Als ich schrieb (Mutterschaftsvariationen)  

von Marie-Sophie Adeoso

I

Als ich schrieb, hörte ich wieder mal lautes Gebrüll.

Ich stand auf, spendete Trost und kehrte zurück zu den Worten, ich schrieb und da klebte es mir an den Socken, ich stand auf, wischte Saft vom Parkett, wieder trocken, als ich schrieb, dachte ich nach, wie der Satz einmal enden – fiel mir ein, dass der Einkauf noch – mit den Händen griff ich Taschen und  Leergut, griff Kinder und Mützen, griff Gummistiefel, draußen die Pfützen, griff Schlüssel und Mülltüten, die Windeln  stanken, griff alles, ins Treppenhaus – ab mit euch! –  schwankten wir raus, immer raus in den Regen, den Laden, den Alltag, das Leben, als ich schrieb, kam mir all das mal wieder  entgegen, dazwischen –

II

Der Roman schreibt sich nicht von selbst. Ich schreibe mich in ihn ein, Nacht für Nacht, wenn neben mir der Atem eines  kleinen Menschen ruhiger oder unruhiger wird, je nachdem. Ich  schreibe im Kopf, während es an meiner Brust zieht, während ich Hunger oder Durst oder Unruhe stille und in mir die Unruhe Hand in Hand mit der Müdigkeit wächst.

Mir zerfallen die Jahre unter den Fingern zu Staub, den ich  ständig aufsaugen muss aus den Ritzen im Parkett, in denen er  sich sammelt, gemeinsam mit Essensresten und Spielplatzsand.  Der Staub verfliegt, ein Jahr nach dem anderen, in dem ich  nicht schrieb. In dem ich ansetzte und gleich wieder ab, weil  ich nur mal kurz den Alltag schaukelte im Arm und ein Kind auf  jedem Knie und mir dazwischen die Worte abhandenkamen. Ich  suche sie nachts, wenn neben mir der Atem des einen oder  anderen kleinen Menschen ruhiger oder unruhiger wird, je nachdem. Ich denke ans Schreiben: immer und immer und immer –

so, wie man im Winter an den Sommer denkt, wenn man friert. Ich schreibe den Roman nicht, er schreibt sich in mich ein, schreibt mir den Kopf voll, beherrscht ihn und schreibt sich doch nicht von selbst. Mutter schläft und schreibt nicht und wird früh geweckt.

III

Ich werde alles anders machen als du. Ich werde alles genauso machen wie du. Ich weiß nicht, wie du es gemacht hast. Ich weiß nicht, wie du meine Mutter warst. Ich weiß nicht, welche Mutter ich sein will, sein kann. Ich hatte keine. Doch, hatte eine. Habe eine. In mir. Sie schreibt sich nach draußen. Totgeburt.

IV

Ich sehe, wie du fällst. Wie du aus meinem Blickfeld stürzt.

Ich sehe, dass ich dich nicht mehr sehe, sehe den Schrei, der mir entfährt, rot in der Luft stehen, sehe mich selbst dorthin hasten, wo ich dich wieder sehen kann, sehe in mir vor mir, wie du zertrümmert auf den Steinen liegst, die Glieder verrenkt, laufe weiter, stolpere, fliege die Treppen hinab, sehe dich wirklich jetzt, klein und komplett, höre dich, greife dich, deine Arme, deine Beine, deinen Kopf, taste dich ab, alles dran, alles da, bist du heil?, sag mir, wo schmerzt  es dich?, herz ich dich, Brennnesselstich, überall pikst es dich und über dir biegt er sich, der Ast, der dich fing, deinen Sturz stoppte, dann knickte, dann brach und dich absetzte im Brennnesselbeet, aua, aua, au, au, wimmerst du;  danke, stammle ich und halte den Ast, der brach, so dass du nicht brächest, nicht in Teile zerfielest, es dich nur pikste  und pikste und ich küsse deine Tränen und ich streichle deine  Stiche und ich halte deine Glieder, die zerstochenen, nicht zerbrochenen, die Glück gehabt haben, was ein Glück, was ein  Glück –

V

Der Roman schreibt sich nicht von selbst. Ich schreibe mich in ihn ein, Nacht für Nacht, ohne Worte. Vielleicht träume ich es nur, wenn die Gedanken sich gegen die Wände werfen, wie ein eingesperrtes Tier, sie sich wundscheuern und weniger werden, wüster und düsterer werden in den Nächten, die keine Nächte sind, weil die Tage länger werden und die Kinder sich sträuben, sie loszulassen und sich den Nachtresten anzuvertrauen, in denen ich schreiben könnte, wenn sie schweigen würden, wenn ich nicht schreien würde, weil ich Ruhe brauche, Ruhe, Ruhe und Schlaf, der mir die letzte Zeit zum Schreiben raubt.

VI

Ich werde schreiben – du hast gemalt. Deine Bilder an meiner Wand. Meine Texte in wessen Buch? Ich werde etwas hinterlassen, das bleibt, wenn ich jetzt sterben müsste. Wenn ich die Kinder hinterließe, so, wie du mich einst zurückgelassen hast. Ich werde schreiben werde bleiben werde leben. Du bist tot. Ich halte dich am Leben, weil es nicht auszuhalten ist sonst. Wie denn sonst –

VII

Plötzlich bist du da. Nachts aus der Wärme geholt auf einen Streich, viel zu früh.

Plötzlich bist du weg, ich bleibe zurück, den Bauch leer, die Brust voll, die Beine taub – ich habe dich doch noch gar nicht gesehen.

Sie fahren mich zu dir, ich kann nicht stehen, ich schaue dich an, du kannst mich nicht sehen, die Augen geschlossen, dein Atem gestützt, dein Körper geschützt vor der Welt, ein bisschen Mensch und sehr viele Kabel, und dann schwindelt es mich und sie betten mich und wir sind wieder allein, du und ich, in unseren Betten getrennt.

Und wo, fragt der Mann am Bett neben meiner Einsamkeit, und wo, fragt der Mann, dessen Frau neben meinen Schmerz gebettet  wurde, und wo, fragt der Mann, ist denn Ihr Kind eigentlich? Wenn es nicht lebt, sagt der Mann, der sein Neugeborenes auf dem Arme wiegt, dann können Sie ja noch eines  –

Sie sind doch noch jung.

VIII

Als ich schrieb, schreiben wollte, schrieb ich mal wieder nicht. Vertagte auf später. Hielt dicht. Biss mich durch. Durchhalten, Leben gestalten, das der anderen, das an meinem hängt. An meinem Schreibtisch mit Aussicht, mit Aufsicht türme ich  Bauklötze und Überstunden auf nie geschriebene Sätze

auf die Plätze

fertig

̶l̶o̶s̶

IX

Es ist ein ungeschriebenes Gesetz, dass die ungeschriebenen Sätze sich festsetzen, ohne dass ich sie lesen könnte.

Sie kitzeln mich wach, ziehen mir die Decke weg und strecken mir ihre Füße ins Gesicht. Ihre ungesetzten Worte tanzen durchs Haus, lachend, unbeschwert, werfen die Milch um, knallen mit Türen und wischen ihre Marmeladenfinger an mir ab.

Die ungeschriebenen Sätze schicken mir E-Mails und Rechnungen, sie flimmern auf allen Bildschirmen und folgen mir bis aufs  Klo.

Sie sind schon wieder so groß geworden, denke ich mir, umarme sie und wünschte, ich wäre mehr für sie da.

X

Ich kenne mich nur als schreibenden Menschen. Du gingst, ehe ich schreiben konnte. Was lese ich da hinein? Was hast du in mich eingeschrieben? Was ist geblieben von dir? Was bleibt von mir?

Schreib mir.

XI

Der Roman schreibt sich nicht von selbst.

Mein Leben schreibt die besten Geschichten ohne mich auf und scheißt auf die schiefen Sprachbilder an den Wänden

Meine Reime sind Schweine und grunzen im Takt

Meine Kinder spielen Fußball in meinen Worten und zerschlagen kichernd Satz für Satz

Sie lernen reden und lesen und schreiben

Im Hier und Jetzt spielt die Musik. Tanzen, Mama!, rufen sie.  Tanzen! Und ich tanze und ich lache und ich schwebe und ich  schwitze und ich kitzle und ich singe und ich springe und ich  fliege mit ihnen um die Welt

Schreiben ist ein Kinderspiel

Mutterschaft ist ein Gedicht

XII

Als ich schrieb, hörte ich wieder mal lautes Gebrüll.

Ich stand auf, spendete Trost und kehrte zurück zu den Worten, ich schrieb und da klebte es mir an den Socken, ich stand auf, wischte Saft vom Parkett, wieder trocken, als ich schrieb, dachte ich nach, wie der Satz einmal enden – ich stand auf, setzte den Punkt und trug beide gemeinsam ins Bett.

 

Photo by Chris Barbalis

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