Weggemopst – Das Problem mit dem digitalen Gebrauchtbuchhandel

von Thomas Hoeps

 

In Lutz Seilers Mystizismus-Burner Kruso zerrt der Titelheld ein schleimiges „Zopftier“ aus dem Küchenabfluss einer Ausflugsgastronomie hervor, das sich dort über Monate hinweg aus Haaren, Essensresten und Schweiß alchemistisch zusammenlegiert hatte, den Lurch. Seit ich meinen Beitrag über den digitalen Gebrauchtbuchhandel aus Autor*innensicht vorbereite, gerät mir unerfreulicherweise dauernd das Bild dieses Lurchs vor Augen. Denn am Ende ist der unaufhaltsame Aufstieg der Buch-Reseller auch nur ein Teil einer recht unschönen Masse von Entwicklungen, die die prekäre Einkommenssituation von Autor*innen verschärfen. Einzeln betrachtet mögen sie dabei nicht unbedingt dramatisch wirken, in seiner Gesamtheit jedoch scheint mir dieser Lurch auf Dauer anders als in Seilers Roman kein Düngemittel, sondern toxisch zu sein.

Der Resellermarkt…

… ist ein sehr lukratives Geschäft geworden. Branchenführer Medimops hat seinen Jahresumsatz in nur vier Jahren von 120 Millionen Euro (2015) auf 250 Millionen Euro (2019) mehr als verdoppelt. 64 Prozent davon, gut 160 Millionen Euro, wurden über den Handel mit gebrauchten Büchern generiert, der Großteil davon in Deutschland. Dazu kommen nicht nur weitere Großanbieter wie rebuy, sondern auch die Professionalisierung des Privatverkaufs durch die Verbreitung über Plattformen wie ebay oder den Amazon Marketplace.

Natürlich gibt es den Handel mit gebrauchten Büchern, seit es Bücher gibt. Der zentrale Unterschied zu den Vor-Internet-Zeiten ist aber, dass man nicht mehr teils jahrelang physisch durch Antiquariate oder über Flohmärkte stromern muss, um an ein gesuchtes Buch zu gelangen. Eine kurze Rechercheminute genügt, das Buch nicht nur zu finden, sondern zugleich auch in der Angebotskonkurrenz zum Bestpreis kaufen zu können.

Bei nicht mehr lieferbaren Titeln ist das großartig, gleichwohl das Preisdumping im E-Commerce klassische Antiquariate unter massiven Druck setzt. Am besten aber, so berichtete der Momox-CEO Heiner Kroke im Börsenblatt, verkauften sich eh die jüngeren Bestseller. Kaum ist ein Buch auf dem Markt, läuft es auch schon sekundär über die E-Plattformen. Am komfortabelsten geschieht das für die Kunden von Amazon, wo direkt auf der Primärverkaufsseite der günstige Gebrauchtpreis für „wie neu“-Exemplare dafür wirbt, doch lieber gleich Second-Hand zu kaufen.

Von Platzangst, Nachhaltigkeit und Teilhabe

Toll also, dass es so leicht geworden ist, sich von Büchern zu trennen und kostengünstig an neue zu kommen. Und zugleich werden damit ja auch andere Probleme gelöst: Über die bange Frage hinaus, wo in der Wohnung denn noch Platz für das x-te Buchregal sein soll, betrifft es Aspekte von gesellschaftlicher Relevanz: Ist es denn zu verantworten, dass ein Buch nach ein paar Lektürestunden nicht mehr genutzt wird? Ist es nicht nachhaltiger und ressourcenschonender, ihm ein zweites, drittes, viertes Leben zu verschaffen, bei Käufer*innen oder – und hier wird dann auch noch kulturelle Teilhabe trotz Existenzminimum ermöglicht – bei den Nutzer*innen öffentlicher Bücherschränke?

Wer wollte gegen solche positiven Effekte ernsthaft Einwände erheben?

Von der Erschöpfung I

Als der ehemalige Buch-Vertriebsmanager Ulrich Erdle vor wenigen Monaten im Börsenblatt seinen Unmut über den umsatzstarken Zweitverwertungsmarkt von Momox & Co äußerte und eine Gebührenbelegung der gewerblichen Reseller ebenso wie der Verkaufsplattformen zugunsten der Autor*innen und Verlage forderte, zuckte die Justiziarin des Börsenvereins mit den Schultern: Kann man nix machen, ist Gesetz! Denn „das Verbreitungsrecht des Autors erschöpft sich gemäß § 17 Abs. 2 UrhG, nachdem das Buch erstmalig in den Verkehr gebracht wurde. Der Urheber wurde für sein Werk mit dem ersten Verkauf vergütet.“

Und Herr Momox behauptete daran anschließend, im Falle der Erhebung einer Zweitverkaufsgebühr müsste ja logischerweise „Neuware dann im Gegenzug günstiger werden, da von Vornherein ein Zweit- und Drittverkauf eingeplant ist.“

Von der Erschöpfung II

Wie könnte ich mich als Autor also gegen rechtliche Realitäten, wirtschaftliche Entwicklungen und gesellschaftliche Notwendigkeiten stellen und über entgangene Einnahmen aus Second Hand-Verkäufen klagen? Zumal ich ich angeblich doch schon hinreichend für diese weiterverkauften Bücher entlohnt wurde? Will dieser Autor jetzt also nur ein weiteres Mal frech abkassieren? Second Hand = Second Cash?

In der letzten Zeit spüre ich eine wachsende Erschöpfung, wenn die ökonomische Realität unserer Arbeit wieder einmal ausgeblendet wird. Soll ich erneut vorrechnen, wie viel Honorar Autor*innen für die oft zwei, drei Jahre Arbeit an ihrem Buch erhalten, wenn der marktübliche Satz von fünf und zehn Prozent vom Nettoverkaufspreis gezahlt wird und das Buch kein Bestseller oder gehobener Midlist-Titel wird? Dass die Kostenplanung von Büchern aber für alle Beteiligten feste (zugegeben, zuweilen auch prekäre) Monatsgehälter oder Stundensätze kalkuliert, nur für die eigentlichen Urheber Vorschüsse ansetzt, von denen oft kein halbes Jahr zu leben ist? Dass mehr nur hereinkommt, wenn das Buch dann doch deutlich über den Break-even-Punkt hinausschießt? Oder vielleicht noch einmal berichten, wie unerfreulich sich die durchschnittlichen Startauflagehöhen seit Jahren entwickeln und dass es darum bei vielen Büchern mittlerweile tatsächlich auf jedes einzelne verkaufte Exemplar ankommt. Zumal da definitiv kein Sekundärmarkt miteinkalkuliert ist, weil das Resultat nicht mehr marktgängige und sozialverträgliche Verkaufspreise wären?

Ich habe deshalb immer weniger Lust auf solche Erklärungen, weil es am Ende doch nur wie ein beleidigtes Mimimi klingt. Denn die Entscheidung, haupt- oder auch „nur“ nebenberuflich als Schriftsteller zu arbeiten, auch eine im Bewusstsein erwartbarer ökonomischer Einschränkungen ist und bleibt ja eine stolze, frei getroffene. Trotzdem schaut man doch immer wieder recht fassungslos darauf, wie viel Geld in diesem Betrieb dann doch umläuft und in welchen Kanälen es schließlich landet.

Her damit!

Womit wir in das Habitat des Lurchs zurückgekehrt wären, zu dessen weiteren Bestandteilen tiefgreifende Veränderungen im Buchhandel genauso zählen wie der Wegfall öffentlich finanzierter Lesereihen oder eben die große Selbstverständlichkeit, mit der unsere Arbeit kostenlos oder lowestbudget-orientiert genutzt wird. Die findet man ja nicht nur im Trend, dass auch gut verdienende Leser*innen aktuelle Bücher zur Ersparnis einer Handvoll Euros lieber über Resellerplattformen kaufen. Sondern zum Beispiel selbst bei den Bücherfreund*innen in den öffentlichen Bibliotheken, die unter dem Deckmantel der „Informationsfreiheit“ (real aber zur Entlastung ihrer kommunalen Haushalte) Druck ausüben, das Ausleihlimit von e-book-Lizenzen aufzuheben (zu den Auswirkungen der Onleihe übrigens hier eine aktuelle Studie).

Bedingungen für den gewerblichen Wiederverkauf einzuführen, wie es Ulf Erdle und andere mit der Einrichtung von „Schonfristen“ für Neuerscheinungen oder der Erhebung von Zweitverwertungsabgaben fordern, werden das Grundproblem mangelnder Honorierung der Autor*innen sicher nicht lösen. Und es wirkt vielleicht sogar nur wie ein Abwehrkampf in aussichtsloser Stellung. Aber dem Lurch das zu entreißen, was uns zusteht, ist nicht zuletzt auch eine Frage der Selbstachtung. Also, schnappen wir ihn uns!

 

Photo by Brandable Box on Unsplash

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