Mit Erzählungen ist der schmale Band des Schweizer Verlages Der gesunde Menschenversand untertitelt. Beim Durchblättern fällt aber sofort der Satzspiegel ins Auge, der vielmehr Gedichte als Erzählungen vermuten lässt, tatsächlich sind die Texte wohl beides. Michael Fehr sieht so schlecht, dass er nicht schreibt, sondern spricht. Seine Lesungen sind dementsprechend eindrückliche Ereignisse, bei denen ein geheimnisvoller Mann mit geschlossenen Augen, zerbrechlich und in sich versunken, mit Kopfhörern seine Texte vor dem Rezitieren nachhört, sie also sich selbst nachspricht.
Der berühmteste Lyrik-Spruch, Musst Du laut lesen, sollte hier unbedingt einmal ausprobiert werden, bevor man dem dies Sagenden vor das Schienbein tritt. Michael Fehr arbeitet vor allem mit Wiederholungen, Variationen und die Parallele zur Fuge – vgl. Todesfuge von Celan – ist offensichtlich und glänzend umgesetzt. Seine Erzählungen daher viel poetischer, wirkmächtiger, eindringlicher als normale Prosa. Inhaltich sind sie meist eine Mischung aus Parabel und Fabel, Tiere sprechen, Menschen sind und bleiben allein oder fallen nach einem scheinbar rauschhaft-erfolgreichem Leben auf sich selbst zurück.
Die Kunst Fehrs ist selbstverständlich nicht unbeachtet geblieben, beim Bachmannpreis gewann er 2014 den Kelag-Preis, zweimal bereits den Literaturpreis des Kantons Bern. Weil aber seine Texte Aufmerksamkeit und Geduld erfordern, die die Wenigsten aufzubringen bereit sind, fliegt er trotzdem in Deutschland unter dem Radar. Wer jedoch Lust auf Kunst mit Sprache und Kunst aus Sprache hat, sollte zu Glanz und Schatten greifen und erleben was in der deutschsprachigen Literatur geschieht und mit der deutschen Sprache möglich ist.
„Er redet glänzend“
reden die Leute und schwatzen
„Ich sehe mies“
redet er zwischen sie hinein
„Er redet gut“
reden die Leute
strecken ihm glänzenden Fisch hin
In die Arbeitsweise Michael Fehrs führt das folgende Video ein. Sollte man die Gelegenheit haben eine Lesung von ihm in der Nähe veranstaltet zu wissen, sollte diese auch besucht werden. Schwizerdütsch sollte man sowieso viel mehr hören.
Zur Rezension von Jochen Kienbaum zu Michael Fehrs Krimi Simeliberg hier entlang.