eine Kolumne von Nadine Paque-Wolkow
Leseflaute. So kann man das Gefühl nennen, wenn man vor den prall gefüllten Regalen im Buchladen steht und trotzdem keine Lust hat zu lesen. Ich kenne dieses nagende Gefühl gut, denn es begleitet mich seit Jahren, wenn ich mir die Verlagsvorschauen für deutsche historische Romane anschaue. Und das ist schade, denn eigentlich liebe ich dieses Genre, seit meine Mutter mir mit zwölf – vielleicht etwas verfrüht – Ken Follets Die Säulen der Erde in die Hand gedrückt hat. Seitdem bin ich immer auf der Suche nach neuen, spannenden Geschichten aus der Vergangenheit, aber der deutsche Buchmarkt macht es mir wirklich nicht leicht.
„Eine starke Frau, die ihren Weg geht“, so ist das gängige Verkaufsargument für einen nennenswerten Teil der veröffentlichten Bücher in diesem Segment und ich habe von all den „starken Frauen“ im Laufe der Jahre gelesen: Von den Wanderhuren und Hebammen, den Bierbrauerinnen und Silberschmiedinnen. Aber mit der Zeit wurde mir klar, dass mir diese Art von Büchern einfach nichts gibt und ich habe lange versucht herauszufinden, was es ist, was mich an diesen Geschichten von vermeintlich „starken Frauen, die ihren Weg gehen“ so stört und warum ein großer Teil des deutschen Buchmarktes einfach nicht mehr für mich schreibt.
Es war damals halt so
Die inhaltliche Grundlage dieser Bücher ist fast immer dieselbe. Die Heldin ist eine schöne, weiße, unschuldige, aber gewitzte junge Frau. Sie hat große Pläne und Hoffnungen. Meist träumt sie davon einen bestimmten, meist schon im Titel des Romans angekündigten, Beruf zu ergreifen. Das ist aber Frauen untersagt. Oder sie will das Geschäft des Vaters übernehmen, aber auch das bleibt ihr zu Anfang verwehrt, weil die Protagonistin eben eine Frau ist. Dann kommt es aus heiterem Himmel zu einem Unglück, weswegen die Protagonistin alles verliert und sich von ganz unten wieder hocharbeiten muss.
An sich ist gegen diese Plotstruktur nichts einzuwenden. Wir alle wollen Erfolgsgeschichten lesen, in denen der/die Held*in Hindernisse überwindet und am Ende triumphiert. Das Problem mit diesen Geschichten ist, dass die Triebfeder des Ganzen meist Gewalt an Frauen ist. Vergewaltigung und sexualisierte Gewalt an Frauen sind so ein großer Teil von historischen Stoffen und so eine treibende Kraft für die einzelnen Geschichten, dass Verlage sie sogar schon auf den Rückencovern erwähnen, um so für das Buch zu werben.
Immer muss die Heldin Schreckliches erdulden, wird in Erzählungen, die im Mittelalter und der frühen Neuzeit spielen, gern und oft als Hexe denunziert, dann über mehrere Kapitel gefoltert und/oder sehr plastisch „geschändet“, um schließlich von der Gesellschaft verstoßen zu werden. Das diese Szenen in den seltensten Fällen im gebotenen Maße aufgearbeitet werden, versteht sich von selbst. Warum sollte man sich diese Mühe auch machen – denn meist findet die Protagonistin am Ende den Mann fürs Leben, der alle ihre schlimmen Wunden mit Liebe heilt.
Jede Kritik am Aufbau dieser Geschichten wird mit dem Argument „es war damals eben so“ erstickt. So als wäre sexualisiere Gewalt gegen Frauen ein Problem von damals. Schlimmer noch, es normalisiert Vergewaltigung, weil es andeutet, dass die Leute damals es eben nicht besser gewusst haben. Natürlich wussten auch die Menschen im Mittelalter, dass Vergewaltigung Unrecht ist, aber sie ist für viele Autor*innen immer noch ein Stilmittel, um das Zeitalter als „finster“ und „rückständig“ darzustellen. So verlegt man beispielsweise auch die Hexenverfolgung vom 16./17. Jahrhundert ins Mittelalter oder reproduziert immer wieder die Legende des „ius primae noctis“ – dem „Recht der ersten Nacht“ eine Praktik, die historisch nicht eindeutig belegt ist, einfach nur, um noch mehr Gründe zu haben die Protagonistin zu quälen.
Denn die Heldin muss da durch. Sei es (sexualisierte) Gewalt, Zwangsheirat oder Folter – die Welt dieser Romane ist ein Scherenschnitt aus Schwarz und Weiß. Alle Männer sind grundsätzlich darauf aus der weiblichen Hauptfigur Gewalt anzutun. Es sind wahlweise widerliche Typen, die sich nie waschen, Läuse und keine Zähne mehr haben, oder sie haben eine Machtposition inne, die sie schamlos ausnutzen, um sich der Protagonistin aufzudrängen. Insgesamt kennzeichnet das Buch sie deutlich als „die Bösen“. Ihnen gegenüber steht der einzige Kerl, in den die Protagonistin sich verliebt. Er ist relativ schnell ausgemacht, denn er ist der einzige Mann, der sich wäscht und genauso moderne Ansichten vertritt, wie die Protagonistin.
Denn das eigentliche Ziel unserer Heldin ist nicht die Silberschmiede oder das Kaufhaus des Vaters zu übernehmen, sondern zu heiraten und Kinder zu bekommen, damit man so die jeweilige „Saga“ noch über ein paar Generationen weiterführen kann. Der Mann ist also die Belohnung für alles, was der Protagonistin davor passiert ist.
Ein Buchmarkt, der nicht für mich schreibt
Wenn man mich fragen würde, was ich mir vom deutschen Buchmarkt im Allgemeinen und für historische Romane im Speziellen wünschen würde, ist es: Mehr Mut. Mehr Mut Geschichten zu erzählen, die sich nicht in die bequeme, biedere Hängematte der Familiensaga legen. Geschichten, die einem roten Faden folgen, Geschichten die wirklich etwas zu erzählen haben und nicht ihre Grundidee in aufgebauschtem Drama und Essensszenen zu ersticken.
Ich will nicht immer nur Heldinnen sehen, die normschön in den Augen der Leser*innen von heute sind. Gertenschlank, mit wallendem lockigen Haar bis zum Hintern und üppigen Busen und natürlich sind alle weiß, cis und heterosexuell. Denn wenn Autor*innen dann mal den Schritt gehen und nicht heterosexuelle Figuren in ihre Geschichten einbauen, wird es meist sehr schnell ganz finster.
Denn auch hier werden meist schädliche Tropes reproduziert. Vor allem queere Männer sind meist Antagonisten und ihr Schwulsein muss als Grund für ihre Verbrechen herhalten. Oder sie sind die als unmännlich markierten Figuren, die man bitte nicht ernst nehmen soll. Diese Figuren haben meist keinen eigenen Plot und sind in den allermeisten Fällen nur dazu da, um zu leiden. Ein Happy-End ist für nicht heterosexuelle Figuren nicht vorgesehen. Man könnte ausführlich darüber schreiben, dass lesbische Figuren grundsätzlich ganz ausgeklammert werden oder dass bi/pansexuelle nur vorkommen, um zu zeigen, wie unersättlich sie sind und dass man mit ihnen nie eine Beziehung eingehen kann, aber das würde den Rahmen sprengen. Das was mit nicht heterosexuellen Figuren in historischen Stoffen passiert ist keine Repräsentation, es ist schädlich. Liebe Autor*innen, Verlage und Leser*innen: Habt mehr Mut. Die Welt ist groß, die Geschichte der Menschheit ist bunt und vielfältig und sie ist überall. Ich würde euch mit all meinem Geld bewerfen, wenn ihr mir diese Geschichten geben würdet. Ich höre oft das Argument, dass es unrealistisch wäre, und dass es im europäischen Mittelalter eben keine BIPoC gegeben habe, oder dass man damals eben nicht „schwul sein durfte“. Dabei gab es immer nicht weiße Menschen in Europa und immer Menschen die nicht cis/hetero waren. Und dann diskutiert man mit Leuten, die es realistisch finden, dass eine Frau magische Hände hat, aber ein schwuler Protagonist ist historisch nicht korrekt.
Ich diskutiere auch auf Twitter lang und breit mit Autor*innen und Leser*innen warum das Genre sich nicht bewegt und jeder schiebt dem anderen die Schuld zu. Die Leser*innen wollen das doch, sagen die Autor*innen und die Verlage: es wird doch gekauft. Gleichzeitig wundert man sich, warum man nur so schwer neue Leser*innen generiert und das Genre stagniert.
Ich für meinen Teil werde nie müde mehr von meinem Lieblingsgenre zu fordern. Geschichten, die nicht auf dem Leid von Frauen aufbauen. Geschichten von und über marginalisierte Gruppen, am besten von Own Voice Autor*innen, man wird ja wohl noch träumen dürfen.