Kunstautonomie als rechtes Ideal – Von Neo Rauch bis Uwe Tellkamp

von Peter Hintz

 

Wie mit einem ekelerregenden, persönlichen Angriff auf die eigene publizistische Arbeit umgehen? Der neue, gerade bei Wagenbach erschienene Essay Feindbild werden des Kulturwissenschaftlers Wolfgang Ullrich ist nicht nur Resümee seines Konflikts mit dem weltberühmten Leipziger Maler Neo Rauch, sondern zeigt, wie Ullrich im Modus der kunsttheoretischen Analyse wieder Distanz zu Rauch herstellen will. Rauch hatte letztes Jahr ein großformatiges Schmähporträt von Ullrich gemalt, das den ebenfalls in Leipzig lebenden Kritiker als sogenannten “Anbräuner” karikierte, der aus seinen Fäkalien Nazi-Vorwürfe auf eine Leinwand malt. Daraufhin wurde Ullrich zum Ziel rechter Blogs gemacht, die ihn nun mit einem digitalen Shitstorm überzogen, und zum Hohn versteigerte Rauch schließlich sein Gemälde auf einer großen Charityauktion.

Anhand öffentlicher Äußerungen (unter anderem von Rauch) hatte Ullrich zuvor in einem ZEIT-Beitrag gezeigt, wie einige Gegenwartskünstler einerseits rechte politische Positionen beziehen, andererseits aber die Werkautonomie für sich reklamieren – als Schutzschild gegen politische Verantwortung. So hatte Rauch, wie der Maler Axel Krause oder der Schriftsteller Uwe Tellkamp, in Interviews die BRD mit der DDR gleichgesetzt. Nach diesem Geschichtsbild könne man auch jetzt nicht alles – sprich heute in der Regel: Sexistisches, Rassistisches – sagen, ohne als Faschist deklariert und ausgegrenzt zu werden. Folgt man Ullrich, bilden die Werke von Rauch und Krause Landschaften ab, die zwar als antimoderne Imaginationen gedeutet werden können, aber gerade in ihrem Mangel an unverrätseltem Gegenwartsbezug sozial und politisch unabhängig verstanden sein wollen. Ullrich stellte in seinem Essay die These auf, dass vor allem die Idee künstlerischer Autonomie heute zu antiemanzipatorischen Zwecken ausgelegt werde, was ihre ursprüngliche, von linken Künstlern aber aufgegebene Intention – die Befreiung von repressiven Normen – verkehre. Die Kunstautonomie scheine heute also vor allem ein Interesse der Rechten zu sein.

Mit seinem Schmähporträt lieferte Rauch zumindest teilweise einen Gegenbeleg zu Ullrichs These: Dieses Bild macht offen Politik, verunglimpft einen ungeliebten Kritiker und eine vermeintlich insgesamt linksliberale intellektuelle Szene, indem es ihr auf drastische Weise eigenes Talent und Urteilsfähigkeit abspricht. Damit einher geht aber auch die Forderung an diese Kritiker, nicht mehr nach außerästhetischen Maßstäben zu urteilen, was durchaus Ullrichs These entspricht, dass die herrische Forderung nach Autonomie zu einer rechten Strategie geworden ist. Natürlich ist entgegen der rechtspopulistischen Unterstellung das Urteilen nach ‘klassischen’ ästhetischen Maßstäben in der Kritik nie verschwunden. Kolja Reichert etwa wies in einem kritischen FAZ-Kommentar zum Werk von Axel Krause unter anderem darauf hin, dass Krause malerisch “vulgär” und “ungeschickt” sei. Zuvor hatte Ullrich einmal die immer wiederkehrenden, pseudo-bedeutungsvollen Collagen Rauchs kritisiert, eine ähnliche Stilkritik, die Reichert auch Krause gemacht hat. Und Ullrich war in seinem ZEIT-Artikel vorsichtig bemüht gewesen, Rauchs Bildwelten nicht pauschal dem Rechtsradikalismus zuzuschlagen.

Schon durch seine unmittelbare Reaktion auf die Veröffentlichung des Bildes im Juni 2019 wird deutlich, wie sehr Ullrich sich persönliche Distanz zu Rauch wünschte: Wie aus einem damaligen Interview mit dem Deutschlandfunk und nun auch aus seinem Buch hervorgeht, interpretierte er die Figur des “Anbräuners” zunächst gar nicht als Abbildung von sich selbst, sondern als Symbol für einen unter Konformitätsdruck stehenden Gegenwartskünstler. Erst mit der Zeit wurde Ullrich klar, dass tatsächlich er selbst dort verächtlich gemacht werden sollte.

Auf einer neuen distanzierenden, analytischen Ebene verknüpft Ullrich in Feindbild werden seine These vom sich nach rechts verschobenen Autonomiegedanken mit der kultursoziologischen Annahme, dass sich daran auch die deutsche Ost-West-Spaltung ablesen lasse. So seien die heutigen Verteidiger der Werkautonomie in der DDR sozialisierte Künstler, die nach der Wende keinen Anschluss an den westdeutschen Kunstbetrieb gefunden hätten. So sei insbesondere Ullrich, der nicht aus der DDR stammt und erst vor einigen Jahren nach Leipzig gezogen ist, für Rauch zum Symbol westdeutschen Ressentiments gegen ostdeutsche Künstler geworden. Möglicherweise schenkt Ullrich hier der beliebten argumentativen Verknüpfungen von berechtigten Gefühlen des ostdeutschen Abgehängtseins als Ausgangspunkt einer reaktionären politischen Positionierungen zu viel Glauben. Und auch wenn zweifellos der Autonomiegedanke von rechts politisch aufgeladen wurde, ist doch fraglich, inwiefern das ein spezifisch ostdeutsches Phänomen ist. Im Bereich der Literatur ist der Rekurs auf die Werkunabhängigkeit eine Argumentationsfigur, die bei prominenten Autoren aus dem ganzen deutschsprachigen Raum – von Peter Handke bis Uwe Tellkamp – immer beliebter wird, um eine Schutzzone vor politischer und ethischer Wertung aufzubauen. Der rechte Diskurs, an den auch Rauch in seinen Interviews anknüpft, speist sich mindestens zu gleichen Teilen aus ost- und westdeutschen Akteuren, die gern den Osten als Projektionsfläche für gemeinsame, antimoderne Fantasien nutzen.

In der künstlerischen Umsetzung dieser Ostdeutschland-Fantasien spielen aus der DDR stammende Schriftsteller und Maler aber sicherlich bisher die größere Rolle. Uwe Tellkamps vor einigen Monaten erschienene Schlüsselerzählung Das Atelier fiktionalisiert die gegenwärtige reaktionäre Künstlerszene um Rauch. Deren Ateliers erscheinen darin wie eine Mischung aus Bibliothek und Küchentisch, an dem mit Hilfe von Geschichte und Ästhetizismus die sächsische – oder genauer: Dresdner – Identität konstruiert wird. Romantik, Expressionismus, Realismus usw. werden in exkursartigen Monologen von den Figuren vor allem dahingehend vorgestellt, welcher Künstler wann mal was im Elbtal gemalt hat und wie das zur regionalen Eigenart beitrage. Diese steht dabei nicht nur in Differenz, sondern in Dissidenz zur Außenwelt, was die Erzählung bei allem kunstreligiösen Pathos deutlich politisch auflädt. So wird zum Schluss selbst das romantische Vesuvmotiv als “Dresdner Vulkan” gedeutet, weil es diesmal “im Jahr Fünfzehn” in Dresden weltbewegend “gerumst” habe, ein offenkundiger Verweis auf das Entstehen der rassistischen PEGIDA-Bewegung. Interessanterweise vergleicht Ullrich die Ablehnung, die Tellkamp seit seiner zunehmend offen rechtsradikalen Positionierung im Literaturbetrieb erfahren hat, mit der ungebrochenen Popularität Rauchs auf dem internationalen Kunstmarkt. Finanziell hat Neo Rauch ungemein von Liberalisierung und Globalisierung seit der Wende profitiert. Es ist auch dieser schnöde Geldwert von Kunst, der zum Ursprung von Behauptungen künstlerischer Unabhängigkeit gehört.

 

Photo by David Pisnoy on Unsplash

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