von Philip Kraut
Denn blushed er wie a Kid bis an
Sei hartgeboilten Krage,
Und macht a Bow, und sagt zu mir:
„Par-dong, Sir, holds ze tramway here?“
„In English,“ sag ich, „oder Deutsch
Da kann ich fluent rede,
But die Sprach wo du talke tuhst
Die musst du mir translehteh.“
„Sie sprechen Deutsch? Na, lieber Mann,
Wo hält denn hier die Strassenbahn?“
Mardi Gras ist schon zwei Wochen her, auf der Bourbon Street in New Orleans tobt an einem normalen Dienstagabend wie jeden Tag das Leben – Mississippiblues als Touristenmagnet. Man erwartet im French Quarter vielleicht Spezialitäten der Cajun-Küche wie Beignets, Crawfish Boil und Jambalaya oder die typische kolonial geprägte Architektur mit ihren gusseisernen Balkonen, weniger aber bibliophile Überraschungen. Da ist zum einen das elegante Antiquariat Crescent City Books an der Chartres Street Ecke Bienville Street, das eine Seite einer mittelalterlichen illuminierten Handschrift für mehrere Tausend Dollar anbietet. Einen Block weiter, in der Decatur Street, gibt es einen anderen, unscheinbaren Buchladen: Beckham’s Bookshop mit Siesta haltenden älteren Verkäufern und einer uralten Katze. Im ersten Stock stehen deutsche Bücher, „Heimatmuseum“ von Siegfried Lenz. Ein paar Regalbretter weiter: „Die Schönste Lengevitch“ eines ominösen K. M. S. (Chicago 1926).
Lengevitch ist kein Familienname, wie man zuerst denken könnte, sondern ein Rabbit Hole zur Nonsenssprachwelt des deutschamerikanischen Dichters, Kolumnisten und Ledergroßhändlers Kurt M. Stein aus Gotha in Thüringen, geboren am 12. Mai 1884, gestorben 1966. Im buchtitelgebenden Gedicht, „Die schönste Lengevitch“, trifft ein spazierendes deutschamerikanisches Ehepaar ein anderes Pärchen, frisch immigrierte Greenhorns. Ein Wettstreit um das jeweils schlechtere Germerican der beiden Männer beginnt und es wird klar, was mit der ‚schönsten Lengevitch‘ gemeint ist:
„Ah, wo die street-car stoppe tut!“
Sach ich, „das willst du wisse’!
Well, schneidt hier crast die empty Lots,
Der Weg is hart zu misseh’,
Und dort wo du das Brick House siehst,
Da turnst du und läufst zwei Block East.“
„Ich fürchte ich belästg’e Sie,“
Sagt er, „mit meinen Fragen;
Doch würden Sie so gutig sein
Mir das auf Deutsch zu sagen?“
„In Deutsch!“ schrei ich. „Na, denkst denn du
Ich talk in Tschinese oder Soouh?“
Diese Sprachmischung enthält auch heute noch ein beträchtliches Humorpotenzial. Die Komik entfaltet sich hier weniger durch die aufgerufenen Topoi und Stereotypen des deutsch- und englischsprachigen Kulturkontakts wie „ze“ statt „the“ oder das hartnäckige Duzen versus deutsches Siezen. Vielmehr liegt der komische Effekt für heutige Leser*innen in der Konfrontation der Erwartung, dass deutsch-englischer Sprachmix ein aus der eigenen Gegenwart bekanntes und viel diskutiertes kulturelles Phänomen ist, mit der überraschenden Tatsache, dass heftigstes Denglish offenbar schon in den 1920er Jahren verwendet wurde.
Einige der bekannteren frühen Beispiele für deutschamerikanisches Mischmasch dürften in Mark Twains Essay „Die schreckliche deutsche Sprache“ von 1880 zu finden sein: „Sie müssen so freŭndlich sein, ŭnd verzeih mich die interlarding von ein oder zwei Englischer Worte, hie ŭnd da, denn ich finde dass die deŭtche is not a very copious language“. Die Historizität dieses Sprachphänomens wird durch die Lektüre von Steins Gedichten schlagartig bewusst. So ist eine der ersten Assoziationen bei der Lektüre der immer wieder aufblühende Diskurs um Anglizismen und ihre Verwendung in der Jugendsprache.
Die bekannten Internetphänomene der 2010er Jahre, die bewusst Deutsch und Englisch vermischen, – etwa Money Boy und die Vongsprache – zeigen, wie aus der empirischen Realität von Sondersprachen Kunstprodukte entstehen können. Die offenbar lange Geschichte des Denglish gipfelte in den letzten Jahren in jugendsprachlichen Verballhornungen klassischer Werke, mit einem Hang zum Cringe, etwa in Shahak Shapiras „Holyger Bimbel. Storys vong Gott u s1 crew“ (2017): „Gott: Seest du den Applez da auf dem highen Tree?“ (S. 12) oder in dem Sprachexperiment „Woyzeck in Jugendsprache!“ (2023) von Asin Andkohiy: „Du bist so ne horny Bitch, nicht wie ich“. NDR Kultur kommentierte: „Super Idee … Einigermaßen cool von Reclam!“
Die Wertung ‚cool‘ oder ‚einigermaßen cool‘ ist ein Unterschied ums Ganze, ähnlich der Kontroverse zwischen Kafka und Brod, die jüngst in einer ARD-Miniserie filmisch verarbeitet wurde, ob Literatur ‚gut‘ oder nur ‚gut genug‘ sein sollte. Kurt M. Steins Lyrik war gut genug: „Ich heis’ net Keats or Heine, das iss klaar“, schreibt er in seinem „So-net zu mei Readers“ am Schluss der ersten Lyriksammlung. Stein war in der deutschamerikanischen Community offenbar sehr erfolgreich, wofür die sieben Auflagen des Buches in den ersten 13 Monaten nach seinem Erscheinen sprechen.
Schon früher, während des Ersten Weltkriegs, gab es in den USA immerhin vier oder fünf Millionen Sprecher*innen des Deutschen – ein großes potenzielles Publikum für K. M. S. Es folgten weitere Gedichtbände – „Gemixte Pickles“ 1927 und „Limburger Lyrics“ 1932 – und 1953 eine Gesamtausgabe der Lyrik mit Ergänzungen, „mit Additions von neugehatchter Nonsense“, wie der Autor auf dem Titelblatt vermerkte. Stein traf auf ein deutschamerikanisches Publikum, auf die heute noch größte Abstammungsgruppe in den USA, bei der er anscheinend deutsche bildungsbürgerliche Erziehung voraussetzen konnte. Sein erster Band enthält unter anderem Bearbeitungen von „Tristan und Isolde“, Heines „Lorelei“, Shakespeares „Hamlet“ und „Aida“. Die Hauptfigur dieser Oper zitiert dann auch folgerichtig Schiller: „Durch diese Alley muss er kommah“ – was für ein quirky kulturelles Mashup!
Über den Dichter Kurt M. Stein ist mit konventionellen Recherchemethoden nicht viel herauszufinden. Ein Photo von Stein liegt mir nur durch einen antiquarischen Zufall vor. Sein Nachlass wird in der Chicagoer Newberry Library aufbewahrt, wo auch einige biographische Basisinformationen hinterlegt sind. Die Familie zog 1895 nach Chicago. Steins Gedichte wurden ursprünglich von seiner Schwester inspiriert, die Englisch und Deutsch auf eine amüsante Weise vermischt haben soll. Er publizierte seine poems etwa ab 1913, zunächst in den „Chicago Daily News“, hatte später eine Kolumne unter dem Titel „Line of Type or Two“ in der „Chicago Tribune“. Als Chef des Ledergroßhandels Leo G. Stein & co. verdiente er seinen Lebensunterhalt, war nebenbei Mitglied des Kulturvereins Cliff Dwellers, wo seine irreverent Theaterstücke, Songs und Operetten aufgeführt wurden.
Kurt M. Stein war laut der „Multilingual Anthology of American Literature“ nicht der einzige Dichter des Germerican, bekannt war zum Beispiel auch Charles G. Lelands Gedicht „To a Friend Studying German“, das mit der Frage beginnt „Will’st dou learn de Deutsche Sprache?“ Die Frage, wer oder was hier eigentlich Gegenstand der Satire wird, stellt sich auch für Steins Lyrik. Die Germericanliteratur entwickelte sich in einem kulturellen Umfeld mit einander widerstrebenden Tendenzen. Einerseits wurde in dieser Literatur vielleicht die Trauer über den Verlust der Muttersprache verarbeitet – Deutschunterricht wurde in den USA im Zuge des Ersten Weltkriegs verboten – und sich über das ‚barbarische‘ Germerican als Zeichen eines angenommenen Kulturverfalls lustig gemacht.
Andererseits war die Zwischenkriegszeit eine Zeit des Multilingualismus. In den USA gingen viele davon aus, dass sich die amerikanische Sprache zu einem polyglotten Idiom entwickeln wird. Entwicklungen der Höhenkammliteratur der Zeit korrelierten damit. Prominente Beispiele für multilinguale Experimente in sogenannter macaronic language sind T. S. Eliots „The Waste Land“ und James Joyces „Finnegans Wake“. In Steins satirischen Gedichten spiegeln sich diese allgemeinen kulturellen Tendenzen, aber auch die Normen seiner Community: Einige seiner Verse in der Art von Herrenwitzen oder mit verletzendem Vokabular dürften ihren Humorwert heutzutage eingebüßt haben.
Dialektologischen Expert*innen bleibt es überlassen, Kurt M. Steins pidginähnliches Idiom sprachlich korrekt zu klassifizieren. In einigen antiquarischen Angeboten sind seine Bücher fälschlicherweise unter dem Schlagwort Pennsylvania Dutch verzeichnet, einem sich schon seit dem 18. Jahrhundert entwickelnden deutschamerikanischen Dialekt auf der Basis des Pfälzischen. Es ist wahrscheinlich, dass Stein reale sprachliche Entwicklungen den deutschsprachigen Immigranten aus seinem Umfeld abgehört und in seine dichterische Kunstsprache, die schönste Lengevitch, verwandelt hat.
Ob jemand überhaupt so gesprochen hat, sei unklar, wie Kevin Kurdylo vom Max Kade Institute for German-American Studies in einer Miszelle zu Stein meint. Dagegen steht die Einschätzung aus der oben genannten Anthologie, dass es in den USA damals Hunderttausende Sprecher*innen des Germerican gegeben habe. Der Dichter selbst beschreibt seine Lengevitch so: „To me, the most interesting thing is the giving of new meanings to words through similarity of sound oder association of ideas. For instance, the most common: like (adverb, similar): gleich; hence, to like – gleichen. Then verbal translations of idiomatic phrases: I’ve made up my mind – Ich habe meine Meinung aufgemacht (for sich entscheiden or entschliessen.) Or, Ich wunder (I wonder) for Ich möchte wissen. These are all very common“ (aus dem Vorwort von 1926).
Wie soll man literaturgeschichtlich umgehen mit einem Kuriosum wie der Lyrik von K. M. S.? Die quirkiness dieser Dichtung entwickelt auch heute noch einen großen humoristischen Sog, gleichzeitig sollte sie angemessen historisiert und erforscht werden. Kurt M. Steins Literatur ist momentan, so scheint es mir, fast völlig unbekannt und müsste als Untersuchungsgegenstand im deutschsprachigen Raum erst einmal konstituiert werden. Vielleicht trägt dieser Artikel ein wenig dazu bei. – Zum Schluss soll noch einmal die schönste Lengevitch selbst zur Sprache kommen, und zwar in Form des Anfangs des Stein’schen „Faust“, seinem ersten Werk in Germerican, wahrscheinlich am allerschönsten vorgelesen in Steins thüringischem Heimatdialekt:
Zur Zeit als’s noch gab Country Fairs,
Da boarded in der Rear, upstairs,
A Doctor, wo schon alt und lame;
Doc Faust war er gecalled by name.
Er war a shmarter Mann, all right,
But, er war nie gesatisfite.
Den ganze Tag lang tut er kicken
Und wünscht er wär a Frühlings shicken;
Und eine Nacht, about um Zwölf,
Da hollert er: „Mephisto, helf!“
Mephisto kommt aus seiner Höll’ vor
(Und ’s ganze Building shmelt nach Sulphor),
Und fragt den Faust, „Was is die Mätter?“
„Ach,“ sagt der Doc, „zum Donnerwetter,
’S is kei use dass ich bin so wise,
Ich wär gern einer von die Boys.“
Autorenbild Kurt M. Steins, Schutzumschlag der Ausgabe von 1954.
Quellennachweise und weitere Informationen
Die genaue Druckgeschichte der Lyrikbände Kurt M. Steins ist mir nicht bekannt. Mir liegen nur die Ausgaben bzw. Auflagen von 1926, 1930, 1932, 1954 und 1986 vor.
Die Schönste Lengevitch. By K. M. S. With an Introduction by Richard Atwater. 7. Aufl. Chicago: Pascal Covici 1926 (Erstaufl. 1925; Provenienz: Exlibris William Beyer, mit Widmung von Harriet Dramann und Beyers Adresse).
Gemixte Pickles. By K. M. S. 2. Aufl. New York: Covici, Friede 1930 (Erstauflage 1927; Provenienz: Exlibris Himan Richard Glick, mit Autorwidmung an Glick).
Limburger Lyrics oder Odes in Die Schönste Lengevitch. By K. M. S. New York: Covici Friede 1932 (Erstaufl.; Provenienz: Kurt Zander sowie Caspar, Krueger, Dory Company Collection).
Die Allerschönste Lengevitch (Die „Schönste Lengevitch“ mit „Gemixte Pickles“ und „Limberger Lyrics“ zusammen downgeboilt, und plenty geseasont mit Additions von neugehatchter Nonsense). By K. M. S. 2. Aufl. New York: Crown 1954 (Erstaufl. 1953).
Kurt M. Stein: The Lorelei vom Michigan-Sea. 33 Gedichte in Germerican. „Die schönste Lengevitch“. Nach der Originalausg. von 1926 neu hrsg. von Hein Versteegen. Göttingen: Bert Schlender 1986 (Bibliothek der Entdeckungen. Amerikanische Reihe).
The Multilingual Anthology of American Literature. A Reader of Original Texts with English Translations. Hrsg. von Marc Shell und Werner Sollors. New York und London: New York Univ. Press 2000, S. 533–551 (Kapitel zu Kurt M. Stein).
Kevin Kurdylo: Poems of Gemütlichkeit, chuckles, and Umlauts. The Work of Kurt M. Stein. Max Kade Institute Friends Letter 13, Nr. 2 (Sommer 2004), S. 8–10.
Leslie Morris: German Jewish lengevitch: A Plurilingual Poetics of Meddling. In: Nexus. Essays in German Jewish Studies 5 (2021), S. 195–212.
From the MKI Library & Archives – Die Schönste Lengevitch. University of Wisconsin-Madison. Online unter: https://mki.wisc.edu/collection-features/from-the-mki-library-archives-die-schonste-lengevitch/
Kurt M. Stein papers. Chicago, Newberry Library, Modern Manuscripts & Archives at the Newberry. Katalogeintrag online unter:(Siehe dort die weitere biographische Information: „He was married to Lois Williams, and they had no children“.)
Kurt M. Stein ist nicht zu verwechseln mit dem österreichisch-amerikanischen Schriftsteller und Journalisten Kurt Stein (mit dem Pseudonym Karl Eska, 1905–1985). Siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Eska
Ein früher Hinweis auf das Denglish Ausgewanderter ist in einem Artikel von 1803 über Deutsche in London zu finden, mit dem langen Titel: Wie verhält sich der Deutsche in England zu seiner Literatur und Sprache? Der Nichtstudierte liest gern Deutsch fort, und nimmt selten Theil an der englischen Literatur. Deutsches Rothwälsch in London. Proben davon. In: London und Paris 11 (1803), S. 18–28, besonders S. 27.
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Foto von Sawyer Bengtson auf Unsplash