultpatina auf sozial schwierige Verhältnissen nichts anfangen kann, ist die Schriftstellerin und Comedy-Autorin Giulia Becker. Das machte sie im November 2018 unmissverständlich auf Twitter und Facebook klar, als sie sich durchaus wütend und exakt beobachtend über „den“ norddeutschen Mann lustig machte, der sogenannte Zuhältertypen kultig finde, in Kneipen viel trinken und rauchen würde, Lieder über Regen und das Leben schreibe und sich für einen Feministen halte, weil er an drei Tagen in der Woche seine kleine Tochter hat (siehe Thread).
Norddeutsche Männer, einfach KULTIG
— Schwester Ewald (@hashcrap) September 19, 2018
Das kultige Potenzial dieses Milieus voller Männer, die vermeintlich sensibel mit den harten Umständen des Mannseins in einer immer „unmännlicheren“ Welt zu kämpfen haben und sich aufreiben zwischen dem Wunsch nach der Authentizität von verrauchten Kiezkneipen und dem Vater-Sein, hat die Kulturbranche von Film über Musik bis hin zur Literatur inzwischen weitgehend ausgereizt. Die Kiezromane von Rocko Schamoni und Heinz Strunk, die Verfilmung von Strunks Roman Der Goldene Handschuh im letzten Jahr durch Fathi Akin; Musiker wie Olli Schulz und Thees…
Danke Simon