Das Problem mit Bully – Mobbing, Queerness und ‚Der Schuh des Manitu‘

von Kais Harrabi

Als Teenager haben mich viele Filme geprägt: David Lynchs „Blue Velvet“ zum Beispiel, den ich das erste Mal mit 13 oder 14 nachts im Fernsehen sah und von dem ich nur die Hälfte begriff, der bei mir aber das Interesse an düsteren Geschichten mit moralisch komplexen Figuren geweckt hat. Die unzähligen Thriller und Actionfilme der 80er und 90er Jahre, die Gesichter von Schauspieler*innen wie Deborah Kara Unger oder Michael Ironside, die wie ein filmisches weißes Rauschen die Abende und Nächte vor dem Fernseher begleitet haben, alle 20 Minuten durchbrochen von Werbung für Sekt, Schnaps oder Telefonsex. Weder die Filme noch die beworbenen Produkte waren für Teenager sonderlich geeignet. Meine Mutter war verständlicherweise besorgt, was für einen schädlichen Einfluss all die Gewalt und der Sex im Fernsehen (und später auch im Kino) auf mich haben könnten. Dabei waren es gar nicht die Thriller und Actionfilme, die bei mir die tiefsten Spuren hinterlassen haben, sondern Komödien der frühen Nullerjahre, allen voran die von Michael „Bully“ Herbig.

Zum ersten Mal fiel mir das auf, ein paar Jahre nachdem ich bei meinen Eltern ausgezogen war. Mit dem Umzug in eine Großstadt begann ich, mich anders und positiver mit meinem Schwulsein auseinanderzusetzen. Ich dachte immer, ich wäre komplett frei von jeglicher internalisierter Homophobie, einer Art Hass auf alle eher feminin attribuierten Eigenschaften, die schwulen Männern zugeschrieben werden, projiziert auf einen selbst. 

Bis zu meinem ersten Glas Prosecco, in einem Café mit einer Freundin, habe ich nicht begriffen, dass ich selbst internalisiert homophob war, wenn auch recht subtil. Wir saßen in dem Café an einem Marmortisch mit abgestoßenen Kanten, ein großer Riss ging durch die Platte. Die Bedienungen trugen weiße Blusen oder Hemden, die ArtDeco-Einrichtung verbreitete Wiener Kaffeehaus-Flair. Die Freundin, mit der ich im Café war, schlug vor, doch einen Prosecco zu unserem Frühstück zu bestellen. In Sekundenbruchteilen setzte dieser Vorschlag bei mir eine Assoziationskette in Gang, wie bei Dominosteinen stieß ein Gedanke den nächsten an: Prosecco war für mich immer ein Getränk für schwule Männer gewesen. – Also klar würden wir Prosecco trinken. – Aber warum war der Prosecco für mich überhaupt ein Getränk für schwule Männer?  – Wegen der Figur Winnetouch aus dem Film „Der Schuh des Manitu“, jener von Michael „Bully“ Herbig gespielten Karikatur eines schwulen Winnetou. Ich hatte all die Jahre jedes Mal innerlich die Nase gerümpft, wenn ich irgendwo Prosecco auf der Karte gesehen habe. Wegen einer Karikatur aus einem Film.

„Der Schuh des Manitu“ kam im Sommer 2001 ins Kino. Ich war in der 6. Klasse einer Hauptschule in einer bayerischen Kleinstadt und fester Bestandteil einer Gruppe Jungs, die sich vor allem für Playstation, Pokémon und Pyromanie interessierten. Schon Wochen bevor der Bully-Film ins Kino kam, wurde er von einer großangelegten Kampagne begleitet: Ausschnitte waren lange vorab zu sehen, entweder als Trailer oder in diversen Fernsehsendungen, in denen der Regisseur, Drehbuchautor und doppelte Hauptdarsteller Michael „Bully“ Herbig auftrat. Herbig war damals ein Star. Er hatte das auf Fritzchen-Witz-Niveau verharrende Format der Sketch-Show á la „Kanal Fatal“ oder „Sketch-Up“ von seinem öffentlich-rechtlichen Muff befreit und als „Bullyparade“ auf Pro7 zu einer Kultshow gemacht. Schon vor „Der Schuh des Manitu“ waren seine Parodien auf „Star Trek“, „Sisi“ und die Karl-May-Verfilmungen Kult. 

Als ich Ende August 1997 eine Woche im Krankenhaus lag, weil ich die Mandeln rausbekam, machte mein Zimmergenosse einen gigantischen Aufstand, damit wir die „Bullyparade“ schauen durften. Nach zehn Minuten schaltete eine Krankenschwester den Fernseher wieder aus, weil sie fürchtete, dass von unserem hysterischen Lachen die Operationsnarben wieder aufplatzen könnten.

„Der Schuh des Manitu“ lief mindestens drei Wochen in dem altmodisch eingerichteten Kino in der Kleinstadt, in der ich aufgewachsen bin. Vorne links neben der Leinwand befanden sich die Toiletten. Bei Kindervorstellungen gingen die Väter dorthin, um zu rauchen, neben dem Waschbecken stand ein riesiger, mit Sand gefüllter Betonaschenbecher. Später rauchte auch ich dort heimlich meine ersten Zigaretten. Rechts neben der Leinwand befand sich ein Holzofen, den die Besitzerin im Winter anfeuerte, damit es im Saal wohlig warm wurde. Es gab nur diesen einen großen Kinosaal. 

Bei „Der Schuh des Manitu“ war er gerammelt voll. Kinder, Eltern, ältere Jugendliche, die sonst mit ihren Mofas auf den Supermarkt-Parkplätzen rumlungerten: Alle gingen ins Kino, um sich diesen Film anzusehen. Ich mindestens drei Mal, weil er drei Wochen am Stück lief und ich jeden Sonntagnachmittag ins Kino ging. Egal, was lief. Ich sah ihn mal mit meinen Freunden, mal alleine. Und dann kam er nach einer kurzen Unterbrechung sogar noch einmal in diesem Kino. Einen ganzen Sommer lang erzählten wir Witze aus dem Film nach, knallten uns die Sprüche daraus um die Ohren und ahmten die zentrale Witzfigur selbst nach: Winnetouch, den schwulen Zwillingsbruder von Abahachi. Wir liefen beispielsweise mit angewinkelten Handgelenken, ungelenk stöckelnd über den Parkplatz des Freibads – unter dem hysterischen Gelächter unserer Freunde. 

Winnetouch ist, neben Mr. Spuck aus der Star-Trek Parodie „Traumschiff Surprise“ DIE „Bully“-Figur schlechthin. Winnetouch trägt dieselbe Kleidung wie sein Zwillingsbruder (und das gemeinsame Vorbild Winnetou), nur eben in Rosa. Er hat stets eine Handtasche dabei und ist Besitzer der Puderrosa-Ranch, auf der er eine Art Kosmetiksalon betreibt. Die rosa Kleidung, die angewinkelten Handgelenke, der ungelenke, vorgeblich feminine Gang, die Handtasche, die ausgeprägte Obsession für Prosecco und die eigentümliche Sprachmelodie weisen ihn als schwul aus. Und dass Winnetouch den sehr straighten Blutsbruder seines Zwillingsbruders heftig anflirtet, macht die Sache noch eindeutiger. 

Die Figur kann man gleich doppelt problematisieren. Zum einen ist da die Darstellung als native american, die Karl-May-Klischees, um die es aber nicht gehen soll. Der offensichtlich schwule Winnetouch war in meiner bayerischen Kleinstadt Anfang der Nullerjahre die einzige queere Figur, die ich kannte. Und ein absolutes Anti-Vorbild. Dass ich damals als Teenager keine anderen schwulen Figuren in Filmen zu sehen bekam, weder in dem (ultraheterosexuellen) Actionkino der 80er Jahre, das ich mir mit meinen Freunden regelmäßig im Fernsehen reinzog, noch sonst irgendwo, machte es schwierig, sich eine Identität als schwuler Mann irgendwie zusammenzureimen. 

Die Männlichkeit aus den Actionfilmen kam für mich nicht in Frage. Ich wusste aber auch, ich wollte keine Handtasche, kein Pink und keinen Puderrosa-Schönheitssalon und schon gleich dreimal keinen Prosecco. Dass meine Freunde die Winnetouch-Witze mit unverhohlener Garstigkeit noch potenzierten, in dem sie sich immer absurdere Situationen ausdachten, in die sie eine Winnetouchfigur schickten, machte das alles nicht besser. Winnetouch war eine homophobe Beleidigung, getarnt als familienfreundliches Entertainment. 

„Es sind nicht die Individuen, die Erfahrungen haben, sondern Subjekte werden durch Erfahrungen konstituiert“, heißt es in einem Essay der US-amerikanischen Historikerin Joan Scott. Der Soziologe Didier Eribon zieht diesen Satz in der Neuauflage seines Buchs „Betrachtungen zur Schwulenfrage“ heran, um seine These zu stützen, dass die Erfahrung der homophoben Beleidigung für die Identität als schwuler Mann konstitutiv ist. Eribons Studie über die Konstruktion schwuler, bürgerlicher Identität ist zwar ein Stück „Me-Search“ mit seinen ganz eigenen Problemen und Mängeln, getarnt als wissenschaftliche Arbeit, aber welche Rolle die Beleidigung und vor allem die Angst vor der Beleidigung in der Identitätskonstruktion spielen, hat wohl kaum jemand so klar herausgearbeitet wie er. 

Grob gesagt: Weil man als schwuler Mann homophob beleidigt werden kann, gehört man auf einmal zu einer anderen Gruppe, als der Rest der Gesellschaft, in der man sich bewegt; man wird zum Anderen. Damit geht auch einher, dass man stets neue Angriffe und Beleidigungen fürchtet und deshalb seine Verhaltensweisen anpasst und sich Räume sucht, in denen man sich vor solchen Angriffen zumindest halbwegs sicher wähnen kann. Die Antizipation dummer Sprüche und Übergriffe prägt also: man zieht sich in Safe Spaces zurück, in denen man vor Anfeindungen sicher ist, man passt sein Verhalten an, um nicht weiteren Beleidigungen und Anfeindungen ausgesetzt zu sein. So prägt diese Angst eine ganze Identität, schreibt Eribon. Dazu gehört auch der Geschmack für bestimmten Schaumwein, aus Angst, sich selbst mit einer Witzfigur zu identifizieren, wie in meinem Fall. 

Michael „Bully“ Herbigs frühe Filme haben einen besonderen Platz unter den Komödien der Nullerjahre, deren Humor sich oft an Teenager richtet und sich über deren Nöte lustig macht: allen voran „American Pie“, ein Film über eine Gruppe Teenager, die sich in den Kopf setzen, dass sie unbedingt bis zum Schulabschluss das erste Mal Sex haben müssen und dabei allerlei Absurdes und Ekliges anstellen. Das grenzüberschreitende Potential von „American Pie“ lag vor allem darin, wie der Film davon erzählte, dass die amerikanische Jugend unter der Prüderie leidet und sich wegen der komischen, verklemmten Einstellungen der Eltern in absurde, peinliche und schmerzhafte Situationen begibt. 

Ähnliche Thematiken und Filme wurden in der Folge auch in Deutschland produziert, vor allem die Filme „Mädchen Mädchen“ (in dem Diana Amft auf einem Fahrrad einen Orgasmus bekommt und dann alles daran setzt, diese Erfahrung zu wiederholen) und „Harte Jungs“. Letzterer ist eine Verfilmung eines Romans des italienischen Schriftstellers Alberto Moravia (von dem auch die Vorlage zu Godards Kinoklassiker „Le Mepris“ stammt) und erzählt von einem Jungen in der Pubertät, dessen Penis auf einmal mit ihm spricht und der ziemlich nervig ist. Alle diese Filme eint ein Humor, der auf Scham abzielt (wobei „Mädchen Mädchen“ und seine extrem offenherzigen, wenn auch nicht ganz korrekten Dialoge über den weiblichen Orgasmus da etwas rausfallen). Die frühen Nullerjahre waren im Kino die Zeit der Körperscham-Komödie. 

„Bully“ Herbigs frühe Komödien passen überraschend gut in diese Zeit. Die in „Der Schuh des Manitu“ regelmäßig zum Gelächter ausgestellten Morgenlatten, die homoerotischen Anwandlungen zwischen den besten Freunden Erkan & Stefan in Herbigs Kinodebüt „Erkan & Stefan – Der Film“ und vor allem eben die Reaktionen auf Winnetouch (und Mr. Spuck in „(T)Raumschiff Surprise“) Diese Filme beziehen einen Teil ihres Humors aus einer Scham vor Sexualität, vor Körperlichkeit und vor Queerness. So macht sich dieses Kino eben nicht nur über die Anwandlungen pubertierender Teenager lustig, sondern hat die Pubertät, indem diese Filme Körperlichkeit und (Homo-)Sexualität der Lächerlichkeit preisgegeben haben, noch viel komplizierter und unangenehmer gemacht, als sie sowieso schon ist. Wer zu der Zeit gerade dabei war, herauszufinden, wie sein Körper funktioniert und dass er queer ist, hatte eine schwierige Zeit.

Herbigs Filme haben sich zum Glück überlebt, ihr Humor ist überholt und „Bully“ dreht mittlerweile (auch) ernsthafte Filme, wie den DDR-Flucht-Thriller „Ballon“ oder die Medien-Satire „Tausend Zeilen“. Daneben ist er mittlerweile vor allem als Darsteller in Kinderfilmen zu sehen. Versuche, in erwachsenen Komödien mitzuspielen, wie etwa Helmut Dietls misslungenem letzten Film „Zettel“, kann man als eher gescheitert ansehen. Die Komödien, mit denen er vor 20 Jahren so erfolgreich war, könne er wohl heute nicht mehr so drehen, meinte Herbig 2022 in einem Interview – eine Anspielung auf die Debatte rund um die Darstellung von native americans in Karl Mays Werken. 

Ein weiterer Grund wäre aber auch, dass die Darstellung queerer Figuren als Lachnummern heute so nicht mehr akzeptiert würde. Stattdessen gibt es mit Serien wie „Heartstopper“ oder Filmen wie „Love, Simon“ endlich Darstellungen schwuler Jugendlicher, die zur Identifikation einladen. Und selbst im letzten Film des Actionregisseurs Michael Bay gibt es eine schwule Figur, die nicht „the butt of the joke“ ist, sondern ziemlich kompetent. Wenn Filme und Serien als Spiegel der Gesellschaft gesehen werden, dann machen diese Beispiele durchaus Hoffnung, weil eine neue Generation von Teenagern heranwächst, die im Kino wesentlich positivere Bilder von Queerness finden kann. Hoffentlich.

Foto von Felix Mooneeram auf Unsplash

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