von Nicholas Glastonbury
im Original erschienen bei L.A. Review of Books
übersetzt aus dem Englischen von Tobias Eberhard
In einer Kurzgeschichte aus dem Jahr 1977 mit dem Titel „The Railroad Storytellers – A Dream“ schilderte der türkische Autor Oğuz Atay die Lebensumstände dreier Autoren von Kurzgeschichten, die sich nebenher als Arbeiter an einem Kleinstadtbahnhof verdingen. Einer der Autoren dient als Erzähler der Geschichte, die den dreien dabei folgt, wie sie tagsüber auf einer alten Schreibmaschine Geschichten niederschreiben, um diese dann bei Nacht den Passagieren von zwischenhaltenden Zügen feilzubieten, wobei sie stets mit Essensverkäufern um deren Aufmerksamkeit konkurrieren. Jedoch sorgen die andauernden Einschränkungen des Eisenbahnministeriums darüber, was die drei Autoren schreiben dürfen, und die Reduzierung der Personenzüge am Bahnhof dafür, dass sich ihre Umstände zunehmend hoffnungsloser gestalten. Einer von ihnen stirbt, ein weiterer fährt in einem Zug davon, und der letzte – unser Erzähler – bleibt an dem verlassenen Bahnhof zurück, eingepfercht in seiner heruntergekommenen Unterkunft, und schreibt Geschichten, die niemals jemand lesen wird. Am Ende erfahren wir, dass „The Railroad Storytellers“ selbst eine der letzten Geschichten ist, die der Protagonist jemals schreiben wird, eine Geschichte, die er jemandem – irgendjemandem – zusenden möchte, sodass ihm doch noch eine Leser*innenschaft zuteil wird: „Ich möchte ihnen schreiben, stets für sie schreiben, Geschichten ohne Unterlass, ohne Ende erzählen, sie wissen lassen, wo ich bin.“ Das Ende der Erzählung wendet sich direkt an die Leser*innen: „Ich bin hier, liebe Lesende. Wo seid ihr?“
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