Was unterscheidet das Videospiel vom Film? Die einfachste Antwort ist wohl: Seine Interaktivität. Es mag abgedroschen klingen, aber der Input der Spieler*innen, der die Veränderbarkeit bedingt, das Performative des Spielens, macht den Unterschied. Daraus folgen Konventionen, die die Narrationen der Spiele formen, die Art, wie Geschichten erzählt werden. Nun ist es spätestens mit Einzug von aufwendig animierten Zwischensequenzen das Bestreben vieler großer Enwicklerstudios, ihre Videospiele filmischer zu machen, sich dem (Hollywood)Kino und seinem Bombast und Überschwang zu nähern – und damit auch seinem starren Erzählen. Seit einigen Jahren erscheint diese Beeinflussung jedoch nicht mehr so einseitig: Viele moderne Filme erzählen wie Videospiele. Und in beiden Fällen zeigt sich: So richtig funktionieren tut das nicht.
Leere Spielmechaniken
Wenn Nathan Drake in einem „Uncharted 4“ an bröckelnden Ruinen emporklettert, dabei Schüssen ausweicht und schließlich durch das Dach des Gemäuers bricht, dann geht das freilich gut von der Hand. Fein laufende Videospiel-Mechaniken, die auf Knopfdruck das erledigen, was sie sollen. Ebenso wenn Kassandra in „Assassin’s Creed: Odyssey“ diverse Nebenaufgaben abklappert, Türme erklimmt oder gegen Spartaner kämpft. Das macht Freude, ist kurzweilig. Es funktioniert. Wir befinden uns in einer Spielwelt, durchzogen von Spielmechaniken, die ihr Sinn und Ziele geben.
Doch diese Spielmechaniken transportieren selten erzählerische Inhalte, sind selten Teil der Narration. Vielmehr dienen sie als Fleißarbeit für die Spieler*innen, als Herausforderung, bevor es zur nächsten Zwischensequenz kommt – und die Geschichte tatsächlich weitererzählt wird. Auf diese Weise funktioniert die Narration in vielen (AAA)Spielen: Sie wird ausgelagert, von den Spielmechaniken getrennt. Wenn erzählt wird, dann zumeist in Zwischensequenzen – das Spielen verkommt beinahe zum Beiwerk zwischen den aufwändig erstellten Filmen. Selbst in dem durchaus komplexen „The Last of Us 2“ wird das eigentliche Spielen zuweilen zur Farce. Da das Spiel vom Zirkel der Rache erzählen möchte, inszeniert es Gewalt in den Zwischensequenzen äußerst drastisch. Hier wird jeder Tod, jeder Mord zu einer Tragödie. Bis die Spieler*innen den Controller wieder in die Hand nehmen, und mehrere hundert anonyme Gegner töten.Gameplay und Geschichte scheinen wie zwei Ebenen, die parallel zueinander laufen, aber selten in Kontakt zueinander stehen.Dagegen gibt es Spiele, wie etwa „What Remains of Edith Finch“, die genau das versuchen: aus den Mechaniken erwächst die Geschichte – das Steuern der Charaktere ist die Narration.
Videospielig
Vor einigen Wochen kam „Tenet“ ins Kino, der neue Film von Christopher Nolan. Vor ihm erschien „Star Wars: Der Aufstieg Skywalkers“ und davor viele andere Filme, die sich irgendwie anders anfühlten, sonderbar, videospielig eben. Doch was mact sie anders? Dem lässt sich, zum Videospiel passend, wohl am besten in einzelnen Etappen nähern.
1. Sie erzählen in „Missionen“: Da Videospiele oftmals länger als 40 Stunden dauern, besonders wenn es sich um die notorisch umfangreichen „Open World“-Spiele handelt, gibt es nur einen rudimentären dramaturgischen Bogen, der sich von der ersten bis zur letzten Minute zieht. Vielmehr teilt sich das Spiel in diverse Missionen (oder Episoden, oder Quests etc.) auf. Auch „Tenet“ fühlt sich an wie eine Abfolge einzelner Missionen, die die Zuschauer*innen stets im Hier und Jetzt halten, ihnen vor Augen führen, was die Protagonist*innen gerade zu tun haben: Jetzt gilt es, ein Flugzeug in ein Gebäude zu rammen. Nun müssen wir einen wertvollen Gegenstand aus einem Transporter stehlen. Es sind einzelne Missionen, die für sich Anfang, Mitte und Ende haben. Doch wo auch immer sie sich in der Dramaturgie des Filmes einreihen – wieso die Protagonist*innen das gerade machen, geht verloren. Die Zuschauer*innen haben womöglich längst vergessen, wie es zu dieser Mission kam und wie sie im Zusammenhang zu anderen Missionen steht. Wie in einem Videospiel klappern sie mit den Protagonist*innen die einzelnen Etappen ab – es fehlt eigentlich nur eine Punktevergabe am Ende jeder Mission.
2. Eine Mechanik steht im Mittelpunkt: In “Tenet” haben einige wenige die Möglichkeit, sich rückwärts durch die Zeit zu bewegen. Es ist diese Mechanik, die den Kern des Films ausmacht. Dialoge ordnen sich ihr unter, der Handlungsbogen ebenso. Ähnlich wie in einem Videospiel basiert der Film auf der Idee, dass die Spieler*innen eine Fähigkeit besitzen, die sich in Form einer konkreten Spielmechanik manifestiert, anhand derer sie sich durch das Spiel bewegen. Sie ist Ausgangs- und Endpunkt des Films, gibt ihm Struktur, ordnet ihn. Doch bleiben die Zuschauer*innen passiv. Die Mechanik scheint zum Greifen nahe, doch ist sie eben nicht greifbar, nicht anwendbar. Dennoch steht sie im Mittelpunkt des Films, sie macht die Action des Films aus und sie ist es, die bombastisch inszeniert wird. In dem ganzen Spektakel gehen dann allerdings die erzählenden Momente des Films unter.
3. Sie bedienen sich der Ästhetik von Videospielen. Die Kamera filmt die Protagonist*innen über die Schulter. Teilweise folgen die Zuschauer*innen dem Geschehen in Ego-Perspektive. Der Film gaukelt vor, dass er steuerbar ist, wie ein Videospiel. Aber er ist es nicht. Die Inszenierung der Mechanik spielt mit Zeitlupen, die Kamera dreht sich um gewaltige Explosionen, zoomt heran an die herumfliegenden Partikel. Wie in den Zwischensequenzen von Videospielen ist es diese Inszenierung, die den Zuschauer*innen bedeutet, welche Teile des Films wichtig sind – handlungstragend – und welche lediglich dem Überschwang geschuldet sind.
Starke Erzählungen
Nun ist es nichts Neues, dass Medien sich gegenseitig beeinflussen, Erzählstrukturen adaptieren. Mit Filmen wie „Black Mirror: Bandersnatch“ wird gar versucht, die Interaktionsmöglichkeiten eines Videospiels zu integrieren, um auch den Film veränderbar zu machen. Doch zeigt sich, dass bisher weder das filmische Videospiel noch der videospielige Film wirklich gut funktionieren. Bei Videospielen zeigt sich das Problem seit Anbeginn: Das Medium entstand in einem Spannungsfeld aus Innovation und starkem Kommerzialisierungsdruck – es ist das einzige Erzählmedium, das nie eine Zeit vor dem modernen Kapitalismus erlebt hat. Es wurde geformt in und durch die Strukturen des Marktes. Da mag es naheliegen, geläufigen und bewährten Konsumgewohnheiten eher nachzukommen, als wirklich neue Möglichkeiten des Erzählens zu erforschen. Daher die vielen Spiele, die filmisch sein wollen, denen Hollywood am nächsten steht.
Der Film aber hat seine Erzählkonventionen über Jahrzehnte hinweg in einem konfliktreichen Aushandlunsgprozess entwickelt. Auch hier wird es in der Zukunft Veränderungen geben. Aber es stellt sich die Frage, ob gerade das Videospiel, das zu größten Teilen selbst ein Hybrid aus verschiedenen Erzählformen ist, die Quelle sein sollte, an der sich der Film mit frischen Ideen bereichern kann. Videospiele sind lang, und sie werden immer länger. Dass ein solches Medium eine andere Art des Erzählens braucht, ist naheliegend. Wenden sich Spieler*innen nach Wochen wieder ihrem Spiel zu, können Sie zumindest im Menü nachvollziehen, in welcher Mission sie sich gerade befinden. Sie kennen ihr nächstes Ziel und sie kennen die Spielmechaniken, die ihnen auf dem Weg dahin zur Seite stehen. Dieses fragmentarische Erzählen findet nun auch immer öfter seinen Weg in (Hollywood)Filme. Mission für Mission wird abgeklappert, ein actiongeladener Höhepunkt folgt dem nächsten. Doch was im Videospiel aktiv gestaltet werden kann, drückt die Zuschauer*innen im Kino tiefer in ihre Sessel. „Wozu passiert das hier eigentlich gerade?“, mag sich die ein oder andere nach Mission 23 des Films denken. Aber wen interessiert schon ein Handlungsbogen, wenn die Explosionen wie im Videospiel aussehen?
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