von Oliver Pöttgen
Kaum ein Kleidungsstück ist an männlich gelesenen Menschen so umstritten wie die kurze Hose. Warum sie wichtig sein könnte bei der Neuverhandlung von Männlichkeit
Der Sommer ist da und eines der kulturellen Sommerloch-Themen, das sich jedes Jahr zu wiederholen scheint, lauert: Dürfen männlich gelesene Menschen kurze Hosen tragen? Und wenn ja, wie kurz dürfen die sein? Wahrscheinlich wird die Frage anhand prominenter Männerkörper verhandelt werden, wie auch in Sommern zuvor.
Als im August 2020 der SPD-Politiker Kevin Kühnert in kurzer Hose an einem Wickeder Wahlkampfstand Station machte, war das den Ruhr Nachrichten einen eigenen Titel wert. “Kevin Kühnert in kurzer Hose am Info-Stand im Dortmunder Vorort”, hieß es dort, als sei das Kleidungsstück Teil seiner politischen Haltung. Oder im August 2018, als Ijad Madisch, Gründer des Wissenschaftler*innen-Netzwerks ResearchGate, in kurzer Hose auf einem im Internet viel geteilten Foto mit Angela Merkel und dem weitgehend veranzugten Digitalrat der Bundesregierung zu sehen war. Und 2017 gab es im Plenum des Thüringischen Landtags gar ein „Hosengate“, als ein Fraktionsmitarbeiter in Jeansshorts die Würde des Hauses verletzte, so sah es zumindest der Ältestenrat. Viel Aufheben also um wenig Stoff.
In solchen Momenten haftet der kurzen Hose und ihrem Enthüllen etwas tabuhaft Skandalöses an und Kommentare auf Twitter oder Instagram erwecken dann mitunter den Eindruck, das Tragen einer kurzen Hose sei bei Männern nicht nur eine Modesünde, anstößig oder ganz im Gegenteil ein großes Vergnügen, sondern auch ein revolutionärer Akt. Hashtag TeamKurzeHose, Hashtag KurzeHoseUltras. Ok, die Ultras habe ich erfunden, aber das Team gibt es tatsächlich. Der Eindruck des Anstößigen verfestigt sich sogar noch, wenn es die Frage mal in die heiligeren Hallen des deutschen Feuilletons oder des Lifestyle-Journalismus schafft, wo dann gerne Stilberater*innen konsultiert werden, bei denen die kurze Hose selten gut wegkommt, nicht nur im Büro.
„Nackte Beine machen den Herrn und seine Heimat lächerlich“, schrieb Hans Kratzer im Sommer 2018 in der Süddeutschen Zeitung, worauf Uli Hannemann in der taz mit einer Liebeserklärung an das Kleidungsstück antwortete: „Was soll das? Es muss nicht jeder freiwillig ein mobiles Schweißbad mit sich herumtragen.“ Die taz ist es auch, die den sonst eher verdeckt gelassenen Kern des Kampfes um die kurze Hose streift: „Die meisten Männer haben Angst vor kurzen Hosen. [ … ] Sie fürchten sich noch immer vor dünnen Beinen in kurzen Hosen. Über diese männliche Problemzone als stilbildende Ressource wird viel zu wenig geredet“, schreibt Tania Martini.
Die Herrschaft der Hosen
Ja, darüber wird immer noch zu wenig wirklich geredet. Was so albern im kulturjournalistischen Niemandsland der Sommer- und Ferienzeit daherkommen mag, könnte nämlich weitaus mehr sein als eine modische Stilfrage oder eine „Problemzone“, wie es im Artikel der taz heißt, in dem eigentlich auch nicht viel darüber geredet wird. Schon gar nicht darüber, wie sehr sich der Streit über die kurze Hose vor dem Hintergrund von Machtfragen und sich wandelnden Männlichkeitsbildern lesen lässt. Welche Rolle der kurzen Hose dabei zukommen könnte, sozial gemachte Normen von Männlichkeit und ihrer Darstellung mittels Kleidung performativ zu verändern. Am Streit um die kurze Hose kondensiert vieles, was derzeit unter dem Buzzword „kritische Männlichkeit“ verhandelt wird.
Angst ist da nur ein Faktor, aber ein zentraler. Es ist die Angst von insbesondere cis Männern vor etwas und es geht damit wieder mal um fragile Männlichkeiten. Um die Angst davor, irgendetwas (nicht) zu tun oder (nicht) zu haben, was dann als „unmännlich“ und sexuell unattraktiv gelesen und verspottet werden könnte. Wird es im Zusammenhang mit der kurzen Hose ja auch zuhauf. Beine zu dünn, zu schlaff, zu weiß, zu haarig. Nur was für Frauen und Kinder, nicht für Männer. Und wenn, dann bitte nur „am Strand, auf’m Fußballplatz oder auf’m Boot“, wie der WELT-Journalist Tobias Blanken twitterte.
Viele öffentliche Räume sind für kurze Hosen an männlich anmutenden Beinen nach wie vor eine No-Go-Area oder zumindest eine Mutprobe, ein Testzentrum für fragile Männlichkeiten. Das erklärt vielleicht auch, warum sich viele, vor allem ältere Männer selbst im Hochsommer auch in der Freizeit lieber eine lange Jeans anziehen, auch wenn Schweißbad und Hitzeschlag der Preis dafür sind.
Die kurze Hose provoziert, vor allem die sehr kurze, die nicht an der Demarkationslinie Knie endet, sondern Mitte der Oberschenkel oder noch höher, noch näher am darunter vermuteten Penis. Denn das sind Hosen ja auch: Penisverhüller und Penisschützer. [1] Die lange Hose als Burg des Mannes, die kurze Hose als Burgruine? Wie soll, mögen sich manche denken, der Mann seiner tradierten Geschlechterrolle als „Beschützer“ nachkommen, wenn die kurze Hose ihn und seine Geschlechtsteile selbst schutzloser macht, ihm einen Teil seiner Rüstung nimmt? Vor allem, wenn dazu keine Schuhe getragen werden, sondern Sandalen oder Flip-Flops noch mehr nackte Verletzbarkeit liefern?
Historisch sind lange Hosen spätestens seit dem 19. Jahrhundert Symbole für Herrschaft und Macht, gerade wenn es um häusliche Macht zwischen Mann und Frau geht. Von „der Herrschaft der Hosen“ schreibt die Ethnologin Sigrid Metken in ihrem Buch Der Kampf um die Hose. Geschlechterstreit und die Macht im Haus. Die Geschichte eines Symbols. Der „Hosenstreit“ ist eines der häufigsten Bildmotive aus dieser Zeit und besonders seitdem wird das Kleidungsstück Hose auch umgangssprachlich mit Macht und Status assoziiert. [2] Wer die Hosen anhat, hat Macht. Wem die Hose ausgezogen wurde, der*die konnte sich nicht durchsetzen, der*die wurde düpiert. Zieht sich ein Mann heute selbst die Hosen aus, wenn er sich eine kurze Hose anzieht? Entmachtet er sich, zumal in Kontexten, wo es um Macht geht, zum Beispiel auf der Arbeit?
An der Rolle „Mann“ mitschreiben
Ein kürzlicher Besuch bei meiner Mutter im Sauerland hat mir wieder vor Augen geführt, wie provokativ kurze Hosen auf andere wirken und wie sehr sie dadurch Werkzeuge bei der Neuverhandlung von Männlichkeit sein können, wie sie schon länger und gerade besonders im Gange ist. Ich trug eine Leinenhose, die die Oberschenkel nur halb bedeckte, gekauft in einer H&M-Frauenabteilung. Es ist schwierig, mit „männlich“ markierte kurze Hosen zu finden, die wesentlich kürzer als Knielänge, keine Sport- oder Badekleidung und luftig-leicht genug für süddeutsche Klimakrisensommer sind.
Das Sauerland ist ja nun, wie andere ländliche Regionen auch, nicht gerade ein Hort sich dynamisch wandelnder Männlichkeitsvorstellungen. Sauerländer*innen harren meist eher der Dinge der Welt, als dass sie normativ an ihr rütteln. Wie vehement meine Mutter, die sonst auf kurze Hosen gut klarkommt, diese Hose ablehnt, hat mich dann aber doch überrascht. Unser kleiner Disput darüber, ob sich so eine Hose für Männer gezieme, gipfelte in der liebevoll spöttischen, aber wohl doch ernst gemeinten Ansage von ihr, dass sie mit mir nicht spazieren gehen werde, trüge ich dabei diese (zu kurze) Hose.
Dem Doing-Gender-Ansatz folgend lässt sich sagen, dass von Menschen gemachte Geschlechterrollen durch Handlungsformen wie Verhalten, Sprache, körperliches Erscheinungsbild und Kleidungspraxis in sozialen Interaktionen performativ bestimmt, bestätigt und fortgeschrieben werden, mit Raum für Veränderungen durch Handeln, durch Brechen von Codes. [3] Geschlecht lässt sich so fassen als sozial produzierte und sich reproduzierende, aber auch gestaltbare Aufführung, als Performance. Für Gender-Studies-Professor*in Lann Hornscheidt sind wir Schauspieler*innen von Geschlechterrollen in einem „Theater“, das es zu verlassen gelte. [4]
Ich denke, vielleicht ist es für jetzt schon ein Fortschritt, wenn wir als Schauspieler*innen Rollen freier auslegen und selbst an ihnen mitschreiben, sodass traditionelle Zuschreibungen immer mehr verblassen und eines Tages gar nicht mehr oder nur noch in kleinen, skurrilen Nebenrollen aufgeführt werden.
Wenn sich männlich gelesene Menschen mehr in kurzen Hosen raus wagen würden, vor allem in solchen, die oberhalb vom Knie enden, und dazu vielleicht auch noch Sandalen und Flip-Flops tragen oder nacktfußig gehen, legen sie dann nicht Rollen freier aus und schreiben sie in Interaktion mit anderen Menschen allmählich um? Tragen sie so nicht zur sozialen Fortentwicklung der Rolle „Mann“ und damit zu ihrer eigenen Befreiung von Rollenzuschreibungen bei, von denen sie viele womöglich immer schon abgelehnt, sich ihnen aber gefügt haben?
Dann sind Beine halt nicht braun genug, nicht rasiert genug, nicht muskulös genug. Na und? Die kurze Hose nimmt Männlichkeit genauso wenig weg, wie ein Rock das tut. Sie ist nur eine Hose.
[1] vgl. Gundula Wolter: Die Verpackung des männlichen Geschlechts. Eine illustrierte Kulturgeschichte der Hose, Jonas Verlag, Marburg, 1991, S. 12
[2] vgl. Sigrid Metken: Der Kampf um die Hose. Geschlechterstreit und die Macht im Haus. Die Geschichte eines Symbols, Campus, Frankfurt am Main, 1996, S. 9 ff.; S. 73 ff.
[3] vgl. Cordula Bachmann: Kleidung und Geschlecht: Ethnographische Erkundungen einer Alltagspraxis, transcript Verlag, Bielefeld, 2008, S. 8-17
[4] Lann Hornscheidt: Gender. Was soll das ganze Theater?, Sukultur, Berlin, 2017
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