von Katharina Hartwell
Anfang des Jahres erkundigte sich ein Bekannter nach dem Stand meiner Arbeit. Er wusste, dass ich seit einigen Jahren an einer Trilogie schrieb, deren erster Band kürzlich erschienen war. Da der zeitliche Abstand zwischen dem Erscheinen der einzelnen Bände höchstens ein Jahr betragen sollte, ich aber länger zum Schreiben brauchte, arbeitete ich seit einer geraumen Weile vor. Unmittelbar nach Erscheinen des ersten Bandes hatte ich also bereits mit dem dritten begonnen. Als ich dies meinem Bekannten erklärte, gab er ein Prusten von sich, „Du Maschine“.
Interessant, ein paar Wochen zuvor hatte ein anderer Bekannter in einem anderen Gespräch exakt dasselbe zu mir gesagt: „Katharina, du bist so eine Maschine.“ Beide Männer schnaubten, kurz bevor sie die Worte sprachen, als würden die Worte unwillkürlich, wie ein Niesen aus ihnen hervorbrechen.
Du Maschine ist eine Beleidigung, die vorgibt ein Kompliment zu sein, in Wahrheit aber eben bloß eine Beleidigung ist. Wollen wir ihren Implikationen auf die Spur kommen, tun wir gut daran, Maschine zunächst einmal ganz wortwörtlich zu betrachten. Die Vorstellung einer schreibenden Maschine negiert alle gegenläufigen Assoziationen kreativen Arbeitens oder Literatentums. Feingeistige Intellektuelle, fühlende, denkende Poeten sind keine Maschinen, im Gegenteil, ihr Schaffen hat nichts mit Effizienz, Markt oder Kommerz zu tun, dafür umso mehr mit Genie, geistigen Höhenflügen und einer Literatur, die sowohl ästhetisch als auch inhaltlich der Trivialliteratur überlegen ist, die sich bedauerlichen Zwängen unterwirft. Im Gegensatz zum Poeten ist die Maschine seelen- und verstandlos. Weil alles, was sie schreibt, dem Diktat der Effizienz unterworfen ist, kann es weder ambitioniert noch außergewöhnlich sein. Die Maschine verfasst keine Literatur, sie produziert Schund.
„Du Maschine“ beschwört für mich die Erinnerung an ein anderes Kompliment herauf, das mir ebenfalls gleich mehrmals gemacht wurde, ausschließlich von männlichen Bekannten, immer in einem Ton irgendwo zwischen Anerkennung und Ekel: „Du willst es wissen!“
„Du willst es also wissen!“, erklärte grinsend ein Moderator nach meiner ersten öffentlichen Lesung vor gut fünfzehn Jahren.
„Na, du willst es aber wissen!“, stellte ein Veranstalter fest, nachdem ich auf seine Nachfrage hin die drei Verlage genannt hatte, die ich mir für meinen Debütroman wünschte.
„Du willst es wissen, was?“, fragte mich erst kürzlich ein Bekannter, als ich ihm erzählte, dass ich neben der Trilogie an einem essayistischen Projekt arbeitete.
Unklar ist, was ich wissen wollte und noch immer wissen will. Vielleicht: Wie weit ich gehen kann. Was ich mir alles nehmen kann, bevor mich jemand stoppt. Wie gut ich bin. Was mir zusteht. Es wissen zu wollen ist jedenfalls eine Herausforderung, eine Kampfansage an die Welt. Du willst es wissen spricht von einer Anmaßung, du Maschine! von dem Versuch, sie durchzusetzen. Gesprochen wird in jedem Fall von einer Ambition, die unmenschlich, vor allem aber unweiblich ist. Ich habe mich zu begreifen als eine Art Terminator, nicht nur als Maschine, sondern als Kampfmaschine, als jemand, dem moralische und ästhetische Bedenken fremd sind. Skrupellos folge ich meiner eigenen Ambition.
Diesem nicht besonders attraktiven Bild wird ein anderes komplett gegenläufiges, dabei aber nicht unbedingt verheißungsvolleres, gegenübergestellt: das spielende Kind. „Das hat bestimmt viel Spaß gemacht!“, wird mir oft anvertraut, wenn andere Menschen mir meine Arbeit beschreiben. Nach dem Spaß erkundigen sich immer nur meine Kolleginnen und weiblichen Bekannten. Den Männern ist egal, ob ich Spaß hatte oder nicht, sie interessieren sich für Vorschuss- oder Auflagenhöhen.
Die Frage nach dem Spaß ist legitim und scheint mir umso legitimer je ferner die Fragende der eigentlichen Tätigkeit des Schreibens ist. Gleichzeitig würde mich interessieren, ob Michel Houellebecq, Daniel Kehlmann und Philip Roth auch oft gefragt wurden, ob ihre Arbeit ihnen viel Spaß mache. Nun, im Falle Roths zumindest kennen wir die Antwort ja.
Ich möchte mich hier keinesfalls generell gegen das Konzept von Spaß bei der schriftstellerischen oder jeder anderen kreativen Tätigkeit aussprechen. Es ist mir vollkommen gleich, wer wie viel Spaß beim Schreiben hat oder nicht hat. Ganz sicher will ich nicht argumentieren, dass ein Text, der mit Spaß geschrieben wurde, qualitativ einem unterlegen ist, der unter Qualen entstand. Mir geht es ausschließlich um das auffällige Bedürfnis, Autorinnen Spaß zuzuschreiben, ein Bedürfnis, das bei männlichen Autoren sehr viel weniger stark ausgeprägt scheint. Sie denken ja so angestrengt, wer käme da auf die Idee nach Spaß zu fragen!
Mit Spaß verbinden wir Leichtigkeit, Tätigkeiten, bei denen wenig oder nichts auf dem Spiel steht. Das spielende Kind hat Spaß. Selbstvergessen, ohne großen Plan oder Ziel spielt es vor sich hin. Doch je höher die Anforderungen sind, die man an sich selbst stellt – so empfinde ich es zumindest –, umso prekärer ist es um den Spaß bestellt. Gleichzeitig müssen Frauen aber scheinbar Spaß beim Schreiben haben. Es ist ja der Grund, aus dem wir überhaupt schreiben. Erfolg ist uns immer irgendwie passiert, zufällig, unbeabsichtigt. Wir sind fast ein wenig beschämt, befangen erröten wir, zucken die Achseln und gestehen: „Es war ja schon immer mein Traum, aber natürlich hätte ich nie gedacht, dass ich eines Tages tatsächlich …“ Wir versichern wieder und wieder, zu bescheiden zu sein, als dass wir irgendwelche Erwartungen an jene Tätigkeit geknüpft hätten, die unsere gesamte berufliche Existenz ausmacht. Wir setzen Familienplanung, Freizeit, unsere Miete und Versicherung, unsere Gesundheit und unseren Freundeskreis aufs Spiel und beteuern trotzdem, ziemlich überrascht zu sein, dass uns irgendwer bezahlen wolle, für unsere Gedanken, unsere Worte. Wir sind doch bloß unserem Herzen gefolgt und reingestolpert in die Autorinnenexistenz. Ich kann mir nicht recht erklären, wie irgendwer diesen steilen Abhang allen Ernstes hinaufgestolpert sein will, trotzdem halten wir weiter an der Fiktion fest und den Kopf unten.
„Ich finde es toll, dass du denkst, was du zu sagen hast, ist so wichtig, dass andere es lesen sollen“, sagte vor vielen Jahren eine Freundin zu mir. Noch ein Kompliment! Ein paar Jahre später umarmte sie mich und erklärte: „Ich freue mich so, dass du deinen Traum lebst!“ Dass sie es aufrichtig meinte, glaube ich ihr. Alles vergeben und vergessen, solange wir uns darauf einigen können, dass ich meinen Traum irgendwie aus Versehen lebe, dass ich Autorin geworden bin, um Gottes Willen nicht, weil ich dächte, ich hätte etwas zu sagen, sondern einzig und allein, weil es mir so viel Spaß macht! Ich habe mich aus Versehen bis hierher gespielt.
Das spielende Kind und die Maschine bilden unterschiedliche Enden eines Spektrums, haben dabei aber erschreckend viel gemein. Ihnen beiden fehlt jeder Ernst, jedes intellektuelles Verständnis für Literatur und ihre Bedeutung. Die Autorinnenmaschine ist zerfressen von Ambition, sie will es wissen – aber ob sie überhaupt etwas von Literatur versteht? Unklar! Die Autorin, die einfach nur Spaß hat, eine tollpatschige Prinzessin, der oft ein Preis auf den Kopf fällt – sie weiß eigentlich auch nicht, warum – und die irgendwie bei einem Verlag gelandet ist, ohne dass sie es sich selbst erklären kann, muss auch nicht als ernstzunehmende Denkerin, als Schreibende, als Konkurrentin gefürchtet werden.
Beide Betrachtungsweisen im Übrigen sind entkoppelt von jeder ökonomischen Realität, als gelte diese für Frauen weniger als für ihre männlichen Kollegen. Dass ich mir als Autorin einen Vertrag für mein nächstes Buch wünsche, einen guten Vorschuss, einen neuen Auftrag, eine angemessene Bezahlung ist wohl weniger Ausdruck meines skrupellosen Bestrebens nach intellektueller Selbstverwirklichung (auch wenn der Wunsch nach Anerkennung immer und durchaus ein valider Grund ist), sondern eben unabdingbar für die Sicherung meiner Existenzgrundlage. Ob es ambitioniert ist, nicht aus der Künstlersozialkasse geworfen zu werden, weil das eigene Einkommen so niedrig ist? Ob es ambitioniert ist, die eigene Miete zahlen zu wollen, ohne dass Partner oder Familie einspringen müssen? Vielleicht. Sonderbar jedenfalls, dass diese Ambition in Gesprächen mit Kollegen so selten Thema ist, oder wenn geäußert, belächelt wird, als habe man sich die Behauptung, auf Bezahlung angewiesen zu sein, gerade ausgedacht. Der wahre Intellektuelle steht über Geld – vielleicht hat er welches geerbt oder einen lukrativen Nebenjob als Hedgefondmanager?
In jedem Fall scheint die Erkenntnis, dass das Bedürfnis, angemessen bezahlt zu werden, einen literarischen Anspruch nicht ausschließt, wohl primär für jene überraschend, die das Privileg genossen haben, stets finanziell abgesichert zu sein. Tatsächlich kann beides friedlich ko-existieren – und muss es oftmals sogar.
Herunterbrechen lässt sich die Konstruktion weiblicher Ambition meiner eigenen Erfahrung nach also oftmals wie folgt: Der offen ambitionierten Frau wird ein obsessiv, unmenschliches, sie zur Maschine machendes Streben nach Macht, Anerkennung oder Reichtum unterstellt. Dass eine ökonomische Notwendigkeit besteht, finanziell tragbar zu sein, wird ausgeschlossen oder zwar gesehen, aber dann herangezogen zur Abwertung der intellektuellen, literarischen Leistung (“Es ging nur ums Geld.” oder “Hast du gehört, wie hoch der Vorschuss war, den sie kassiert hat?”). Hieran schließt nahtlos die fatale Annahme an, Integrität und Ambition schlössen einander aus, eine Annahme, die wohl öfter für Frauen als für Männer zum Fallstrick wird. Ein defensiver weiblicher Umgang mit diesen Strukturen ist die Priorisierung von Spaß und einer damit einhergehenden Negierung jedes angestrengten und anstrengenden Strebens, welches die Frau in unangenehme Konkurrenz zu männlichen Kollegen rückt oder gar den Verdacht nahelegt, sie wolle es wissen.
Ich wünsche mir, dass das Bedürfnis, ernst genommen zu werden, nicht primär als symptomatischer Auswuchs eines krankhaften Ehrgeizes verstanden wird – vor allem bei Frauen. Ich wünsche mir, dass die Annahme, man habe etwas zu sagen, das womöglich wert ist, gehört zu werden, nicht als Anmaßung und Kampfansage betrachtet wird – vor allem bei Frauen. Denn wenn wir grundsätzlich an unserem Recht, zu sprechen und zu denken – nichts anderes ist Literatur –, zweifeln, machen wir uns selbst handlungsunfähig und stumm. Eine stumme Autorin kann aber überhaupt keine Autorin sein. Den weitläufigen Raum zwischen textproduzierender Maschine und spielendem Kind müssen wir uns also weiter schreibend erschließen und tun es Jahr um Jahr, Buch um Buch. Wenn ich mich in der aktuellen literarischen Landschaft umschaue, bin ich optimistisch, dass es gelingen kann und bereits gelingt. Wir leben in aufregenden Zeiten, wir kommen, wir sind schon fast da, wir wollen es wissen.