Romance und Normalisierung – Über die Serie „You“

von Hannah Feiler

Endlich ist es vorbei. Nach fünf Staffeln mit einer so gequälten wie quälend gleichbleibenden Hauptfigur endet die Netflix-Serie „You“ mit einem wilden Ritt durch Romantasy-Tropes und die Abgründe der Manosphere. Zeit also für ein Fazit, denn die Serie lässt sich als Metakommentar eines ganzen Genres lesen. Joe Goldberg (Penn Badgley) ist ein auf den ersten Blick freundlicher und zugewandter New Yorker Buchhändler auf der Suche nach der großen Liebe. Dieses Bild wird jedoch gleich zu Beginn der ersten Staffel brüchig. Schnell stellt sich heraus, dass Joe ein manipulativer Stalker ist, der seine potenziellen Partnerinnen in das Bild zwängt, das er sich von ihnen gemacht hat. Dabei isoliert er sie geschickt von ihrem Umfeld und positioniert sich als idealer Beziehungspartner. Viele von ihnen überleben die Beziehung mit Joe nicht. Die Serie zeichnet ein düsteres Bild des emotionalen Missbrauchs, den wir in Filmen, Büchern, Serien aus dem Romance und Romantasy-Genre als romantisches Ideal präsentiert bekommen. „You“ dekonstruiert genau dieses Ideal dadurch, dass die Konsequenzen dieser Form der Romantik konsequent ausbuchstabiert werden. Die Folgen sind Stalking, Manipulation und in letzter Konsequenz Femizid.

An manchen Stellen wirkt „You“ nicht nur wie eine Reflexion über herrschende Vorstellungen von Romantik, sondern spezifisch wie ein Metakommentar des Genres, das Verhaltensweisen normalisiert, die in der Serie überspitzt dargestellt werden. Gerade die fünfte und letzte Staffel weist Parallelen zwischen Romantasy-Romanen, die regelmäßig Bestseller-Listen anführen, auf und führt die dort verwendeten Tropes vor. Joe, der sich schon immer gerne als eine Art Held oder „Knight in Shining Armour“ gesehen hat, findet in Bronte (Madeline Brewer) jetzt das perfekte Gegenstück – allerdings nur scheinbar, denn mit Bronte ist nichts so, wie es scheint. Für den Schein ist er jedoch umso empfänglicher, da es in seiner Ehe mit Kate kriselt. Es trifft also ein selbsternannter Beschützer auf eine hilfsbedürftige und schutzlose junge Frau, deren erste Begegnungen zunächst antagonistisch geprägt sind.

Schnell erliegt Bronte jedoch Joes Charme und lässt sich auf seine Hilfsangebote ein. Erst nimmt sie das Jobangebot an, dann die Wohnung. Dass sie jünger ist als Joe fällt in dem Dickicht aus Abhängigkeiten und ungleich verteilter Verletzbarkeit kaum noch ins Gewicht. Genau diese Dynamiken scheinen einen Zeitgeist zu treffen, der sich aktuell prominent in reichweitenstarken Romance-Romanen niederschlägt, gerne mit fantastischen Elementen. In der erfolgreichen Empyrean-Romanreihe von Rebecca Yarros etwa verlieben sich die Protagonistin Violet und ihr Erzfeind Xaden, der zunächst auch ihr Vorgesetzter und unfreiwilliger Mentor ist, ineinander. Natürlich hat Xaden ein dunkles Geheimnis und eine noch verwundetere Seele. Die versteckt er hinter einer rauen Schale und nur Violet bekommt seine verletzliche Seite zu sehen.

Auch wenn wir es hier mit einer „starken“ Protagonistin zu tun haben – eine Figur, die in sich schon problematisch erscheint –, die wie die anderen auch eine Drachenreiterin und Kämpferin ist, ist am Ende sie es, die die emotionale Arbeit innerhalb der Beziehung leistet und es sich zur Aufgabe macht, Xaden vor sich selbst zu retten. Die Reihe ist also trotz ihrer mächtigen Heldin letztlich Teil der Normalisierung bestimmter Romantikvorstellungen, die allesamt vom cis-männlichen Beziehungspartner ausgehen. Das ändert sich nicht allein dadurch, dass man einer weiblichen Hauptfigur begegnet, wenn die Selbstverständlichkeiten dieselben bleiben. Ihre Macht oder Stärke zu betonen, wirkt dann eher wie die Antwort auf eine falsche Frage. Noch auffälliger als bei Yarros ist das in Sarah J. Maas Fantasy-Reihe „Das Reich der sieben Höfe“. Hier ist die Abhängigkeitssituation der Protagonistin zusätzlich durch eine Wissenshierarchie und übermenschliche Fähigkeiten ihres Love Interest zementiert.

Auch in zahlreichen Romance-Novels ohne fantastische Elemente werden selten Beziehungen jenseits tradierter patriarchaler Muster entworfen – insbesondere im Fall von hetero-Beziehungen, da es hier noch immer eine viel größere Menge an wohltemperierten Klischees gibt, die man nur kurz aufwärmen muss. Letztlich bleiben Frauen dabei Objekte, die es zu hegen und zu schützen gilt; zerbrechliche schöne Dinge, die Mann jedoch auch selbst zerstören darf, sollten sie es wagen, einen eigenen Willen zu entwickeln.

Alter Wein in neuen Schläuchen?

In „You“ passieren alle diese Dinge nicht im Geheimen. Wir folgen Joes selbstgerechtem inneren Monolog aus Rechtfertigungen, Narzissmus und Verachtung ab der ersten Minute. Als Zuschauer*innen wird uns also in aller Deutlichkeit vorgeführt, dass der nur auf den allerersten Blick sympathisch wirkende Buchhändler ein misogyner Stalker und Serienmörder ist. Dennoch gehört es zu den kontroversen Aspekten der Serie, dass Joes Charme dieses Wissen zu überstrahlen scheint. Die Frage ist also: Wie kann es sein, dass viele Fans bis zum Schluss zu ihm halten? Ein Stück weit liegt das sicher daran, dass wir es mit einer klug inszenierten und gut besetzten Serie zu tun haben. Als Zuschauer*innen sind wir bereit, der Prämisse zu folgen und uns auf die Figuren einzulassen.

Dass dabei auch manipulatives Verhalten und Femizide als leicht konsumierbare Unterhaltung wahrgenommen werden können, liegt an den überraschenden Wendungen, der Freude an Absurdität und Überzeichnung sowie insbesondere dem Auskosten des komischen Potentials peinlicher Situationen. Auch wenn dieses Rezept schon in den früheren Staffeln angewendet wird, stellt die 5. Staffel mit der Storyline der Lockwood-Zwillinge Reagan und Maddie (beide: Anna Camp) einen Höhepunkt dar. Der Serie gelingt an vielen Stellen damit eine perfide Leichtigkeit, die fast über die Düsternis und Schwere hinwegtäuscht.

Die zweite Antwort auf die Frage lautet allerdings: Gewohnheit. Das, womit die Serie uns als Zuschauer*innen konfrontiert, ist für viele eine extrem dunkle und übersteigerte Karikatur alltäglicher Erfahrungen. Vieles kommt uns erschreckend bekannt vor. Wer schon einmal straight white men gedatet hat, wird früher oder später mit Aspekten von Joe konfrontiert worden sein: Der Typ, der von sich selbst denkt, er sei Feminist, aber eigentlich genauso misogyn ist wie diejenigen, auf die er herabschaut; der Typ, der am Anfang sehr viel Nähe sucht und einfordert, dann aber davon emotional überfordert ist; der Typ, der jetzt endlich mal auf seine eigenen Bedürfnisse achten will und im selben Atemzug die anderer missachtet; der Typ, der beleidigt und besitzergreifend reagiert, wenn du nicht schnell genug auf seine Nachrichten antwortest; der Typ, der dir nach der Trennung erklärt, dass du eigentlich nur ihn liebst; der Typ, der kein „Nein“ akzeptiert; der Typ, der defensiv wird, sobald du sein Verhalten kritisierst… Die Liste ließe sich beliebig lang fortsetzen.

Falsche Sicherheit

Das Wiedererkennen von Rollenerwartungen und Mustern bringt ein fatales Gefühl der Sicherheit mit sich. Dabei ist es unbedeutend, ob das Vertraute eigentlich schädlich ist. Es hilft bei der Orientierung, setzt den Rahmen für das, was wir uns für uns selbst und für unsere Beziehungen vorstellen können. In einer von patriarchalen Mustern geprägten Gesellschaft bedeutet das in der Konsequenz oft, dass Romantik und emotionale Manipulation so miteinander verstrickt sind, dass es unmöglich scheint, beides voneinander zu trennen. Das ist es, was „You“ in Szene setzt und letztlich seziert, was aber in zahllosen Romance-Erzählungen nahezu ungebrochen reproduziert wird.

Dabei scheint sich ein bestimmter Typ von Männlichkeitserzählung losgelöst vom Geschlecht der Autor*in durchzusetzen. Auch in Yarros Romanen ist es Violet, die den Großteil der emotionalen Care-Arbeit übernimmt. Das ändert sich auch nicht durch die Szenen, in denen Xaden mal an ihrem Krankenbett sitzt oder ihren Knöchel schient. Beides stärkt eher das Bild des Beschützers, eben weil es dabei um Ausnahmesituationen nach einem Unfall oder Kampf geht. Die Frage, wer daran arbeitet, dass die Kommunikation innerhalb der Beziehung überhaupt funktioniert, bleibt davon unberührt und mit unreflektierter Selbstverständlichkeit Aufgabe der weiblichen Figuren. Viel interessanter wäre es stattdessen, andere Beziehungsdynamiken zu erproben. Indirekt kann womöglich sogar eine Serie wie „You“ dazu beitragen, weil sie die Klischees so stark ausleuchtet und vor aller Augen dekonstruiert.

Kollektive Komplizenschaft

Zumindest für Penn Badgley war die Rolle des Joe Goldberg eine intensive Auseinandersetzung mit Männlichkeit, negativen Vorbildern und gesellschaftlich geprägten Erwartungen. In Interviews klingt es so, als sei er kurz davor, „Männlichkeit verraten“ zu wollen, wie der Autor Kim Posster es nennt.In der letzten Staffel wird diese gesellschaftliche Dimension deutlicher verhandelt als in den vorherigen. Die Bedingungen, die Joes Verhalten hervorgebracht, unterstützt und auch verdeckt haben, werden ebenso gezeigt wie die daraus resultierende kollektive Komplizenschaft. Auf der Figurenebene wird das durch Kate erzählt, die als Mitwisserin einiger Verbrechen Joe zunächst schützt und später lieber wegschaut, statt den dunklen Andeutungen und Ahnungen nachzugehen. Damit ermöglicht sie in der Folge weitere Übergriffe. Auch mit dem erzählerischen Nebenstrang um Dane wird noch einmal überdeutlich, dass Misogynie kein individuelles, sondern ein gesellschaftliches Problem ist. Ohne den Tarnmantel von Joes Charme zeigen Stalking und Objektifizierung, gemischt mit einem Selbstverständnis, das die Täter über andere stellt, ihr wahres Gesicht.

Nachdem Joe von einer Influencerin interviewt wurde, um zu einem Mord vor laufender Kamera Stellung zu beziehen (er inszeniert sich als reumütig und versichert, in Notwehr und ohne tödliche Absicht gehandelt zu haben), bekommt er Zuspruch aus der Manosphere. Statt Joe zu verurteilen, geben sie Bronte die Schuld und ergehen sich in Rachefantasien, bis einer ihren Aufenthaltsort herausfindet und teilt. Dass Joe sich zu diesem Zeitpunkt ebenfalls in diesem Forum aufhält, ebenfalls auf der Suche nach Bronte, und dann als selbstgerechter Retter auftritt, macht seine Heuchelei und die Ironie der gesamten Situation einmal mehr deutlich. Er folgt Bronte, wird Zeuge eines Entführungsversuchs und entführt seinerseits den gescheiterten Entführer, Dane. Im Käfig offenbart dieser sein geschlossen misogynes Weltbild.

Obwohl er sich natürlich selbst ganz anders sieht als die Männer, die ihren Hass auf Frauen samt Gewaltfantasien ins Internet schreiben, ist Joe – so die deutliche Implikation – eigentlich einer von ihnen. Dane und die übrigen Incels zeigen damit einen Weg auf, den er womöglich gegangen wäre, wenn er nicht über so viel Charme und kulturelles Kapital verfügt hätte. Das Problem ist also nicht ein einzelner Mann, sondern ein System von strukturellen Dynamiken, von denen immer noch zu viele zu profitieren scheinen, um es tatsächlich zu ändern.

Männer wie Joe

Anders als in den vorherigen Staffeln hat Joe – wenn auch sehr kurze – Momente der Selbsterkenntnis. Nachdem er gegen Ende der vierten Staffel in London erkannt und akzeptiert hat, dass das Morden zu ihm gehört, hat er sich allerdings eine neue Rechtfertigungs- und Bewältigungsstrategie zugelegt. Statt den mordenden Teil weiterhin von sich abzuspalten („This is not me! This is not who I am! It’s Love’s / Moody’s / somebody else’s fault!“), sieht er sich nunmehr als rechtmäßiger Beschützer und mordet nur, wenn er damit seine Familie oder diejenigen, die er liebt, beschützen kann, gerne auch gegen deren Willen. Von den Killer-Kink-Liebesbriefen, die er im Gefängnis erhält, ist dann allerdings sogar er irritiert: „Haben wir als Gesellschaft ein Problem?“, fragt er sich und lässt direkt eine seiner routinierten Rechtfertigungen folgen, die ihn davon abhält, männliche Gewalt als ein strukturelles Problem zu begreifen, das er selbst reproduziert, denn: „Verletzte Menschen verletzen Menschen. Ich hatte nie eine Chance!“

So wenig wie „You“ eine Serie über einen missverstandenen jungen Mann auf der Suche nach der großen Liebe ist, so wenig harmlos ist die Reproduktion konservativer Vorstellungen in neuen Kostümen. Die verstrickten Beziehungen im Patriarchat bringt Bronte im Showdown auf den Punkt: „We need the fantasy of men like you to cope with the reality of men like you.“ Die ästhetische Ambivalenz des romantischen Diskurses, an dem die Serie gleichermaßen partizipiert, tritt hier überdeutlich hervor. Auf diesem schmalen Grat zwischen Faszination und Abscheu navigiert die Serie. Joes Charme ist dabei das Puzzleteil, ohne das die narrative Struktur nicht über fünf Staffeln tragen würde. Bei der gleichzeitig geringen Charakterentwicklung ist das an sich schon eine Leistung.

Foto von Alex Smyntyna auf Unsplash

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