Muskelmänner, Hoden-Bestrahlung und Faschismus – Von “300” bis zu Tucker Carlson 

von Annika Brockschmidt

Gestählte, schwitzende, nackte Oberkörper, Liegestützen, sich wölbende Muskeln, zwei spärlich bekleidete Männer, eng umschlungen im Kampf – auch sie muskelbepackt. Ein blonder, ebenso durchtrainierter Mann, der auf Plastikflaschen schießt. Plötzlich der Griff einer Männerhand an ein Kuheuter. Dann schwillt die Musik – bisher waren es bedrohliche Paukenschläge – dramatisch an: Wir sehen einen komplett nackten Mann in Erlöser-Pose auf einem Hügel stehen, die sehnigen Arme zum Himmel gereckt. Vor ihm steht etwas, das wie ein gigantischer Covid-Test aussieht und die Sicht auf die Geschlechtsteile verdeckt. 

From #NYTimes "A promo for an upcoming Fox show describes a testosterone “calamity” among American men, along with an unlikely treatment" Trailer for #TuckerCarlson 's new "documentary" 😂😂😂 pic.twitter.com/GHJXbzxcPS

— Mohammed Ali Naqvi (@manaqvi) May 5, 2022

Dieser Trailer für die neue Dokumentation “The End of Men” des Fox-Moderators Tucker Carlson hat für viel Spott gesorgt – vor allem, als klar wurde, dass es sich bei dem Gerät nicht um einen leuchtenden Covid-Test handelt, sondern dass der nackt auf dem Steinhaufen stehende Mann seine Hoden mit UV-Licht bestrahlt – das soll, laut Macho-Fitness-Influencern, nämlich die Spermienzahl erhöhen. Was aber hat diese Inszenierung halbnackter und nackter Männer, die in Zeitlupe riesige Autoreifen umwerfen, mit der amerikanischen politischen oder gar religiösen Rechten zu tun, für die Carlson der mediale Gewährsmann geworden ist? Auf den ersten Blick mag das Video lächerlich erscheinen, es bietet aber tatsächlich einen erschreckenden Einblick in die Ideologie der sich immer stärker radikalisierenden amerikanischen Rechten, weil in rechter Ideologie, und ganz besonders im Faschismus, Geschlechterrollen inhärent politisch sind, wie zahlreiche Historiker*innen und andere Geisteswissenschaftler*innen gezeigt haben. 

Männer im immerwährenden Kriegszustand

Der Historiker Michael Hatt schreibt: “Die Stabilität von Maskulinität hängt von der Sichtbarkeit des männlichen Körpers ab; um erlernt und konsolidiert zu werden, benötigt Maskulinität einen Austausch zwischen Männern.” [1] Die Darstellungen von idealisierter, militanter Männlichkeit sind nicht nur ein wichtiges Propagandamittel für Faschisten, sondern sie liefern Betrachtern einen tiefen Einblick in ihr Denken. Der Faschismus benötigt einen immerwährenden Kriegszustand. Dabei muss es sich nicht um einen realen Krieg handeln – stattdessen wird ein Narrativ aufgebaut, in dem das “echte” Volk von außen bedroht wird. Von äußeren Feinden, die man gleichzeitig als unglaublich mächtig, aber auch als verabscheuungswürdig und degeneriert abwertet. Um dieser immerwährenden Bedrohung entgegenzutreten und die Feinde besiegen zu können, braucht es nach diesem Verständnis im Faschismus Männer – und zwar physisch starke Männer, die nicht nur in der Lage sind, große Autoreifen durch die Gegend zu werfen, sondern die auch durch ihre übermächtige Physis den Gegner abschrecken können. Und so verbindet der Faschismus, wie die Historikerin Ruth Ben-Ghiat schreibt, “Männlichkeit mit der Performance gewaltsamer Handlungen”. [2]

Tucker Carlson gehört zu den Vertretern der amerikanischen Rechten, die geradezu besessen sind von diesem Männlichkeitsbild und die sich gleichzeitig in ihrer LGBTQ-Feindlichkeit schon vorauseilend von dem, was sie als “degeneriertes” sexuelles Verhalten ansehen, abzugrenzen versuchen. Trotzdem ist eine gewisse Homoerotik in den sorgsam inszenierten Bildern von nackten und halbnackten Männern, die miteinander ringen oder deren Bizeps sich in Zeitlupe spannt, enthalten. Denn der männliche Körper soll durchaus ein begehrenswerter sein, allerdings nur in einem strikt heterosexuellen Rahmen, dennoch ist Carlsons Trailer keine Frau zu sehen. Weshalb also der Fokus auf begehrenswerte Männerkörper und Kraft? Das liegt daran, dass im Faschismus Nähe zwischen Männern nur in einem militarisierten, brutalisierten Kontext akzeptabel ist. Ein solcher “schützt” den Mann vor dem Verdacht, homosexuell zu sein. Emotionale Nähe wird ausschließlich in Konzepten wie Kameradschaft beschworen, die gleichzeitig das soldatische Ideal als Synonym für das männliche Ideal framed.  

Psycholog*innen und Historiker*innen haben wiederholt darauf hingewiesen, dass diese Erzählung vom dauernden Belagerungszustand und vom stets kampfbereiten Mann den Boden für Gewalttaten der eigenen Anhänger gegen diejenige– bereitet, die nicht zum “wahren Volk” dazugehören. Es kommt nicht von ungefähr, wenn in Zeitschriften wie “The American Mind” etwa der rechte Publizist Glenn Elmers fordert, dass die Staatsbürgerschaft nicht genug sei, um als Amerikaner zu gelten. Womit wir beim Herzstück des Weißen, Christlichen Nationalismus angekommen wären: Dort wird Amerika als Land gesehen, das von Weißen Christen für Weiße Christen gegründet wurde. Mit Christen sind jedoch nur diejenigen Christen gemeint, die die politischen Einstellungen der Rechten teilen – die anderen, so wird behauptet, seien keine “echten Christen” – und damit eben auch keine “echten Amerikaner”. Die Identitäten von Christ und Amerikaner sind im Christlichen Nationalismus untrennbar miteinander verschmolzen. Gleichzeitig spielen Blut und Boden in dieser Ideologie eine zentrale Rolle: Diese Fokussierung rührt daher, wie der Yale-Soziologe Philipp Gorski beschreibt, dass hier eine Parallele gezogen wird zwischen der Eroberung des Heiligen Landes durch die Israeliten in der Bibel und der gewaltsamen Eroberung des amerikanischen Kontinents durch Weiße christliche Einwander. Durch das vergossene Blut sei der Boden geheiligt worden – der wiederum mit Waffengewalt verteidigt werden müsse. 

Der Faschismus verherrlicht Gewaltausübung – aber nur durch die Männer der “Volksgemeinschaft”. So ist im Christlichen Nationalismus die Ausübung von Gewalt durch Weiße, christliche Männer oder gar männliche Jugendliche wie Kyle Rittenhouse nicht nur positiv besetzt, sondern teils sogar erwünscht. Daher ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass in Carlsons Trailer auch eine Waffe abgefeuert wird. Männliche Wehrhaftigkeit gegenüber degenerierten Bedrohungen, die das Land – und damit das Volk – vernichten wollen, ist hier positiv konnotiert. Dabei müssen die (imaginären) Bedrohungen nicht von außen kommen. Stattdessen wird häufig von einem Feind im Innern gesprochen: Die amerikanische Rechte sieht ihre politischen Gegner, die Demokraten, keineswegs als genau das an, was sie in einem demokratischen System sein sollten – politische Gegner, mit denen man sich mal einig ist, mal nicht. Stattdessen sehen sie deren Vorstellung einer multi-ethnischen, pluralistischen Demokratie als zutiefst un-amerikanisch an. Und mit einem Gegner, der das Land ins Verderben stürzen will, verhandelt man nicht. 

Faschistische Männlichkeit in populären Erzählungen

Tucker Carlsons Trailer und die Dokumentation sind bei weitem nicht die einzigen Darstellungen faschistischer Männlichkeit, die sich in den letzten Jahren in die Öffentlichkeit geschlichen haben – oder, wie im nächsten Beispiel, eher mit lautem Gebrüll Einzug in die Popkultur gehalten haben. Der Film “300” kam 2006 in die Kinos und behandelt die Sage vom Spartanerkönig Leonidas, der mit nur 300 seiner Männer das übermächtige persische Heer besiegt hat. Keiner der Männer überlebte, aber sie retteten heroisch ihr Vaterland. Es erinnert an das Konzept des “Heldentods”, das auch die Nazis anpriesen. Aber das ist nicht das einzige faschistische Element des Films. Die Darstellung der Spartaner ist eine exakte Umsetzung faschistischer Männlichkeitsfantasien: Harte Kerle, riesige Muskeln, vom Kampf schweißnasse Körper, gestählt in der Wildnis. Dass sie beinahe unbesiegbar sind, haben sie Eugenik zu “verdanken” – wer zu schwach ist, wird getötet. Es ist übrigens kein Zufall, dass James Dobson, ein höchst einflussreicher “Pädagoge” in der Religiösen Rechten, bei dem Eugeniker Paul Popenoe gelernt hat – der selbst nach dem zweiten Weltkrieg die Eheberatung für Weiße Paare als eine Form “positiver Eugenik” begründete. 

Aber zurück zu den schwitzenden Spartanern: Ihre Gegner – in diesem Fall der Perserkönig und sein Heer – werden als dekadent, deutlich homosexuell konnotiert und unmenschlich dargestellt. Fans des Films verteidigen ihn als eine Meta-Kritik am Faschismus, doch die Behauptung fällt rasch in sich zusammen. Der Youtuber Big Joel, der vor kurzem die frühere Diskussion über die faschistische Natur des Films erneut anstieß, identifiziert die sexuelle Degeneriertheit der Perser und ihre Darstellung richtigerweise als eindeutigen faschistischen Marker: “Wir wissen, dass es sich [bei dem Film] nicht um eine subtile Kritik von Sparta oder Faschismus handelt, weil die Königin in der Nebenhandlung von einem Mann vergewaltigt wird, der von Persischen degenerierten Neigungen pervertiert wurde.” Der Unmenschlichkeit der Gegner wird auch bildlich Ausdruck verliehen: Die Perser sind monströse, exotisierte Gestalten, die die spartanischen Beschützer der Zivilisation vernichten wollen. 

Die Vorstellung von hegemonialer Männlichkeit als Grundstein der Zivilisation ist an sich kein Gedanke, der nur dem Faschismus eigen ist – sondern allen patriarchalen Gesellschaften. Es ist die Kombination mit anderen Merkmalen und Narrativen, die entscheidend ist. Was aber hat es mit dem Bestrahlen der Hoden auf sich? Was so lächerlich klingt, zeigt tatsächlich die Verbindung zu White Nationalism auf. Denn in demselben Trailer wird gezeigt, wie es Spermien nicht gelingt, in eine Eizelle einzudringen. Und hier ist nicht einmal Interpretation gefragt: Die raue Erzählerstimme tut uns bereits den Gefallen. “Schwache Männer” – hier dargestellt durch offene Fatphobia – sorgten dafür, dass Gesellschaften untergehen. Die Eizellen-Szene spielt auf sinkende Geburtenraten an. Dabei handelt es sich um ein Lieblingsthema von White Nationalists wie Tucker Carlson, der schon seit Jahren die niedrigen Geburtenzahlen von Weißen Babys beklagt – im Gegensatz zu den sich laut seinem Narrativ massiv schnell vermehrenden BPoC, die als Migranten ins Land gekommen seien. Damit ist der Weg nicht weit zu Verschwörungsmythen wie dem “Great Replacement” (deutsche Übersetzung etwa “Umvolkung”) oder gar dem sogenannten “White Genocide”. 

Antimoderner Zeitenkreislauf

“Schwache Männer”, erklärt die Erzählerstimme, wachsen in “guten Zeiten” auf. Auf das Goldene Zeitalter folgt das des Niedergangs, der Zerstörung – ein Zeitalter, das “starke Männer” hervorbringt, die “überleben” können. Oder, wie der Erzähler sagt: “Eisen schärft Eisen”. Die Assoziierung zu Hitlers Formulierung, die Jugend solle “hart wie Kruppstahl” sein, drängt sich geradezu auf. Diese Männer, sagt der Erzähler, würden dann wieder “Ordnung herstellen”. Ein Beispiel dafür, was Carlson meint, wenn er davon spricht, dass “Ordnung” wiederhergestellt werden muss, lässt sich leicht finden: Kyle Rittenhouse, der auf einer BLM-Demonstration zwei Menschen erschossen hat. Damals sagte Carlson, Rittenhouse habe “Ordnung verteidigt, weil es niemand sonst tun wollte”. 

“Und so beginnt der Kreislauf erneut”, schließt der Erzähler in Carlsons Trailer. Der mystische Tonfall mag irritieren. Tatsächlich aber beschreibt das Video eine Form des Traditionalismus wie sie Steve Bannon und Alexander Dugin vertreten. Beide beziehen sich in ihren Gesellschaftsvorstellungen auf René Guénon, den Begründer des Traditionalismus, und den italienischen Faschisten Julius Evola. Kern des Traditionalismus ist die Ablehnung der Moderne (mit Ausnahme ihrer technischen Errungenschaften) in Verbindung mit Esoterik und Mystik. Das äußert sich, ähnlich wie im Faschismus, auch in einer Verklärung des Landlebens, beziehungsweise in einem Anti-Urbanismus. Es ist also nur passend, dass wir in Carlsons Trailer voller schwitzender Männerkörper einen von ihnen beim Kühemelken sehen. Schweiß und Boden eben. 

Während die Moderne an einen immerwährenden Fortschritt glaube, an eine stete Weiterentwicklung, bewegt sich das traditionalistische Weltbild nicht auf einem Zeitstrahl. Das äußert sich in traditionalistischer Vorstellung in einem Zeitenkreislaufs, den man sich – unter Berufung auf ein indo-europäisch-arisches Erbe – aus dem Hinduismus geborgt hat. Der Traditionalismus ist auf der Suche nach Spiritualität und Religiosität und fühlt sich von östlicher Mystik angezogen. Das ist religionsübergreifend – einige Traditionalisten sind Sufisten, andere russich-orthodox, wieder andere gehören gar keiner festen Religionsgemeinschaft an. Was sie alle verbindet: Sie glauben, dass wir uns im vierten Zeitalter, im “Kali Yuga”  befinden: dem Zeitalter der Zerstörung. Das bedeutet, die Welt – degeneriert, dekadent und korrupt – muss erst vernichtet werden, bevor ein neues, goldenes Zeitalter aus ihrer Asche entstehen kann. Nicht umsonst bildet sich hier eine Parallele zu Black-pilled White Nationalists, Akzelerationisten, die der Ansicht sind, dass Gewalt und Zerstörung der jetzigen Gesellschaft der einzige Weg sind. Diese Ansicht ist auch in Incel- und Male-Supremacy-Kreisen weit verbreitet – hier mit dem Zusatz, dass es ihnen nur durch Gewalt gelingen wird. Nicht umsonst hat Umberto Eco in seinem Text “zum Urfaschismus” “Traditionenkult” oder “Traditionalismus”, sowie die “Ablehnung der Moderne” als zwei Merkmale desselben genannt. 

Die Nähe des Begriffs “Kali Yuga” in Online-Communities zur extremen Rechten ist am Beispiel 4chan wissenschaftlich belegt. Umso beunruhigender ist es, wenn diese Ideologie durch Figuren wie Tucker Carlson und Joe Rogan, der einen sehr erfolgreichen Podcast bei Spotify betreibt, den konservativen Mainstream erreicht. Der Niedergang konservativer Werte und damit auch der Niedergang Amerikas ist für Carlson direkt mit einer angeblichen “Verweichlichung” der männlichen Bevölkerung zu erklären. So nickte er beispielsweise zustimmend, während der rechte Radio-Kommentator und Ex-Soldat Jesse Kelly in seiner Show sagte, das amerikanische Militär “braucht nicht frauen- oder schwulen-freundlich sein, sondern es braucht Männer vom Typ A, die auf einem Haufen chinesischer Schädel sitzen wollen.” 

Wenn also Tucker Carlson, der zwar bereits seit Jahren als Brücke von White Supremacist Talking Points von der extremen Rechten zur berühmten “bürgerlichen Mitte” fungiert, sich zunehmend radikalisiert, einen Film über eine angebliche Krise der Männlichkeit produziert, wenn der Ruf nach “harten Männern” laut wird, sollten unsere Alarmglocken schrillen. Denn hinter diesem kurzen Trailer –  bei aller Albernheit bestrahlter Hoden –  steckt eine faschistische, gewalttätige und gefährliche Ideologie, die auf Eskalation setzt. 

[1] Michael Hatt: Muscles, morals, minds: the male body in Thomas Eakin’s Salutat, in:Kathleen Adler und Marcia Pointon (eds), The Body Imaged: The Human Form and Visual Culture Since the Renaissance, Cambridge 1993.

[2] Ruth Ben-Ghiat: Unmaking the fascist man: Masculinity, film and the transition from dictatorship, in: Journal of Modern Italian Studies, vol. 10 nr. 3 (2005), S. 336-365. 

Photo by photo nic on Unsplash

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