Mode als Kulturgut – Zwischen TikTok-Fakes und Design als Kunst

von Angelika Schoder

In einer Zeit, in der Mode-Trends schneller wechseln als Jahreszeiten und Fast Fashion viele verleitet, deutlich mehr Kleidung zu kaufen, als man je tragen kann, wird die Mode gleichzeitig immer mehr zum Thema für Museen und Ausstellungen. So finden sich Runway-Looks von Alexander McQueen etwa im Design Museum in London in der Ausstellung „The World of Tim Burton“ und ein von DSQUARED2 designtes Bühnenoutfit für Bill Kaulitz von der Band Tokio Hotel wird in der aktuellen „Glitzer“-Ausstellung im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg gezeigt. Mode-Kreationen tauchen nicht nur als einzelne Exponate in diversen Museen auf, auch Designern werden ganze Ausstellungen gewidmet, zum Beispiel „Balenciaga, l’oeuvre au noir“ im Musée Bourdelle 2017, „Yves Saint Laurent aux Musées“ in gleich sechs Pariser Museen 2022 oder jetzt im Sommer 2025 „Rick Owens, Temple of Love“ im Palais Galliera. Diese Ausstellungen zeigen, dass Mode mehr ist als nur Bekleidung. Sie ist Zeitgeist, Identität und Kulturgut. Doch wo auf der einen Seite Luxusmode als Kunst gefeiert wird, gibt es auch eine andere Seite: Designer-Mode wird als günstig über TikTok beziehbare Ware inszeniert.

Design als Handwerk und Kunstform

Was Haute Couture und High-End Prêt-à-Porter von Alltagskleidung unterscheidet, ist nicht nur der Preis. Es ist das Können, die Idee und die Philosophie dahinter. Ein Kleid von Schiaparelli oder ein Mantel von Chanel ist das Ergebnis von Stunden, Tagen, ja manchmal sogar von Wochen hochqualifizierter Handarbeit, sei es um die Materialien dafür herzustellen oder das Kleidungsstück anzufertigen. Jeder Schnitt, jede Naht, jede Stickerei erzählt eine Geschichte. Luxusmode kann visionär und emotional sein – und sie wird genau wie Kunst gesammelt. Etwa von der Designerin und Mode-Ikone Michelle Elie, die Comme des Garçons sammelt und der das Museum für Angewandte Kunst in Frankfurt 2020 sogar die Ausstellung „Life doesn’t frighten me“ widmete.

Eines der ersten Museen weltweit, das sich mit dem Thema Luxusmode befasste, war das Metropolitan Museum of Art in New York. Um das hier ansässige Costume Institute zu fördern, rief die Modejournalistin Eleanor Lambert bereits im Jahr 1948 die Met Gala ins Leben, mit der bis heute die spektakulären Mode-Ausstellungen des Museums eröffnet werden.

Ob „Heavenly Bodies: Fashion and the Catholic Imagination“ 2018 oder „Karl Lagerfeld: A Line of Beauty“ 2023, die Ausstellungen widmen sich entweder modischen Konzepten, kulturellen Mode-Einflüssen oder herausragenden Designern. 2025 steht die Ausstellung des Costume Institute unter dem Motto „Superfine: Tailoring Black Style“. Sie erforscht die Bedeutung von Mode und Stil für die Herausbildung Schwarzer Identitäten in der atlantischen Diaspora, insbesondere in den Vereinigten Staaten und Europa. Auch das Victoria and Albert Museum in London widmete in den letzten Jahren große Ausstellungen bekannten Mode-Persönlichkeiten oder Stilen, ebenso wie das Palais Galliera in Paris oder das Kyoto Costume Institute in Japan. Sogar der Louvre in Paris zeigt 2025 mit „LOUVRE COUTURE. Art and Fashion: Statement Piece“ erstmals eine Mode-Ausstellung, in der die Verbindungen zwischen Kunstgeschichte und Mode verschiedener Epochen aufgezeigt werden sollen. Doch ebenso wie es bei bildender Kunst immer wieder Fälschungen und Kopien gibt, wird auch Luxusmode kopiert und dank Social Media im großen Stil als für jeden zugängliche Ware präsentiert.

Das Lob der Kopie

In seinem Buch „Mashup. Lob der Kopie“ (suhrkamp, 2011) schreibt Dirk von Gehlen über das Kopieren im digitalen Raum, das in der Gegenwart längst zu einer alltäglichen Handlung geworden ist. Der Bezugs- und Bewertungsrahmen bleibt dabei oft unklar, besonders wenn unterschiedliche Werke in einem Mashup zu etwas Neuem verschmelzen. Jenseits von Memes und Copypasta im Digitalen, begegnen uns Mashups und Kopien auch in der Welt der Mode. So kopieren Fast-Fashion-Hersteller die Entwürfe von Designern und bekannten Modelabels – ganz analog, aber dafür unter ähnlichen zweifelhaften Bedingungen. Mal lassen sich ursprüngliche Original-Ideen nur noch entfernt erahnen, mal handelt es sich aber auch um eindeutige Billig-Kopien bekannter Designs oder sogar Fakes, die versuchen, sich als Original auszugeben. Für große Design-Häuser ist diese Praxis ärgerlich, schließlich muss hierauf juristisch reagiert werden, um Produktion und Verkauf dieser Ware zu unterbinden. Für kleine Labels kann diese Taktik aber sogar existenzbedrohend sein, wie immer wieder von Betroffenen berichtet wird. Sie haben meist nicht die finanziellen Mittel für rechtliche Schritte und können nur über Social Media auf den Design-Diebstahl aufmerksam machen.

Videos zu entsprechenden Produkten gehen seit Mitte April 2025 auf TikTok viral: Unter dem Motto „Buy Direct“ zeigen Accounts aus China nicht nur, wie Mode westlicher Marken in chinesischen Fabriken produziert wird, sondern versuchen ihre Waren auch direkt zu verkaufen. In ihren Videos tauchen QR-Codes, WhatsApp-Nummern, WeChat-Kontakte oder Links zu chinesischen E-Commerce-Seiten auf, mit dem Versprechen “Same quality, no logo, better price”. Wer in China kauft, soll die Preise umgehen, die man für ein Logo zahlt. Oft werden in diesen Videos Kleidungsstücke, Schuhe oder Handtaschen nebeneinander gezeigt, einmal mit Markenlogo und einmal ohne. Es wird behauptet, dass nicht nur europäische oder US-amerikanische High-Street-Marken wie Adidas und Tommy Hilfiger ihre Ware in China fertigen lassen, sondern sogar Luxusmarken wie Hermès. Besonders bei letzteren würde in Frankreich dann nur das Logo angebracht, um „Made in France“ statt „Made in China“ auf das Label drucken zu können. So würden ungerechtfertigte hohe Preise entstehen, wie die chinesischen TikTok-Videos betonen. Wenn man hingegen in China eine „Birkin Bag“ kaufe, würde man zum Beispiel nur 1.200 statt 12.000 Dollar zahlen. Schon verlockend, wenn es doch angeblich genau dasselbe Leder, dieselben Beschläge und dieselbe Handwerkskunst ist – wer will schon über 10.000 Dollar allein für ein Logo bezahlen?

Juristisch bewegen sich viele dieser chinesischen Anbieter in einer rechtlichen Grauzone. Solange sie keine Logos oder eingetragenen Designs verwenden, sind sie oft schwer zu belangen, vor allem, wenn der Verkauf über nicht-europäische Plattformen läuft und Zahlungen über Drittanbieter abgewickelt werden. Doch die gezeigten Kleidungsstücke und Taschen sind oft eben nicht Mashups, also Kombinationen oder Abwandlungen von bekannten Designs großer Marken. Die TikTok-Videos zeigen meist nahezu identisch wirkende Luxusmode, von Streetwear-Labels wie Off-White oder Palm Angels bis hin zu Teilen, die Balenciaga oder Loewe-Designs nachempfunden sind. Die Schnitte, Farben, Stoffe und Verzierungen stimmen oft exakt überein, was dann eben sehr wohl Markenrechte verletzen dürfte. Wenn TikTok-Nutzer kommentieren, ob es sich um Originale handelt, heißt es meist, dass alles aus der gleichen Produktion sei, nur ohne das Markenetikett. Die implizite Botschaft ist: Der wahre Wert steckt nicht im Namen, sondern im Produkt. Und wer schlau ist, spart sich die Marge der Marke und bestellt direkt bei der chinesischen Quelle.

TikTok sagt, deine Birkin Bag kommt aus China

Diese Art von Direktvermarktung ist nicht neu, aber seit wenigen Wochen erreicht sie als „Trade War TikTok“ eine neue Qualität. Der Hype ist eine Antwort auf die exorbitanten Zölle der US-Regierung auf chinesische Waren. TikTok ist unter dem Namen Douyin in China eine E-Commerce-Plattform; die Integration von Shops, Live-Selling-Formaten und direkter Bezahlmöglichkeit ermöglicht es Produzenten, ihre Ware ohne Zwischenhändler, ohne Großhandel und ohne Lizenzpartner anzubieten. TikTok wird auch in den westlichen Ländern zunehmend als Suchmaschine für Produkte verwendet. Kaufinteressierte werden bisher meist auf chinesische Plattformen weitergeleitet, weil ein Kauf zumindest bei der vermeintlichen Luxus-Mode noch nicht direkt über TikTok möglich ist. Die Lust zum Kauf wird aber auf der Plattform geweckt, indem Accounts hier Screenshots der chinesischen Produkte teilen, Unboxing-Videos posten und vermeintliche Originaware mit Alternativen aus China vergleichen.

Das Vertrauen in den Markennamen als Qualitätsgarantie wird so durch ein Vertrauen in den günstigen Preis ersetzt. Zentral ist dabei das Versprechen, quasi dasselbe Produkt zu kaufen. Doch so verführerisch die TikTok-Videos auch wirken mögen, bei genauerer Betrachtung zeigt sich: Die versprochenen „identischen“ Produkte aus chinesischen Fabriken sind eben doch nicht die Originale von Chanel, Prada oder Gucci. Der Unterschied liegt nicht nur im Logo, sondern in der Wertschöpfungskette, in den Details, der Materialauswahl, dem handwerklichen Können und der Qualitätskontrolle.

Die Behauptung der TikTok-Videos, dieselben Markenprodukte herzustellen, nur ohne Label, ist in den meisten Fällen eine Vereinfachung und teils auch eine bewusste Irreführung. Zwar ist es möglich, dass einige dieser Anbieter tatsächlich in Fabriken arbeiten, die auch OEM-Aufträge (Original Equipment Manufacturing) für bekannte Marken ausführen. Doch selbst dann sind die „gleichen“ Produkte nicht wirklich gleich. Denn Luxusmarken verwenden oft eigens entwickelte Stoffe, besondere Hardware und spezielles Leder oder sogar patentierte Gewebe, die exklusiv für sie produziert werden. Für die günstigen Alternativen werden meist optisch ähnliche, aber deutlich preiswertere Materialien eingesetzt, was erst beim Tragen und beim langfristigen Gebrauch bemerkbar wird. Originalprodukte durchlaufen außerdem mehrere Ebenen der Kontrolle. Vom Zuschnitt über das Nähen bis zur Endabnahme gibt es strenge Prozesse – keiner weiß, ob diese Art der Qualitätskontrolle bei der Ware aus chinesischen Fabriken stattfindet, die über TikTok angepriesen wird.

Auch das Thema Design-Rechte und Entwicklungs-Aufwand ist nicht zu vernachlässigen: Hinter einem Original-Design steckt oft monatelange Konzeption, ein Innovations-Prozess und eine Design-Philosophie. Luxusmode steht deshalb nicht nur für Prestige, sondern auch für Geschichte, Handwerkskunst und kulturellen Wert. Es gibt keine „echte“ Louis-Vuitton-Tasche ohne die Authentifizierung, das Branding und das offizielle Vertriebsnetz. Wer über TikTok Mode aus einer chinesischen Fabrik kauft, bekommt im Idealfall ein gut gefertigtes Produkt, aber eben nicht das Original mit derselben Garantie, Haltbarkeit oder Wertstabilität. Im schlechtesten Fall kann man auch ein klassisches Fake-Produkt erwerben, was man dann vielleicht nicht mal zugestellt bekommt, wenn der Zoll auf dem Versandweg eine Stichprobe macht und sich das Paket genauer anschaut.

Luxusmode aus Sweatshops

In einem Punkt haben einige der chinesischen TikTok-Videos allerdings Recht: Die Produktion von Luxusmarken in Europa statt in China garantiert nicht unbedingt bessere Arbeitsbedingungen für die Menschen, die die Waren herstellen. 2024 deckten Investigativ-Recherchen auf, dass zahlreiche Luxusmarken in europäischen Werkstätten unter Bedingungen produzieren lassen, die man eher mit asiatischen Sweatshops in Verbindung bringt. So hatte unter anderem die Marke Christian Dior aus dem LVMH Konzern über zwei chinesische Subunternehmer mit Sitz außerhalb von Mailand produzieren lassen, wobei die Menschen in den Fabriken unter ausbeuterischen Bedingungen arbeiten mussten. Während des Gerichtsprozesses um die Arbeitsrechtsverstöße wurde enthüllt, dass solche unethischen Herstellungspraktiken in ganz Italien systematisch sind. Tausende von kleinen ausländischen Herstellern beliefern Luxusmarken mit Waren, die das Label „Made in Italy“ beanspruchen, aber zu völlig anderen Preisen und Bedingungen produziert werden als sie in Europa Standard sind.

Die billigen Produktionskosten wurden unter anderem damit erreicht, dass nahtlose Tag-Nacht-Produktionszyklen in den italienischen Fabriken stattfanden, wobei einige der Arbeitenden sogar in den Produktionshallen schlafen mussten. Zudem wurden Sicherheitsvorrichtungen der Anlagen entfernt, damit in der Produktion schneller gearbeitet werden konnte. Einige der Arbeitenden waren sogar illegal nach Italien gebracht worden und hatten weder ein Visum noch einen regulären Arbeitsvertrag – und damit auch keinen rechtlichen Arbeitsschutz. Laut Forbes-Berichterstattung ermöglichten diese unethischen Praktiken es einem Hersteller, eine „Made in Italy“-Handtasche der Marke Dior für nur 57 USD zu liefern, die in den Dior-Geschäften dann für etwa 2.800 USD verkauft wurde.

Nicht alle Produkte von Luxusmarken werden also unter angemessenen Arbeitsbedingungen produziert. Einige greifen auch auf Subunternehmen zurück, die wiederum Subunternehmen beschäftigen, die ihre Arbeitenden ausbeuten. Die Verantwortung wird entlang dieser Produktionskette verwässert und am Ende stehen Herkunftsetiketten wie „Made in Italy“, mit denen die Luxusmode doch eigentlich von den bei TikTok angebotenen Artikeln aus der chinesischen Fabrik unterschieden werden sollte.

Second-Hand als Alternative

Es gibt zahlreiche kleine Labels, die nachweislich faire Produktions-Bedingungen bieten und nachhaltig hergestellte Materialien verwenden. Oft sind diese auch deutlich günstiger als bekannte Luxusmarken und haben dennoch eine mindestens genauso gute Qualität. Nicht jeder kann sich jedoch dem Einfluss von großen Werbekampagnen, Influencern in Social Media und auch der gesellschaftlichen Sichtbarkeit von Designer-Mode und einem erhofften Statusgewinn entziehen. Nicht zuletzt wird das soziale und kulturelle Kapital der Luxusmarken auch durch Ausstellungen in wichtigen Museen wie dem Louvre und Events wie der Met Gala gefördert. Entsprechend entscheiden sich viele wohlhabende Kunden bewusst für Yves Saint Laurent und Louis Vuitton, man will die Marke und nicht nur ein qualitativ vergleichbares No-Name Produkt.

Vielleicht erlebte auch deshalb der Second-Hand-Luxusmarkt in den letzten Jahren einen echten Boom. Vintage-Shops, Plattformen wie Vestiaire Collective oder Buddy&Selly und spezialisierte Boutiquen bieten Mode mit Geschichte, von Jahrzehnte alten Vintage-Stücken bis hin zu Designer-Mode, die erst eine Saison alt ist. Selbst Momox verkauft mittlerweile nicht nur Second-Hand-Fast-Fashion für wenige Euro, sondern auch Kleidung, Schuhe und Taschen bekannter Luxusmarken. Der Vorteil gegenüber den bei TikTok beworbenen vermeintlichen Designerstücken ist die Authentizität, denn Mode ist mehr als nur Logo. Wer Second-Hand kauft, bekommt ein Stück Designkultur, Handwerkskunst und Qualität – ohne dafür die hohen Originalpreise zu bezahlen und ohne Konzerne direkt zu unterstützen, an deren nachhaltigen und fairen Produktionsbedingungen man eventuell Zweifel hegt. Gleichzeitig investiert man in Mode, die aufgrund ihrer Materialien und ihrer Verarbeitung lange getragen werden kann und nicht wie Fast Fashion nach wenigen Kontakten mit der Waschmaschine ihre Form verliert, Löcher bekommt oder an ihren Nähten zerfällt.

Der Kauf von Second-Hand Mode bedeutet auch, dass Ressourcen geschont werden; für die Herstellung wurde kein neues Leder verwendet, keine neue Wolle oder Baumwolle verarbeitet, und für die Produktion fiel kein weiterer Energieverbrauch an. Angesichts der Klimakrise, den Bergen von Textil-Müll, die in den globalen Süden abgeschoben werden, und der Überproduktion in der Fast-Fashion-Industrie, ist die Entscheidung für Second-Hand-Mode auch ein Beitrag zur Nachhaltigkeit. Wobei das zugegebenermaßen für viele nur ein angenehmer Nebeneffekt beim Kauf von Second-Hand-Luxusmode ist. Hier zählt eher die Geschichte, die ein bestimmtes Kleidungsstück erzählt, das Image, das mit einer Marke verbunden wird, und der Status, der in unserer Gesellschaft noch immer dem Tragen von Designer-Mode zugeschrieben wird. Einige Second-Hand-Stücke können fast wie Kunstwerke gesammelt werden, manche Teile erreichen sogar ikonischen Status, sei es weil sie in Filmen und Serien auftauchen, von Stars getragen oder in Museen gezeigt werden.

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Foto von John Cameron

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