von Franziska Reuter
Auf sozialen Netzwerken zerfällt die Menschheit in drei Kategorien: echte Freunde, völlig Fremde und solche, die man doch irgendwie ein bisschen kennt. All diese Menschen könnte es vor den Kopf stoßen, wenn sie einem folgen und man das nicht erwidert. Aber heißt das automatisch, dass man zurückfolgen muss?
Weiterlesen: Social-Media-Benimmkolumne: Ist es unhöflich, nicht zurückzufolgen?Schauen wir auf die Fakten. Meta hat jüngst Facebook und Instagram umgestellt auf Timelines, die dem TikTok-Prinzip ähneln: Nicht mehr die Urlaubsfotos von Schulfreund*innen und Jobwechselankündigungen von ehemaligen Kolleg*innen sollen uns dort begrüßen, sondern beliebter Content, egal von wem. Ob das nun eine wirklich gute Idee war, sei dahingestellt – schließlich gilt Facebook als Medium zur Kontaktpflege und hat mit diesem Konzept die meisten Nutzer*innen gewonnen. Fragt sich, ob die Leute nicht unzufrieden wären, wenn sich plötzlich herausstellte, dass ihre jahrelang als solche genutzte Bratpfanne in Zukunft nur noch als Tennisschläger zu benutzen ist. Und ob der Vorsprung, den TikTok darin hat, eine nahezu perfekte Timeline zu kuratieren, jemals aufzuholen ist.
Es zeigt aber doch, wohin es geht. Meta wird diese Entscheidung aufgrund von Daten getroffen haben, wie das Unternehmen das immer tut, und diese Daten sagten offenbar: Die Freund*innen unserer Nutzer*innen sind langweilig, deshalb müssen wir ihnen andere Inhalte zeigen. Und es stimmt! Meine Freund*innen sind langweilig, deine Freund*innen sind langweilig. Im echten Leben können sie nette Menschen sein. Aber Social Media ist eine Kunstform, und viele verwechseln sie mit einem Selbstgespräch. Wer noch nie jemanden stummgeschaltet hat, weil der zum dritten Mal so etwas wie „Ich mache mir jetzt einen leckeren Salat“ oder ein merkwürdiges Selfie mit einem Paulo-Coelho-Zitat gepostet hat, möge mir widersprechen.
Für echte Freund*innen machen wir da natürlich eine Ausnahme. Wenn man eng mit jemandem befreundet ist, interessiert einen auch der dritte Salat in Folge. Daher ist es keine Frage der Höflichkeit: Wenn einem jemand auf Social Media folgt, mit dem man richtig befreundet ist, will man natürlich zurückfolgen. Und wenn man den Impuls hat, das nicht zu tun, könnte das ein guter Anlass sein, sich zu fragen, wie gut es mit dieser Freundschaft im echten Leben derzeit bestellt ist.
Das bringt uns zur zweiten Kategorie: fremde Menschen. Auch wenn man das IRL anders empfindet, so sind fremde Menschen auf sozialen Netzwerken das Allerbeste. Wenn einem Fremde folgen, kann man sich gemütlich durch ihr Profil wühlen. Manchmal ist es amüsant, manchmal ähnelt es einem Autounfall, und manchmal findet man das Ganze so interessant, dass man zurückfolgen will. Der ganze Prozess ist herrlich, und am Ende steht eine freie Entscheidung, für die man niemandem Rechenschaft schuldig ist. Wer bei fremden Menschen beleidigt ist, wenn sie nicht zurückfolgen, hat Social Media nicht verstanden, und wenn man mit Leuten diskutieren will, denen dieses Verständnis fehlt, kann man auch einfach mal wieder seine Eltern anrufen.
Der ganze Charme fremder Menschen im Internet ist bisher tatsächlich am ehesten auf TikTok auszumachen, wo neben professionellen Content Creators haufenweise Normalos einfach ihren Hobbies nachgehen und sich dabei filmen. Wer beschlossen hat, auf einen Handstand hinzuarbeiten, findet dort ebenfalls Videos von Gleichgesinnten wie jemand, der wissen will, wie man einen verdeckten Reißverschluss näht oder seinem Hund beibringt, Pfötchen zu geben. Dabei geht es nicht unbedingt um Anleitungen oder Perfektion – man sieht andere auch scheitern. Eine Sache aber hat TikTok frühzeitig verstanden: Wenn jemand in Düsseldorf sitzt und sich für Obertongesang interessiert, müssen wir ihn mit den Leuten in Idaho und Ulaanbaatar zusammenbringen, die sich auch damit beschäftigen. Nicht mit Leuten aus Köln, deren Karnevalsvideos drei Millionen Views haben.
Wirklich kompliziert wird es erst in der dritten Kategorie: Menschen, die man ein bisschen kennt. Das können Kolleg*innen oder Bekannte aus dem echten Leben sein, aber auch solche, deren richtige Namen man kaum weiß, denen man aber schon mal bei Veranstaltungen oder Treffen begegnet ist – zusammengebracht durch einen Hashtag oder ein gemeinsames Interesse. Oder Online-Freund*innen von Online-Freund*innen. Nehmen wir an, diese flüchtigen Bekannten folgen uns, und wir finden ihre Profile nicht so interessant, dass wir ihnen auch zurückfolgen würden, wenn sie Fremde wären. Muss man hier höflich sein?
Der beste Rat, den ich dazu geben kann, lautet: Nein, bloß nicht. Höflichkeit kann einem die Timeline komplett ruinieren. Auf Twitter gibt es immerhin einen Geheimtipp: Wenn man der Person folgt, aber ihre Retweets ausblendet, hält sich der Schaden zumeist in Grenzen – außer bei Leuten mit außergewöhnlichem Sendungsbewusstsein und zu viel Freizeit, vor denen hier ganz besonders nachdrücklich gewarnt werden muss. Folg diesen Accounts nicht, wenn es dich nicht brennend interessiert. Du kommst sonst nicht mehr so leicht da raus.
Dann gibt es noch Menschen, die zwar einen Account haben, aber kaum posten. Eigentlich sehr angenehme Fälle: Offenbar ist ihnen Social Media nicht so wichtig, dass sie Affekte entwickeln würden, wenn man ihnen nicht zurückfolgt. Außerdem sieht man, selbst wenn man ihnen folgt, nur einmal im Monat ihre Posts – das ist zu verschmerzen, auch wenn es sich um Liebeserklärungen an die Scorpions handelt.
Ansonsten lautet ein wichtiger Punkt, den man in Erwägung ziehen sollte: Treffe ich diese Person regelmäßig im echten Leben in einem Ausmaß, dass es irgendwann peinlich wird, wenn ich ihr doch noch folge, gefühlt viel zu spät? Das sortiert alle Menschen aus, die eigentlich schon zur Vergangenheit gehören.
Bei den anderen muss man eine Entscheidung treffen, die stark von der eigenen Persönlichkeit abhängt. Schämt man sich mehr vor sich selbst, wenn man aus Höflichkeit eingeknickt ist, oder schämt man sich mehr vor der anderen Person, wenn die mehr oder minder dezent darauf hinweist, man folge ihr ja immer noch nicht? Letzteres, das sollte man unbedingt bedenken, würde bedeuten, dass man selbst höflicher ist als die Gegenseite. Es ist nicht besonders elegant, Leute darauf aufmerksam zu machen, dass sie einem ja immer noch nicht folgen. Social Media ist keine Polonaise. Deshalb gilt die Faustregel: im Zweifel nicht zurückfolgen. Früher wurde Twitter oft mit einer Cocktailparty verglichen. Und wer auf einer Cocktailparty mit allen reden muss, verpasst die ausführlicheren Gespräche mit den Menschen, die man sich selbst ausgesucht hat.
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