Getäuscht von den eigenen Genen

von Oliver Weber

Im Januar 2018 veröffentlichte der „History“-Channel ein Werbevideo, in dem neue Folgen der Erfolgsserie „Vikings“ angekündigt wurden. Darin ist ein mittelalter, etwas übergewichtiger Mann zu sehen, der Tag für Tag zu seinem Briefkasten rennt und enttäuscht wiederkehrt – bis darin endlich ein lang ersehnter Briefumschlag zu finden ist: „DNA RESULTS – JOHN ROCKSON“. Der Mann überfliegt gierig die Ergebnisse, um schließlich beim offenbar Entscheidenden anzukommen: Er ist, naturwissenschaftlich besiegelt, zu 0,012% Wikinger.

Die folgenden Freudentränen und die Darstellung insgesamt sind, unnötig zu sagen, Überzeichnungen, Teil einer ironischen Werbebotschaft: „Vikings“ ist so gut, dass man sich wünscht, das eigene Leben hätte einen ursprünglichen Anteil an den Geschichten um Ragnar Lodbrok und seinen Gefährten. Doch auch Überzeichnungen kann es nur geben, wo schon etwas vorgezeichnet ist. So auch in diesem Fall: Der Wannabe-Wikinger weiß bereits, welche Ergebnisse er will und was sie ihm bedeuten. Schon vorher stellt ein Sticker an seinem Auto seine Familie als Wikinger dar. Am Ende des Videos erscheint der Schriftzug: „Take pride in your history. Whoever you are. Whoever you think you are“. 

Die Ergebnisse des DNA-Tests, soll das heißen, dienen nur der Beglaubigung eines bereits bestehenden, tieferen Wunsches. Damit verweisen die Werbemacher auf ein Phänomen, dass schon seit mehreren Jahren durch die „Youtube“-Charts geistert: Das öffentliche Hervorzeigen der Ergebnisse von kommerziellen Tests, die vermittels Genanalyse die eigene Herkunft aufzudecken versprechen. Die Videos dienen teils zur Belustigung, teils zur Information über nicht mehr bekannte Vor-Verwandte – aber sie sind auch beliebt, um schon vorhandene kulturelle Selbstverständnisse mit dem Gütesiegel genetischer Abstammung zu versehen. Und spätestens hier ist Skepsis angebracht.

Zunächst muss man jedoch verstehen, wie derartige Herkunftsanalysen im Grundsatz funktionieren. Für den Verbraucher ist alles eigentlich recht einfach. Er bekommt ein Test-Kit zugeschickt, nimmt Proben von seiner DNA, schickt sie einem der vielen Anbieter zu (es handelt sich mittlerweile um eine mehrere Milliarden-Dollar-Industrie) und wartet auf einen Link. Dort bekommt der Kunde schließlich eine Weltkarte zu Gesicht, auf der bestimmte Regionen herausgehoben sind und mit Namen bezeichnet werden – etwa „Nordafrika“, „Balkanbewohner“ oder „aschkenasischer Jude“. Daneben ist dann eine Prozentzahl vermerkt, die angibt, zu welchem „Anteil“ man aus dieser Region „stammt“.

Der Teufel im Detail

Allerdings fangen hier die Probleme bereits an. Denn was für den Kunden denkbar simpel aussieht, ist eigentlich recht schwer zu interpretieren: Was bedeutet „Anteil“ genau? Die Länge des DNA-Abschnitts? Die Anzahl der Vorfahren? Die Wahrschei…

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