Journalismus, Sex und Selbstmitleid – Über einen amerikanischen Skandal

von Christina Dongowski

Die Chance, dass Sie den Namen Olivia Nuzzi gerade das erste Mal gelesen haben, ist recht groß. Man muss entweder terminally online sein, um zu wissen, wer das ist, oder sich sehr für eine spezifische Bubble interessieren: Washington-zentrierten US-amerikanischen Politikjournalismus und seine Selbststilisierungen. Es gibt viele  gute Gründe, sich dafür nicht zu interessieren. Gründe, die von meinem Text nicht widerlegt werden, im Gegenteil: Nuzzis Buch “American Canto” verkörpert beispielhaft die Beschränktheit dieses Milieus, seine Besoffenheit von der eigenen Bedeutung als Hauptstadtjournalist*innen des einzigen Landes, das überhaupt zählt, und sein Desinteresse, ja seine Verachtung für Politik jenseits einzelner Personen, eine Indifferenz für politische Inhalte oder die Strukturen, in denen sich Politik abspielt. 

Aber wer ist denn nun Olivia Nuzzi? 

Nuzzi, geboren 1993, hat mit 32 bereits eine Traumkarriere als Journalistin hinter sich: 2014 wurde sie aus dem Studium heraus vom Online-Politik-Magazin The Daily Beast als Wahlkampf-Korrespondentin für die Präsidentschaftskandidaten der Republikanischen Partei engagiert. Das Politik-Insider-Magazin Politico, heute im Besitz von Springer, kürte sie 2016 für ihre Interviews und Porträts mit Donald Trump sowie wichtigen Trump-Mitarbeiter*innen zu einer der Breakout Media Stars des Präsidentschaftswahlkampfs 2016. 2017 wechselte sie zum New York Magazin als dessen erste Washington-Korrespondentin (generisches Femininum). Da war sie 24. Anfang 2018 machte Nuzzi ihre Beziehung zu Ryan Lizza öffentlich. Das Magazin The New Yorker hatte sich da gerade von Lizza wegen eines “Sexual misconduct”-Vorwurfs getrennt. Lizza, geboren 1954, war von 2007 bis 2017 dessen Washington-Korrespondent (nicht zu verwechseln mit dem New York Magazine). Von 2019 bis 2025 war er Chef-Korrespondent von Politico in Washington und damit einer der einflussreichsten politischen Journalisten der USA. 

Der Verlag Simon & Schuster beauftragte das journalistische Power-Couple, ein Buch über den Präsidentschaftswahlkampf 2020 zu schreiben. Dazu kam es dann nicht mehr: Im Oktober 2024 wurde Nuzzi vom New York Magazine entlassen, nachdem bekannt geworden war, dass zwischen ihr und Robert F. Kennedy Jr. (geb. 1954), damals Präsidentschaftskandidat, heute Gesundheitsminister der USA, eine „unangemessene, persönliche Beziehung“ bestand. Das war auch das Ende ihrer Verlobung mit Ryan Lizza. Seitdem tobt zwischen den beiden eine medial ausgetragene Schlammschlacht, bei der es sehr schwer ist zu entscheiden, wen man eigentlich unangenehmer finden soll. “American Canto”, das Buch von ihr, das dann tatsächlich bei Simon & Schuster erschienen ist, schildert Nuzzis Sicht auf die Affäre, deren Skandalisierung und den politmedialen Betrieb im Allgemeinen, das aber aufgeblasen zu einer Allegorie auf den Zustand der USA. 

Politikjournalismus ohne Politik

Wie in so ziemlich jedem Artikel von Washington Post, New York Times, Atlantic, Politico, in dem Trump zum transzendentalen amerikanischen Phänomen hochgeschrieben wird, trifft man auch bei Nuzzi die „ganz normalen Amerikaner“, die weit weg von New York, Washington oder Los Angeles leben, – den Städten und Stätten der liberalen Eliten, auch dieses Klischee wird von Nuzzi bedient –, die von der „reality bending“ Aura Trumps magisch angezogen werden. Immer die gleichen Typen, die seit nun fast zehn Jahren immer mit der gleichen symbolischen Funktion amerikanische (und auch deutsche) Legacy Media bevölkern: Diese echten, authentischen Amerikaner bezeugen und beglaubigen, dass Donald Trump wahrhaft die Seele Amerikas anspricht, aber auch, dass nur wer sich positiv von Trump ansprechen lässt, ein richtiger Amerikaner ist.

Auch Nuzzi markiert die wenigen Kritiker Trumps, die überhaupt in ihrem Text auftauchen, als illegitim. Politische Berater, Film- und Medien-Leute, Akademiker – alles keine echten Amerikaner, weil sie elitär sind, vor allem aber liberal, was in diesem Diskurs im Grunde dasselbe heißt. Womit wir eigentlich beim Thema politische Inhalte wären, aber genau die diskutiert das Buch nicht, zumindest nicht als politische Inhalte, sondern wenn überhaupt als Identitätsmarker: Man ist pro oder anti Trump, komplizierter, zumindest in der Darstellung Nuzzis, ist US-amerikanische Politik nicht. 

Karriere und Katabasis

Olivia selbst, obwohl schon mit Anfang 30 ganz oben in der Hierarchie des politmedialen Komplexes in Washington angekommen, gehört natürlich nicht zu dieser Elite. Im Gegenteil: Ihr American Canto ist der große Gesang aus dem Innersten Amerikas, seinem von den lodernden Flammen des Zorns und der Liebe Gottes verzehrten Herzens, geschrieben am Rande des tiefen Abgrundes, vom Rande des Schwarzen Loches, um das die Nation kreist, auf den sie sich immer schneller zu bewegt, in den sie vielleicht schon gestürzt ist. Ob am Rand des Abgrunds oder schon einen Schritt weiter: Was wir in “American Canto” in den Händen halten und lesen dürfen, ist die Wahrheit Amerikas, bezeugt durch den Weg durch die Hölle, den unsere Dante Olivia Nuzzi dafür auf sich genommen hat. Denn wie Dante die Göttliche Komödie in und wegen seiner politischen Verbannung aus Florenz geschrieben hat und damit seine individuelle berufliche Katastrophe in die göttliche Weltordnung und ihren Heilsplan einordnet, so auch Olivia Nuzzi. 

Ihr Rauswurf aus dem New York Magazine und das anschließende „Exil“ in einem malerisch gelegenen komfortablen Gästehaus irgendwo bei Malibu, wird zum Wende- und Höhepunkt von Nuzzis beruflicher Karriere und ihrer Biographie. Ihr Fehltritt, der professionelle Sündenfall, die enge persönliche und sexuelle Beziehung zu Robert Kennedy jr., reißt sie nämlich endgültig aus den Zusammenhängen einer abgehobenen Elite, zu der sie sich sowieso nie wirklich zugehörig gefühlt hatte. 

Die Entlassung, in der es ihrem Chefredakteur nur darum geht, die liberale Reputation des New York Magazines zu wahren, besiegelt und bezeugt diesen Außenseiterstatus, dem sie ihre stellare Karriere gleichzeitig auch verdankt: Denn ihre Herkunft aus einer Italo-New Yorker Arbeiterfamilie, – tatsächlich eine Ausnahme in einem beruflichen Feld, in dem sich Mittelstands-Kinder und Nepo-Babies die guten Jobs aufteilen –, macht Nuzzi zum perfekten Detektor und Seismographen dessen, was im glühenden Kern der amerikanischen Nation tatsächlich vor sich geht. Zur perfekten Interviewerin der wahren Amerikaner*innen, die sich von ihr verstanden, nicht verurteilt fühlen, und von Donald Trump. Der Rausschmiss aus der liberalen Ostküsten-Medienelite (und das Ende ihrer Beziehung zu Ryan Lizza, was auch wieder irgendwie dasselbe ist) befreit Nuzzi zu ihrer eigentlichen Berufung: der rücksichtslosen Zeugenschaft über den Zustand der amerikanischen Nation: „I mean to tell you as best I can what it was to face this unrealness, to stand so close that it seemed at times almost plausible, to tiptoe along the edge of the abyss, and to balance there just long enough to forget that the plates would soon shift.“ (S. 16)

Das ist natürlich alles Quatsch. Was sich Nuzzi uns, und vielleicht auch sich, schönredet, ist die schlichte Tatsache, dass ihr Arbeitgeber sie rausgeschmissen hat, weil sie ihn und ihre Leser*innen über die sexuelle und professionelle Natur ihrer Beziehung zu Robert F. Kennedy jr. monatelang belogen hat. 

Frauen in weißen Sportwagen – Journalismus als Inszenierung

Der große rhetorische Apparat, den Nuzzi auffährt, die zahlreichen Anspielungen auf historische und literarische Größen, die prätentiösen Epigraphe, das Gerede von der Unrealness und dem Feuersturm, der durch Amerika tobt, – das alles sind Metaphern, Bildwelten und Techniken, mit denen US-amerikanische Magazin-Autor*innen seit dem Aufkommen des „New Journalism“ in den 60er Jahren versuchen, die Banalitäten und Widersprüche einer turbo-kapitalistischen Konsumgesellschaft und ihrer eigenen Position darin zu beschreiben, ohne allzu genau die konkreten Besitz- und Machtverhältnissen oder gar sozioökonomischen Strukturen von Class, Race & Gender in den Blick zu nehmen. Stattdessen werden literarische Techniken eingesetzt, um aus Anekdoten und den eigenen disparaten Wahrnehmungen, Erlebnissen und Gefühlen einen Text zu entwickeln, dessen literarische Qualität seine Wahrhaftigkeit verbürgen soll. 

Ein frühes Beispiel für diese Art journalistischen Schreibens, in dem die literarische Qualität für die Wahrhaftigkeit des Textes und seines Autors eintritt, ist Truman Capotes „In Cold Blood“: eine romanlange Reportage über den Mord an einer Familie in Holcomb, einem kleinen Städtchen in Kansas. Oder wie der Untertitel lautet: “A True Account of a Multiple Murder and Its Consequences”. Das Buch war ein Riesenerfolg und ist immer noch das ziemlich unerreichte Beispiel dafür, was diese Art literarischer Journalismus an Erkenntnis und Dokumentationskraft leisten kann, wenn man es denn kann. Nuzzi glaubt, dass sie es kann, modelliert sich aber nicht nach Capote, sondern inszeniert sich als the Second Coming of Joan Didion, einer der wenigen berühmten weiblichen New Journalist. 

Didion, sehr weiß und sehr dünn, ist, – wie eigentlich alle New Journalists einschließlich Capote –, auch eine Pionierin von Autorschaft als Personal Brand. Didion mit Zigarette in der Hand cool in die Kamera schauend. Didion als leicht derangierte Femme mit Zigarette in der Hand vor ihrer weißen Corvette Stingray. Didion im Wachstuch-Jacket, Halstuch, Mary Janes und klobiger Handtasche bei einer Demo in Haight Ashbury. Didion im Flower Power-Kleid mit Zigarette in den gefalteten Hände nachdenklich in die Kamera schauend. Didion als kalifornische Beauty auf einer Terrassen-Balustrade mit den gebräunten Beinen baumelnd. 

Dagegen: Nuzzi, sehr weiß, sehr dünn, sehr blond, in ihrem weißen Cabrio mit wehenden Haaren einen kalifornischen Highway entlang fahrend. Nuzzi in engem schwarzem Turtelneck, schwarzer Sonnenbrille, wehendes platinblondes Haar in Untersicht vor weitem Himmel mit Stromleitungen. Olivia Nuzzi in engem schwarzen Turtleneck sich selbst umarmend vor kalifornischer Felslandschaft. 

Didions Bildpolitik hat die Art und Weise, wie sich vor allem weiße Frauen das Leben oder besser den Look eines Lebens als erfolgreiche Schriftstellerin vorstellen, stark geprägt. Deswegen, – und durch die zeitliche Distanz zur Fotoästhetik der 1960er und 70er Jahre –, fällt uns nicht (mehr) auf, wie extrem inszeniert auch diese Fotos sind, die uns einen authentischen Blick in die Seele einer sensiblen Journalistin und Schriftstellerin zu erlauben scheinen. Nuzzis Glamour Shots und -Videos, in denen sich als der Star eines David Lynch-Films oder als die Lana del Rey des Political Writings inszeniert, profitieren noch nicht von diesem Filter. Wir können gar nicht übersehen, wie inszeniert das alles ist, an welchen visuellen Codes sich das orientiert und welche Knöpfe da bei uns gedrückt werden sollen.

Nuzzis Sätze lesen sich wie eine unfreiwillige Parodie auf die schlimmsten Exzesse des New Journalism. Für die meisten Rezensent*innen war gerade der Stil des Buches ein willkommener Anlass, eine Autorin als drittklassige Didion-Imitatorin abzuwatschen, die bis dato als eine der besten politischen Autorinnen ihrer Generation galt und deren Reportagen mit angesehenen Journalistik-Preisen ausgezeichnet wurden.

Journalismus als Sex-Arbeit

Man merkt diesen Verrissen an, dass hier mehr verhandelt wird als die bizarre Selbststilisierung einer stilistisch und intellektuell massiv herausgeforderten Autorin. Nuzzis härteste Kritiker*innen verteidigen ein Verständnis von Journalismus als der authentischen Form der amerikanischen Selbstreflexion gegen jemanden, dessen Buch die Genre- und Formelhaftigkeit dieses literarischen Journalismus zur Sichtbarkeit entstellt, gerade weil das Buch stilistisch eben nicht so komplett unterirdisch ist, wie man es Nuzzi vorwirft. 

Wie im Zauberer von Oz bekommt man quasi durch einen blöden Zufall, das Öffentlichwerden von Nuzzis Sexting mit Robert F. Kennedy jr., Einblick in die reale journalistische Praxis einer Politik-Journalistin, deren Reportagen über den angeblich in Senilität versinkenden Präsidenten Biden und die magische Wirkung Donald Trumps auf die amerikanischen Massen von ihren Berufskolleg*innen gefeiert und bewundert worden sind. Und zu diesen Arbeitsmethoden, sich privilegierten Zugang zu Informationen zu verschaffen, gehört eben auch sexualisierte Kommunikation mit Quellen oder den Subjekten der Berichterstattung. 

Sexuelle Attraktivität (von Männern) als Effekt von Macht und weibliche sexuelle Attraktivität als Zugang zu Macht ist dann auch das einzige wirklich interessante Thema des Buches. Weibliche Arbeit bzw. Arbeit, wenn sie von Frauen gemacht wird, wird von Nuzzi zumindest metaphorisch, aber oft auch ganz konkret als Sex-Arbeit gezeigt. Auch ihren Job als Journalistin beschreibt sie als eine Tätigkeit, die darin besteht, ihren Gesprächspartnern deren erotische Phantasien zu spiegeln: 

„My bar for what I would classify as inappropriate behavior from men is much higher than modern standards, which I consider absurdly low, and the adviser did not meet it. (…) He would often call on his way to and from a Russian bathhouse, an experience about which he would wax poetic, a minor abuse of the dynamic in which the reporter must assume the role of willing audience whenever the subject feels like having one. On a personal level, I was not especially comfortable with this, but I was not listening to him on a personal level, and for my purpose (…) I was pleased to have a character involved in the Russian investigations inform me with great enthusiasm and incredible detail that he recreated at Russian bathhouses.“ (S. 169f.)

Für Nuzzis Interpretation ihrer eigenen Rolle in diesem heteronormativen Sex-Macht-Komplex ist die Darstellung und Interpretation dieser Episode mit dem „ adviser“ eine Schlüsselszene: Sie schildert einerseits sehr realistisch diese Gesprächssituationen als auch sexuell übergriffig, gleichzeitig unterstreicht sie ihre eigene Handlungsmacht. Sie entscheidet, dass sie sich diese Situationen immer wieder selbst antut, – für die gute Story, für die Wahrheit: „The people who talked, who knew pieces (über RFK jr. gewaltförmiges Verhältnis zu Frauen), advised me to be careful on assignment. There was, they said, real darkness there. I shrugged. I was in the business of darkness. I walked into darkness. I emerged in light every time.“ (S. 151) 

Auch wenn Nuzzi verständnisvoll über Frauen wie Marilyn Monroe oder Britney Spears schreibt, die ihre eigene Objektifizierung in der patriarchalen Enterntainment- und Medienmaschine nicht in Handlungsmacht ummünzen konnten, hat die seitenlange Beschäftigung mit diesen und anderen Opfern sexualisierter Gewalt- und Machtverhältnisse vor allem einen Zweck: zu demonstrieren, dass Nuzzi kein solches Opfer ist und vor allem ganz sicher keine #MeToo-Aktivistin oder Feministin. Die Gewalt und die Macht der Männer beschreibt sie als naturgegeben, ja als eine erotische Naturgewalt. Die Arbeit und die Aufgabe attraktiver Frauen ist es, diese Gewalt in konstruktive Bahnen zu lenken, sie zu zivilisieren. Dass die Männer, für die sie diese Sex-Arbeit geleistet hat, Nuzzi im entscheidenden Moment natürlich nicht als gleichwertig anerkennen bzw. ihre sexualisierte Arbeit würdigen, sondern sie ohne große Gewissensbisse fallen lassen, das ist die große Wut, vor allem aber der große Kummer dieses Buchs. 

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Foto von Lucas George Wendt auf Unsplash

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