Mahmoud Hosseini Zad hat Dürrenmatt, Brecht und zuletzt die Tagebücher von David Rubinowicz ins Persische übersetzt, wurde 2013 mit der Goethe-Medaille geehrt. Während deutsche Literatur in Iran viele Leser findet, beklagt er Desinteresse und Einseitigkeit bei deutschen Verlagen. Gerrit Wustmann hat mit ihm gesprochen.
In Iran erscheint wahnsinnig viel europäische und amerikanische Literatur in Übersetzung…
Mahmoud Hosseini Zad: Wir sind stark von Übersetzungen abhängig, nicht nur in der Literatur. Auch in der Technik, Medizin, Psychologie, Philosophie. Das schadet uns auch, wenn wir nichts selbst schreiben, sondern nur das übersetzen, was andere geschrieben haben. Übersetzer sind daher sehr respektiert. Das geht so weit, dass auf manchen Büchern der Name des Übersetzers größer gedruckt wird als der Name des Autors. Und weil Iran das Copyright-Abkommen nicht unterzeichnet hat wird oft mehrfach übersetzt, denn die Rechte kosten ja nichts. Wenn ein neues Buch von Murakami erscheint machen sich direkt zwanzig Übersetzer an die Arbeit.
Seit wann ist das so?
Mahmoud Hosseini Zad: Ich habe mal recherchiert, wie viele Werke aus dem Deutschen ins Persische übersetzt wurden. Über Jahrzehnte war das sehr wenig, von 1921 bis 2015 waren es gerade mal etwa 380 Bücher. Aber zuletzt gab es eine Explosion. Von 2015 bis 2018 waren es 530 Bücher.
Wie kommt das?
Mahmoud Hosseini Zad: Dass bei uns so viel übersetzt wird hat mehrere Gründe. Zum einen die Leser. Es gibt nicht wenige, die grundsätzlich keine iranische Literatur lesen, sondern nur Übersetzungen. Aber es liegt auch an der Verlagswelt. Weil es so einfach ist, eine Verlagslizenz zu bekommen, gibt es rund 18.000 kleine Verlage, die müssen aber jedes Jahr wenigstens eine Handvoll Bücher publizieren. Sonst verlieren sie die Lizenz wieder. Aber es gibt schon auch ein Publikum, besonders für deutsche Literatur.
Welche AutorInnen werden denn bevorzugt gelesen?
Mahmoud Hosseini Zad: Das erste deutsche Buch, das meines Wissens übersetzt wurde, war 1921 der Roman „Ein Kampf um Rom“ von Felix Dahn. Das zweite war Goethes „Werther“. Das zeigt auch eine gewisse Wahllosigkeit. Und bis in die Achtziger wurden nur ganz bestimmte Autoren übersetzt. Goethe, Böll, Brecht, Grass, Hesse, Thomas Mann. Es war ziemlich einseitig. Ich habe selbst rund fünfzehn Jahre lang kein einziges Buch übersetzt. Weil die Verlage nur ganz bestimmte Autoren wollten. Und ich hatte keine Lust, Mann oder Hesse zu übersetzen.
Was hat dich stattdessen interessiert?
Mahmoud Hosseini Zad: Zeitgenössische, junge Autorinnen und Autoren, die ich dann auch übersetzt habe: Judith Hermann, Ingo Schulze, Uwe Timm. Aber auch Dürrenmatt war als Romanautor neu für die Iraner, sie kannten zuvor nur seine Dramen. Ein wirkliches Interesse an deutscher Literatur gibt es hier seit etwa zehn oder fünfzehn Jahren. Seit man die Gegenwartsliteratur entdeckt hat. Meine Übersetzungen von Julia Franck und anderen werden immer wieder neu aufgelegt. Das heißt nicht, dass die älteren Autoren nicht immer noch gelesen werden. Bölls „Ansichten eines Clowns“ gibt es in zwölf verschiedenen Übersetzungen.
Umgekehrt sieht es anders aus: Vom Persischen ins Deutsche wurden in den letzten fünf Jahren kaum zwanzig Bücher übersetzt…
Mahmoud Hosseini Zad: Mit deutschen Verlagen ist es schon tragisch, obwohl sie so viel größere Freiheiten haben als die Verlage in Iran. Sie wollen nur Politik. Sie haben ihre Orient-Vorstellung vom Anfang des 20. Jahrhunderts mit Harem, Sultan und Sklaven, bis heute nicht abgelegt. Sie wollen Bücher über Mullahs, Ayatollahs, Pasdaran und Gefängnisse. Heißt, sie wollen eigentlich keine Literatur. Die ganz großen Verlage sind wie ein Schaufenster. In der Mitte ist amerikanische Literatur, drumherum gibt es deutsche, französische, italienische Literatur, und irgendwo in einer Ecke steht ein Buch aus oder über Persien. Ob ich das schreibe oder du oder sonstjemand ist ihnen egal.
Empfindest du die Auswahl persischer Übersetzungen ins Deutsche als zu einseitig?
Mahmoud Hisseini Zad: Es gibt drei Gruppen von persischer Literatur in Deutschland. Zum einen die Klassiker, die ab dem 18. Jahrhundert von Rosenzweig, Hammer-Purgstall, Rückert und so weiter übersetzt wurden: Hafez, Saadi, Djami, Rumi, all die großen Dichter – und ihre Übersetzer waren oft ebenfalls Poeten. Dann kamen mit Sadegh Hedayat, Houschang Golschiri und weiteren die Prosaautoren des 20. Jahrhunderts und die zeitgenössischen Autoren wie zum Beispiel Mahmoud Doulatabadi. Die dritte Gruppe sind die Exiliraner. Und was man zur Übersetzung aussucht, das folgt diesem Schema. Es muss unbedingt politisch sein. Es muss was mit dem Schah zu tun haben. Vierzig Jahre nach der Revolution werden noch Bücher über den Schah und den SAVAK übersetzt. Auch die Exiliraner, die jetzt schreiben und dafür Preise bekommen, bewegen sich in dieser Schablone.
Inwiefern?
Mahmoud Hosseini Zad: In diesen Büchern gibt es immer eine sehr nette Familie in Teheran, die Mutter ging zur französischen Schule, der Vater war ein netter Ingenieur oder Militär, und dann gibt es den bösen Onkel und den bösen Nachbar, die sich dem Islam zuwandten, was der netten Familie Angst machte, weshalb sie nach Deutschland oder Amerika ging. Und so weiter… furchtbar!
Du widmest dich in deinen eigenen Texten anderen Themen…
Mahmoud Hosseini Zad: … und damit habe ich auf dem deutschen Buchmarkt keine Chance. Du kennst meinen Roman „20 tödliche Wunden“. Eine prominente Berliner Agentur hat ihn Verlagen angeboten, aber natürlich wollte ihn keiner nehmen. Ein Lektor eines großen Verlages sagte, der Roman gefalle ihm, aber sie hätten gerade erst ein Buch eines irakischen Autors über die Korruption in Saudi-Arabien gemacht, das genüge erstmal. Ein, zwei Bücher pro Jahr mit Bezug zu islamischen Ländern, mehr meinen sie nicht zu brauchen. Aber es sind ja nicht nur die Romane. Auch für die iranische Lyrik interessieren sich deutsche Verlage nicht, obwohl diese sich auf einem sehr hohen Niveau bewegt. Und das müssten sie, wenn sie es ernst meinen würden…
Wobei ich einwerfen muss, dass es nicht nur an den Verlagen liegt. Es gibt durchaus auch große Verlage, die versuchen, iranische Literatur zu machen, die dann scheitert, weil das Interesse der Leser zu gering ist. Und Lyrik liest, so traurig es auch ist, nur eine winzige Minderheit in Deutschland.
Mahmoud Hosseini Zad: Das stimmt schon, aber ich denke dennoch, dass es viel mit der Auswahl durch die Verlage zu tun hat. Das Publikum will vielleicht nicht das tausendste Buch über die Mullahs lesen, sondern auch mal etwas ganz anderes. So gesehen haben die deutschen Leser schon recht. Wie viel kann man denn lesen über Schah, Mullahs und das Evin-Gefängnis? Wahrscheinlich wissen die Deutschen darüber längst mehr als ich… Klar, es gibt kleine Verlage, die es besser machen. Aber die erreichen nicht das große Publikum.
Nutzen wir doch die Gelegenheit: Welches Buch sollten deutsche Verlage unbedingt übersetzen?
Mahmoud Hosseini Zad: Es gibt einen Roman, den ich sehr mag, er heißt „Atemnot“ von Farhad Guran, einem kurdisch-iranischen Autor. Es geht darin um den irakischen Giftgasangriff auf Halabdscha, bei dem 1988 tausende Menschen starben. Zwanzig Jahre später versuchen die Protagonistinnen, die aus dem Dorf stammen, das Verbrechen via Social Media zu rekonstruieren und die Erinnerung daran wachzuhalten. Ein großartiges Buch, das leider auch in Iran bislang kaum wahrgenommen wurde. Und ich möchte die Dichterin Sarah Mohammadi Ardehali empfehlen. Sie war zweimal in Berlin, ich habe sie gerade erst wieder der Botschaft für ein Projekt in Deutschland vorgeschlagen. Es wird wirklich Zeit, dass mal ein Buch von ihr auf Deutsch erscheint.
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