von Annika Brockschmidt und Thomas Lecaque
Im September 2022 starteten Mitglieder der Patriot Front, einer amerikanischen Neonazi-Organisation, einen Flashmob in Indianapolis. Die etwa fünfundsiebzig Mitglieder, die ihre traditionellen Khakihosen, blauen Hemden, weißen Hüte und Gesichtsmasken trugen, organisierten sich schnell, kamen von allen Seiten und verschmolzen zu einem zusammenhängenden Rechteck mitten auf der Straße, das ihre Flaggen trug: ein Fasces (Rutenbündel) in einem Kreis mit dreizehn Sternen um ihn herum, der ein faschistisches Amerika symbolisiert. Diese Flagge der Patriot Front ist angelehnt an die sogenannte “Betsy Ross”Flagge, die ein Amerika darstellt, das von Weißen Männern beherrscht wurde. Sie trugen ein Banner mit ihrem Hauptmotto „Reclaim America“. Der Marsch führte vom Gelände des Indiana Statehouse zum Monument Circle, hinunter zum War Memorial bei der American Legion Mall und endete an der Hauptniederlassung der Indianapolis Public Library.
Dieser Aufmarsch war nicht der erste Flashmob der Patriot Front. Die Gruppe kam auch am Wochenende des 4. Juli nach Boston und marschierte dort mit denselben Uniformen, zusätzlich mit Schilden und „Reclaim America“-Bannern entlang des Freedom Trails. Eine ähnliche Versammlung an der Back Bay MBTA-Station, die Teil der Bostoner Eisenbahnlinie ist, führte zu Gewalt, als Mitglieder der Patriot Front einen Schwarzen angriffen, der sie zur Rede gestellt hatte. Davor hatten sie bereits Märsche in Chicago veranstaltet – und sich im Januar auf der National Mall in Washington D.C. einem „Pro-Life“-Marsch angeschlossen. Weitere Märsche fanden in Philadelphia im vergangenen Juli (wo Einwohner sie aus der Stadt vertrieben) und sowie in Nashville, Washington D.C. und davor Pittsburgh statt.
Die Videos dieser faschistischen Märsche sind jedoch nicht die einzigen medialen Ereignisse der Patriot Front. Videos von „Trainingslagern“ tauchen immer wieder im Internet auf einer Vielzahl von Plattformen auf. Solche Lager finden an unterschiedlichen Orten im ganzen Land – von Pennsylvania, bis Colorado und Florida – statt. Einige von diesen Videos stammen aus der umfangreichen Datensammlung von Unicorn Riot, andere werden jedoch eindeutig von der Patriot Front über Mittelsleute veröffentlicht. Marschieren in Formation, Nahkampfübungen, Schildmauern bauen, Scheinangriffe von Gegendemonstranten – all das sieht nicht besonders geschickt aus, aber es zeigt das Bild einer Organisation, die nicht nur auf Flashmobs setzt, sondern auch bereit ist, sie mit Gewalt zu untermauern.
Die Märsche der Patriot Front und ihre Trainingsvideos haben in den sozialen Medien für viel Spott gesorgt. Und doch sollte die Tatsache, dass sich Faschisten sicher genug fühlen, um durch die Straßen amerikanischer Städte zu marschieren – wenn auch mit maskierten Gesichtern – Anlass zur Sorge geben, so plump und lächerlich dieses Faschisten-Cosplay auch wirken mag. Denn: Sie meinen es ernst. Die Straßenmärsche fungieren nicht nur als Zelebrierung faschistischer Ästhetik und Einschüchterung von Minderheiten, die sie hassen, sondern auch als Rekrutierungsinstrument.
Uniformierte Faschisten, die durch die Straßen marschieren, sind ein schlechtes Zeichen für den Zustand der Demokratie, so wenige es auch sein mögen. Vor allem, weil die extreme Rechte mit ihren Rekrutierungstaktiken am Puls der Zeit ist. Prozessionen und Paraden sind politische Akte mit einer langen Geschichte. Sie sind ein Mittel, um Legitimität und Raum in der Öffentlichkeit zu beanspruchen – ein Mittel, das seit dem 19. Jahrhundert von sozialen Organisationen, Politikern und ganzen Kleinstädten bei lokalen und nationalen Feiertagen praktiziert wird, wie die Historikerin Susan Davis gezeigt hat („Parades and Power“).
White Nationalists marschieren heute jedoch nicht nur auf der Straße, sondern nutzen längst soziale Medien, um junge, wütende weiße Männer in ihre Reihen zu rekrutieren, wobei TikTok ihr vielleicht wichtigstes Werkzeug ist. Aber es ist nur ein Teil einer viel größeren Multimedia-Kampagne, die darauf abzielt, neonazistische Rhetorik und Ideologie zu verbreiten und salonfähig zu machen. Im Jahr 2020 gab es in den Vereinigten Staaten einen signifikanten Anstieg bei der Verbreitung von Propaganda der weißen Rassisten, für die die Patriot Front zu 80 Prozent verantwortlich ist. 2020 war auch das Jahr, in dem die Patriot Front damit begann, ihre Rhetorik von offener antisemitischer und neonazistischer Sprache zu Dog Whistles (Hundepfeifen) wie „America First“ und „Reclaim America“ zu verharmlosen. Zu dieser Zeit begannen sie auch vermehrt, Flashmobs abzuhalten.
Eines fällt bei allen Arten der öffentlichen Rekrutierung auf: Faschistische Symbole stehen im Mittelpunkt ihrer öffentlichen Inszenierung, die so stark auf eine angepasste Ästhetik setzt. Sie sind ein wesentlicher Bestandteil ihrer Brandings– und Rekrutierungsbemühungen – die schon Jahrzehnte vor TikTok begannen. Denn der amerikanische Faschismus ist kein neues Phänomen. Der Gründer der Patriot Front, Thomas Rousseau, ist ein ein ehemaliges Mitglied von Vanguard America – der Ruf dieser Gruppe, „Blood and Soil“ (“Blut und Boden), war 2017 auch bei der “Unite the Right”-Rally in Charlottesville zu hören.
Rousseau marschierte in den Reihen der Neonazis mit. Auch damals waren die charakteristischen Uniformen und die Neonazi-Ideologie deutlich erkennbar, die Menge brüllte “Juden werden uns nicht ersetzen” – eine Referenz auf die Weiß-nationalistische “Great Replacement”-Verschwörungserzählung, der die Demonstranten anhingen. Rousseau löste sich von Vanguard America und gründete nach der Rally, bei der ein Neonazi die 32-jährige Heather Hayer tötete, die Patriot Front. Doch selbst Vanguard America war kein neues Phänomen, sondern nur eine Organisation in einer langen Reihe von Neonazi-Gruppen in der amerikanischen Geschichte. Von George Lincoln Rockwells American Nazi Party der 1960er und 1970er über die Aryan Nation der 1980er und 1990er im Norden Idahos bis hin zu Gruppen wie Vanguard America oder der Traditionalist Worker Party, die 2017 in Charlottesville zusammenkam: Vom Zweiten Klan der 1920er Jahre über Pater Coughlin bis hin zur ursprünglichen America-First-Bewegung und Charles Lindberghs Des Moines-Rede vom 11. September 1941, in der er den Juden die Schuld am Zweiten Weltkrieg gab: Die USA haben eine ganz eigene White Supremacist– und faschistische Tradition.
Diese Gruppierungen der 1930er und 1940er Jahre bilden das Herz der faschistischen Tradition Amerikas. Während heute die Patriot Front für ihre Märsche Verkleiden spielt, tat der KKK dasselbe, während er in Schwarze Viertel eindrang und dort seinen mörderischen Terror verbreitete. Heute verbindet man ein brennendes Kreuz sofort mit dem KKK. Doch der Klan hat seine Bildsprache damals dem extrem rassistischen Film „Birth of a Nation“ entlehnt. Dass sie für ihren hasserfüllten Kreuzzug das christliche Kreuz wählten, ist deshalb kein Zufall: Oft wird vergessen, erklärt die Historikerin Kelly J. Baker („The Gospel of the Klan“), dass der KKK eine ausgesprochen christliche, insbesondere Weiße, protestantische Organisation war. Dieses Branding ermöglichte es dem Zweiten Klan, in den 1920er Jahren an Popularität zu gewinnen und White Supremacy für Mitglieder der gutbürgerlichen Gesellschaft zu etablieren: Ärzte, Pastoren, Lehrer und Buchhalter. Und während Baker darauf hinweist, dass White Supremacy oft gewöhnlich und langweilig ist (es gab zum Beispiel KKK-Strickkreise), dienten KKK-Märsche schon damals als Machtdemonstration, aber auch als Rekrutierungsinstrument. Die Märsche der Patriot Front ahmen diese Taktiken nach, auch wenn sie bei weitem nicht an die Kraft und öffentliche Unterstützung des Zweiten Klans auf seinem Höhepunkt herankommen: 1925 marschierten 30.000 Klan-Mitglieder die Pennsylvania Avenue in Washington D.C. entlang, und über ihren Marsch im darauffolgenden Jahr wurde in den Zeitungen des ganzen Landes berichtet.
Die heutigen uniformierten White Supremacists und Neonazis, die mit den Knieschützern und Schilden der Patriot Front marschieren, haben auch Verbindungen zu christlichen Extremisten. Tatsächlich besteht die Bandbreite der extremen Rechten in den Vereinigten Staaten heute aus einer Reihe konkurrierender, miteinander vernetzter Gruppen, die sich auf die Zerstörung der amerikanischen Demokratie und auf nicht viel mehr einigen können. Doch die Überschneidungen zwischen den einzelnen Gruppierungen sind sehr wichtig. Unter den Mitgliedern der Patriot Front, die im Sommer in Coeur d’Alene festgenommen wurden – die sich auf einen Angriff auf eine LGBTQIA+-Veranstaltung in der Stadt vorbereitet hatten – befanden sich zwei Brüder, die mit On Fire Ministries verbunden waren, wo ihr Vater Pastor des Men’s Ministries war.
On Fire Ministries ist die Kirche des ehemaligen Abgeordneten des US-Bundesstaates Washington, Matt Shea. Shea hat einen unangenehm ähnlichen Lebenslauf wie der christliche Nationalist – und aktuelle Gouverneurskandidat der Republikaner in Pennsylvania – Doug Mastriano, ein ehemaliger Offizier, dessen christlich-nationalistische Rhetorik immer gewalttätiger geworden ist und der Verbindungen zu einer Vielzahl von rechtsextremen Gruppen hat.
Shea machte bereits mit seinem Manifest für einen „Heiligen Krieg“ Schlagzeilen, aber das war nur die Spitze des Eisbergs. Er wurde des inländischen Terrorismus beschuldigt, hat Verbindungen zur Familie Bundy, den Oathkeepers und der „Patriot Bewegung“. Und seine Kirche folgt diesem Trend – Shea war Pastor der Cornerstone Church, die ursprünglich von Ken Peters gegründet wurde. Shea wurde Pastor der Kirche, als Peters nach Knoxville, Tennessee, zog, um dort sein „Patriot Church“-Netzwerk zu gründen.
Shea verließ die Gemeinde schließlich, um selbst On Fire Ministries zu gründen. Dort setzte er den theologischen Fokus auf Apokalyptik. Das ist relevant, weil die amerikanische christliche Apokalyptik tendenziell tiefe politische Wurzeln hat – seit den Kreuzzügen haben apokalyptische Überzeugungen zu dem Wunsch geführt, die Gesellschaft in einer spezifisch christlichen Vision neu zu gestalten. Shea fällt in dieselbe Kategorie: Er hatte seine Anhänger dazu aufgefordert, eine “alternative christliche Regierung” zu bilden und sich auf einen “totalen Krieg” einzulassen. Diese Art von Rhetorik – christlicher Nationalismus, Rassismus, Vorwürfe der Tyrannei gegenüber der amtierenden Regierung und der Aufruf zum “totalen Krieg” gegen die Feinde – findet sich überall im Manifest der “Patriot Front”.
Mitglieder der Patriot Front und tauchten bei der Coeur D’Arlene Pride-Parade auf und planten einen Angriff auf die Veranstaltung, was zur Verhaftung von 31 Mitgliedern der Gruppe führte – nur einer von zahlreichen Fällen, in denen rechtsextreme Gruppen wie die Patriot Front oder die Proud Boys die LGBTQ-Community belästigten und bedrohten.
Die “Patriot Front” mag eine randständige Splittergruppe der extremen Rechten sein, doch derzeit macht die Republikanische Partei ihre Arbeit für sie: Die Verunglimpfung von LGBTQ-Personen als Pädophile und “Groomer” hat sich im konservativen Mainstream etabliert, diejenigen, die sie verbreiten tragen Anzug und Kostüm anstatt Schild und Schlagstock.
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