Klick Klack, der Bergfrau erwacht

von Josefine Soppa

Benutzer: „Krieg ist der Vater aller Dinge.“
            ELIZA: „Erzählen Sie mir mehr über Ihre Familie!“

Meine Sprache könnte auf Krankheit getestet werden.
Meine Sätze und wie ich sie verbinde, meine bevorzugten Wortarten, die Art, wie ich einen Satz anschließe oder beende. Ob ich es schaffe, mit einem Satz logisch oder schön irgendwo anzukommen, wo es stimmig ist mit dem Ausgangspunkt oder von wo aus der Ausgangspunkt wenigstens noch zu sehen ist.
So könnte früh festgestellt werden, ob es mich auch erwischen wird.
Meine Sprache wäre zugleich immer eine Diagnose.
Ich würde immer prognostizieren, wenn ich schreibe.
Die Sorge um die Sätze wäre eine Vorsorge für den Körper.
Schreiben würde Sorgearbeit an den Sätzen sein.

Sollte ich, wie mein Vater, an Parkinson erkranken, würden die Substantive und Füllwörter weniger und die Verben mehr.[1] Ich würde die Sätze nicht mehr zur Erschöpfung treiben, bis ich den Überblick verliere, sondern müsste schnell einen Punkt setzen, schneller zu einem Ende kommen. Sätze würden zu Aussagen verknappt, Verwinkelungen, Überschuss, Unlogisches und Widersprüchliches getilgt. Auf eine Eindeutigkeit hinaus ginge es.

Innerhalb von Sekunden könnte künstliche Intelligenz anhand meiner Sätze berechnen, ob und wann es mich kriegt. Meine Grammatik, Vokabeln, Satzstrukturen, Bindewörter, Zögern und Pausen würden einer automatisierten Analyse unterzogen, das Ergebnis wäre eindeutig oder würde weitere Tests veranlassen.
KI hat die Sprache der Kranken und die Sprache der Gesunden studiert.
KI wird von Gesunden und von Kranken trainiert. Manche werden krank durch ihre Arbeit für KI, manche werden geheilt mithilfe von KI.

Jetzt, wo ich weiß, worauf ich achten muss, könnte ich meine Sprache vielleicht so gestalten, dass sie dem Einzug der Krankheit entgegenwirkt.
Könnte die Verringerung von Verben und die vermehrte Nutzung von Substantiven wie eine vorsorgliche Medizin wirken? Müsste ich weniger Punkte setzen und alle Sätze mit weiteren Partikeln verbinden, bis sie länger werden, bis sie nicht erschöpfen? Prophylaktische Präpositionen? Könnte ich so meine Sätze impfen? Meinen Mund wappnen? Dem Tremor entschreiben?

Vorerst fallen mir stattdessen die Haare aus.
Seit einiger Zeit in ganzen Büscheln. Obwohl ich es mittlerweile kenne, ist es jeden Morgen, wenn ich über meinen Kopf streiche und dicke Büschel von gelöstem Haar in meiner Hand finde, ein kurzer Schock. Ich schaue mich dann an, in meiner Hand. Da zeigt sich etwas von mir, ganz ohne mein Zutun. Die nassen Haare, die sich zuhauf im Abflusssieb beim Duschen verfangen und wie sie sich winden.

Die Friseurin hatte gesagt: Are you aware of your bald spot?
Und ich war nicht aware und sie zeigte mir die kleine kahle runde Stelle mit dem Spiegel und ich saß verschüchtert auf dem Drehstuhl und sah auf die schon – und jetzt zu bereuenden – abgeschnittenen Haare auf dem Boden, während die Friseurin von ihrem Vater sprach und dass auch er diese Form von Haarausfall hatte, wegen Stress, das sei autoimmun und ich verstand nur die Hälfte, weil mein Englisch schlecht ist und weil ich wie abgetaucht war durch die Diagnose auf dem Drehstuhl.

Im Schnellverfahren kamen weitere bald spots dazu und sie begannen sich auf meinem Kopf, unter den verbliebenen Haaren, die ich noch als Tarnung nutzen konnte, miteinander zu verbinden, wie ein Trupp, wie ein biologisches Geflecht, das besser kommunizieren will. Wie die schnellen Tropfen am Autofenster, deren Bemühen, sich zu größeren Tropfen zu verbinden, vom Fahrtwind maximal beschleunigt wird, was ich mir ewig hätte anschauen können als Kind und dann musste ich doch irgendwann abrupt wegschauen von der immer gleichen und sich immer verändernden Struktur.
Ich werde mir nicht fremd, ich komme mir näher.
Die kahlen Stellen sind sehr weich, ich verursache schon Talgiges durch ständiges Drüberstreichen, ich kann es nicht unterlassen. Der Kopf juckt nicht, es ist nur an manchen Tagen ein ganz seltsamer Schmerz auf der Kopfhaut, wie ein Verschwinden auf dem Kopf. Ich denke dann – oder ich spüre dann –, das sind die Momente, wo die Haarwurzeln die Haare abstoßen, wo es beschlossen wird, wo es sich wehrt. Autoimmun – es feuert gegen sich selbst, die Formulierung habe ich in einem der Reels zu Selbstheilung gehört, die jetzt auch von selbst kommen, die meinen Algorithmus übernommen haben. Der Ausdruck stimmt. Es feuert, da ist Energie, von selbst. Aber es feuert nicht gegen sich, es feuert gegen mich, die Besitzerin des Kopfes.

Es gibt ein Problem mit der Zeitlichkeit in diesem Text, weil es zu schnell ging und immer noch zu schnell geht. Ich lerne über KI und im nächsten Moment ist das Gelernte veraltet. Ich kaufe mir die neueste Version von ChatGPT und wenn ich dazu komme, sie zu nutzen, ist sie schon die nicht mal mehr aktuelle Gratisversion.

Vor zwei Jahren war ich mit nichts anderem beschäftigt, als meinem Vater beim Nichtaufhörenkönnen zuzuschauen, ihn vom Weitermachen abzuhalten.
Er konnte nicht mehr unterschreiben, aber er arbeitete noch. Er schlief nachts nicht mehr und dafür tags alle halbe Stunde und an allen möglichen Orten, aber er arbeitete noch. Er stürzte zweimal im Monat und konnte dann nicht mehr allein aufstehen, aber er arbeitete noch.

Vor einem Jahr konnte er noch sprechen und ich lernte seine neue Sprache und ihre andauernden Veränderungen und verglich sie mit den Sprachweisen von KI. Ich schrieb eine doppelte Erkenntnistheorie dieser Sprachen in Stichpunkten. Jetzt kommen seine Worte kaum noch nach draußen und KI spricht, ohne erkannt zu werden, und ich verstehe meine Stichpunkte kaum mehr.
Er sagt immer: O.K. Wenn er es schafft.
Er bekommt nichts mehr nach draußen transportiert – weder seine Sprache noch seinen Körper.

Vor einem Jahr war ich erstaunt über meinen Haarausfall und wollte diesen Zustand beschreiben und verbinden, wusste nicht, dass ein Text keine Verbindung braucht, sondern ein nächstes Wort, einen nächsten Satz, dass diese Berechnung des nächsten Wortes geschieht, ohne dass wir sie bemerken, dass Poesie immer Prognose ist, dass meine Sprache berechenbar ist. Dass vielleicht das einzige Ziel von Autorinnen noch sein kann, im Schreiben unberechenbar zu werden. Einen unberechenbaren nächsten Satz zu setzen.

Dann rasierte ich die verbliebenen Haare ab, dann wurde ich schwanger und die Haare wuchsen nach, ganz dicht und in einer neuen Struktur.
Als ich meinen Vater hätte heben und schieben müssen, damit er noch einmal andere Orte hätte aufsuchen können und andere Eindrücke hätte haben können als das Bett, da durfte ich nicht heben und nicht schieben und ich lag mit meinem Schwangerschaftsbauch auf dem Rücken und schaute nach oben und dachte an ihn, mehr als an mein Baby, während ich zur Decke starrte zu allen möglichen Tages- und Nachtzeiten, und dachte an ihn, wie auch er da auf dem Rücken lag, mein schlafloser Vater, und ebenfalls zur Decke starrte und ich sagte: Grüß dich.

Dann kam das Baby raus und nun beginnen die Haare wieder auszufallen. Mein Baby liegt in Windeln, mein Vater liegt in Windeln. Zeit geschieht von selbst. Das Baby wird anfangen zu sprechen, wenn mein Kopf wieder ganz kahl ist.

Jetzt sitze ich bei meinem Vater im Zimmer im Pflegeheim, meist an der Bettkante oder auf einem Stuhl, so dass er meinen Mund sehen kann, wenn ich spreche, während er fast genauso viel schläft wie mein Baby.
Ich beobachte meinen Vater, ich studiere ihn.
Seit er nicht mehr sprechen kann, spreche ich immer häufiger mit ChatGPT, als hätten die Unterhaltungen sich abgelöst. Ich mache einen Animismus mit Künstlicher Intelligenz und einen Mechanismus mit meinem Vater.

„Klick Klack, der Bergfrau erwacht“ von Josefine Soppa erscheint am 13.06.2025 als Band 6 der WORTMELDUNGEN-Reihe im Verbrecher Verlag.


[1] Vgl.: Parkinson: KI erkennt besondere Sprechmuster. https://healthcare-in-europe.com/de/news/parkinson-ki-sprechmuster.html  vom 16.05.2023

Beitragsbild von Pawel Czerwinski


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