von Lena Brinkmann
Kann etwas so funktional und wenig einladend sein, dass darin eine Schönheit liegt? Florian Werner ist sich dessen sicher und geht einer Faszination aus Kindertagen nach: Die Raststätte soll nicht länger als Inbegriff des Gewöhnlichen herhalten. Mit dem Vorsatz, die blinden Flecke am Wegesrand der Autobahnen auszuleuchten, begibt er sich auf eine Expedition. In Die Raststätte. Eine Liebeserklärung (erschienen im Februar 2021 bei Hanser) rekonstruiert er die deutsche Raststätten-Topografie, nimmt beobachtend teil und spielt sprachlich auf hohem Niveau die landläufigen Vorurteile gegen kluge Beobachtungen aus.
Die Schilderung des Raststätten-Charmes à la BRD Noir erinnert an Popliteraturen der 1990er Jahre, wäre da nicht der Anspruch, Tiefenbohrungen am infrastrukturellen Mikro-Raum vorzunehmen. Im Dialog mit dem Ort und durch Interviews mit Gesprächspartner:innen macht Werner „nicht nur Brüche, sondern auch (teilweise bizarre) Kontinuitäten“ lesbar.
Die Liebeserklärung
Laut Werner sei es die „vollkommene Abwesenheit von allem, was man gemeinhin unter sehenswürdig oder schön versteht“, die ihn an der Raststätte fasziniert und anzieht. Er widmet der Raststätte sogar ein Gedicht (wie der Untertitel: „Liebeserklärung“). Die Entscheidung für die Form des englischen Sonetts erklärt er in einer Fußnote: „Üblicherweise richtet es sich an eine angebetete, von der Restwelt nicht hinreichend gewürdigte Dame – aber auch für einen ungeliebten Ort wie eine Autobahnraststätte scheint es mir die angemessene Form zu sein.“ Zudem führt er einen neuen Gefühlszustand ein: Das „Raststättenweh“ beschreibe einen Zustand zwischen Heimweh und Aufbruchsstimmung.
Garbsen Nord
Werner möchte sich der Raststätte aus einer „ethnologischen Halbdistanz“ nähern und gibt bereitwillig Selbstauskunft: Er kommt aus Berlin, vom humanistischen Gymnasium – und von Derrida. Der Wille zur Dekonstruktion wird die Zeilen begleiten, während derer der „Gesinnungsvegetarier“ und „Verbrennungsmotorphobiker“ per Selbstdefinition zum Zeitreisenden wird und sich ins Dunkle der Raststätte begibt, um Erfahrungen zu sammeln: „Die besten Erfahrungen sind stets solche, die eingespielte Wahrnehmungsmuster durchrütteln.“ Um das Ausmaß des Durchrüttelns nachvollziehbar zu machen, kokettiert Werner mit seinem bildungsbürgerlichen Hintergrund. Der „linksgrünversifftliberale“ akademische Habitus manifestiert sich in einer Trias: Wagner-Oper, Derrida-Lektüre, Gleitsichtbrille.
Teilnehmende Beobachtungen in der Gegenwartsliteratur
Als ‚woker‘ Feind des motorisierten Individualverkehrs ergibt sich allerdings ein Dilemma; die Eintrittskarte in die Welt der Autobahnraststätte setzt ein Automobil voraus. Wie in Moritz von Uslars Deutschboden. Eine teilnehmende Beobachtung muss ein Leihwagen herhalten, der in der New-Journalism-Fahrspur läuft (im Gegensatz zu Uslar nicht samt Markennennung und Werbesponsoring). Das Vorhaben offenbart Parallelen, denn auch hier geht es darum, sich mittels teilnehmender Beobachtung einer Gegenwartstendenz anhand eines konkreten topografischen Ortes anzunähern: Beide Orte, Gaststätte wie Raststätte, stehen dabei an der Schwelle zum Informellen.
Während Uslar sein Ziel per Zufall findet, ist Werners Wahl strategisch: Unter den landesweiten Durchschnittsräumen (circa 450 Raststätten) sucht er den topografischen Durchschnitt. Die Wahl fällt auf den Median: Garbsen Nord an der A2. Räumlich an der Kreuzung von Nord-Süd- und Ost-West-Achse gelegen, stellt die Raststätte auch in der chronologischen Achse den Zentralwert dar. Ihre Erbauungszeit, 1954, fällt zwischen die NS-Monumentalbau-Architektur und die Dekadenzphase in den 1970er-Jahren.
Familienbetrieb, Flaschensammler und die Fauna
In seiner Feldstudie unternimmt Werner das, was an diesem Ort ausgeschlossen ist: Er verweilt. Er dekonstruiert die ‚Einbahnstraßigkeit‘ des Raumes und die kulturgeschichtlichen Alltagsmythen, befragt und interviewt diejenigen, die sich im Gegensatz zum Publikumsverkehr tagtäglich dort aufhalten.
Der Betreiber in dritter Generation erinnert glückliche Kindheitstage. Seine ‚Rechte Hand‘ wiederum belegt den Amerikanischen Traum: Nach der Ausbildung zur Bäckereifachverkäuferin fing sie als Kassiererin an und erhielt am ersten Tag ein paar Dollar Trinkgeld. Ihren ersten Dollar hat sie eingerahmt. In 30 Jahren stieg sie zur Abteilungs- und schließlich zur Betriebsleiterin auf.
Der Linken-Politiker Victor Perli schildert im Gespräch die Notwendigkeit der Wiederverstaatlichung der Raststättenbetriebe, ein Flaschensammler plaudert über Gott, die Welt und ihre Abgründe, ein Autobahnwachtmeister kommentiert die Regeln des Highways. Notfallseelsorger geben Einblicke aus ihrem Alltag, LKW-Fahrer schwärmen von ihrem Job und ein Botaniker führt in die Artenvielfalt der Raststättenflora ein. An der „epististemische[n] Bordsteinkante zwischen Kultur und Natur“ finden sich über 260 Pflanzenarten, die mit dem Willen zur Wahrheit auf vier Buchseiten inventarisiert werden.
Historiographie am ahistorischen Fleck
Die Raststätte, schreibt Werner, sei ein Brennglas der Zeitgeschichte: Angefangen als durch Nationalsozialisten geplante „Kunstwerke in der Landschaft“, die die Autobahnen beleben und Ideologie repräsentieren sollten. Es folgen: Wirtschaftswunder-Tourismus und der Boom der Nachkriegszeit, die räumliche getrennte Klassengesellschaft in den DDR-Betrieben (das Obergeschoss ausschließlich für Westdeutsche), der Tag des Mauerfalls (statt Soljanka und Broiler nun „Unmengen an Bananen und Brötchen“), Zusammenlegung der Ost- und Westbetriebe (Mitropa AG und Gesellschaft für Nebenbetriebe, später Autobahn Tank & Rast AG), 1998 deren Privatisierung.
Den Glamourverlust ab den 1980er Jahren führt Werner auf das Stagnieren der Küche sowie auf mentalgeschichtliche Ursachen, die steigende Zahl der Unfalltode und die Ölkrise von 1973 zurück. „Die Versprechen der Nachkriegsmoderne klangen zunehmend blechern, scheppernd und hohl wie ein frisierter Mofamotor.“ Auch die Jobs im Dunstkreis der Autobahn werden stetig unattraktiver; 60.000 Arbeitsplätze in der Spedition seien heute unbesetzt, Zehntausende gehen jährlich in Rente.
Bei allem Wandel kristallisiert sich an diesen Mikroräumen aber auch das ‚Typisch-Deutsche‘ heraus: Die Liebe zur Karosserie, das Nörgeln über Preise, das Prinzip der spätkapitalistischen Arbeitsmoral (der Inhaber fragt, warum sein Betrieb überhaupt Ladentüren hat, wenn diese doch nie geschlossen werden) und die Mentalität: „Sehr angenehm im Umgang seien die Holländer […] Die Deutschen seien die Gestresstesten, am Schwierigsten seien die Fußballfans.“
„Prolegomena zur Philosophie der Raststätte“
Eine analytische Vorarbeit offenbart sich in der raumtheoretischen Bestimmung der Raststätte – Foucaults Heterotopie-Begriff, Michail Bachtins Ansatz des Chronotopos sowie Marc Augés Konzept des Nicht-Ortes bilden zentrale und naheliegende Abschnitte. Die größte Zustimmung offenbart sich bezüglich des Chronotopos: Wie ein linearer Zeitstrahl weise die Autobahn in die Zukunft, die Raststätte befindet sich an einem Ort ständiger Bewegung und nie endender Dynamik. „Er [der Fahrende] ist niemals ganz in der Gegenwart, sondern hat stets ein Ziel vor Augen, dessen Erreichen notwendigerweise, auch zeitlich gesehen, vor ihm liegt. Vorwärts immer, rückwärts nimmer.“ Die Raumrepräsentation löse das Versprechen des DDR-Futurs ein und bilde eine eigene Raum-Zeit.
Ethymologisierungswahn in der Sackgasse
So spannend wie der Gegenstand ist auch der Stil. Neben Reportage-Prosa gestalten auch lyrische Passagen, Listen, Fotografien, Werbeslogans und dramatische Dialoge („Der Polizist: ‚Viel Spaß!‘ (Und ab.)“) den Band. Das Seufzen und Abhusten der Motoren beim Anfahren oder die Beschreibung von LkW-Fahrer David, ein „Monstertruck von einem Mann“, sind sehr unterhaltsam. Es dürfte jene Magie sein, die Saša Stanisić, welcher in Herkunft ebenfalls der Tankstelle gedenkt, auf dem Buchdeckel lobt.
Immer wieder blitzt die literaturwissenschaftliche Begeisterung des Autors hervor. Die akademische Überhöhung erzeugt an vielen Stellen auch Komik: „Literaturwissenschaftliche Erregung packt mich, als hätte ich gerade das verschollene Werk des Aristoteles über die Komik entdeckt. Es handelt sich um das Gästebuch von Garbsen Nord.“ Diese „literarische[n] Momentaufnahmen“ bildeten „ein Zeitdokument von unschätzbarem historischen Wert“. Sie überliefern zum Beispiel das Puddinglob von Alfred Biolek und offenbaren Sigmar Gabriels Vorliebe für Gulasch-Suppe.
Der Germanist Werner tut das, was ein Germanist tun muss: Interpretieren. „Mit gelindem Erstaunen stelle ich fest, dass sich ausgerechnet an einem so transitorischen Ort wie einer Raststätte Genealogie und Erbschaft als wiederkehrende Themen, ja Leitmotive herauszukristallisieren beginnen. Ist dieses Erstaunen meiner bildungsbürgerlichen Arroganz geschuldet, dem Glauben, dass nur Arztsöhne, Rechtsanwaltstöchter und andere Akademikerkinder den Beruf der Eltern ergreifen?“
Noch höher den Elfenbeinturm aufwärts kletternd heißt es larmoyant unter der Heine-Zitat-Überschrift „Nachtgedanken“, dass der Sound der Autobahn nicht bloßes Meeresrauschen sei. Mit absolutem Gehör will er hier stattdessen einen Orkan in einem Bergwald hören, mit einsetzendem Sturmhexen-Heulen, ähnlich der A-Saite eines Cellos.
Riecht die Raststätte nach Benzin und Testosteron?
Insgesamt treten in diesem Buch wenige Frauen in Erscheinung. Da wird die Referentin des Verkehrsministeriums, die ausweichende Antworten auf die Anfrage Werners gibt, erwähnt. Oder eine 80-jährige ehrenamtliche Seelsorgerin. Und es tritt die ‚Resolute Wirtin‘ einer Berliner Raststätte auf, charakterisiert als: „Bedienung, Beichtmutter, Bewährungshelferin“.
Ein Frau fürs Grobe und die Care-Arbeit braucht das männliche Publikum demnach auch hier. Als geflügeltes Wort für „mit der Muttermilch aufsaugen“ wendet Werner aufgrund des Männerüberschusses kurzerhand als Äquivalent an: „Mit dem väterlichen Diesel aufsaugen“. Gegen Ende keimt kurz die Hoffnung auf, dass sich das Gender-Verhältnis angleicht:
„Vielleicht, denke ich, wächst hier nach den geburtenschwachen und fernlasterverachtenden Jahrgängen eine neue Generation von LKW-Fahrer*innen heran: optimistisch, rheinisch-frohsinnig; vor allem aber gleichberechtigt und weiblich. Aktuell liegt der Frauenanteil unter Berufskraftfahrern noch bei unter zwei Prozent.“
Hier fällt die singuläre Verwendung des Gendersternchens auf. Bewusst ein Stilmittel in dieser Passage, das auf die politische Debatte um das Gendern in der deutschen Sprache verweist? Ansonsten hätte es dem zweiten Teilsatz ebenso zu Gesicht gestanden, von „Berufskraftfahrer*innen“ zu sprechen, oder nicht?
Exkurs: 4000 PS in Frauenhand
Seit 2017 wird die Serie Trucker Babes. 4000 PS in Frauenhand produziert, im Frühjahr 2022 erschien die neunte Staffel. Die Episoden werden zur sonntäglichen ‚Tatort-Prime-Time‘ gesendet; der Sender räumt dem Format eine der besten Sendezeiten ein, sodass eine gute Einschaltquote anzunehmen ist. Die Serie greift zum einen Pin-Up-Motive auf, führt andererseits vielleicht dazu, sich der mit unter zwei Prozent winzigen Berufsminderheit bewusst zu werden. Letzteres Argument findet sich zumindest im Internetauftritt des Senders. Fahrerin Amy erzählt, was sie in zehn Berufsjahren erlebt hat: Typen, die längere Zeit neben ihr auf der Autobahn fuhren, hätten sich selbstbefriedigt. Sie beschreibt, dass Fahrer gezielt nach ihr als langhaariger, blonder Frau Ausschau hielten. Durch die erhöhte Sitzposition im LKW bleiben Amy die Gesichter und Köpfe der Männer verborgen, alles darunterliegende nicht. Sie bremse in solchen Fälle, täusche ein Ausscheren an und habe auch einmal ein Handyfoto gemacht, um den Mann in die Flucht zu schlagen. „Manchmal sieht man auf der Autobahn mehr Pimmel als im Privatleben“, lautet ihre Bilanz. Nachdem Amy ihre Ware abgeladen hat, fragt ein Staplerfahrer in der Videosequenz, ob er ein Foto mit der Niederländerin machen dürfe.
Werner zitiert aus einem Song der Country-Band Truck Stop. Das Lied Die Frau mit Gurt (1977) sei ein „Musterbeispiel für Mansplaining“. Dabei wird nicht mansplaint, wie ein Sicherheitsgurt zu gebrauchen ist. Wie auch in der Serie Trucker Babes wird eine Männerfantasie bedient. Denn es geht eben nicht um „die Vorzüge des Anschnallens“ – der männlich zu lesenden Stimme geht es um pure Lustbefriedigung. Der Song besingt eine Belästigungsszene, wie Truckerin Amy sie geschildert hat:
„Ihre Kurven faszinier’n mich,
Doch die Gurte irritier’n mich.
Warum zeigt sie mir nicht, worauf ich so abfahr‘?
Ich geb‘ zu es klingt idiotisch,
Doch ihr Lächeln wirkt hypnotisch.
Runter schalten, rechts ran, halten, bis ich zitternd wieder losfahr‘.“
Gängige Narrative wie dieser exemplarisch aus einer Vielzahl von Country-Liedern gewählte Song, überlagern den realen Raum und prägen diesen durch mediale Bilder. Werner zitiert allerdings aus der letzten Strophe des Liedes, welche aus dem Kontext gelöst recht harmlos wirkt: „Mädchen geh auf Nummer sicher, Schnall den Gurt an“.
Bei aller Akribie und dem Scharfsinn der Beobachtungen bleibt daher der Wunsch, dass die weibliche Sicht gerade aufgrund der augenscheinlichen Minderheit an Raststätten und auf Autobahnen tiefgehender thematisiert worden wäre. Selbst kommen die Frauen kaum bzw. nicht männlich kommentiert zu Wort. Während die sozial gebilligten und im Lohnvergleich ungerecht bezahlten Berufe für Frauen als „Bedienung, Beichtmutter, Bewährungshelferin“ einen abschätzigen Beigeschmack haben, könnte man auch fragen bzw. sie direkt befragen, warum denn weniger als zwei Prozent aller LKW-Fahrenden Frauen sind.
Die Toiletten-Frage
Werner dekonstruiert das Verfahren der „Defäkation“, zerlegt das Prinzip Sanifair in drei Grundsätze: Perpetuierung, Profanierung und Fordisierung. Dabei macht er spannende Beobachtungen hinsichtlich der Raumpraxis und zeitlicher Änderungen. Dennoch ist eine öffentliche Toilette wohl der zentralste Binnenraum der Raststätte und nicht zuletzt der häufigste Grund, diese aufzusuchen. Was eine öffentliche Toilette von einer ‚privaten Toilette‘ unterscheidet, ist unter Gender-Aspekten präzise nachzulesen bei Ralph Poole. Denn die „Defäkation“ ist eine Raumpraxis unter vielen. Werner bezieht sich scheinbar auf die cis-männliche, heterosexuelle Perspektive, setzt seine Wahrnehmung und die normierte Raumpraxis implizit als Standard.
Im Interview mit dem Raststättenbetreiber Marc Münnich verweist dieser bei der Frage nach der Bezahlpflicht für die Toilettennutzung auf seine Frau: „Ich weiß doch, wie das bei mir in der Familie ist: Wehe, ich fahre in eine Autobahnraststätte, wo kein Sanifair ist! Da geht meine Frau nicht auf die Toilette.“ Als Argument folgt der Aspekt der Sauberkeit, der natürlich geltend gemacht werden darf und den Werner als rhetorisches Manöver versteht. Aber auch hier wird ein Diskurs ausgeklammert, nämlich dass Frauen diese Gebühren häufiger zahlen müssen als Männer. „Beispiel Reisebus: Die höchste Anzahl an Wildpinklern entsteige typischerweise Bussen auf Kaffefahrt. ‚Die Bläsergruppe Neufriesland. Ein Spielmannszug. Wohlsituierte Rentner. Steigen aus, stellen sich an den nächsten Busch und zahlen im Zweifelsfall fünfzig Euro Bußgeld, wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses‘“, schildert der Autobahnwachtmeister Werner im Gespräch.
Wahl der Stichprobe
Werners Vision der Gleichberechtigung wäre überzeugender, wenn er vor allem die rar anzutreffende weibliche Belegschaft auf der Autobahn gezielter befragt hätte. Die Raststätte ist nicht allein an der Opposition ‚U- und E-Kultur‘, Gymnasium/Philologiestudium vs. Bäckereifachverkauf-Ausbildung zu beschreiben – vor allem anhand sozioökonomischer und genderspezifischer Kriterien erklärt sich, wer hier wo und wie regelmäßig anzutreffen ist.
LKW-Fahrende (vor allem aus Nachbarländern) ließen sich nur sehr schwerlich befragen. Die Sprachbarriere wird benannt, aber gerade hier wäre eine Stimme notwendig gewesen, um tatsächlich einen kritischen Blick auf den Ort der Straße zu werfen. In einer nächtlichen Schilderung erinnert ihn die Szenerie auf dem Parkplatz an eine mittelalterliche Stadt, ein Babylon, einen Schmelztiegel. Darin wäre vermutlich ein relevantes Charakteristikum ausfindig zu machen, warum die Raststätte auch in Zukunft aus postnationalstaatlicher Sicht eine gesellschaftliche Bedeutung für eine diverse Gesellschaft innehat.
Einige blinde Flecken bleiben bestehen und hätten weitere Recherchen und Tiefenbohrungen erfordert. Werner benennt sensible Punkte und macht seinen Standpunkt transparent. Das Buch erfrischt allemal durch die Ungewöhnlichkeit des Gegenstandes in Kombination mit der stilistischen Verspieltheit und dürfte eine geeignete Lektüre sein, ob bei der Rast oder unterwegs. Den genannten Anspruch, die eingespielten Wahrnehmungsmuster ordentlich zu durchrütteln, wird Werner in Maßen gerecht. Der Seismograph schwingt beseelt, schlägt jedoch nicht aus.
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