Randnotizen

Manchmal stößt man beim Scrollen durch die Timeline auf Texte, die den gewöhnlichen Strom aus Neuigkeiten, Selbstnarrativierungen und Sprachspielen weit hinter sich lassen und Statusmeldungen in Literatur verwandeln – Elisa Asevas Beiträge auf Facebook gehören zu diesem Genre. Wir freuen uns daher, dass wir Texte von Elisa Aseva in der Reihe 54stories präsentieren können.

 

10.11.2018, 21:45 Uhr

beim aufräumen die unscharfen fotos.
du auf dem sofabett, vor dem kacheltisch mit kram drauf.
das war der winter in dem wir die eissorten mit den meisten chemischen zusätzen durchgingen.
und die verfügbaren bestellservices, am liebsten chinabox wegen der verpackung mit den süßen drachen. es war der winter in dem wir uns die schwere decke teilten.
es gab nur diese eine, aber sie war groß wie ein see oder ein schwimmbad.
groß genug jedenfalls um nur kurz daraus aufzutauchen, aufs klo zu gehen oder das eis aus dem fach zu holen.
manchmal schwammen wir darin. ich suchte deine hand.
und dann gleiten durch die unterdecketiefen

– – –

rauhe seesternhaut, anemonenblick.

hörst du die wale?
jaaa.

– – –

wir durchfluteten uns, tauchten ineinander, neben dem griff in die chipstüte oder zur fernbedienung.
unser atem legte eisblumen auf die fenster, wir freuten uns darüber.
noch eines dieser wunder.
als immer öfter die türklingel ging, hielten wir die luft an um das lachen zu verdrücken. wenn es gar nicht mehr ging, pressten wir die münder in die decke und lachten stumm hinein.
du suchtest meine hand.
nachdem die heizung abgeschaltet wurde wärmten wir aus dem backofen, unserem „kamin“ und tauchten noch tiefer hinab. bis es in den ohren rauschte.

bis ich eines morgens erwachte, aus dem bett und über die im zimmer verstreuten tüten und eisschalen stieg und vorsichtig die tür zuzog.
der morgenverkehr stand noch bevor, die strasse lag leer. durch den pyjama spürte ich warmen wind + beschloss dem salz in der luft zu folgen.

hey. ich hoffe es geht dir gut.
keine offenen rechnungen für nessie

 

24.11.2018, 15:46 Uhr

warte! nur noch rasch
den honig erwärmen bevor ich ihn dir
über die blassen kokosbrüste gieße
das fenster öffnen auf dass
schwarzer sesam hereinwehe
und kältemoleküle
deine süße speise kosten
rieche donner atme blitz
wenn sich die temperaturen
auf meiner zunge
begegnen

 

22.01.2019, 13:37

die deutschen mit ihrem distanzfetisch. selbst in engeren freundeskreisen gibt es recht klare vorstellungen, dies das sei PRIVAT, jenes schon wirklich grenzüberschreitend + wer zuviel von sich zeigt mindestens bemitleidenswert.

vielleicht hat der nationalsozialismus einen verborgenen dabei physischen ekel hinterlassen.
gefühle, so scheint es jedenfalls, schmecken den deutschen so gut wie saure milch.
+ nähe ist wenn du die toilette von einer person übernimmst nur um mitten in ihren dämpfen zu stehen

 

8.4.2019, 16:26 Uhr

geht man mit 1 kind an der hand durch 1 dunklen wald
wird man größer ruhiger stärker weil die ganze angst nun beim kind ist

das ist das seltsame talent der kinder

 

4.7.2019, 19:52 Uhr

ausländisch

ausländer – der begriff ist heute etwas verpönt aber ich hab ihn gern.
fragt mich wer ob ich deutsche sei sage ich:
gott nee, ich bin ausländerin.
auf weitere nachfrage dann: afrikanerin.
das gerne weil es leute oft richtig stört („echt afrika? sieht man gar nicht so bei dir. dachte
brasilien/kuba/philippinen“). + es stimmt schon nur noch so halb, auch in äthiopien bleibe ich
ausländerin.

ein freies weites wort.
ich will wohnen wo die ausländer*innen sind, essen mit den ausländern,
ausländisch lieben, denken + wichtig: trauern – das machen sie hier einfach nicht.
ich träume also davon dass wenn ich einmal sterbe alle zu ausländer*innen geworden sind, jede für sich.

in den menschen liegt ein ausland. + wer weiß.
vielleicht grenzen wir mal aneinander

 

7.9.2019, 14:31 Uhr

alle reden vom osten, einige sind von dort, manche waren mal da.
mein bruder zb.
1993 wurde er per zvs dekret nach greifswald zum studium entsandt. bitten + flehen halfen nichts – nur weil da gerade ausländer abgefackelt werden können wir nicht das gesamte SYSTEM umstellen, schließlich immer noch deutschland, hier bekommt niemand eine extrawurst. na gut.
brav reihte sich mein bruder jeden zweiten tag in die ewige schlange vor der telefonzelle ein um seiner schwester + seiner mutter zu versichern „hallo hab’s wieder überlebt, bin immer noch da“. recht schnell wurde er teil einer clique von ausländer-medizinstudis – ein schweiz-iraner, ein weiterer äthiopier + ein fliegerjackentragender grieche namens stavros kanakis.
an den weiten ostseestränden träumten sie vom gewinn der greencardlotterie, einem discobesuch ohne stress + der gutlaufenden gemeinschaftspraxis. gemeinsam flohen sie vor faschos, letschogemüse + dem nächsten staatsexamen.

heute arbeiten alle als ärzte.
2 von 4 sollten eine psychotische episode erleben.
1 gewann tatsächlich bei der green card lottery.
3 sind nach jetzigem stand eltern von mehr als 1 kind.
stavros trägt immer noch den besten nachnamen der welt.
geblieben ist keiner

 

6.11.2019, 21:43 Uhr

gut küssen ist wenn’s flüssig wird. nein nicht nur spucke
ich meine tiefer, in den muskeln + anderen verhärtungen.
gut küssen ist wenn ich dich erreiche, halbfest
+ halbweich mache; nicht so dass du matsch wirst.
gut küssen ist zahnfleisch.
gut küssen ist fallen aber ohne angst. nach unten nach oben
hin + weg.
gut küssen ist eine gelegenheit:
in die wellen werfen + auf den grund sinken.
die fähigkeit besteht darin nicht ans ersticken zu denken.
wir atmen luft für generationen.
gut küssen wäscht ängstlichen furcht ab,
religiösen den glauben, müttern die sorgen.
wir senden fluten.
algen wehen, quallen steigen aus den brücken.

komm her koralle. dein riff setzt mich frei

 

5.12.2019, 07:33

ob es nochmal schneien wird?
in berlin macht mich das immer fertig, der unausweichliche matsch, die schmutzige beschwerlichkeit. beides in der stadt ohnehin reichlich vorhanden, nach dem schneefall kippt es dann. gut, das eine aufgeregte wochenende an dem isolierverpackte kinderballen in die parks strömen. ihre schlitten hinterlassen zugspuren, darin reste von silvesterknallern.
hier diese farbe von altem blut, da an der baumscheibe sulfursprenkel. von der hauswand wölben plakate runter – pisse diese band die sie jetzt mögen hat schon wieder gespielt. urin wäre der bessere name gewesen.
sowas regt mich manchmal auf, wenn es so naheliegend ist. nein es regt mich nicht auf. nur ein halber schmelzender egalgedanke.
bald wird es tropfen. schnee schmerzt mich, wenn er fällt hält alles andere an.

wir stehen am fenster, sehen durch die atembeschlagene scheibe. wechselndes ampellicht.
ich will die welt runterzählen, bis auf deine haut bis auf jedes wort dass es jetzt nicht braucht. bleib.

die autos fahren an, ziehen die verwehten bremswege nach. kiesel, kajal. ich setze kaffee auf, schalte das radio an. es wird nichts liegenbleiben, glättegefahr.
vielleicht schneit es auch einfach nicht mehr, nicht mehr so richtig. noch eine verletzliche stelle weniger.

 

7.12.2019, 15:02 Uhr

ostern

meine mutter hat zeitweise in einer grundschule geputzt die ich auch besuchte, sie erledigte das am frühen abend oder auch wochenends.
es kam vor, ergab sich aber nicht oft dass ich sie begleitete. ich half ihr dann mit kleinigkeiten wie dem reinigen der waschbecken (wichtig: armaturen zum glänzen bringen) oder der spiegel aber die meiste zeit saß ich nur auf den garderobebänken herum + las.
einmal bekam meine mutter einen anfall – erst atemnot dann spuckte sie in die toilette. ich durfte nicht nah herankommen sah aber rote spritzer auf dem boden.

ein andermal lagen osterkörbe, wir hatten sie am vormittag gebastelt + befüllt, auf dem fensterbrett gereiht. 24 osterhasen sahen mich an, eigentümliches gefühl. aus den besonders vollen körben nahm ich jeweils eine kleinigkeit heraus.
den nachhauseweg über war ich voller angst meine mutter könnte meinen schatz entdecken, aber mehr noch, jemand, etwas hätte draussen in der dämmerung in den büschen gesessen + mich im erleuchteten klassenzimmer beim stehlen beobachtet.
nächster morgen am selben ort:
wir bekamen die körbe ausgehändigt, der süßigkeiten-tauschhandel war umgehend eröffnet + niemand schien etwas zu vermissen oder zu bemerken. ich spürte nicht unbedingt schuld – mehr eine art weisung von den meisten dingen zu schweigen.

vielleicht war aber auch nichts geschehen. vielleicht war ich gestern nicht hier gewesen, meine mutter nicht krank, lauerte nichts da draussen wenn es dunkel wurde. vielleicht bildete ich es mir wirklich nur ein das leben

 

 

Elisa Aseva – lebt in Berlin + schreibt auf Facebook 

 

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