von Peter Hintz
Zu den grundlegenden Aspekten hegemonialer Männlichkeit gehört die Klage und das Gejammer, dass sie in einer Krise stecke. Das zeigt auch das im November 2020 in der edition suhrkamp erschienene Buch Politische Männlichkeit von Susanne Kaiser. Anhand zahlreicher Beispiele aus der Gegenwart untersucht Kaiser autoritäre Bewegungen und die Rolle, die patriarchale Ideologien für sie spielen. Wie Kaiser überzeugend darlegt, ist diese Ideologie – von offensichtlichen Beispielen wie den sogenannten Incels und Pick-up-Artists bis zur AltRight und AfD – zum politischen Bindeglied vermeintlich sozial isolierter Männer geworden, die sich online und offline vernetzen und organisieren. Gemeinsam haben die Bewegungen vor allem eins: Gegenderte Abstiegsnarrative, die vor der Emanzipation der Frau und der Verweichlichung des Mannes warnen, um Gewalt gegen Frauen zu rechtfertigen.
Zum misogynen Selbstverständnis dieser neuen sozialen Formationen gehört auch eine eigentümliche homosoziale Rhetorik, nach der manche Männer sich im Vergleich zu anderen offen als abgehängt und sexuell erfolglos verstehen: Zum Rivalen und Vorbild der selbsternannten beta males wird der alpha male. Wie auch der Erfolg des maskulinistischen Self-Help-Gurus Jordan Peterson zeigt, haben diese Männer ein auf heterosexuellem Erfolg beruhendes Ideal verinnerlicht, begreifen sich aber selbst als zutiefst defizitär. In Anknüpfung an Angela Nagles kontrovers diskutierten Essay Kill All Normies (2017) spricht Kaiser von einer “antifeministischen Gegenrevolution”.
Die historische Männlichkeitsforschung hat gezeigt, dass die moderne Geschichte durchzogen ist von Krisenklagen, die in der Regel mit Sehnsüchten nach einer Stabilisierung patriarchaler Männlichkeiten verbunden waren – insbesondere in der postindustriellen Gesellschaft seit den 1950er Jahren, in der männliche Rollenverständnisse von Beruf, Staat und Familie neu verhandelt werden und der Feminismus beständig an Einfluss gewinnt. Wenn Kaiser mit der politischen Männlichkeit von einem „neuen Typus von misogyner Männlichkeit“ spricht, ist dies nur im engeren Sinne richtig, bezogen auf heutige, radikalisierte Aktionsformen und als Reaktion auf aktuelle feministische Bewegungen.
Literarisches Echolot – und Sympathieträger – männlicher Befindlichkeiten für die Zeit des ganzen Kalten Krieges ist etwa das Werk der amerikanischen Kriminal- und Bestsellerautorin Patricia Highsmith (1921-1995), der in diesem Monat anlässlich ihres 100. Geburtstags in vielen Zeitungen gedacht wird. Für manche Leser:innen ist Highsmith bis heute “heiliges Gelände” (so etwa Slavoj Žižek vor einigen Jahren), was wohl auch die immer neuen Veröffentlichungen zu ihrem virulenten Antisemitismus nicht ändern werden. Schließlich gehe es ja um ihr Werk und nicht ihre Biografie und privaten Notizen – dabei sind gerade ihre literarischen Texte frauenfeindlich. Diese Einsicht wird aufgrund ihrer stilistischen Brillanz von den Fans gern marginalisiert, obwohl Politik und literarische Form in ihrem Werk eng verknüpft sind. Highsmith ist nicht nur die Queen des Suspense, sondern auch des literarischen Antifeminismus in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg. Insbesondere ihr durch zahlreiche Verfilmungen wahrscheinlich bekanntestes Projekt, die über vierzig Jahre entstandene, fünfteilige Ripley-Romanreihe, hat viele Parallelen mit heutigen misogynen Männlichkeitsbildern.
Wie Žižek völlig zurecht festgestellt hat, haben die meisten der zahlreichen Verfilmungen dieser Romanreihe den Highsmith-Ripley verfehlt. In der Regel haben sie nur ausgewählte Charakteristika der Figur abbilden können – der Ripley von Alain Delon ist selbstsicher, aber zu stumpf, der von Dennis Hopper intelligent, aber zu amerikanisch und der von Matt Damon misogyn, aber zu obsessiv. Vielleicht liegt das daran, dass Highsmith-Figuren mit der literarischen Form ihrer Romane untrennbar verbunden sind. Sie sind ohne die Immersion, die nur eine Erzählinstanz leisten kann, die quasi als narratives Alibi Perspektive und Gefühlswelt der Täter bedingungslos reproduziert, nicht denkbar. Dem literarischen Ripley-Vorbild am nähesten kommen vielleicht John Malkovich oder Barry Pepper, weil die Verfilmungen von Liliana Cavani und Roger Spottiswoode (bei allen Änderungen an der Handlung) den Zyniker Ripley ziemlich zuverlässig als sympathischen Antihelden abbilden.
Highsmiths Ripley ist ein Betrüger und Mörder, der, wie sie selbst, Amerika verlässt und in zunehmendem Reichtum den Rest seines Lebens in Europa verbringt. The Talented Mr. Ripley (1955) ist zunächst ein Porträt der amerikanischen Klassengesellschaft in der Nachkriegszeit: Durch Vortäuschen eines Studiums an einer Ivy-League-Universität kann sich der verwaiste, aus der Arbeiterschaft stammende Ripley das Vertrauen einer New Yorker High-Society-Familie erschleichen. Auf Kosten der Familie Greenleaf reist er nach Italien, um deren verlorenen Sohn Dickie heimzuholen, tatsächlich aber seiner kommenden Verhaftung als betrügerischer Finanzangestellter zu entgehen.
Dieser Ausbruch hat natürlich auch eine geschlechterpolitische Dimension. Abgestoßen ist er von seiner schwindenden Bedeutung als Mann am unteren Ende der urbanen amerikanischen Mittelschicht, “all diesem Gesindel, diesen Vulgären,” den Mädchen, deren “bloßen Anblick Tom nicht ertrug.” Ebenso von seiner stereotypen, kalten Stiefmutter, die er schon als Jugendlicher hatte umbringen wollen und uninteressiert ist er auch an seiner Freundin Cleo, ihrem “blassen, langen Gesicht”. Wenn Cleo vor seiner Abreise aus Amerika glaubt, dass “nie im Leben so etwas einem Mädchen passieren könnte, wie frei doch Männer sind” so scheint es Ripley “als sei es genau umgekehrt.” Seine Misogynie setzt sich in Europa fort, denn Dickies eigene Freundin Marge, vom Aussehen her der “kräftige Typ”, wird in ihrer Arbeit als untalentierte Schriftstellerin und in ihrer Depression nicht nur durch Ripley, sondern vom Roman selbst durch Stereotype unattraktiver, labiler Weiblichkeit abgewertet.
Die ethische Dimension der Ästhetik von Highsmiths Texten, die auf Sympathie mit den männlichen Tätern abzielt, hat ihr das (unter Fans respektvoll verwendete) Label „dark“ eingebracht, das zuletzt auch Carmen Maria Machado im Guardian verwendete. Dieser Sympathie-Effekt führt interessanter Weise auch dazu, dass Ripleys markante Verstöße gegen die Heteronormativität nicht als negativ, sondern als Sehnsuchtsorte in der patriarchalen Ordnung markiert werden. So zeigen sich in Europa seine unbefriedigten homosexuelle Gefühle für Dickie, die er erst durch seinen Mord an ihm überwinden kann – wenngleich er beginnt, sich nach dessen Tod als Dickie auszugeben, der wohl bekannteste Teil von Highsmiths Erzählung.
Natürlich lässt sich die häufig als ambivalent beschriebene Thematik Highsmiths – zwischen antifeministischer Reaktion und sexueller Revolution – unmittelbar mit dem ausgehenden McCarthyismus und den kommenden Sixties kontextualisieren. Sie weist aber über die Ära hinaus. In diesem Zusammenhang ist auch The Boy Who Followed Ripley (1980) interessant, ein Roman, der zu großen Teilen im sexuell befreiten Westberlin spielt, wo Ripley nun als Dragqueen Schwulenclubs besucht – allerdings mit einem minderjährigen Jungen, zu dem er wohl nicht nur väterliche Gefühle entwickelt und der schließlich Selbstmord begeht. Die latente Assoziation von Homosexualität mit Kriminalität gibt Highsmith in ihrem ganzen Werk nie auf – im Verbotenen erst wird Queerness interessant.
Im Kontext des Hochstaplergenres liegt es nahe, Ripley als Karikatur eines sozialen Aufsteigers oder als Satire auf die Oberschicht, die auf ihn hereinfällt, zu lesen. Highsmith subjektiviert aber Erfahrung und Wahrheit, und es fällt entsprechend schwer, hier tatsächlich eine konsequente Herrschaftskritik zu erkennen. Die Ripley-Figur ist im Roman zu komplex, um bloß als Parodie gelesen zu werden oder sogar literarisches Vehikel einer Kritik hegemonialer Männlichkeiten zu sein, wie manchmal behauptet wird. Durch ihre Spiegelung im Hochstapler wird patriarchale Macht zwar schon als Männerfantasie repräsentiert, als Konstrukt, das auch unterlaufen werden kann, die konsequente Täterperspektive erzeugt aber letztlich Sympathie mit Ripleys Wunsch, als der allseits respektierte und privilegierte Dickie zur sozialen und kulturellen Oberschicht der Männer dazuzugehören. Denn „wenn er sich jetzt als Thomas Phelps Ripley identifizierte, dann beging er damit eine der betrüblichsten Handlungen, die er je in seinem Leben begangen hatte.” Das Ripley-Narrativ ist selbst eine mit narrative pleasure ausgestattete Männerfantasie für die Leser, das spannungsreiche Mitfiebern mit Ripley wird damit belohnt, dass er nie geschnappt wird.
Dabei ist insbesondere der Entstehungskontext von Highsmiths Werk interessant, nämlich das verunsicherte Patriarchat der Nachkriegsjahrzehnte, das ja auch am Anfang des Talented Mr. Ripley abgebildet wurde – das Oberhaupt der Greenleaf-Familie ist ein an seiner mangelnden Autorität leidender Vater, der auf einen Betrüger aus der unteren Mittelschicht vertraut, der wiederum selbst mit seinem Status unzufrieden ist. Aber im Moment der Infragestellung ihrer Natürlichkeit wird hegemoniale Männlichkeit von Ripley nicht nur als Performanz erkannt, sondern damit auch erst recht kopierfähig gemacht – der Betrug ist der sehnsuchtsvolle Ausweg aus der Männlichkeitskrise. Das erinnert an die sogenannten Pick-Up-Artists von heute, die diverse Codes heterosexueller Männlichkeit in täuschender Absicht nachahmen, um ihren sexuellen Erfolg mit Frauen zu steigern – wenngleich Ripley es dabei belässt, Marge gefälschte Briefe vom toten Dickie zu schreiben.
Nach The Talented Mr. Ripley aus den 1950er Jahren setzen der Kunstfälscherroman Ripley Under Ground (1970) und der Mafiathriller Ripley’s Game (1974) Highsmiths Männlichkeitsfiktionen fort. Unter anderem alimentiert vom Geld der Greenleaf-Familie wohnt Ripley nun als Privatier in einem Anwesen außerhalb von Paris. War der etwas jüngere Ripley noch ständig von Ängsten und Lüsten geplagt, ist der 1970er-Jahre-Ripley nun als superheldenhafter Betrüger und Auftragsmörder zum maskulinen Stabilitätsanker und Vorbild für seine weicheren, bündisch organisierten Freunde geworden. Es ist falsch, diesen recht offen als ‘Freizeitkriminellen’ tätigen Ripley überhaupt noch dem Hochstaplergenre zuzuordnen. So stellt etwa Ripley’s Game per Perspektivwechsel (einer häufigen Erzähltechnik Highsmiths) die dominante Männlichkeitsperformanz von Ripley der seines nervösen Nachbarn entgegen, der schließlich wegen seiner eigenen Verstrickungen ins organisierte Verbrechen von seiner Frau verlassen wird.
Vor dem Hintergrund sich wandelnder Familienideale verlegt Highsmith den post-Sixties Ripley in die – für ihn nicht unglückliche – Simulation von konsensueller Vaterschaft und Ehe: Da hat er eine junge, hübsche Ehefrau, die zwar auch reichlich stereotyp charakterisiert ist, als Frau aber nicht mehr Ripleys Hass, sondern auf Gegenseitigkeit beruhende sanfte Zuneigung erfährt. Im Gegensatz zum Talented Mr. Ripley kann der Ehemann Ripley sich Gewaltfantasien gegenüber Frauen fast vollkommen entziehen – in Ripley Under Ground, Ripley’s Game und Ripley Under Water (1991) wird er nun jedoch von den schrillen Partnerinnen seiner Freunde und Gegner gehasst und verfolgt. Frauen sind für ihn nur Symbol und Gehilfen zur Wahrung seines Platzes in der gehobenen Gesellschaft—wie seine aus reichem Elternhaus stammende Frau Héloïse, die von seiner kriminelle Karriere nicht nur weiß, sondern sie auch querfinanziert. Das erinnert wiederum an Kate Mannes 2018 erschienene Logik der Misogynie, nach der sich Misogynie schon dadurch äußert, dass Frauen in “gute” und “schlechte” getrennt werden. Nach Manne werden Frauen in misogynen Strukturen also danach bemessen, ob sie männlichen Interessen im Wege stehen oder nicht.
Highsmiths Romane Deep Water (1957) oder This Sweet Sickness (1960) porträtierten Männer, die Frauen, von denen sie abgelehnt worden waren, obsessiv verfolgten oder töteten. Diese Romane sind die ultimativen Porträts des nice guy, also von Männern, die aus ihrem Selbstverständnis als sensible und respektvolle Personen einen Anspruch auf Beziehungen zu Frauen ableiten. Es gehört zu vielen Texten von Highsmith, dass sie, wie in heutigen Incel-Fantasien, die Protagonistin von Deep Water als unsympathische femme fatale zeichnet, die sich nicht auf ihren Nice-Guy-Ehemann Vic, sondern auf ungebildete und unsensible Männer einlässt, die nacheinander von Vic ermordet werden, bis er aus Wut schließlich auch seine Frau tötet. So wird bei der Queen of Suspense ganz oft Spannung dadurch aufbaut, dass Täterfiguren in tragikomische Handlungssequenzen eingebunden werden, an denen andere Figuren (normalerweise unsympathische Frauen und Männer) Mitschuld tragen.
Oft haben sich Biografien mit der (selbst höchst fragwürdigen) Frage auseinandergesetzt, warum es ausgerechnet eine bisexuelle Frau wie Highsmith war, die Texte mit misogynen Tendenzen schrieb. Zieht man Highsmiths Kleine Geschichten für Weiberfeinde (Little Tales of Misogyny, 1975) heran, so zeigt sich eine mögliche Doppelbödigkeit ihrer Texte. Im Kontext der feministischen Umbrüche der 1960er Jahre wirkt diese Serie von Kurzgeschichten wie eine parodistische Klarstellung ihrer eigenen Romane: durchweg als obszön und exzessiv charakterisierte Frauen – Klischees von unbegabten Künstlerinnen, untreuen Ehefrauen und schrillen Müttern, darunter auch eine Höhlenfrau – verunglücken oder werden von ehemaligen Liebhabern umgebracht. Wollte sich Highsmith hier gegen mögliche Kritiker verteidigen, nicht nur stereotype Weiblichkeit, sondern auch stereotype Männlichkeit lächerlich machen? Mit ihrer frühen Great American Novel, dem Roman The Price of Salt (1952) hatte Highsmith noch eine lesbische Liebesgeschichte geschrieben, die mit großer Sympathie für ihre Protagonistinnen die Männerwelt der 1950er Jahre als Bedrohung von nach Unabhängigkeit strebenden Frauen darstellt. Aber natürlich hebt die Reproduktion von Stereotypen, wie in den Geschichten für Weiberfeinde, diese nicht notwendigerweise auf. Hier ähnelt Highsmiths ästhetische Strategie heutigen formal satirisch eingeordneten antifeministischen Diskursen in den sozialen Medien, die von Angela Nagle beschrieben wurden. Denn auch bei Highsmith verschwimmen subversive Ironie und ‘klassische’ Stereotypie bis zur Ununterscheidbarkeit. So wirken die Geschichten für Weiberfeinde, wie die von “Der Hure mit staatlicher Genehmigung oder die Ehefrau”, auch eher wie literarische Versuche, zeitgenössische Feminist:innen zu provozieren.
Mit Fans wie Jörg Fauser über Peter Handke und Slovoj Žižek ist es kein Zufall, dass Highsmith regelmäßig als einzige Autorin von denjenigen Schriftstellern literarisch kanonisiert wird, die dem Feminismus eher indifferent gegenüberstehen. Tatsächlich erinnert der weltweite Highsmith-Kult an die geografisch wohl etwas beschränktere Verehrung ihres jüngeren Zeitgenossen Fauser, auf dessen “vermeintlich harte Männlichkeitsprosa” bereits Simon Sahner hingewiesen hatte. Freilich sind die patriarchalen Männlichkeitsbilder, die Highsmith in ihren spannungsvollen, psychologisch beeindruckenden Kriminalfiktionen entwirft, in vieler Hinsicht von Fausers Trinkern abzugrenzen, nicht zuletzt von der krassen Schwulenfeindlichkeit seiner Texte; sie zählen aber beide zur Tradition misogyner Literatur aus den Nachkriegsjahrzehnten.
Zwischen ihr und der heutigen organisierten und radikalisierten politischen Männlichkeit liegen kulturhistorische Umbrüche, vor allem das Ende des Kalten Krieges, der fortschreitende Struktur- und Medienwandel, das Feindbild eines neuen Queerfeminismus und ein nicht nur auf rechtspopulistische Bewegungen beschränkter Rassismus, der weiße, hegemoniale Männlichkeitsbilder mitbeeinflusst. Getragen werden diese Rechtfertigungen von Macht aber jeweils durch Abstiegsnarrative, wie sie auch von Highsmith erzählt wurden, die nur zutreffen, insofern Geschlechter und Hierarchien tatsächlich nicht stabil sind.
Photo by Clark Street Mercantile on Unsplash