Autor: Clara Sondermann

Schwangerschaft erzählen – Zwischen Tabu und Idealisierung

von Clara Sondermann

 

In unserem Viertel sehe ich viele Familien mit kleinen Kindern. Erst seitdem ich Mutter bin, fallen mir auch die schwangeren Frauen auf. „Ich habe nicht gewusst, was eine schwangere Frau ist“, schreibt Anna, die Hauptfigur in Mit arbejde (dt. Meine Arbeit[1]), dem aktuellen Roman der dänischen Autorin Olga Ravn. Der Roman, abwechselnd auch Essay, Drama und Gedicht, erzählt von der Autorin Anna, die kürzlich Mutter geworden ist. Anna möchte sich nicht zwischen Care- und Erwerbsarbeit entscheiden müssen und Ravn stellt ihr, wie um dem Dilemma zu entgehen, eine Erzählerin an die Seite, die so etwas wie ihre Doppelgängerin ist. Schon in den ersten Sätzen zeigen sich Mutter und Autorin wie zwei widerstreitende Pole in ein und derselben Person: „Wer hat dieses Buch geschrieben? Ich, natürlich. Auch, wenn ich gern das Gegenteil beweisen würde.“ Mal schreibt Anna, mal gibt die Erzählerin Annas Aufzeichnungen wieder – oder sieht ihr wie einer Schauspielerin auf der Bühne beim Nachgehen der häuslichen Pflichten zu. Das literarische Motiv der Doppelgängerin macht vielleicht nirgends so viel Sinn wie an dieser Stelle. Ravn zeigt die gespaltene Frau, die versucht, die Erwartungen an sie zu erfüllen und gleichzeitig dagegen zu kämpfen. Weiterlesen