Geldgeschichten: „Dieses Mal ist alles anders!“

Eine Wirtschaftskolumne von Daniel Stähr

„Alle funktionierenden Banken funktionieren einander ähnlich, aber jede zusammenbrechende Bank bricht auf ihre eigene Weise zusammen.“ Irgendwo in den Weiten von Twitter bin ich letzte Woche über diese Abwandlung des berühmten Tolstoi-Zitats gestolpert, die als Kommentar zur Pleite der Silicon Valley Bank (SVB) gepostet wurde. Es fängt das Credo ziemlich gut ein, dem insbesondere viele marktliberale Interessengruppen innerhalb der USA anhängen: Wenn die Märkte funktionieren, ist das der Normalzustand, aber wenn eine Bank zusammenbricht, dann muss etwas Außergewöhnliches, Unvorhergesehenes passiert sein. Der Staat muss unbedingt eingreifen, denn dieses Mal, ja, dieses Mal ist alles anders!

Ich habe mich in den vergangenen zwei Wochen allerdings eher gefühlt, als hätte ich ein Déjà-vu. Zu vieles erinnert derzeit an die Jahre 2007 und 2008, als nach der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers das internationale Finanzsystem vor dem Kollaps stand und die schwerste Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg nach sich zog. Alle Buzzwords sind zurück: Too big to fail, Moral Hazard, Bank Runs. Was wurde nach der globalen Finanzkrise nicht alles versprochen? Nie wieder sollten die Finanzmärkte die Regierungen Europas und Nordamerikas in eine Situation zwingen können, in der sie Milliarden und Abermilliarden für deren Rettung aufbringen müssen.

Auch wenn sich die Pleite der SVB (und in deren Sog die kritische Lage, in der sich die zweitgrößte Schweizer Bank Credit Suisse befindet), (noch) nicht mit dem Ausmaß der Situation vor 15 Jahren vergleichen lässt, wissen wir heute: Nichts hat sich geändert. Oder wie schon Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff in ihrem Buch „This Time is Different: Eight Centuries of Financial Folly“ 2009 gezeigt haben: Ganz gleich, was uns die Interessengruppen aus dem Silicon Valley oder von der Wall Street glauben machen wollen – auch dieses Mal ist nichts anders.

Eine kurze Chronologie der Ereignisse

Aber wie konnte es soweit kommen, dass die sechzehnt größte Bank der USA quasi über Nacht pleite gegangen ist und zahlreiche andere Finanzinstitute in den USA und Europa wenn nicht mit in, so doch zumindest mit an den Rand des finanziellen Abgrunds gezogen hat? Alles fing damit an, dass am 9. März der Versuch der SVB scheiterte, eine Kapitallücke von etwas über zwei Milliarden US-Dollar auszugleichen. Was folgte, war ein sogenannter Bank Run, wie er im Buche steht: Kund*innen holen ihr Geld von der Bank, um es in Sicherheit zu bringen. Da Banken aus Prinzip so aufgebaut sind, dass sie nicht alle Kund*innen gleichzeitig auszahlen können, würde ein Bank Run jedes Kreditinstitut in Schieflage bringen. Im Fall der SVB kommt erschwerend hinzu, dass sie keine klassische Bank für Privatkund*innen ist, sondern vor allem Einlagen von kleinen und mittleren Unternehmen und Start-ups aus dem Silicon Valley hält.

Als sich innerhalb dieses relativ kleinen und untereinander gut vernetzten Kundenstamms die Liquiditätsprobleme herumsprachen, brach Panik aus und der Bank Run begann. SVB-Kund*innen versuchten reihenweise, ihr Geld aus der Bank abzuziehen, was damit endete, dass die US-Aufsichtsbehörden die Bank schließen musste, damit sich die Panik innerhalb des Bankensystem nicht weiter ausbreitete. Für einige kleinere Banken wie Signature Bank oder First Republic, die sich ebenfalls auf den Tech- und Krypto-Bereich spezialisiert hatten, war es da schon zu spät. Und weil die Finanzmärkte in Krisenzeiten wie scheue Tiere sind, reicht eine unvorhergesehene Bewegung, um die ganze Branche aus dem Konzept zu bringen. Kurz nach den Ereignissen rund um SVB gerieten auch Banken und Finanzinstitute unter Druck, die gar nicht unmittelbar betroffen schienen – allen voran die Credit Suisse.

Ist das ein Bail-Out oder ist das kein Bail-Out?

Kurz nachdem die massiven Probleme bei der SVB bekannt wurden, kamen Fragen nach der notwendigen politischen Reaktion auf. Das Weiße Haus um Finanzministerin Janet Yellen war schnell dabei zu versichern, dass es kein Bail-Out der betroffenen Finanzinstitute mit Steuergeldern geben würde. Technisch gesehen haben sie sich daran gehalten. Anders als 2008 wurden keinen Aktionär*innen ihre Anteile an den Banken abgekauft. Zumindest in diesem Fall wurden Verluste nicht von der Öffentlichkeit getragen. Dennoch wurden die Regeln zugunsten der SVB und ihren Kund*innen so angepasst, dass sie für eigene Fehleinschätzungen keinerlei Konsequenzen tragen mussten.

In den USA sind Einlagen bei Banken bis zu einem Betrag von 250.000 US-Dollar versichert. Ein solches System kollektiver Einlagensicherungen existiert auch in Europa (in Deutschland ist die Grenze bei 100.000 Euro). Das bedeutet vereinfacht, dass die Kund*innen dieser Bank, sollte sie pleitegehen, ihr Vermögen bis zu diesem Wert behalten. Alles darüber ist verloren. Finanziert wird diese Einlagensicherung durch einen Fonds, der von den Banken selbst getragen wird. Diese 250.000-US-Dollar-Grenze mag für Privatpersonen nach einer mehr als ausreichenden Schwelle klingen, für die Kund*innen der SVB, die zu einem überwältigenden Teil Unternehmen aus dem Silicon Valley sind, ist sie es allerdings nicht.

Was die US-Regierung also getan hat, um zu verhindern, dass sich die Panik auf den Finanzmärkten weiter ausbreitet, ist das Aufheben dieser Grenze für die SVB, um so die Sicherheit aller Einlagen zu garantieren. Ob es sich dabei um einen Bail-Out handelt oder nicht, ist am Ende eine Definitionsfrage. Es stimmt, dass (bisher) kein Steuergeld direkt geflossen ist, um die angeschlagenen Finanzmarktakteure zu retten. Allerdings werden Einlagensicherungsfonds zu einem großen Teil auch über Gebühren finanziert, die von Banken direkt an die eigenen Kund*innen weitergegeben werden. So tragen indirekt auch Menschen zur Rettung der SVB-Einlagen bei, die in ihrem gesamten Leben keine 250.000 US-Dollar auf dem eigenen Konto haben werden. Und begreift man die Definition etwas allgemeiner, indem man sagt, ein Bail-Out bedeutet nichts anderes, als dass die Regierung eingreifen muss, um die privaten Verluste von Banken und Unternehmen zu begrenzen, dann handelt es sich hier genau darum.

Ob Bail-Out oder nicht, ist aber gar nicht so entscheidend. Denn die Folgen der Maßnahmen der US-Regierung können langfristig gravierender sein, als sie auf den ersten Blick erscheinen mögen. Wieder einmal wurden bestehende Regeln gebrochen oder einfach aufgehoben, um selbstverschuldet in Schieflage geratene Akteure der Finanzmärkte zu retten. Die ursprüngliche 250.000-US-Dollar-Grenze der Einlagensicherung besteht nicht ohne Grund. Sie soll kleine Privatkund*innen schützen, die nicht selbst in der Lage sind zu überprüfen, ob ihre Bank stabil ist und verantwortungsvoll handelt. Anders sollte das bei den Unternehmen des Silicon Valleys aussehen. Es ist sicherlich nicht zu viel erwartet, dass die Verantwortlichen solcher Start-ups in der Lage sind einzuschätzen, bei welcher Bank ihr Geld gut aufgehoben ist – und das bevor es zu spät ist. Die Handlungen der US-Entscheidungsträger*innen haben nun aber eine katastrophale Signalwirkung: Wenn nur lange genug genug Unternehmen mit ausreichend Kapital schlechte Entscheidungen treffen, werden diese auf die eine oder andere Weise gerettet.

In der ökonomischen Theorie gibt es für dieses Prinzip einen Namen: Moral Hazard, was sich am ehesten mit Moralischem Risiko übersetzen lässt. Die Idee dahinter ist simpel. Wenn ich mich gegen ein bestimmtes Risiko abgesichert habe, habe ich einen Anreiz, weniger auf dieses Risiko zu achten. Das klassische Beispiel ist eine Brandschutzversicherung. Wer sich gegen Brandschäden versichert hat, ist tendenziell eher bereit, Kerzen in seiner Wohnung anzuzünden, weil man im Fall der Fälle vor den finanziellen Folgen eines Brandes geschützt ist. Genau das passiert gerade in den USA. Wenn ich als Unternehmen oder Investor*in merke, dass meine gesamten Einlagen bei meiner Bank, sollte es hart auf hart kommen, von der Politik gerettet werden – welchen Anreiz sollte ich dann noch haben, Ressourcen einzusetzen, um zu überprüfen, ob meine Bank verantwortungsvoll auf den Finanzmärkten agiert?

Und dabei hören die Probleme nicht auf. Die Ereignisse rund um die SVB zeigen einmal mehr, dass es sich für Banken lohnt, schnellstmöglich so groß zu werden, dass sie als Too big to fail gelten. Es lässt sich aktuell schon beobachten, dass viele größere Anleger*innen ihre Portfolios in den USA von kleineren Regionalbanken zu Großbanken hin umschichten, in der Gewissheit, bei einer etwaigen Finanzkrise würden diese Banken schon gerettet. Auf die Frage, wie die US-Zentralbank FED oder die Regierung diese Entwicklung stoppen will, hat Yellen in ihrer Anhörung im Senat vergangene Woche keine Antwort geben können. Anstatt dass die Finanzmärkte robuster werden, beobachten wir gerade, wie sich neue, systemische Risiken akkumulieren.

Wer hat Schuld an dem Desaster?

Wer trägt nun aber die Verantwortung für diese Entwicklung? Zum einen selbstverständlich die Führungsriege der SVB. In Zeiten der niedrigen Zinsen hat sie massiv in langfristige US-Staatsanleihen investiert. Mit der Zinswende der FED hat sich die ökonomische Situation grundlegend verändert. Es ist eine der wenigen verlässlichen Regeln der Finanzmärkte: Steigen die Leitzinsen, sinken die Preise für Wertpapiere, wozu auch Staatsanleihen oder Aktien gehören, relativ gesehen. Solange man nicht gezwungen ist, diese Wertpapiere zu verkaufen, ist das auch kein Problem, denn die Verluste werden erst in dem Moment realisiert, in dem die Anleihen zu diesem geringeren Preis tatsächlich verkauft werden müssen. Aufgrund der gestiegenen Nachfrage der Kund*innen nach ihren Einlagen bei der SVB trat genau dieser Fall ein und hat die ohnehin prekäre Lage der Bank dramatisch verschärft.

Das hat dazu geführt, dass die FED und ihre Zinspolitik von vielen Seiten als Hauptschuldige ausgemacht wurden. Getreu dem Motto: Was kann die arme Bank dafür, dass sich der Wert ihres Portfolios wegen der bösen Politik der Zentralbank verschlechtert? Diese Argumentation ist, um den fachlich korrekten Ausdruck zu benutzen, absolut Banane! Über ein Jahrzehnt dauerte die Nullzinspolitik der Zentralbanken an, und genauso lange gab es Diskussionen darüber, wann die Zinswende kommen würde. Dass eine der größten Banken der USA keinen Plan hat, um auf diese lang erwarteten Zinserhöhungen zu reagieren und die eigene Stabilität zu sichern, sagt nichts über die Politik der FED aus, aber alles über die Kompetenz innerhalb der Silicon Valley Bank.

Was in dem aktuellen Fall außerdem gerne vergessen wird; damit Zinserhöhungen die Inflation überhaupt bremsen können, müssen sie negative ökonomische Ereignisse nach sich ziehen (wie sinnvoll das in dem aktuellen Umfeld ist, sei an dieser Stelle mal dahingestellt, darüber habe ich beim letzten Mal geschrieben). Nur ist das anscheinend kein Ding, solange es die Arbeitslosigkeit der normalen Bevölkerung betrifft, aber ein Riesending, wenn die Start-ups des Silicon Valleys in Gefahr sind.

In den letzten Tagen kam, vor allem von Seiten der politischen Rechte in den USA um Ron DeSantis, zusätzlich der Vorwurf auf, die SVB sei „zu woke“ gewesen. Es ist richtig, dass die SVB, wie viele andere Finanzinstitute des Silicon Valleys, viel Wert auf ihre Diversity-, Equity- und Inclusion-Policies gelegt hat. Um daraus allerdings den Grund für den Crash abzuleiten, bedarf es einer speziellen intellektuellen Verrenkung. Insbesondere wenn man bedenkt, dass es die Republikanische Partei war, die 2018 den Bankensektor in den USA teilweise extrem dereguliert hat. Viele der Verschärfungen, die nach der Finanzkrise eingeführt wurden und die an sich schon unzureichend waren, wurden von der Trump-Regierung zurückgenommen. Die SVB selbst hat in den letzten fünf Jahren circa eine Million US-Dollar an Lobbygeldern ausgegeben, um sich gegen härtere Regulierungsvorschriften einzusetzen.

Bescheidene Boni und eine neue Superbank

Die Frage, die sich zuletzt stellt: Hatte die US-Regierung eine Alternative? Die Antwort darauf ist ganz klar – natürlich gab es Handlungsalternativen. Nur hätten diese wahrscheinlich unmittelbar dramatischere Folgen gehabt, die am Ende von dem Großteil der Bevölkerung ausgebadet worden wären, die keinen millionen- oder milliardenschweren Einlagen bei Großbanken haben. In der Logik des finanzkapitalistischen Systems, in dem wir uns bewegen, gilt aber immer noch, dass nur die reichsten Akteure der Märkte keinerlei Konsequenzen ihrer Fehlentscheidungen fürchten müssen. Mein Lieblingsdetail an den Geschehnissen rund um die SVB ist Folgendes, das meinen letzten Satz auf fast schon aberwitzige Weise illustriert: Nachdem die SVB ihre Insolvenz bekannt gegeben hat, haben Mitarbeitende des britischen Ablegers noch Bonuszahlungen erhalten. Insgesamt wurden zwischen 15 und 20 Millionen Pfund ausgeschüttet – aber keine Sorge, diese Boni wurden von den Banker*innen selbstverständlich als „bescheiden“ empfunden.

Um solche Entwicklungen in der Zukunft zu verhindern, müssten politische Akteure weltweit jetzt handeln. Insbesondere muss dafür gesorgt werden, dass Too big to fail kein Heilsversprechen mehr für Banken ist, sondern eine Drohung. Sollte es Finanzinstitute geben, die so groß und wichtig sind, dass sie nicht mehr nach marktwirtschaftlichen Regeln spielen, sie also nicht mehr bankrottgehen können, dann dürfen diese auch nicht mehr privatwirtschaftlich organisiert sein. Entweder müssten solche Unternehmen also zerschlagen werden, oder, wenn sie unabdingbar für das Funktionieren unseres Wirtschaftssystems sind, unter direkte staatliche Kontrolle gestellt werden. Das könnte in Zukunft die Finanzsysteme nachhaltig stabilisieren. Wie realistische diese Option ist, mag jede*r selbst beurteilen.

Während ich diese Zeilen schreibe, wurde die zweitgrößte Schweizer Bank Credit Suisse durch eine Fusion mit ihrem größeren Pendant, der UBS, vor dem Kollaps gerettet. So wird mit Unterstützung staatlicher Garantien durch die Schweizer Regierung, also de facto mit Steuergeldern, eine neue Superbank geschaffen, die selbstverständlich Too big to fail ist. Darüber könnte ich an dieser Stelle einen eigenen Text schreiben. Der würde sich aber natürlich vollkommen von diesem hier unterscheiden. Ach, hatte ich erwähnt, dass nach Auffassung der Credit-Suisse-Führung geplante Bonuszahlungen und Gehaltserhöhungen von der Pleite und der staatlich finanzierten Zwangsfusion nicht betroffen sind und selbstverständlich wie geplant ausgezahlt werden? Immerhin scheinen die Verantwortlichen der Credit Suisse endlich ihre Lektion gelernt zu haben und suchen die Gründe für das Versagen der Bank bei sich. Auf die Frage, wer denn Schuld sei an der aktuellen Situation, antwortet Verwaltungschef Axel Lehmann Folgendes: “Last autumn we had a social media storm and this had huge repercussions […] And too much becomes too much.” 

Wie wir also sehen können: Dieses Mal ist wirklich alles anders! Ganz bestimmt!

In der Wirtschaftskolumne „Geldgeschichten“ ordnet der Ökonom Daniel Stähr jeden Monat aktuelle Phänomene aus den Bereichen Wirtschaft, Finanzpolitik und Ökonomie ein

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