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Im Western nichts Neues? Zur Aktualität eines Genres, das es in Deutschland schwer hat. 

von Oliver Pöttgen

Wenn ich Leute frage, ob sie Western mögen, winken sie oft ab. „Filme von Männern über Männer auf Pferden.“, spottete meine Freundin neulich, als ich vorschlug, die Serie Django zu schauen. Das Genre hat es gerade in Deutschland nicht leicht: Das Wort „Western“ ruft hier ein assoziatives Gemisch hervor, in dem sich Karl May, Bully Herbig, Bud Spencer oder Clint Eastwood und die Macho-Welt der Italo-Western versammeln. Ein Sammelsurium aus Winnetou, Der Schuh des Manitu, Vier Fäuste für ein Halleluja oder Spiel mir das Lied vom Tod. Im Osten Deutschlands kommen als Erbe des DDR-Kinos noch die sogenannten „DEFA-Indianerfilme“ hinzu, wie Spur des Falken oder Tödlicher Irrtum, denen zugutezuhalten ist, dass sie mit antikolonialistischem Ansatz die Perspektive von Nordamerikas Ureinwohner*innen ins Zentrum ihrer Erzählungen rückten. 

In dieser Gemengelage sind besonders die Karl-May-Stoffe ein Problemfeld, das mittlerweile auch politisch aufgeladen ist, wie 2022 die Winnetou-Debatte zeigte. Karl May und seine Geschichten aus fernen Regionen scheinen für manche ein Nationalschatz zu sein, der, um in der Sprache des Genres zu sprechen, bis aufs Messer verteidigt werden muss – gern auch im Winnetou-Kostüm. Als stünde die eigene, oft verklärte Kindheit am Pranger und als wäre die Unschuld sonntäglicher TV-Nachmittage bedroht, als Der Schatz im Silbersee im ZDF gezeigt wurde und der Winnetou-Darsteller Pierre Brice einer der größten Stars in Deutschland war. Als es noch kein Gendersternchen und keine oder wenig Kritik an diskriminierenden Begriffen gab; als Frauen noch von männlichen Helden gerettet werden mussten und unter den Glorreichen Sieben nur weiße Männer waren.

Western und ihre Ästhetiken haben Konjunktur

Hierzulande scheint der Western, gerade durch die Strahlkraft der Karl-May-Filme, ein Genre für die Boomer-Generation zu sein, das mitunter reaktionäre Fantasien bespielt oder zumindest durch solche vereinnahmt wird. „Winnetou würde AfD wählen.“, stand im September 2022 auf einem AfD-Banner. Ein solches Bild vom Western und seinen narrativen Welten verstellt den Blick darauf, dass sich in dem Genre in den vergangenen Jahren viel getan hat. Das „über die Maßen resiliente“ Western-Genre erlebt, nicht zum ersten Mal, ein Revival, auch abseits des Mediums Film. [1] Geradezu symbolhaft für das Revival des Westerns steht, dass der kürzlich verstorbene Schriftsteller und Pulitzer-Preisträger Cormac McCarthy vor seinem Tod noch ein Drehbuch zu seinem Western-Epos Blood Meridian schrieb und auch ausführender Produzent des geplanten Films sein sollte. Frühere Versuche der Verfilmung des bereits 1985 erschienenen Romans waren stets gescheitert.

Die Gründe für dieses Revival mögen mit, seit den Trump-Jahren sehr deutlich sichtbaren, soziopolitischen Entwicklungen in den USA zusammenhängen. Die Republikanische Partei radikalisiere sich immer mehr und stürze in den Faschismus ab, schreibt die USA-Expertin Annika Brockschmidt. Der Kampf zwischen Altem und Neuem tobt zur Zeit gerade dort besonders heftig – und ist ein wichtiges Thema von Western-Erzählungen. Historisch war der Western für die USA oft Medium zur Vermittlung und Verhandlung nationaler Geschichte und Identität. Er gilt als Nationalmythos und in einer sehr weißen Perspektive auf die Geschichte Nordamerikas als „ur-amerikanisch“. Western-Geschichten sind als Mittel US-amerikanischer Identitätsverhandlung etabliert und können deshalb besonders geeignet dafür sein, auch die US-Gegenwart erzählerisch zu verarbeiten. Über soziokulturelle Millieugrenzen hinweg kann das Genre Antworten auf die Frage „Wie wollen wir sein?“ liefern.

Medienübergreifend hat jedenfalls die Zahl der Veröffentlichungen zugenommen, die sich eindeutig als Western kategorisieren lassen oder die Anleihen im Genre nehmen und audiovisuell mit Western-Ästhetiken oder erzählerisch mit Western-Themen spielen. Solche Themen sind etwa die pionierhafte Eroberung neuer Lebenswelten und deren Ausbeutung, das Ringen des Menschen mit den Kräften der Natur oder das Streben des Individuums nach Besitz und Selbstbestimmung in einem „sozial immer prekären Raum.“ [2] Zu den prominentesten Beispielen für Western-Einflüsse zählen zwei der aktuell erfolgreichsten Serien: The Last of Us und The Mandalorian. Besonders in The Mandalorian sind die Anleihen so deutlich, dass die in der Star-Wars-Welt angesiedelte Serie als Weltraum-Western gilt. Eine Hauptrolle in beiden Serien spielt Pedro Pascal, der bald auch in dem Kurzfilm-Western Strange Way of Life zu sehen sein wird, an der Seite von Ethan Hawke und unter der Regie von Pedro Almodóvar. Der Film wird als queerer Western vermarktet, als Almodóvars Antwort auf Ang Lees Brokeback Mountain (2005), der von der Liebe zwischen zwei Cowboys erzählt. Um Homosexualität unter Männern und Männlichkeitsbilder geht es auch in The Power of the Dog (2021) mit Benedict Cumberbatch und Kirsten Dunst. Der Film lässt sich als revisionistischer Western lesen und sei ein Beispiel für den „wider trend of women reinventing the Western“, schreibt der Filmkritiker Eric Kohn. Autorin und Regisseurin des Films ist Jane Campion.

Weitere bekannte Schauspieler*innen, die sich in den vergangenen Jahren am Western-Genre versucht haben, sind Matthew McConaughey (Free State of Jones, 2016), Jessica Chastain (Woman Walks Ahead, 2017), Christian Bale (Hostiles, 2017) oder Rachel Brosnahan (Dead for a Dollar, 2022). In letzterem spielen auch Willem Dafoe und Christoph Waltz mit, der schon in Quentin Tarantinos Django Unchained (2012) auftrat. Die Altstars Anthony Hopkins und Ed Harris sind in Westworld (seit 2016) zu sehen: Die Serie ist, vor allem in den ersten zwei Staffeln, ein Sci-Fi-Western, in dem Besucher*innen eines gigantischen Western-Parks mit sehr vermenschlichten Androiden „Wilder Westen“ spielen können. Kevin Costner, der mit Dances with Wolves (1990) wohl einen der bekanntesten Western-Filme geschaffen hat, spielt seit 2018 eine Hauptrolle in der Neo-Western-Serie Yellowstone. Sie verhandelt Western-Themen in der Gegenwart und wird von manchen als reaktionär wahrgenommen, als „celebration of the old’s ruthless fight to retain what it has, and believes in“. An Yellowstone lässt sich das Western-Revival besonders deutlich festmachen. Ihr Erfolg hat bisher zu nicht weniger als drei Spin-off-Serien geführt: 1883 und 1923 sind bereits erschienen, 6666 könnte 2024 folgen. In den Spin-offs spielen unter anderem Helen Mirren, Harrison Ford und Sam Elliott mit.

Hart an der Grenze

2017 sorgte die Mini-Serie Godless für Aufsehen, weil sie von Netflix als feministischer Western beworben wurde. „Frauen können im Western niemals Helden sein. Das würde das Ende des Genres bedeuten.“, schrieb 1988 die Filmhistorikerin Pam Cook. [3] Bereits damals mag dieses Urteil etwas zu rigoros ausgefallen sein, schließlich nennt Cook selbst einige Filme, für die sie zumindest Ansätze weiblicher Held*innenschaft verzeichnet, wie Calamity Jane (1953) oder Hannie Caulder (1971). Das zentrale Kriterium für wirkliche Held*innenschaft scheint in Cooks Augen zu sein, inwiefern weibliche Figuren bis zum Schluss der Erzählungen tradierte Geschlechterrollen übertreten  dürfen, ob die Revolverheldin Revolverheldin bleibt oder schließlich doch zur Hausfrau und Mutter wird. Das ist eine, auch für Western, sehr diskutable Sicht auf Held*innenschaft, erklärt aber, warum es für Cook bis 1988 nur einen Western gegeben haben dürfte, bei dem sie zweifelsfrei von einer Heldin sprechen würde: Johnny Guitar (1954; mit Joan Crawford). Es sei der Film, mit dem „Hollywood einem feministischen Western am nächsten kam.“ [4] Sein deutscher Titel hat den Zusatz „Wenn Frauen hassen“, was wohl auf die vermeintliche Unerhörtheit dieses Zustands anspielen sollte.

US-Filmplakat für Johnny Guitar (1954)

Die Netflix-Serie Godless jedenfalls zeigt, wie vor ihr auch schon The Quick and the Dead (1995; mit Sharon Stone) oder Bandidas (2006; mit Salma Hayek und Penélope Cruz), dass Frauen sehr wohl Western-Heldinnen sein können – selbst wenn sie in Godless, wie bemängelt wurde, nicht ohne die Hilfe von Männern auskommen. Aus feministischer Sicht ist allein schon der große shoot-out bemerkenswert, bei dem Frauen ihren Ort gegen den Angriff einer Bande verteidigen. Western sind oft auch Action-Filme, manche mehr, andere weniger, und was Godless hier bietet, muss sich vor Sam Peckinpahs Genre-Klassiker The Wild Bunch (1969) nicht verstecken. Inwiefern Feminismus und todbringende Gewalt vereinbar sind, ist eine andere Frage. Sie stellt sich aber weniger, wenn Gewalt, wie hier, der Selbstverteidigung dient.

Western-Erzählungen haben also wieder Konjunktur. Sie waren zwar nie wirklich weg, wie auch die mitunter shakespearesk anmutende Serie Deadwood (2004-2006) zeigt, aber seit einigen Jahren blüht das Genre wieder besonders auf. Das gilt nicht nur für Filme oder Serien, auch bei Videospielen, hier sei vor allem Red Dead Redemption 2 (2018) genannt, und nicht zuletzt in der Belletristik ist eine Zunahme von Werken zu verzeichnen, die sich als Western ausgeben oder in denen Western-Einflüsse deutlich werden.

Für letzteres ist Robert Harris’ Roman Act of Oblivion (2022) ein Beispiel. Er spielt zwar im 17. Jahrhundert und an der Ostküste Nordamerikas, also in einer anderen Zeit und an einem anderen Ort, als Western es für gewöhnlich tun. Westernesk sind aber die Flucht der Hauptfiguren und die Jagd nach ihnen, ihr Verstecken und ihr Überlebenskampf in der Wildnis und an der besiedelten Grenze zu Gebieten, in die die Kolonialmächte noch nicht vorgedrungen waren – oder, um ein Schlüsselwort des Western-Diskurses aufzugreifen: an der Frontier. Hier zeigen sich Parallelen zu Filmen wie The Last of the Mohicans (1992) oder The Revenant (2015; mit Leonardo diCaprio), die zeitlich und örtlich ebenfalls nicht im „Wilden Westen“ spielen, aber mit ähnlicher Ästhetik und Erzählweise dieselben Themen haben wie Western, deren Geschichten sich genretypischer ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in westlichen Bundesstaaten der USA entfalten.

Es tut sich allerdings nicht nur quantitativ etwas, auch qualitativ ist einiges im Gang. Das Western-Genre entwickelt sich inhaltlich weiter und scheint sich dabei, zumindest in Teilen, erstaunlich gut mit Gegenwartsthemen verbinden zu lassen. Vielleicht würden nicht wenige, die das Genre bisher als altbacken wahrgenommen haben, staunen, was in Western-Erzählungen heute passiert. Für konservative und rechtsreaktionäre Rezipient*innen war das Genre lange Zeit ein sicherer Hafen, weil es ihre Sicht auf die Ordnung der Welt nur selten gestört hat. Stattdessen würde man sich heute nicht über US-Republikaner*innen wundern, die sich darüber echauffieren, der Western sei „woke“ geworden. 

Wenn Schwarze Öl finden: Western als Geschichten nicht-weißer Ermächtigung

Die Serie Django wurde im Februar 2023 auf Sky veröffentlicht und ist ein prägnantes Beispiel für Western-Serien, die aktuell auf Streaming-Plattformen laufen. Weitere sind Hell on Wheels (2011-2016), The Ballad of Buster Scruggs (2018) oder The Head Of Joaquín Murrieta (2023). Laut Sky ist Django eine „zeitgemäße Neuinterpretation“ der Django-Filme, die zu den bekanntesten Italo-Western zählen. Deren Hauptdarsteller Franco Nero hat in Django einen Gastauftritt als Priester. Die Figur des Django spielt Matthias Schoenaerts.

Noomi Rapace und Nicholas Pinnock in der seit Februar 2023 auf Sky laufenden Serie Django, © 2021 Cattleya Srl

Bemerkenswert ist Django im Rahmen dieses Textes vor allem, weil die Serie hinsichtlich Machtverhältnissen zwischen Geschlechtern und zwischen Hautfarben in Western ein Novum darstellen dürfte: Im Mittelpunkt steht kein Konflikt zwischen (weißen) Männern, sondern zwischen einem Schwarzen (John Ellis, gespielt von Nicholas Pinnock) und einer Weißen (Elizabeth, gespielt von Noomi Rapace). Als Patriarch und Matriarchin stehen sie ihren Familien und Gemeinden vor und sind ausgesprochene Machtmenschen. Das gilt besonders für Elizabeth, die als mehrdimensionale Bösewichtin angelegt ist, also einen Part einnimmt, der in Western meist männlichen Figuren vorbehalten war. Waffenkundig wie sie ist, lässt sie nicht nur töten, sondern tötet auch selbst. Sie ist eine christliche Fanatikerin, Rassistin und Anhängerin der Südstaaten, die kurz zuvor den Bürgerkrieg verloren haben. John Ellis hat darin als Offizier auf Seiten der Nordstaaten gekämpft, was auch in der US-Flagge zum Ausdruck kommt, die am Tor seiner Siedlung New Babylon in Texas weht. Hingegen flattert im Ort, den Elizabeth kontrolliert, die Flagge der Südstaaten. Ellis hat New Babylon, das an ein westerntypisches Fort erinnert und somit als Symbol für das Leben an einer Grenze steht, als Enklave für Ausgestoßene gegründet und führt es mit seinen Söhnen. Das als gesellschaftliche Utopie und idealisierte USA im Kleinen lesbare New Babylon ist Elizabeth ein Dorn im Auge, umso mehr, als dort Öl gefunden wird.

In Django sind Schwarze nicht nur Western-Helden, die weiße Banditen töten, sie haben auch Öl. Sie haben den Rohstoff, der ein Symbol für Macht und eine Quelle weißen Reichtums und nationalen Wohlstands der USA ist. Die Szene, in der plötzlich Öl aus dem Bohrloch schießt und auf Schwarze niederregnet, dürfte eine der erinnerungswürdigsten Öl-Fund-Szenen der Western-, wenn nicht Filmgeschichte sein. Ganz besonders diese Szene symbolisiert in Django, dass Western keine Geschichten mit vorwiegend weißen Held*innen mehr sind oder sein müssen. Schwarze als Hauptfiguren in Western sind zwar nicht völlig neu, siehe etwa Unforgiven (1992) oder die Blaxploitation-Western der 1970er-Jahre, bemerkenswert aber ist, gerade im Spiegel heutiger Machtverhältnisse zwischen Weißen und Schwarzen, mit welcher Macht Schwarze in Django versehen sind und mit welcher Wucht sie als Kollektiv ihren Interessen nachgehen.

Queer mit Colt: Western als Widerstandserzählung für Marginalisierte 

Weitere Beispiele für die in Django sichtbare Diversifizierung von Figuren und Themen in Western-Erzählungen sind die Romane Outlawed (2021) von Anna North und The Thousand Crimes of Ming Tsu (2022) von Tom Lin. Für beide Romane sind Umsetzungen als TV-Serie geplant. Outlawed lässt sich als queerfeministischer Western lesen, der Diskriminierungs- und Gewalterfahrungen heterosexueller cis Frauen mit denen queerer Figuren zusammendenkt. So eine Figur ist besonders „The Kid“, der*die als nicht-binär erzählt wird und Anführer*in der Bande ist, der sich Ada, die weibliche Hauptfigur, anschließt. Die Gruppe hat in der Wildnis ein Lager, das als safe space dient, als Schutzort für Ausgestoßene, die geschlechtlichen oder sexuellen Normen der Dominanzgesellschaft nicht entsprechen und verfolgt werden. Davon besonders betroffen sind gebährfähige Menschen, die sich der Fortpflanzung und der Mutterrolle verweigern. Die Geschichte kommt ohne Bösewicht*in in Form einer Figur aus: Die Bösewichtin ist, wenn man so will, die Dominanzgesellschaft, das Patriarchat, verkörpert insbesondere durch Sheriffs. 

Im Kleid des Westerns verhandelt Anna North in Outlawed sehr aktuelle Themen, wie ein Blick auf Entwicklungen in (nicht nur) den USA hinsichtlich Abtreibungsrecht oder Anti-Transgender-Politik zeigt. Dabei erzählt sie Marginalisierte nicht bloß als Opfer, sondern als Handelnde, als sich Organisierende und Wehrende, notfalls mit Waffen. Outlawed ist eine Geschichte über erfolgreichen, wenn nötig gewaltsamen Widerstand gegen Diskriminierung und Verfolgung, eine Geschichte über Ermächtigung und Überleben. Im Kontext gegenwärtiger politischer Ereignisse mag dieser Western ein Mutmacher für Marginalisierte sein. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch, wie sehr sich Outlawed und andere Western heute als Polizeikritik deuten lassen. Teils wirkt es, als führten die Debatten um polizeilichen Machtmissbrauch, Rassismus und Polizeigewalt zu einer in dieser Hinsicht kritischeren Darstellung von Western-Sheriffs.

„I’m not your Chinaman“: Western als Medium des Anti-Rassismus

Von Ermächtigung und Widerstand erzählt auch The Thousand Crimes of Ming Tsu. Im Roman von Tom Lin geht es um den Auftragskiller Ming Tsu, der chinesischer Abstammung ist und sich auf einen Rachefeldzug begibt, um seine weiße Frau, die er entführt wähnt, zu retten. Von Interesse ist neben der, wie bei Outlawed, hohen literarischen Qualität des durch magischen Realismus geprägten Romans auch seine Hauptfigur Ming Tsu. Mit ihr eignet sich Tom Lin als nicht-weißer Autor ein Genre an, das lange Zeit als sehr weiß galt. Zudem trägt er dazu bei, die Geschichte chinesischer Immigrant*innen und ihrer Nachkommen in den Nationalmythos der USA einzuschreiben.  

Ming Tsu ist als Kommentar gegen anti-asiatischen Rassismus lesbar. Die Figur bricht mit teils immer noch üblichen, klischeehaft-rassistischen Bildern von männlichen US-Amerikanern, die sich als chinese-american oder asian-american identifizieren. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gab es solche Begriffe noch nicht; im Roman fällt als Fremdzuschreibung oft der (abwertende) Ausdruck Chinaman. „I’m not your Chinaman.“, fährt Ming Tsu den Direktor an, der ihn als Begleitschutz für seine Zirkustruppe engagiert hat.

Der Bilderbruch besteht bei der Figur Ming Tsu darin, dass sie kein schwächlicher Nerd, namenloser Eisenbahn-Arbeiter oder durchtriebener Opportunist wie Mr. Wu in Deadwood ist. Ming Tsu ist mit Eigenschaften versehen, die vor allem weißen Western-Helden zugestanden wurden und werden. Er ist eine Kampfmaschine, die sich durch die Lande schießt; kaum ein Gegenspieler ist ihm gewachsen. Dabei bedient er sich – auch das ist ein Bruch mit Stereotypen – keiner ostasiatischen Kampfkunst, wie die Figur „Shanghai Joe“ in dem Italo-Martial-Arts-Western Der Mann mit der Kugelpeitsche (1974; italienischer Originaltitel: Il mio nome è Shanghai Joe), sondern nutzt Schusswaffen. Er ist ein Meister im Umgang mit ihnen und pflegt sie mit Liebe und Respekt. Damit macht sich die Figur ein Merkmal weißer Männlichkeit in den USA zu eigen, eines, auf dessen Ausbildung Western-Erzählungen signifikanten Einfluss gehabt haben dürften. Daneben ist Ming Tsu auch prinzipientreu, Liebhaber (weißer Frauen) und Ersatzvater; zudem zeichnen ihn Momente der Reue und Reflexion aus. Hier werden Spuren verletzlicher Männlichkeit sichtbar, die auch in der Serie Django eine Rolle spielt, etwa bei der Verarbeitung von Kriegstraumata oder der erotischen Annäherung zwischen Django und einer männlichen Nebenfigur.

Im Western viel Neues – aber wo sind die Ureinwohner*innen?

Bündelt man obige Eindrücke, spricht einiges dafür, dass das oft als wertkonservativ wahrgenommene Western-Genre eine Frischzellenkur durchläuft und seinen Weg in ein Heute findet, das um Inklusivität und ein anderes Verständnis von Männlichkeit bemüht ist. Die beschriebenen Phänomene sind zwar keine gänzlich neuen, haben sich in den zurückliegenden 10 Jahren aber verdichtet. Die Merkmale „weiß“ und „männlich“ sind heute bei Hauptfiguren (und Autor*innen von Western-Geschichten) weniger häufig anzutreffen und es ist zu beobachten, dass das Bewusstsein für die, historisch immer schon gegebene, Vielfalt menschlicher Sexualität und Geschlechtsidentitäten auch in Western-Erzählungen vermehrt Einzug hält. Hier zeigt besonders Outlawed von Anna North, wie kompatibel Queerness und Western-Narrative sein können, gerade hinsichtlich Themen wie der Behauptung gegenüber Autoritäten und dem Überleben in feindlich gesinnter Umwelt. 

In einem Bereich allerdings hat sich im Vergleich eher wenig getan: Die Repräsentation von Nordamerikas Ureinwohner*innen hat sich ab 1990, als Dances with Wolves hier neue Maßstäbe setzte, zwar deutlich verbessert, indigene Hauptfiguren sind aber nach wie vor selten. Und wenn es sie gibt, sind sie oft mit Veteran*innen wie Wes Studi besetzt, der vor allem durch seine Rollen in Geronimo (1993), Dances with Wolves, The Last of the Mohicans und zuletzt Hostiles der international bekannteste Darsteller indigener Charaktere in Western sein dürfte. Die Serie Yellowstone startete 2018 mit dem Anspruch, auch ein „authentic portrayal of Native life in America“ zu liefern. Nach nunmehr fünf Staffeln scheint das jedoch nur bedingt gelungen zu sein. Für Craig Falcon, Angehöriger der Blackfeet Nation in Montana und kultureller Berater bei The Revenant, ist Yellowstone ein Rückschritt: „We have a giant full-blood Native population here, but casting people and movie directors aren’t tapping into that population.“ Der Hollywood Diversity Report weist auch für 2022 einen verschwindend geringen Anteil indigener Menschen aus, die an der Produktion von Filmen und Serien beteiligt sind.

Es bleibt zu hoffen, dass das gegenwärtige Western-Revival dazu beiträgt, diese Situation zumindest etwas zu verbessern. Längst überfällig ist zum Beispiel eine Serie, die die Kolonialisierung des Westens der USA aus Sicht von Ureinwohner*innen erzählt. Als Genre hat der Western bei ihnen nach wie vor viel gutzumachen: „Aus der Vielfalt [indigener] Kulturen und Nationen, die in einem steten Austauschprozess begriffen waren, im Mittelpunkt einer ‚eigenen‘ Geschichte, wurde das statische Wesen [‚Ureinwohner*in‘], seiner Geschichte und Identität beraubt und zu einer Randerscheinung in der Geschichte der Weißen.“ [5]

[1] Anja Peltzer, Jörn Ahrens: Der Western der Gegenwart. Eine Einleitung, in: Anja Peltzer, Jörn Ahrens (Hrsg.): Politik der Grenze. Interdisziplinäre Perspektiven auf die Frontier im Western der Gegenwart, Halem, Köln, 2021, S. 7-26, S. 9.

[2] Ebenda, S.10. 

[3] Pam Cook: Frauen und der Western, in: Bert Rebhandl (Hrsg.): Western. Genre und Geschichte, Zsolnay, Wien, 2007, S. 82-92, S. 88.

[4] Ebenda, S. 90.
[5] Georg Seeßlen: Filmwissen: Western. Grundlagen des populären Films, Schüren, Marburg, 2011, S. 12. Im Zitat wurde an zwei Stellen ein aus Kolonialzeiten stammender Begriff ersetzt, der heute als diskriminierend gilt und von den Gemeinten abgelehnt wird.

Bild: ha11ok auf Pixabay

Die Sicht der anderen – Wie True Crime ethisch erzählen kann

von Isabella Caldart

Es müssen kaum noch Worte darüber verloren werden, wie beliebt True Crime ist. Spätestens seit dem Podcast „Serial“ (2014) ist die Popularität des Genres explodiert und hat mit dem Erfolg der Netflix-Serie „Monster: The Jeffrey Dahmer Story“ (2022) ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht. Werden wahre Verbrechen fiktionalisiert oder in Dokumentationen aufgearbeitet, so wird zumeist der Täter in den Fokus genommen und dadurch zur Identifikation mit ihm eingeladen – oder er wird sogar als Popstar stilisiert. Diese Art der Darstellung hat einen enormen Einfluss: Menschen mit Dahmer-Tattoos, der Verkauf von Murderabilia wie Dahmer-Ohrringe und -Decken, Eltern, die ihre Kinder zu Halloween als Dahmer verkleiden. Der Serienmörder wird allerorts gefeiert.

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„The Bear“: Eine verschwitzte Ode an die Gastronomie

von Leonard Schulz

Wenn man die aktuellen Produktionen der Serienlandschaft als Spiegel dessen betrachtet, was die Gesellschaft beschäftigt, dann zeigt die Arthouse-Serie „The Bear: King of Kitchen“, dass sich die Kulinarik als popkulturelles Trope auf einem neuen Höhepunkt befindet. Und dass sich ihre Darstellung gewandelt hat: Es geht nun nicht mehr bloß um die maximale Ästhetik von minimalistisch designten Gasträumen und aufwendig dekorierten Gerichten, sondern auch um die Arbeit dahinter: Blood, Sweat and Tears im Eifer des Küchengefechts.

Doch erstmal von vorne: die FX-Produktion „The Bear“ sorgte bereits vor Erscheinen für Aufmerksamkeit, was nicht zuletzt an dem perfekt sitzenden weißen T-Shirt des Hauptdarstellers Jeremy Allen White lag (sogar der Guardian berichtete über das Shirt der schwäbischen Textilmanufaktur Merz b. Schwanen). Als die Serie dann im Sommer in den USA herauskam, erhielt sie überdurchschnittlich gute Kritiken. Die Food-Szene Europas musste sich bis zum 5. Oktober gedulden, dann gab es auch hier durchweg positive Kritiken. Auf Rotten Tomatoes erreicht „The Bear“ sogar eine Bewertung von 100%.

Die Serie dreht sich um das Chicagoer Lokal „The Original Beef of Chicagoland“, das vor allem für seine italienisch angehauchten Sandwiches mit lange gegartem Rindfleisch bekannt ist. Es ist ein Nachbarschafts-Restaurant, das über die Jahre zwar einen gewissen Kultstatus erlangt hat, doch eigentlich nicht dem Niveau des jungen Sternekochs Carmy Berzatto (Jeremy Allen White) entspricht. Der ist hier nur Chefkoch, weil sein Bruder ihm das „Beef“ vermacht hat, bevor er zwei Monate vor dem Einsetzen der Erzählung Selbstmord begangen hat. Im Verlauf der acht rund dreißigminütigen Folgen geht es auf sensible Weise um den Umgang mit der Trauer, der Leere und die emotionale Starre, die der Suizid Michael „Mikey“ Berzattos in Carmy und den Angestellten des „Beef“ ausgelöst hat.

Seinen eigenen kulinarischen Anspruch muss Carmy zunächst erstmal runterschrauben, denn er will keines der bestehenden Crew-Mitglieder feuern und den Charakter des „Beef“ so gut wie möglich erhalten. Bald stolpert Sidney (Ayo Edibiri) ins „Beef“ und sucht eine Anstellung. Sie kommt ebenfalls aus dem Fine-Dining und wittert die Chance, an der Seite von Carmy Verantwortung als Sous-Chefin zu übernehmen. Doch im „Beef“ läuft es anders ab als in den Sterneküchen. Hier geht es um das reine Überleben: Lieferant:innen-Rechnungen bezahlen, (wortwörtliche) Brände löschen, sich mit Kleinkriminellen aus dem Block auseinandersetzen.

Zu allem Übel kommt noch hinzu, dass Carmys verstorbener Bruder einen Berg an Schulden bei einem Investor, der ein Bekannter der Familie ist, angehäuft hat, den es nun abzuzahlen gilt. Dazu muss Carmy auch mal mit dem besten Freund seines Bruders Richard (Ebon Moss-Bachrach), genannt Cousin, auf der Geburtstagsfeier des Investor-Sohnes Hot Dogs servieren. Mit Richard führt er eine Art Hassliebe, er war der Defacto-Manager des „Beef“ und steht, wie auch der Rest des Teams, Carmys Fine-Dining-Chichi skeptisch gegenüber.

Gemeinsam mit Sidney versucht Carmy Struktur in das Lokal zu bringen. Eine der eindrücklichsten Maßnahmen ist das Gebot des permanenten verbalen Kommunizierens: jede Frage muss jede:r Arbeiter:in mit einem lauten „Yes, Chef“ beantworten, bevor man mit etwas Schwerem oder Heißem um die Ecke geht, muss man laut „Corner!“ rufen (was natürlich nicht immer reibungslos klappt). Die klare Hierarchie der Küche mag auf den ersten Blick rigide und überholt wirken, doch sobald der Service beginnt, versteht man, weshalb es klare Zuständigkeiten braucht. Im Ausnahmezustand des laufenden Restaurantbetriebs muss jeder Arbeitsschritt perfekt sitzen. Vielleicht kein Film oder keine Serie hat bisher diese angespannte Atmosphäre so detailgetreu abgebildet.

„The Bear“ funktioniert als eine Art Kammerspiel, das sich fast ausschließlich auf den knapp bemessenen Quadratmetern der Küche abspielt. Die Kamera ist extrem nah am Geschehen. Das wirkt manchmal fast übertrieben, doch es fängt die Enge und die hitzige Atmosphäre einer Profi-Küche ein, als ob man eine sehr fein beobachtete Doku schauen würde. Bisweilen lösen die extrem elegant durchchoreographierten Kamerasequenzen sogar ein regelrechtes Gefühl der Beklemmung aus: Wann wird sich wohl jemand schneiden oder verbrennen, wann platzt Sidney der Kragen? Eine solche Intensität ist selten zu sehen, sie erinnert an das Safdie-Brothers-Meisterwerk Uncut Gems. Der Rolling Stone titelte: ”‘The Bear’ Is the Most Stressful Thing on TV Right Now. It’s also great“.

Episode 7 namens “The Review” treibt dieses Spiel auf die Spitze: sie besteht aus einem 20-minütigen One-Shot. Circa vier oder fünf Mal soll das Ensemble die Sequenz gedreht haben. In einem Interview mit “Indiewire” sagte Hauptdarsteller White, dass One-Shots in vielen Fällen bloß ein Mittel sein, um Eindruck zu schinden. Nicht in ihrem Fall: „But I think in our case, it really lends itself to the story“. Das Argument lässt sich gut nachvollziehen. Im deutschen Indie-One-Shot-Wunder Victoria etwa fragte man sich trotz aller Bewunderung für den cineastischen Innovationsgeist an mancher Stelle, wie genau der One-Take-Modus dramaturgisch begründet ist. Anders bei “The Bear”: hier erzeugen die zwanzig Minuten Schnittlosigkeit eine sich immer weiter hochschaukelnde Anspannung (selbst wenn man gar nicht unbedingt wahrnimmt, dass nicht geschnitten wird).

“The Bear” hat den Anspruch, ein möglichst genaues und – Achtung, Unwort – authentisches Bild der Welten zu zeichnen, die es behandelt. Dazu werden einige geschickte Spielereien auf der Meta-Ebene genutzt: der kanadische Celebrity-Koch und Internetphänomen Matthy Mattheson hat eine Cameo-Rolle. Jedoch kocht er nicht, sondern repariert. Er ist der Handwerker des „Beef“, der gerufen wird, wenn etwas kaputt geht.  Das spielerische Verschwimmen-Lassen von Fakt und Fiktion erinnert an den literarischen Trend der Autofiktion, nur andersherum gedacht: nicht wird etwas Faktisches wie eine Biographie in einer Geschichte gegossen, sondern das Fiktionale um Elemente des Faktischen ergänzt. Dies kann man als Versuch der paratextuellen Verdichtung sehen, um ein noch höheres Maß an Authentizität zu erreichen.

Solche Anbindung an reale Begebenheiten finden sich auch in dem Versuch der Serie, die Stadt Chicago möglichst originalgetreu zu porträtieren. Italian Beef Sandwiches sind tatsächlich im Chicago der 1930er-Jahre entstanden und bis heute dort ein signature-dish. Das „The Beef“ ist ebenfalls einem echten Laden nachempfunden, dem Deli „Mr Beef“. Zu Beginn vieler Episoden werden Schnittbilder gezeigt, die so dringend das Lebensgefühl der Stadt einfangen wollen, dass man selbst ohne dort gewesen zu sein, ihren Kitsch spürt – einmal sogar zu den Klängen von Sufjan Stevens „Chicago“. Das wäre vermutlich so, als würde man heute eine Berlin-Serie mit „Alles neu“ von Peter Fox unterlegen. In der Tat finden sich im Netz einige Blog- & Newsletter-Texte von Chicagoer:innen , die sich über die Darstellung der Stadt in „The Bear“ echauffieren. Ihr größter Kritikpunkt ist, dass das Viertel River North, in dem sowohl das Serien-Bistro „The Beef“ als auch das echte „Mr Beef“ liegen, als hartes Arbeiter:innen-Viertel gezeichnet wird, das kurz vor der Gentrifizierung steht. Tatsächlich ist das Viertel schon seit Ewigkeiten gentrifiziert, nach Manhattan besitzt es die größte Galerie-Dichte der USA.

Doch auch wenn das Chicago-Porträt nicht so richtig gelingt, zeigt „The Bear“ mit seinem Gentrifizierungs-Plot trotzdem, dass es nicht nur an der rein ästhetischen Seite von Essen und Restaurants interessiert ist, sondern auch an seiner soziologischen Einbettung in die Gesellschaft. Denn auch das ist Kulinarik: ein Distinktionsmerkmal zur Darstellung von Klassenzugehörigkeit. Im Verlauf der Staffel entspinnt sich eine Diskussion darüber, ob der Laden zukünftig ein Risotto anbieten solle – hier als Symbol für gehobene Küche gemeint. Beim Zuschauen ist man hin- und hergerissen: einerseits will man, dass das Lokal seinen urigen Charme und Legendenstatus im Viertel behält, andererseits weiß man genau: gehobene Küche bringt mehr Geld ergo bessere Arbeitsbedingungen für die Arbeiter:innen. Dass es sich die Serie an dieser Stelle nicht zu einfach macht, ist einer ihrer größten Pluspunkte.

Überhaupt wirkt das Ganze sehr erfrischend, denn „The Bear“ zeigt Kulinarik von einer neuen Seite. Das ist gar nicht so einfach gewesen, denn Essen spielt schon lange eine wichtige Rolle in Film und Fernsehen. In Arthouse-Filmen wie “Eat Drink Man Woman”, “Babettes Fest” oder “Tampopo” wird zwar gezeigt, dass Kochen harte Arbeit ist, aber am Ende steht dann das Essen doch meist für etwas Mystisch-Magisches. Gerichte, die psychische Wunden heilen oder alte Konflikte durch Genuss befrieden. Dieser Heiland-Rolle muss das Essen auch visuell entsprechen, deswegen wird es oft ästhetisch überstilisiert. Ein hervorragendes Beispiel sind die märchenhaften Filme des Animationsmeisters Hayao Myazaki und seinem Studio Ghibli, über dessen sinnliche Darstellung von Essen es sogar Video-Essays gibt.

Diese Überstilisierung von Essen findet sich auch bei der Netflix-Doku-Serie “Chef’s Table”, deren Episoden schon fast als Werbung für das jeweilige Restaurant gelesen werden können. Auch die Reise-Sendung „Somebody Feed Phil“ oder Live-Koch-Shows schaffen es kaum, Essen aus einer anderen als der extrem appetitanregenden Perspektive zu zeigen, wie sie auch in Instagram-Reels oder TikTok-Videos propagiert wird (mit Ausnahme vielleicht von “Ugly Delicious”, das die soziokulturelle Geschichte von Gerichten beleuchtet). Bisher medial kaum gezeigte Seiten der Kulinarik wie Schweiß, Stress, Prekarität, aber auch Gemeinschaftsgefühl und Leidenschaft in der Küche werden in „The Bear“ in den Vordergrund gerückt. Damit schafft die Show es realistisch zu zeigen, was für ein Leben und welcher Alltag hinter dem ganzen Essen steckt, das unseren Appetit anregt.

Beitragsbild von Lasse Bergqvist

Missbrauch, Kontrolle, sexualisierte Gewalt – Armie Hammer und das Erbe einer Dynastie

von Isabella Caldart

Content Warnung: Vergewaltigung, psychische und physische Gewalt, Gaslighting, Kannibalismusfantasien, Mord

Es ist die Bilderbuchfamilie, die Bilderbuchkarriere, das Bilderbuchleben. Ein großer blonder Mann mit breiten Schultern und All-American-Lächeln, mit der perfekten Ehefrau, zwei Kindern, einer reichen Dynastie im Hintergrund, Filmhits wie „The Social Network“, „On The Basis of Sex“ und vor allem „Call Me By Your Name“. Auch die Scheidung nach zehn Jahren Ehe, die im Juli 2020 bekanntgegeben wurde, kratzte nicht an seinem Image. Die Zukunft sah großartig aus für Armie Hammer. Bis im Januar 2021 ein anonymer Instagram-Account namens „House of Effie“ den Hollywood-Schauspieler unerwartet zu Fall brachte.

Von „House of Effie” zu „House of Hammer”

Am 10. Januar 2021 veröffentlichte „House of Effie“ auf Instagram zahlreiche DMs, die angeblich von Armie Hammer stammten. In diesen DMs schilderte er detailliert seine sexuellen Vorlieben, viele davon mit gewalttätigem Inhalt, einige davon beschreiben kannibalistische Fantasien („Ich bin zu 100 % ein Kannibale“). Vor allem Letztere ging in den sozialen Medien viral und sorgte für viele Witze und Memes. Witzig ist diese Geschichte aber ganz und gar nicht: Im März 2021 wurde Hammer von einer Frau namens Effie (mutmaßlich der Inhaberin des Instagram-Accounts) der Vergewaltigung und des physischen und psychischen Missbrauchs bezichtigt. Laut Effie lernten sie sich im Jahr 2016 über Facebook kennen, als Effie 20 Jahre alt war (Armie Hammer ist 1986 geboren), und führten dann eine vier Jahre dauernde On/Off-Beziehung, in der Hammer Effie kontrolliert, dominiert und missbraucht haben soll.

„Am 24. April 2017 vergewaltigte mich Armie Hammer über vier Stunden lang in Los Angeles, wobei er meinen Kopf wiederholt gegen eine Wand schlug und mein Gesicht verletzte“, sagte Effie in einem Videostatement. „Er beging auch andere Gewalttaten gegen mich, in die ich nicht eingewilligt habe.“ Laut einer der vielen privaten Nachrichten, die „House of Effie“ im Januar veröffentlichte, habe Hammer ihr danach geschrieben: „Du warst die intensivste und extremste Version, die ich je hatte. Dich auf dem Boden zu vergewaltigen, ein Messer gegen dich gerichtet. Alles andere wirkt langweilig. Wie du geweint und geschrien hast und ich über dir stand. Ich fühlte mich wie ein Gott. Ich habe noch nie solche Macht und Intensität verspürt.“

Nur wenige Tage nach dem Nachrichten-Leak ging Armie Hammers Ex-Freundin Courtney Vucekovich an die Öffentlichkeit und bestätigte dessen angebliche kannibalistischen Neigungen: „Er sagte zu mir, er wolle meine Rippe brechen, sie grillen und essen.“ Vucekovich ist eine der Schlüsselfiguren der dreiteiligen Dokuserie „House of Hammer“, die Anfang September auf dem Streamingdienst Discovery+ anlief. „House of Hammer“ geht aber einen großen Schritt weiter. Es geht nicht nur um Armie Hammer und die Vorwürfe der Vergewaltigung, des Missbrauchs, der psychischen Gewalt, Manipulation und Nötigung – es geht um die gesamte Hammer-Dynastie und die Frage: Wird solches Verhalten möglicherweise vererbt?

Gegenderte Gewalt der Hammer-Männer

Gewalt, das dröselt die Doku auf, ist ein integraler Teil der Hammer-Männer, und sie reicht viele Generationen zurück. (Ein Jahr vor „House of Hammer“ hatte Vanity Fair schon ein sehr ausführliches Porträt über die Familie und die Missbrauchsvorwürfe gegen Armie veröffentlicht.) Casey Hammer, Armie Hammers Tante, ist neben Vucekovich die zweite wichtige Augenzeugin in „House of Hammer“. Sie ist seit langem von ihrer Familie entfremdet und hat die Machenschaften der Hammer-Dynastie bereits in ihrem selbstverlegten Memoir „Surviving My Birthright“ (2015) geschildert.

Begründer dieser Dynastie und Patriarch war Armand Hammer (1898-1990), der als Inhaber des Erdöl- und Erdgasunternehmens Occidental Petroleum das Familienvermögen erwarb. Sowohl Armand als auch sein Sohn Julian sowie dessen Sohn Michael – Caseys Bruder und Armies Vater – haben laut Casey und „House of Hammer“ Zeit ihres Lebens (Julian starb 1996, Michael lebt noch) Frauen unterdrückt und misshandelt. „Jede Generation in meiner Familie war in dunkle Machenschaften verwickelt, und es wird immer schlimmer“, sagt Casey Hammer in der Doku. Armand Hammer soll eine Geliebte gehabt haben, die stets auf Abruf all seinen sexuellen Forderungen bereitstand; in den Scheidungspapieren von seiner zweiten Frau heißt es über ihn, er sei „ein Meister der psychologischen Kriegsführung“ gewesen.

Julian feierte bei sich zu Hause oft Partys in großem Stil, auf denen es nicht nur Schalen voller Kokain gab, sondern immer auch sehr junge Frauen anwesend waren, viele sogar noch minderjährig; auch sein Sohn Michael war bei diesen Partys anwesend. Julian, so sagt Casey, habe seine Ehefrau regelmäßig verprügelt, die mit ihrer Tochter jedes Mal ins Motel floh, bis sie sich Jahre später endlich trennen konnte. Casey erinnert sich auch an eine dieser Partys, auf denen sie als kleines Mädchen ein Telefonbuch neben ihren Kopf halten solle, damit ihr Vater darauf schießen könne – zwecks Entertainments seiner Gäste. In der dritten Folge von „House of Hammer“ sagt Casey außerdem, durch eine triggernde Situation später in ihrem Leben habe sie sich an ein weiteres Kindheitstrauma erinnert: Ihr Vater habe sie sexuell missbraucht.

Korrupte Millionärsfamilie

Mindestens genauso brisant sind die politischen Verwicklungen der Familie. Julius Hammer, Armands Vater, wird nur kurz erwähnt – er wurde im 19. Jahrhundert im Russischen Kaiserreich geboren, war dann Mitbegründer der Kommunistischen Partei in den USA (daher auch der Name seines Sohns, der für „Arm and Hammer“ stehen soll), und auch Armand hatte Verbindungen zur Sowjetunion – zu keinem Geringeren als Lenin und Stalin –, half den Sowjets, Geld in den USA zu waschen und führte sein Ölimperium später zu so großem Erfolg, weil er freigiebig Bestechungsgelder zahlte. Doch nicht nur im Kreml ging Armand ein und aus, zum Weißen Haus und zum Buckingham Palast hatte er ebenfalls beste Beziehungen, veranstaltete etwa für Prinz Charles und Lady Di einmal einen großen Empfang.

Sein Sohn Julian wiederum, Armie Hammers Großvater, erschoss im Mai 1955 kaltblütig einen Bekannten, dem er 400 Dollar schuldete – ein Mord, der nie geahndet wurde (er galt als „Selbstverteidigung“), weil Armand mit genug Geld nachhalf. Schließlich musste der Name Hammer makellos bleiben. Aber nicht nur Julian, auch Armand war verantwortlich für den Tod anderer Menschen. In dem Fall sogar für den von 167: Eine Ölplattform namens Piper Alpha vor der Küste Schottlands fing im Juli 1988 Feuer, Schuld waren mangelnde Sicherheitsvorkehrungen. Für Armand Hammer machte sich seine gute Beziehung zu den Royals damals bezahlt: Als er Betroffenheit heuchelte und kurz darauf mit Charles und Diana gesehen wurde, verzieh ihm die Öffentlichkeit diesen bis dato schwersten Unfall auf einer Bohrinsel.

Das Weiße Haus soll hier nicht unerwähnt bleiben: Armand Hammer war in den Watergate-Skandal verwickelt. 1972 hatte er illegale Spenden in Höhe von 54.000 Dollar an Nixon getätigt (inflationsbereinigt heute eine Summe von gut 380.000 Dollar). Im Jahr 1989 wurde er vom damals amtierenden US-Präsidenten George H. W. Bush begnadigt.

Machtspiele gab es auch innerhalb der Familie: Wenige Monate vor seinem Tod im Alter von 92 Jahren änderte Armand Hammer sein Testament. Die aktuelle Version ließ seinen Sohn Julian, mit dem er sich nie verstanden hatte, sowie Enkelin Casey so gut wie außen vor, Enkel Michael, Armie Hammers Vater, erbte fast das gesamte Familienimperium. Sie habe versucht, die Serie „Succession“ zu schauen, sagt Casey Hammer in „House of Hammer“. „Ich musste es ausschalten. Nimm ‚Succession‘ mal eine Million, und das ist meine Familie.“

Erbe der Gewalt

Zurück zu Armie Hammer. Armand, Julian, Michael, Armie – sie alle haben Frauen äußert brutal behandelt und auch sonst in vielerlei Hinsicht geringe Moral und eine hohe Gewaltbereitschaft gezeigt. Sein Frontallappen (unter anderem zuständig für das Sozialverhalten, für Empathie, Gefühle und die Persönlichkeit) sei noch nicht vollständig ausgebildet, hatte Armie Hammer früher einmal gescherzt. „Du wachst nicht eines Tages auf und wirst ein Monster – das ist erlerntes Verhalten“, sagt seine Tante Casey in der Dokuserie. Ob Armie Hammers Gewalttätigkeit und die Gewalt der Hammer-Männer generell nun genetisch oder erlernt ist, das sollen Neurolog*innen, Psycholog*innen oder Genetiker*innen erforschen. Fakt ist: Sie zieht sich wie ein roter Faden durch die Familie und scheint mit Armie Hammer einen negativen Höhepunkt erreicht zu haben.

Während sich die zweite Folge von „House of Hammer“ mit der Familienhistorie auseinandersetzt, legt die erste ihren Fokus auf die Opfer Hammers. Im Zentrum steht vor allem bereits erwähnte Ex-Freundin Courtney Vucekovich, eine eigentlich selbstbewusste (so wirkt sie) Frau, Gründerin, erfolgreich. Wie konnte es passieren, dass Armie Hammer so viel Macht und Kontrolle über sie ausgeübt hat?

Vucekovich beschreibt den Beginn ihrer Beziehung, wie Hammer sie mit Geschichten aus seiner Kindheit früh einlullte, um ihr Vertrauen zu gewinnen, wie er Love bombing betrieb (ihr ununterbrochen Nachrichten voller Aufmerksamkeit und Zuneigung schickte), wie es ihm immer wieder gelang, dass sie selbst die zahlreichen Red Flags ignorierte – so bekam sie, bevor sie sich jemals verabredet hatten, von ihm ein Foto ihrer Wohnung in Dallas, als sie verreist war. „Ich weiß noch, dass ich dachte: Flirten wir? Oder ist das beängstigend?“, sagt sie in der Doku. Man merkt, wie Vucekovich versucht, sich im Nachhinein einen Reim darauf zu machen, wie Hammer sie dermaßen manipulieren konnte: „Es ist verrückt, was der Verstand bereit ist zu übersehen oder zu rechtfertigen, wenn man jemanden wirklich mag.“

Für Außenstehende wirkt das Verhalten von Courtney Vucekovich unglaublich naiv und wenig nachvollziehbar, aber genau darum geht es: Jede*r, auch erfolgreiche, selbstbewusste, populäre Frauen kann das passieren, auch sie können in einen Zyklus aus Zwang, Unterdrückung, Gewalt und übertriebener Zuneigungsbekundung abrutschen. Dadurch wird nochmal deutlich: Die Schuld trägt immer der Täter.

Erzählweise der Dokumentation

Auch wenn „House of Hammer” einen starken Fokus auf die Opfer legt – neben den zentralen Figuren Courtney Vucekovich und Casey Hammer werden unter anderem eine weitere Frau, mit der Armie Hammer Nachrichten austauschte, die sich am Ende aber nie mit ihm traf, und ein ehemaliger Mitarbeiter vom Filmset interviewt –, so hat die Doku auch einige kritikwürdige Elemente. Da ist zum Beispiel die Erzählweise, die es nicht schafft, sich gänzlich vom konventionellen True Crime Storytelling zu lösen, teils mit Cliffhangern arbeitet, mit unheimlicher Musik und nachgestellten Szenen. Auch die These, das Böse sei vererbbar, flammt in dem Versuch, alle Hammer-Generationen und ihren Hang zur Gewalt miteinander zu verknüpfen, immer wieder auf. Und diese These ist mindestens angreifbar.

Ein größeres Problem ist aber, dass „House of Hammer“ die Moral und die Ideale, die hochgehalten werden, selbst missachtet. So wird mehrfach erwähnt, dass die Opfer im Vordergrund stehen sollen, und mit Vucekovichs und Casey Hammers Perspektiven stimmt das auch. Allerdings werden von der Frau, mit der Hammer nach Vucekovich eine Beziehung einging, die nahezu identisch war (dasselbe Motel, dieselbe Playlist, vergleichbare Verhaltensweisen), und Effie, die mutmaßlich auch „House of Effie“ ist, nur alte Videoaufnahmen eingeblendet. Der Grund: Beide Frauen wollten nicht Teil der Doku sein.

Effie beziehungsweise der Instagram-Account „House of Effie“ postete nach der Ankündigung der Doku in ihren Stories, die archiviert sind, sie habe nicht ihr Einverständnis dazu gegeben, dass die Screenshots ihrer DMs in der Dokuserie verwendet werden dürften. „Es ist so traumatisch und schmerzhaft für mich, wenn andere Menschen über mein Trauma sprechen oder versuchen, meine Geschichte nachzuerzählen”, schreibt sie. Natürlich sind die Screenshots der Hammer-DMs elementar für die Doku, und ohne „House of Effie“ wäre die Geschichte niemals ins Rollen gekommen. Aber gleichzeitig verlässt „House of Hammer“ hier die moralische Grauzone, indem die Wünsche eines der Opfer komplett ignoriert werden.

Konsequenzen

Wie geht es jetzt weiter mit Armie Hammer? Bereits wenige Tage nach dem DM-Leak durch „House of Effie“ veröffentlichte die britische Boulevardzeitung Daily Mail am 13. Januar 2021 ein Video, das den Schauspieler zeigt, der hinter dem Steuer trinkt und Drogen konsumiert. Noch am selben Tag stieg er aus der Rom-Com „Shotgun Wedding“ aus, in der er den Love Interest von Jennifer Lopez hätte spielen sollen, angeblich um mehr Zeit für seine Kinder zu haben; auch seine Agentur ließ ihn fallen. Der Film „Death on the Nile“ mit Hammer in einer der Rollen – eine Neubesetzung sei zu teuer gewesen – kam noch im Februar 2022 ins Kino (er floppte). Armie Hammer ging im Mai 2021 für sechs Monate in Reha – bezahlt übrigens von Robert Downey, jr. Im Juli dieses Jahres wurde bekannt, dass er wohl auf den Cayman Islands, wo er als Kind einige Jahre lang verbracht hatte, als Concierge arbeiten würde. 

Ob für Hammer eine Art Wiedergutmachung möglich ist, wenn er öffentlich genug Reue zeigt, zu Kreuze kriecht und Besserung gelobt, ist schwer vorherzusehen. Die Entertainment-Industrie beweist regelmäßig, dass auch sexualisierte Gewalt kein Grund für dauerhafte Ächtung ist (siehe den Heard/Depp-Prozess, den anhaltenden Support für Roman Polanski oder die Rückkehr von Louis C.K.). Die Vorwürfe gegen Armie Hammer jedoch sind so massiv, dass es selbst für ihn schwierig sein wird, wieder mit offenen Armen empfangen zu werden. Allerdings: Angeklagt wurde er bisher noch nicht. Vielleicht ändert das die Doku „House of Hammer“ jetzt.

Foto von Josh Nuttall auf Unsplash

Arbeit im Panoptikum – Die Serie ‚Severance‘

von Titus Blome

Wer sind wir, wenn die Arbeit unser Leben ist? Diese Frage ist das Kernstück der Dystopie »Severance« auf Apple TV+, das stille Serienhighlight des Jahres. Im Mittelpunkt der neun Folgen steht die zweifache Geschichte von Mark Scout (Adam Scott), der in der Abteilung für Macrodata Refinement (MDR) der ominösen Lumon Industries arbeitet. Zweifach deshalb, weil Mark doppelt existiert – einmal im Büro und einmal außerhalb.

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And Just Like That… macht das alles narrativ keinen Sinn – Über das Revival von „Sex and the City“

von Isabella Caldart

Das Problem fängt schon beim Titel an. Während Sex And The City zwei prägnante Begriffe im Titel hat, die direkt darauf verweisen, worum es in der Serie geht, heißt das Revival And Just Like That… samt drei Pünktchen, die wohl sowohl eine gewisse Verspieltheit als auch einen Raum vieler sich öffnender Möglichkeiten andeuten sollen. Zusammen mit dem Titel wirkt das merkwürdig schwammig und unentschlossen.

Kulturelles Erbe

Sex And The City ist also zurück (oder auch nicht, da weder Sex noch die Stadt sonderlich präsent sind), und ob man damit nun etwas anfangen kann oder nicht: In den vergangenen Monaten bekam diese Serie viel Aufmerksamkeit, wurde in etablierten Medien ebenso unter die Lupe genommen wie von Fans auf TikTok. Seit der Bekanntgabe im Januar 2021, dass es diese Neuauflage, über die immer mal wieder spekuliert worden war, in der Tat geben würde, und vor allem seit mehr und mehr Informationen über den Cast veröffentlicht wurden, kristallisierten sich insbesondere vier Fragen heraus: Wie würde die Serie mit dem Verlust ihrer beliebtesten Protagonistin umgehen? (Kim Cattrall hat mit Nachdruck deutlich gemacht, dass sie nicht nochmal in die Rolle von Samantha schlüpfen wird.) Wie würde das Leben von Frauen über 50 dargestellt werden? Welche Rolle würde Grey’s Anatomy-Star Sara Ramírez als non-binary Latinx Person in der Serie haben? Und wie würde Willie Garsons überraschender Tod während der Dreharbeiten eingebaut werden?

Dass Sex And The City (1998-2004) neu aufgelegt wurde, überrascht in der ganzen Welle der Reboots und Revivals, die wir derzeit erleben, wenig. Die Fanbase ist groß und treu, das Bedürfnis, Carrie, Miranda und Charlotte wiederzusehen vorhanden. Mit den beiden Kinofilmen (2008, 2010) gab es bereits zwei kommerziell erfolgreiche Fortsetzungen. Und eine Serie, die Frauen in ihren 50ern in den Fokus nimmt, ist an und für sich eine gute Idee. Schließlich sind Frauen, die die 40 überschritten haben, in Film und Fernsehen nach wie vor stark unterrepräsentiert. Außerdem hat Sex And The City nicht nur die Popkultur, sondern auch (zumindest auf die USA bezogen) die Gesellschaft beeinflusst, da die Serie Frauen zeigte, die selbstbewusst über ihr Sexleben sprachen; noch in den neunziger Jahren ein Novum. Ich war nicht die einzige, die die Hoffnung hatte, dass man sich dieses kulturellen Einflusses und Erbes bewusst wäre und dass man nach den vielen Jahren, die seit Ende der Serie (beziehungsweise seit dem letzten Film) vergangen waren, auch die Zeit hatte, ein gutes Produkt zu entwickeln. Diese Hoffnung wurde enttäuscht. Das Revival stand in mehrfacher Hinsicht unter keinem guten Stern.

Wenn die Fiktion die Realität beeinflusst, wenn die Realität die Fiktion beeinflusst

Das Finale der Serie sowie die beiden Filme verraten den eigentlichen Spirit von Sex And The City, laut dem die vier Freundinnen ihre Seelenverwandten sind und keine Männer brauchen – am Ende sind alle in festen Beziehungen. Und diese Beziehungen sind rund 15 Jahre später zum Start von And Just Like That… immer noch intakt. Das Ende der ersten Folge wartet dann aber mit einem Knaller auf: Big stirbt nach dem Training auf einem Hometrainer der Marke Peloton an einem Herzinfarkt. 

Bigs Tod in der ersten Folge und seine Beerdigung in der zweiten, am selben Abend ausgestrahlten Episode setzten eine Kettenreaktion in Gang, die zeigt, was für eine interessante Wechselbeziehung (Pop-)Kultur und Realität haben können. Die Firma Peloton, die Geld für die Produktplatzierung bezahlt hatte, wusste nicht, in was für einem Kontext ihr Gerät gezeigt werden würde: Doppelt bitteres Marketing für Peloton, denn erst wenige Monate zuvor war die Firma nach dem tödlichen Unfall eines Kindes und anderen Sicherheitsproblemen in die Negativschlagzeilen geraten. Nach außen hin nahm Peloton den Tod einer Serienfigur auf einem ihrer Produkte aber mit erstaunlicher Gelassenheit zur Kenntnis; es wurde ein Statement veröffentlicht, in dem auf Bigs Herzprobleme in der sechsten Staffel und seinen „extravaganten Lifestyle“, seine Vorliebe für „Cocktails, Zigarren und große Steaks“, verwiesen wurde. Nur wenige Tage später folgte ein gewitzter Werbeclip, in dem Big-Darsteller Chris Noth mit seiner Peloton-Trainerin aus And Just Like That… am Kamin sitzt, und in dem Ryan Reynolds das Voiceover für die Werbung liefert. Peloton nahm mit dieser Werbung eine Korrektur der Fiktion vor, um das Image des Unternehmens zu retten.

Wenige Tage später, am 16. Dezember 2021, veröffentlichte der Hollywood Reporter einen Artikel, laut dem zwei Frauen in den Jahren 2004 beziehungsweise 2015 von Chris Noth vergewaltigt wurden. Kurze Zeit später wurden weitere ähnliche Vorwürfe gegen den Schauspieler bekannt. Peloton zog die gerade erst veröffentlichte Werbung zurück und Big wurde in der Serie aus sämtlichen Flashbacks von Carrie gestrichen. Mehrere Tage später veröffentlichten Sarah Jessica Parker, Cynthia Nixon und Kristin Davis ein gemeinsames Statement in ihren Social-Media-Accounts: „Wir sind zutiefst betroffen über die Anschuldigungen gegen Chris Noth. Wir unterstützen die Frauen, die sich gemeldet und ihre schmerzlichen Erfahrungen mitgeteilt haben. Wir wissen, dass dies eine sehr schwierige Sache sein muss, und wir würdigen sie dafür.“

Für And Just Like That… war der Verlust also ein dreifacher: Samantha, die nur noch sporadisch in Kurznachrichten an Carrie auftauchte, Big, bei dem, wenn man es zynisch ausdrücken will, das Timing gerade so stimmte, dass alle Szenen entfernt werden konnten – und eben Carries bester Freund Stanford, da der Schauspieler Willie Garson am 21. September 2021 an Bauchspeicheldrüsenkrebs verstarb. Wie auch Samanthas Abwesenheit wird Stanfords plötzliches Verschwinden auf unbefriedigende Weise erklärt: Auf einem Post-it hinterlässt er Carrie die Notiz, dass er nach Tokio gezogen sei. In einem begleitenden Podcast zur Serie erklärte Executive Producer, Autor und Regisseur Michael Patrick King, dass man eigentlich einen richtigen Abschied von Stanford und Carrie vorgesehen hatte, doch zu dem Zeitpunkt war Garson schon nicht mehr in der Lage, diese Szene zu drehen. Und da das Team beschloss, Garsons echten Tod nicht für eine rührselige Storyline ausschlachten zu wollen, wurde er auf diese knappe Weise aus der Serie geschrieben.

Carrie, Charlotte und Miranda – und Samantha

Aber zurück zum Inhalt: Charlottes Storyline ist während der gesamten Staffel kaum existent. Neben ihrer Rolle als Mutter geht es um ihre Rolle als Ehefrau; ein richtiger eigener Handlungsbogen wird ihr aber nicht zugestanden. Bei Miranda ist dafür umso mehr los. Zu Beginn von And Just Like That ist sie zurück an der Uni, weil sie aufgrund ihres Entsetzens wegen des Muslim Travel Bans ihren alten Job als Anwältin aufgegeben hat und jetzt umschulen will, um sich sinnvolleren Aufgaben zu widmen. Miranda, die zu Zeiten von Sex And The City die progressivste der vier Frauen war, ist in diesem Revival wie verwandelt. Erst tritt sie, die in Brooklyn wohnt, bei ihrer Begegnung mit ihrer Schwarzen Dozentin Nya in jedes erdenkliche Fettnäpfchen, dann verhält sie sich ihr gegenüber wie ein klassischer White Savior. Es ist, als hätte man im Writers‘ Room (in dem sowohl Sex And The City- als auch neue Drehbuchautor*innen wirkten) komplett vergessen, wer Miranda überhaupt ist. Innerhalb kürzester Zeit freunden sich Miranda und Nya dann an, ohne dass je wirklich ersichtlich wird, warum überhaupt. Kurz darauf lernt sie zudem Che kennen, nicht-binäre*r Podcaster*in und Comedian, und verliebt sich in Che.

Und Samantha? Erleidet fast noch mehr Ungerechtigkeit. Ihre Abwesenheit wird damit begründet, dass Carrie sie als PR-Managerin gefeuert habe, woraufhin Samantha nach London gezogen ist und jeden Kontakt abgebrochen hat. Als würde Samantha das jemals tun. Im Verlauf der Staffel hat sie via Handy hin und wieder Kontakt mit Carrie, bis Carrie im Finale in Paris ist und sie fragt, ob sie sich treffen wollen. Samantha willigt ein. Ein Wiedersehen das – natürlich – nicht gezeigt wird und sich für uns Zuschauer*innen somit ziemlich unbefriedigend anfühlt

Während Miranda nicht wiederzuerkennen ist und Charlotte wenig nennenswerte Szenen hat, ist es ausgerechnet Carrie, aufgrund ihres egozentrischen Verhaltens die wohl unbeliebteste Protagonistin der Originalserie, diejenige, der mit And Just Like That… eine Art der Wiedergutmachung widerfährt. Carries Trauerprozess um ihre große Liebe ist teilweise zwar messy, doch genau deswegen auch realistisch. Dass sie nach der Testamentsverlesung Natasha auflauert, weil Big auch seine Ex-Frau bedacht hat, ist zwar neurotisch, aber sehr typisch für sie – und führt am Ende zur Aussprache, die beiden Frauen eine Art Abschluss ermöglicht. Auch Carries kurze emotionale Ausbrüche mehrere Monate nach dem Tod sind realistisch dargestellt. Und gleichzeitig gibt es zum Ende der Staffel Hoffnung auf eine potentielle neue Liebe, was uns ein Bild vermittelt, das in Filmen und Serien oft ausgespart ist: Für Frauen jenseits der 50 ist ein Neuanfang immer noch möglich

BPoC-Pendants

Der Mangel an diversen Figuren bei Sex And The City ist seit Jahrzehnten im Diskurs über die Serie ein Thema. And Just Like That… versucht, all das gutzumachen, was Sex And The City versäumt hat. Nicht nur wurden nicht-weiße Drehbuchautor*innen engagiert, auch die Welt von Carrie, Miranda und Charlotte wurde diversifiziert. Auf recht platte Weise allerdings: Jede der Figuren bekommt ein BPoC-Pendant zur Seite gestellt. Charlotte hat eine reiche Schwarze Freundin namens LTW (Nicole Ari Parker), Carrie freundet sich mit ihrer indischsstämmigen Maklerin Seema (Sarita Choudhury) an und Miranda bekommt mit Nya (Karen Pittman) eine Schwarze Dozentin, mit der sie sich nach einem holprigen Kennenlernen ebenfalls anfreundet. Noch dazu gibt es Che, ein*e non-binary Latinx Stand-up-Comedian, dargestellt von Sara Ramírez. Man hat sich also redlich bemüht.

Doch wie schon Sex And The City weiß auch And Just Like That… nicht mit seinen nicht-weißen Figuren umzugehen. Narrativ mutet es merkwürdig an, dass alle vier Neulinge erst in der ersten Episode oder zeitlich kurz davor die Protagonistinnen kennenlernen, und sich nicht wenigstens eine Person schon in den Jahren, Jahrzehnten davor mit Carrie, Charlotte oder Miranda angefreundet hat. Es ist verständlich, dass man im Writers‘ Room alles getan hat, um den Eindruck zu vermeiden, man wolle Samantha irgendwie ersetzen. So jedoch wirkt alles wenig organisch.

Wenig organisch sind dann auch die neuen Charaktere selbst, die auf eine merkwürdige Weise in die Handlung eingebaut wurden: Zunächst sieht man sie jeweils nur mit einer der drei Protagonistinnen zusammen, was Sinn macht, um sie langsam an die Zuschauer*innen heranzuführen. Dann werden sie aber teilweise über Folgen gar nicht gezeigt, um plötzlich unabhängige Storylines zu bekommen, die aber erstaunlich flach bleiben. 

LTW ist eine reiche, kunstinteressierte Mutter, die Charlotte so ähnelt, dass sie sogar „Black Charlotte“ genannt wird. Seema ist mit Mitte 50 noch auf der Suche nach „dem Richtigen“, während Nya und ihr Partner darüber diskutieren, ob sie es doch noch mit dem Kinderkriegen versuchen sollen. Die drei Schauspielerinnen, alle talentiert und charismatisch, bemühen sich, die Rollen mit Leben zu füllen, doch das seichte Drehbuch schränkt sie erkennbar ein, die Figuren bleiben eindimensional. Während Seema zweifelsfrei die beste neue Figur ist, witzige One-Liner hat und sich ihre Freundschaft mit Carrie glaubwürdig entwickelt, verschwindet LTW immer mehr im Hintergrund. Die Story rund um Nyas mögliche Unfruchtbarkeit hat Potential – doch leider lernt man die Figur zu schlecht kennen, um sich wirklich für sie zu interessieren, und die Kind-ja-oder-nein-Gespräche wiederholen sich sehr.

„I was cravin‘ me some Che”

Und dann wäre da noch Che. And Just Like That… bemüht sich in Sachen Diversität auch um mehr Queerness. Bei Charlottes Kind funktioniert das sogar sehr gut: Dass sich ihr Kind plötzlich Rock nennt und nicht mehr als Mädchen identifiziert, ist für Charlotte und Harry zunächst ein großer Brocken zu schlucken und entsprechend verhalten sie sich Rock gegenüber; diese Darstellung ist aber realistisch. Im Verlaufe der Episoden begleiten wir Harry und Charlotte auf ihrem Weg zur Akzeptanz, die im Finale darin mündet, dass sie für Rock eine They-Mitzwa schmeißen wollen (die Rock schließlich ablehnt mit der Begründung, they wolle sich auf keine einzige Identität festlegen, nicht mal auf die – und hier schnappen die Eltern hörbar nach Luft – auf die als New Yorker*in).

All das, was bei Rock richtig gemacht wurde, wurde bei Che versemmelt. Che ist ohne Frage die Figur des Revivals, die mit Abstand am stärksten diskutiert wurde. Die meisten Fans und Kritiker*innen sind sich einig: Sie mögen Che nicht. Che ist so unbeliebt, dass Michael Patrick King zu their Verteidigung sprang und Che in einem Interview kürzlich als „ehrlich, gefährlich, sexy, witzig und warm“ bezeichnete. Eins ist sicher: Witzig ist Che wirklich nicht. Die zahlreichen Stand-up-Shows, die wir ertragen müssen, sind nicht lustig, sondern nur cringe. Kein einziger Witz zündet; es geht ausschließlich um Sex und Gender (und das auf plumpe statt geistreiche oder facettenreiche Weise), als wäre they die Karikatur einer queeren Person.

Und Che wirkt genuin unsympathisch. Nun muss ein queerer Charakter natürlich nicht auf Beliebtheit angelegt sein. Zu Recht sagte Sara Ramírez in einem Interview: „Wir haben eine Figur geschaffen, die ein menschliches Wesen ist, unvollkommen, komplex, und nicht existiert, um gemocht zu werden oder Zustimmung von jemandem zu bekommen.“ Außerdem sind oft die Serienfiguren, die widersprüchlich sind, ob Anti-Held*innen oder eindeutige Bösewichte, die interessantesten. Dass Che unsympathisch ist, ist also nicht unbedingt das Problem. (Es sei trotzdem angemerkt, dass das extrem narzisstische und forsche Verhalten eher unangenehm als unterhaltsam wirkt.) Das Problem mit der Figur ist zweierlei: Zum einen wird Che auf Queerness reduziert. Man kann kaum mitzählen, wie oft Che die eigene Nicht-Binarität betont, als wäre das einzige, was nicht-binäre Menschen machen, allen zu erzählen, dass sie nicht-binär sind – ein klassisches queerfeindliches Stereotyp. Viel mehr über Ches Backstory erfahren wir nicht. Es handelt sich um eine erstaunlich eindimensionale Figur, obwohl sie so präsent ist in der Serie.

Das andere Problem ist Ches Verhältnis mit Miranda. Die Geschichte ist oft nicht stimmig. Es ist lobenswert, dass erzählt wird, dass auch Frauen jenseits der 50 noch ihre Queerness entdecken können, wie es bei Miranda der Fall ist. Mirandas wundersame Charakterwandlung macht hier aber ebenfalls keinen Halt. Sie himmelt Che auf eine Weise an, die überhaupt nicht zu ihrer Person passt. Das erste Mal Sex haben sie dann in einer Szene, als Che bei Carrie, die nach einer OP im Bett schläft, mit Tequila auftaucht, sich mit Miranda in Carries Küche betrinkt und sie fingert, während Carrie, die aufgewacht ist, weil sie aufs Klo muss, in eine Flasche pinkelt und alles mitbekommt.

Wirklich schlimm ist, wie Steve in diesem Handlungsstrang um Che und Miranda behandelt wird. Das Problem in ihrer Beziehung ist die Inkonsistenz, betrachtet man das gesamte SATC-Universe: Im ersten Film ist es Steve, der Miranda betrügt, das aber sofort beichtet und seinen Fehltritt wirklich bereut. Dennoch kann Miranda ihm nur schwer verzeihen. Und nun betrügt sie Steve nicht nur ein Mal, sondern monatelang. Als sie ihm schließlich sagt, dass sie die Scheidung möchte, hat sie nicht einen Moment der Trauer, des Schmerzes, obwohl sie diese Ehe nach mehrere Jahrzehnten beendet. Sie fühlt sich ohne Steve frei, als hätte sie einen unerträglichen Ballast abgeworfen – und nichts hat Steve weniger verdient.

Die Episode endet damit, dass Miranda ausgerechnet Che zu einer Comedyshow nach Cleveland hinterher reist, um Che ihre Liebe zu gestehen, obwohl Che ihr eindeutig gesagt hat, dass they ihr keine konventionelle Paarbeziehung bieten kann. Am Ende der Staffel scheinen sie dennoch in einer Art Beziehung zu sein, die Miranda so wichtig ist, dass sie ihren neu eingeschlagenen Karriereweg wieder aufgibt und mit Che nach Hollywood zieht. Keine Figur im Revival ist inkonsequenter und enttäuschender als Miranda.

Resümee

And Just Like That… fehlt, was Sex And The City ausgezeichnet hat: Carries Voiceover, durch das auch Handlungsstränge, die nichts direkt miteinander zu tun hatten, in eine gewisse Verbindung gebracht wurden. Das Revival verzichtet auf diese Erzählinstanz, abgesehen von einem Satz zum Schluss jeder Episode, der mit „And just like that…“ beginnt (wo es früher „I couldn’t help but wonder…“ war). Man wollte offensichtlich auch hier vom Original abrücken. Die Folge ist allerdings, dass sich manche Storylines recht lose anfühlen.

Zudem weiß die Serie nicht genau, was sie sein will. Sex And The City war eine Mischung aus Comedy, Drama und Rom-Com, die knapp 25 Minuten langen Folgen ein starkes Indiz dafür, dass die Serie eher in Richtung Comedy tendierte. Neben den schlechten Drehbüchern funktionierten die beiden Kinofilme aus einem ganz basalen Grund nicht: Sex And The City lebte davon, dass die vier Frauen immer wieder neue Dates hatten. Beide Filme konzentrieren sich aber nur auf die Beziehungen und Reibungen zwischen den Protagonistinnen und ihren Partnern, ohne neue Figuren in die Handlungen zu integrieren, was den eigentlichen Reiz der Serie ausmachte. And Just Like That… nun hat 40-minütige Episoden, also ein klassisches Drama-Format. Es hilft aber nicht: Was genau uns And Just Like That… überhaupt erzählen will, ist nach zehn Folgen immer noch offen.

Ob And Just Like That fortgesetzt wird, steht noch nicht endgültig fest, Presseberichten zufolge laufen die Gespräche aber schon. Verwunderlich wäre es nicht: Auch wenn diese erste Staffel bei Kritiker*innen wie Zuschauer*innen gleichermaßen nicht gut ankam, war sie überall Gesprächsthema. Dass Hate-Watching eben auch Einschaltquoten bringt und somit weitere Staffeln ermöglicht, hat nicht zuletzt die Serie Emily in Paris gezeigt, bei der Staffel drei und vier bestellt sind. And Just Like That hat also gute Chancen. Ist das Experiment And Just Like That ein totaler Flop? Ich würde sagen nein, weil es hie und da gute Szenen gab und weil die Storyline um Carries Trauer wirklich gut gearbeitet ist. Trotzdem bin ich persönlich wirklich erstaunt darüber, wie schlecht dieses Revival am Ende ist. Immerhin hat es mich dazu inspiriert, ein Re-Watch von Sex And The City zu machen. Denn trotz all der Fehler, die diese Serie hatte, ist sie immer noch sehenswert, witzig, spannend und teilweise herzerwärmend; war sie ein unglaublich wichtiger kultureller, ja revolutionärer Meilenstein.

Beitragsbild von Florian Wehde

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