“Death metal has now become exclusively about being evil, Satanic and playing full speed ahead. It’s not what I’m into at all.”
Chuck Schuldiner
Meinen ersten Kontakt mit der Musik von Death hatte ich während meines ersten Besuchs des Wacken Open Airs 2007. Ich war 16 Jahre alt und fuhr relativ naiv auf das größte deutsche Metalfestival. An einem Abend, während ich mit Besucher*innen, die neben mir campten, Bier trank, fragte ich einen Typen, was das für eine Band auf seinem Shirt sei. Ich hatte dieses markante Logo, mit der Sense mitten im Bandnamen, schon oft auf dem Festivalgelände gesehen. Häufig getragen von Menschen, die, wie ich später lernte, noch Kinder waren, als Death 1998 ihr letztes Album The Sound of Perseverance veröffentlicht hatten.
Von diesem Fremden habe ich eine erste Version der Geschichte der Band gehört, die den modernen Metal revolutionierte. In den folgenden Jahren habe ich immer wieder sporadisch in einzelne Songs Deaths reingehört. Ironischerweise war es lange die toxische Fankultur in Online-Foren, die mich abschreckte. Ein Umfeld, in dem jede Unwissenheit und Abweichung von der Gruppenmeinung mit Häme und Beleidigungen bestraft wird. Erst als Mitzwanziger, als ich mich verstärkt mit Musik auseinandergesetzt und mich ein Stück weit von dem toxischen Teil der Metalszene emanzipiert hatte, begann ich, auch Death intensiver zu hören. Nach und nach habe ich mir die Diskografie erschlossen.
Heute ist es 20 Jahre her, dass Death-Mastermind Chuck Schuldiner im Alter von nur 34 Jahren einem Gehirntumor erlag. Durch den Tod des oft als Godfather of Death Metal bezeichneten Gitarristen und Sängers, eine Zuschreibung die er immer energisch abwies, hat die Metalwelt 2001 einen ihrer größten Visionäre verloren. Einen Musiker, dessen Schaffen bis heute nachwirkt. Ich weiß nicht, wie moderner Metal ohne Death klingen würde. Sicher ist nur, er würde anders klingen. In Flames, Trivium, Jinjer oder Bring Me The Horizon, alle diese kommerziell erfolgreichen Gruppen haben direkt oder indirekt von Schuldiners Pionierarbeit profitiert.
Mitte der 1980er waren es vor allem Glam Metal Bands wie Kiss oder Twisted Sister, die das Bild der Szene in der Öffentlichkeit prägten. Neben dem Thrash Metal der Bay Area waren es die Death Metal Bands aus Florida, die dem Metal Untergrund eine Alternative zu der Theatralik des Glams boten. Die verzerrten und tiefer gestimmten Gitarren, das aggressive Drumming und vor allem der gutturale Gesang bestimmen den Sound von dem Subgenre, das den Extreme Metal an sich begründete. Gerade diese Gesangstechnik, die wie ein tiefes Knurren oder Bellen (daher auch Growling genannt) klingt, ist wohl das markanteste Merkmal. In seiner Brutalität mag Death Metal zunächst rücksichtslos erscheinen, aber es ist eine hochemotionale Musikrichtung, die enorm vom Spannungsaufbau lebt. Häufig wird in den Strophen mit stampfenden Gitarrenriffs und drückenden Rhythmen ein Spannungsbogen erzeugt, der sich im Refrain in fast schon kathartischen Ausbrüchen entlädt.
Kein Song verdeutlicht diese Dichotomie zwischen Aggressivität und Emotionalität im Sound besser als Deaths “Pull the Plug” (1988). Der Song beginnt mit den schweren, schleppenden Riffs, auf die sich Schuldiners trockene Growls legen. Nach 30 Sekunden nimmt das Lied getrieben vom Drumbeat an Fahrt auf, und steigert sich, bis der Song im Refrain abrupt abbricht und sich dem abgehackten Rhythmus anpasst, in dem Schuldiner die Lyrics fast ausspuckt: “Pull the plug – Let me pass away – Pull the plug – Don’t want to live this way”
Urvater des Death Metals?
Charles „Chuck“ Schuldiner wurde als Sohn von Malcolm und Jane Schuldiner als jüngstes von drei Kindern geboren und wuchs in den Suburbs von Orlando, Florida auf. (Sein jüdischer Vater war der Nachfahre von österreichischen Auswander*innen, weswegen sein Nachname eigentlich deutsch wie „Schul-Diener“ ausgesprochen wird, im Englischen wird er häufig „Schuldner“ genannt). Der größte Einschnitt im Leben des jungen Schuldiners war der Tod seines sieben Jahre älteren Bruders Frank, der bei einem Autounfall ums Leben kam. Um die Trauer über den Verlust zu verarbeiten, bekam er von seiner Mutter eine Gitarre. Es war der Anfang dieser außergewöhnlichen Karriere. Mit nur 16 Jahren schmiss Schuldiner die High-School und gründete 1983 seine erste Band. Unter dem Namen Mantas nahm das Trio, bestehend aus Schuldiner und zwei Schulfreunden (Rick DeLillo, genannt Rick Rozz und Kam Lee), sein erstes Demo auf, ehe sich die Band 1984 in Death umbenannte. “I wanted a name that describes the music. An extreme name for extreme music. But it’s just a name for me. I am a very positive person towards life, towards friendship, towards love. [But our music] It wouldn’t work with a band named, pink flowers, just contradicting to what we are doing. But I am not satanic just because I’m in a band named Death.”
Noch bevor das erste Album überhaupt veröffentlicht war, verließen 1985 sowohl Lee als auch Rozz (der später kurzzeitig wieder einsteigen sollte) die Band. Bis zu seinem Tod war Schuldiner als Gitarrist, Sänger und Hauptsongwriter das einzige feste Mitglied der Band. Seine Bandkollegen wechselte er zu Beginn fast auf jedem Album aus. Die (teils unrealistisch) hohen Anforderungen, nicht nur an sich selbst und die Musik von Death, sondern auch an alle Beteiligten, eskalierten 1990. Nach der Fertigstellung des dritten Albums fühlte Schuldiner sich von Problemen bei den Planungen der anstehenden Europa-Tour überfordert. Er war überzeugt davon, dass diese zum Scheitern verurteilt war und wollte sie absagen. Zu seiner großen Überraschung ging das restliche Line-Up ohne ihn auf diese Tour. Eine Entscheidung die aus finanzieller Sicht für die restlichen Bandmitglieder absolut nachvollziehbar war.
Was folgte, war nicht nur ein Rechtsstreit um die Rechte an Death, sondern 1991 auch eines der besten Alben der Metalgeschichte: Human. Dieses Verhalten reflektiert aber nicht nur Schuldiners Anspruchshaltung, sondern generell ein grundsätzliches Problem, das er mit der Musikindustrie hatte. Durch seine musikalische Karriere hinweg gab es Probleme mit Labels und Promotern, die versuchten, die immer populärer werdenden Death, finanziell auszuschlachten. Schuldiner verwehrte sich diesen Vereinnahmungsversuchen und wandelte auf einem Pfad zwischen Sturheit und Konsequenz, der sicherlich zur Authentizität seiner Musik beitrug, der aber auch in ständigen Geldproblemen resultierte. So wurden 1992 die Instrumente der Band auf einer UK-Tour durch deren Promoter konfisziert, weil der Band-Manager die letzte Rate für den Tourbus nicht bezahlt hatte.
Wenn heute über Death und Chuck Schuldiner gesprochen wird, dann geht es oft darum, dass er den Death Metal erfunden habe. Sein Debütalbum Scream Bloody Gore (1987) gilt häufig als erstes Album dieses Subgenres. Dass sich Schuldiner mit seinem Spitznamen „Godfather of Death Metal“ immer unwohl fühlte, lag insbesondere daran, dass er genau wusste, welche Rolle die Bands vor seiner Zeit spielten. Die Kalifornier von Possessed hatte mit Seven Churches (1985) und Beyond the Gates (1986) bereits zwei Alben herausgebracht, die die typischen Death Metal Trademarks in sich vereinten. Auch Bands wie Slayer, die den Thrash Metal in neue Extreme führten, oder die britische Proto-Black Metal Band Venom, sind maßgeblich für die Entstehung des Death Metals in den 1980ern verantwortlich und haben Schuldiner geprägt. „I don’t think I should take the credits for this death metal stuff. I’m just a guy from a band, and I think Death is a metal band.” Das soll den Einfluss von Scream Bloody Gore nicht mindern, aber Schuldiners Leistung bestand nicht darin, Death Metal erfunden zu haben, sondern dem Genre ein Banner zu geben, unter dem sich später Bands wie Obituary, Morbid Angel oder Cannibal Corpse versammeln konnten.
Oft gelten die 1990er Jahre als das schwärzeste Kapitel in der Geschichte des Metals. Während die Grunge-Welle die Welt überzieht, Bands wie Metallica und Iron Maiden die vermeintlich schlechtesten Alben ihrer Karriere aufnehmen, in Norwegen Kirchen von Black Metal Musikern angezündet werden, verkommt die amerikanische Death Metal Szene langsam zu einem Klischee ihrer selbst. Die Szene kennt auf der einen Seite nur eine Richtung, immer extremer und immer brutaler zu werden, sehnt sich auf der anderen Seite aber auch nach kommerziellem Erfolg. Seinen Höhepunkt fand diese paradoxe Entwicklung in Cannibal Corpse, die 1992 den Song I cum blood aufnahm (der durchaus repräsentativ für den Death Metal dieser Zeit war) und 1994 im Film Ace Ventura: Pet Detective auftrat.
Zu dieser Zeit hatte der (Extreme) Metal das öffentliche Image des gewalttätigen, brutalen und satanistischen Verlierers. Gegen diese Vereinnahmung, die nicht nur von außen kam, sondern die auch von Teilen der Szene selbst sehr engagiert kultiviert wurde, setzte sich Schuldiner zur Wehr. Er zeigte, dass man auch als respektvoller, höflicher und ruhiger Mann Erfolg in dieser oft hypermaskulinen Welt haben konnte. Dabei war er sicherlich nicht so subversiv und progressiv wie andere Künstler*innen aus der Grunge- oder Punk-Szene (wie Kurt Cobain), die noch offensiver mit Geschlechterklischees brachen, aber in der (zumindest in dieser Hinsicht) konservativen Metalszene bot er einen Antipol zum vorherrschenden Bild: “I wear a shirt with kittens, just to crush any misconceptions that Death Metallers are cruel to animals.” (Das Interview inklusive Katzen-Shirt kann man hier sehen.)
Das brachte Schuldiner später das Image eines „Softie“ und „Intellektuellen“ im Death Metal ein. Eine meiner liebsten Anekdoten um sein Wesen zu beschreiben, stammt aus dem Jahr 2000. Nach einer ersten Behandlungsrunde und einer vorübergehenden Besserung seiner Symptome besuchte er mit Freund*innen ein Konzert von King Diamond in Florida. King Diamond gehörte nicht nur als Frontman von Mercyful Fate zu den einflussreichsten Metal Sängern in den 1980er Jahren, sondern war auch ein wichtiger Einfluss für Schuldiner. Der zu diesem Zeitpunkt längst weltbekannte Musiker wird nach der Show hinter die Bühne gebracht, um King Diamond kennenzulernen, bekommt angesichts seines eigenen Vorbilds aber kaum einen Ton raus. Richard Christy Schlagzeuger von Death und Control Denied erzählt:
“I just remember us being so nervous to meet King. Chuck was in awe and for me, it was just so weird: there I was, a Chuck Schuldiner fan since I don’t know when, and I’m watching him get tongue tied in front of his hero. But Chuck was just like any other metal fan. That’s what made him and his music so great.”
Auch im lyrischen Bereich veränderte Schuldiner den Death Metal nachhaltig. Auf den ersten beiden Alben waren die Texte von Death, wie damals üblich im Extreme Metal, noch inspiriert von Gore- und Horrorfilmen (und bedienten teilweise hochproblematische sexistische und homophobe Tropen). Später distanzierte sich Schuldiner von dieser Zeit: „I am embarrassed today. [The lyrics on] Scream Bloody Gore are childish blood’n‘guts fantasies and the music is kind of sloppy.“ Spätestens auf Deaths drittem Album Spiritual Healing (1990) begann sich Schuldiner mit alltäglichen und gesellschaftskritischen Themen auseinanderzusetzen. Das Lied Altering the Future beschäftigt sich explizit mit dem Thema Abtreibung, wobei Schuldiner eine Position einnahm, die selbst heute nicht alltäglich, aber vor 30 Jahren in den USA noch ungewöhnlicher war: “It should be legal. If I was a woman, surely I would like to have a choice to have a child or not.” All das hat dazu beigetragen, dass Death auch heute noch Menschen bewegt, die Schuldiner nie zu Lebzeiten erleben konnten. Wo die übertriebene Gewaltästhetik vieler anderer Death Metal Bands der 1990er heute übertrieben, befremdlich und unfreiwillig komisch wirkt, sind die gesellschaftskritischen Themen von Death noch immer anschlussfähig. Wenn es im 1991 veröffentlichten Song Lack of Comprehension heißt: „Lies / Right before your very eyes / A reflection of the mistakes / To the end you will deny / Your part in the demise of a life / Lack of comprehension” fällt es nicht schwer, diese Zeilen auch als Kommentar auf Fake News in Bezug auf den Klimawandel oder die Corona-Pandemie zu lesen.
Für mich war vor allem in den letzten Pandemie-Jahren die Musik von Death ein Rückzugsort. Während der Lockdowns 2020, in denen die Welt auf die eigene Wohnung zusammengeschrumpft war, war mir Death Metal ein dringend benötigtes Ventil. Das gilt insbesondere für Death. Die virtuose Aggressivität der Musik, gepaart mit Schuldiners Texten, hat mir geholfen, mich dieser surrealen Situation zu stellen und mit ihr umzugehen. Es ist diese paradoxe Wirkung von Extreme Metal, die nicht immer direkt greifbar ist: diese so harte und teilweise chaotische Musik wirkt beruhigend. An diesen Abenden im vergangenen Jahr, an denen ich alleine auf dem Sofa saß, mit Kopfhörern auf und einem Glas Wein in der Hand, habe ich Deaths Musik noch einmal auf eine ganz andere Art lieben gelernt.
Schuldiners größter Einfluss auf die Geschichte des Metals besteht darin, dass er die Mauer, die ein nur noch um sich selbst kreisendes Genre aufgebaut hatte, einriss – musikalisch, textlich und auch vom Selbstbild her. In den 1990er Jahren öffnete er den Death Metal von Death hin zu mehr technischen und progressiveren Spielarten und verabschiedete sich davon, über immer extremere und grausamere Gewalt zu singen, wie andere Bands zu der Zeit. Sein Technical und Progressive Death Metal war nicht nur wegbereitend für das, was Mitte des Jahrzehnts vor allem in Schweden als Melodic Death Metal weltberühmt werden sollte (At The Gates, In Flames), sondern hat auch bis heute Spuren in anderen Subgenres hinterlassen, wie dem Progressive Metal oder Metalcore, welche durch Bands wie Architects oder Killswitch Engage auch im Mainstream erfolgreich wurden.
Das beste Album aller Zeiten?
Es gibt wohl kaum eine Band in den Weiten des Metals, bei der es so viele Diskussionen darum gibt, was das beste, wichtigste, einflussreichste Album ihrer Diskographie ist. Für viele Fans ist es das letzte Death Album The Sound of Perseverance (1998), das in seinem progressiven Sound schon weit entfernt von den Anfängen der Band ist, oder Symbolic (1995), das sicherlich das technisch anspruchsvollste Album der Bandgeschichte ist. Auch Scream Bloody Gore als Pionier Album des Death Metals, oder das zweite Album der Band Leprosy (1988), das gemeinhin als eines der besten Old School Metalalben aller Zeiten gilt, und mit Pull the Plug eine der größten Death Metal Hymnen enthält, bekommen viele Stimmen. Wenn es nach meiner persönlichen Meinung geht, ist aber das vierte Album Human (1991), nicht nur das beste Death Album, sondern eines der besten Metal Alben aller Zeiten. Es ist der Scheideweg an dem Death endgültig den klassischen Death Metal hinter sich lässt und sich für andere Einflüsse öffnet.
Angestachelt durch die Ereignisse, die ein Jahr früher zu der Death-Europa Tour ohne ihn geführt hatten, durch die sich Schuldiner von seinen Freunden und Bandkollegen im Stich gelassen und verraten gefühlt hatte, versammelte er ein neues Line-Up um sich. Neben Bassist Steve DiGiorgio (der heute zu den einflussreichsten Bassisten der Metalwelt zählt) waren das Schlagzeuger Sean Reinert und Gitarrist Paul Masvidal, mit dem er seit den 1980er Jahren befreundet war. Masvidal und Reinert (der 2020 ebenfalls viel zu jung verstarb) sollten mit Cynic und ihrem Album Focus (1993) später selbst einen Meilenstein des Extreme Metal veröffentlichen. In diesem Umfeld an Musikern konnte Schuldiner zum ersten Mal seine anspruchsvollen Visionen an den Sound von Death verwirklichen.
Das Album beginnt mit Sean Reinerts inzwischen ikonischem Drumming, dessen Lautstärke in den ersten zwanzig Sekunden hochgeregelt wird, ehe Schuldiners Riffing einsetzt. Auf dieses kurze Intro folgt eine relativ klassische Death Metal Strophe. Schnelles Drumming und Riffing und darüber Schuldiners trockenes Growling. Nach 1:30 Minuten bricht das bekannte Muster plötzlich auf und der Song verändert sowohl sein Tempo als auch seine Rhythmik. Was folgt, ist das erste Zusammenspiel von Masvidals und Schuldiners Gitarren Harmonien. Im Refrain bricht die Band wieder mit dem Rhythmus des Songs und stakkatohafte Gitarrenlicks begleiten Schuldiners Gesang wie eine Unterstreichung jedes seiner Wörter. “What went wrong to their picture perfect life /They once knew – Flattening of emotions”. Darauf folgt das erste Solo des Albums, das sich Schuldiner und Masvidal teilen.
Diese ersten 2:30 Minuten von Flattening of Emotions alleine hätten gereicht, um den Death Metal zu revolutionieren. Der Song war technischer und progressiver als alles, was es in seinen Genregrenzen bis dahin gab. Das weitere Album ist über das treibende Suicide Machine und den catchy Refrain von Lack of Comprehension bis hin zum spacey Instrumentalstück Cosmic Sea, ein musikalisches Meisterwerk. Vom Songwriting, der Performance der einzelnen Musiker und auch lyrisnche Konzept, welches sich um das Verlassenwerden, Alleinsein und den Kampf mit sich in der Welt dreht, ist Human (zumindest für mich) ein perfektes Album.
The American Nightmare
Es war 1999 als Schuldiner die ersten Symptome einer Krankheit spürte, die ihn zwei Jahre später das Leben kosten würde. Wie viele andere Musiker*innen in den USA hatte Schuldiner keine Krankenversicherung, und so holte ihn der US-amerikanische Albtraum, den er immer wieder in seinen Texten anprangerte, selbst ein. In einer ersten großen Welle der Solidarität von anderen Künstler*innen und Fans, konnte genug Geld gesammelt werden, um seine Behandlung zu finanzieren. Die letzte Musik, die Schuldiner veröffentlichte war kein Death Album, sondern das erste und einzige Album von Control Denied: The Fragile Art of Existence (1999). Häufig werden Bandnamen und Albumtitel als direkte Reaktion auf Schuldiners Krankheit gedeutet, obwohl beides bereits Jahre bevor er davon erfuhr, entstanden war. Viele Mitglieder des letzten Death Line-Ups waren Teil der Band, in der Schuldiner erstmals nicht selbst am Mikro stand. Mit einem klassischen Heavy Metal Sänger (Tim Aymar) und einem deutlich melodischeren Sound drückte Schuldiner hier seine Liebe zur New Wave of British Heavy Metal und Bands wie Judas Priest und Mercyful Fate aus. Das Album hat auch heute noch eine enorme Wucht und Innovationskraft. Es klingt wie ein progressiver Ansatz des klassischen Heavy Metals und steht Bands wie Porcupine Tree und Dream Theater damit näher als Schuldiners Death Metal Vergangenheit, ohne diese zu verleugnen.
2000 wirkte es so, als habe Schuldiner den Krebs besiegen können. Er arbeitete sogar an einem zweiten Control Denied Album, ehe die Symptome Ende des Jahres zurückkehrten. Eine inzwischen abgeschlossene Krankenversicherung weigerte sich jedoch, die Kosten zu übernehmen, da der Tumor vor Abschluss bereits bestand. Erneut musste Geld gesammelt werden. Wieder zeigte sich die Metal-Welt solidarisch und brachte die Summe für die Behandlung auf. Es war allerdings auch diese Verzögerung mit dafür verantwortlich, dass die Hilfe für Schuldiner zu spät kam. Am 13. Dezember 2001 verstarb er, Stunden nachdem er aus dem Krankenhaus entlassen wurde, im Kreis seiner Familie.
“I am not sure what happens after we die. I would love to life forever if it’s possible.” Chuck Schuldiner
Beitragsbild von Mathew MacQuarrie