Nostalgie als Droge – Warum hört das „Literarische Quartett“ nicht auf

Wir leben in einer Zeit, in der kulturelle Nostalgie es uns schwer macht, Formate, die ihre beste Zeit lange hinter sich haben, in Würde sterben zu lassen. Anders lässt sich nicht erklären, warum das „Literarische Quartett“, dessen Exhumierung im Jahr 2015 (nach fast 15 Jahren friedlicher Ruhe) schon keine allzu gute Idee war, immer noch weitergeführt werden soll. Nachdem sich die gesamte ursprüngliche Besatzung verabschiedet hat, wird nun Thea Dorn alleine das Geisterschiff dieser Sendung steuern – fragt sich nur, wohin. Bedrohlich klingt schon die Ankündigung, man wolle „die Glut der Leselust, die in vielen immer noch schlummert, sechs Mal im Jahr zum Glühen bringen.“

Dabei hatte schon die alte Neuauflage mit Maxim Biller, Christine Westermann und Volker Weidermann alles andere als geglüht. Eher hatte man den Eindruck, dass ständig köchelnde Ressentiments innerhalb der Gruppe von Anfang an eine nervöse, gestresste Stimmung erzeugten. Statt in den Genuss von gut produziertem simuliertem Streit zu kommen, wurden die Zuschauer*innen oft mit dem unangenehmen Spektakel realer Feindseligkeiten konfrontiert. Das lag vor allem an Biller, der zwar sichtlich bemüht war, Marcel Reich-Ranicki in der Rolle des Polemikers zu beerben, aber offensichtlich nicht bereit war, die Arbeit und Vorbereitung zu investieren, die für eine solche (nur scheinbar mühelose) Form des amüsanten Polterns nötig ist.

Zu oft hatte man den Eindruck, dass seine Gemeinheiten gegenüber Westermann wirklich verletzend gemeint waren, und zu oft erschien der Vorwurf plausibel, dass Biller die Bücher teilweise gar nicht gelesen hatte. Gleich zu Beginn musste Weidermann seinen Kollegen mehrfach mit echtem Ärger zur Ordnung rufen. Das alte „Literarische Quartett“ brauchte Jahre, um zu dem Punkt zu kommen, wo aus dem kommunikativen Schaukampf echte Blessuren entstanden (In der berühmten Diskussion um Haruki Murakamis „Gefährliche Geliebte“, in der Marcel Reich-Ranicki Sigried Löffler vorwarf, sie halte „die Liebe für etwas anstößig Unanständiges“.). Die ganze Sendung wirkte unterproduziert, gehetzt, belastend für die Beteiligten und damit auch belastend für die Zuschauer, die dann auch immer mehr ausblieben.

Bevor man sich die Frage stellt, warum das „Literarische Quartett“ trotzdem weitergeführt werden muss, lohnt es sich vielleicht, zu fragen, warum es überhaupt neu aufgelegt wurde. Schaut man sich heute auf Youtube Ausschnitte aus den alten Sendungen an, dann überfällt einen vor allem die Melancholie starker historischer Alterität. Das beginnt beim körnigen Fernsehbild, geht weiter über die 90er-Jahre Einrichtung irgendwo zwischen Yuppie-Loft und Wartesaal einer Sparkasse, bis hin zu dem deplatzierten Selbstvertrauen, mit dem vor allem Männer hier über Literatur befinden. Insbesondere Hellmuth Karasek ist in diesem Zusammenhang eine ständige Quelle der Verwunderung. Die Sendung illustriert auf beeindruckende Art, was es bedeutet, wenn wir sagen, dass etwas schlecht gealtert sei.

Das alte „Literarische Quartett“ war Fernsehen für eine Zeit, in der Fernsehen das hegemoniale Massenmedium darstellte. Es ist deshalb ironisch, dass ausgerechnet die kulturelle Nostalgie nach einer Zeit, in der das Buch noch eine zentrale Rolle im bürgerlichen Diskurs spielte, dazu geführt hat, das Format wieder aufleben zu lassen. Denn die Sendung war selbst schon Ausdruck der Unsicherheit über den Status von Literatur in Zeiten der Medienkonkurrenz. Ein „Literaturpapst“ wie Reich-Ranicki trat ja bereits als Karikatur eines Gatekeepers auf, der den Zusammenbruch etablierter Gatekeeperstrukturen kompensieren sollte.

So beruhte das alte Quartett bereits auf einer Nostalgie, die durch das neue nur vermehrt wurde – eine doppelte Nostalgie, die in vielfacher Hinsicht repräsentativ für den kulturellen Zeitgeist ist. Man sehnt sich nicht so sehr nach den Formaten und Kunstwerken selbst, sondern nach der Bedeutung, die diese Dinge einmal für eine bürgerliche Gesellschaft besaßen. Man möchte nicht den Literaturpapst zurück, sondern eine Zeit, in der es Literaturpäpste und Großkritiker gab, und in der noch nicht die entfesselte Demokratisierung der Sozialen Medien einer Masse an Laien Einlass in den kulturellen Salon verschafft hat. So kann man dann über den größeren ‚Stellenwert‘ fantasieren, der Literatur früher zukam, ohne sich eingestehen zu müssen, dass die Orte, wo dieser ‚Stellenwert‘ verhandelt wird, sich einfach nur verschoben haben.

Die Tatsache, dass das ZDF am Format „Literarisches Quartett“, von dem nun wirklich nichts, außer dem Namen bleibt, festhält, zeigt vor allem, wie stark Nostalgie aktuell die Entscheidungen kultureller Institutionen beeinflusst. Thea Dorn, die Bücher für „aufgeklärte Patrioten“ schreibt, und in letzter Zeit durch die Forderungen aufgefallen ist, Opfer sollen auch mehr Toleranz zeigen, gehört zu der Funktionselite des alten Literaturfernsehens, die doch schon alle Kanäle dieser Art beherrscht. Es stellt sich aber die Frage, ob das Produktionsbudget für eine solche Sendung nicht anderweitig besser investiert wäre, für ein neues Programm, jünger, diverser, innovativer. Das allerdings ist möglicherweise gerade zu viel verlangt. In Zeiten großer kultureller Verunsicherung ist Nostalgie eine starke Droge.

 

Photo by Ikhsan Sugiarto on Unsplash

 

 

 

 

 

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