Autor: Antje Schmidt

Poetische Peinlichkeiten – Über Ben Lerners „Warum hassen wir die Lyrik?“

von Antje Schmidt

Die Lyrik umgibt der Nimbus des Besonderen. Wer Gedichte liest oder schreibt, darf sich zu einer ebenso geschätzten wie bedauerten Außenseiter*innengruppe zählen. Darauf hat etwa Nora Bossong, selbst Dichterin, hingewiesen. Damit wird die Gattung identitätsstiftend für den eingeweihten Kreis ihrer Autor*innen und Leser*innen und nicht ohne Grund zählt die lyriklesende Einzelgänger*in längst zum Standardrepertoire der Popkultur. Im Rahmen retrotopischer Inszenierungen wie der Dark Academia Ästhetik auf Plattformen wie Tik Tok oder Instagram partizipieren zahlreiche Menschen an einem retrophilen Lifestyle, der Distinktion über die Nähe zur Lyrik sucht. 

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Weibliche Empfindsamkeit vs. männliches Genie – Die Fiktion zärtlicher Autorinnenschaft 

von Antje Schmidt

 

Es gibt ein inflationär gebrauchtes Label, das ich in Rezensionen zu Texten von Autorinnen nicht ertragen kann: die seltsam verniedlichende Behauptung der Text sei zärtlich oder – noch schlimmer – man merke dem Text die wunderbare Zärtlichkeit der Autorin  an. In einer Jurybegründung für den Rauriser Literaturpreis heißt es etwa über den Erzählband der Preisträgerin Karen Köhler Wir haben Raketen geangelt: „Die Jury zeigt sich beeindruckt von der Art, wie sie sich dem Tod und der Erfahrung von Verlust annähert, mal schneidend, mal zärtlich.“ In ähnlicher Rhetorik wurde der Autorin Lisa Krusche, die beim diesjährigen Bachmannpreis mit Für bestimmte Welten kämpfen und gegen andere einen zutiefst dystopischen Text vorlegte, in der Jurydiskussion bescheinigt, erst durch ihren Vortrag, der logischerweise ihre physische Präsenz als Frau impliziert, entwickele die Geschichte eine ganz besondere Zärtlichkeit. Weiterlesen