Regeln für Blut – Körperlichkeiten in Film und Fernsehen

Trigger-Warnung: In diesem Text wird über die Darstellung von Vergewaltigungen in Film und Fernsehen gesprochen.

Blut ist thixotrop – wenn die Fließgeschwindigkeit abnimmt, verfestigt es sich. Wie Blut sind auch unsere kulturellen Erzählmuster thixotrop, je weniger sie durch Innovation in Bewegung sind, desto statischer und damit auch langweiliger werden sie. Die Darstellung von Menstruation in Filmen und Fernsehserien beispielsweise unterliegt einem so großen kulturellen Tabu, dass die erzählerischen Möglichkeiten sich mit Regelblut auseinanderzusetzen zu einem Klumpen aus Klischees geronnen sind. Zu diesen eingefahrenen Erzählmustern im Umgang mit Blut, das aus der Vagina kommt, gehören vor allem visuelle Tropen, beispielsweise der Blutfleck auf dem Laken nach einer Entjungferung oder dem Einsetzen der ersten Periode.

Literatur und Film verwenden verschiedene erzählerische Mittel, weil die ihnen zugrunde liegenden Zeichensysteme unterschiedlich sind. Besonders deutlich wird dieser Unterschied bei der Frage nach Körperflüssigkeiten. Die sprachliche Schilderung von beispielsweise Sperma oder Durchfall ist nicht dasselbe wie die bildhafte Umsetzung. Bild und Text funktionieren nicht gleich und haben deswegen auch unterschiedliche Auswirkungen auf die Rezeption – ein Thema mit dem sich die Kulturwissenschaft nicht erst seit der ikonischen Wende intensiv beschäftigt. Bilder und Bildsequenzen haben ein größeres Schockpotenzial, da die Reaktion auf Bilder unvermittelter stattfindet und keine Übersetzung ins Zeichensystem der Sprache vorliegt, die wir beim Lesen erst wieder ins imaginäre Visuelle rückübersetzen müssen. Vielleicht ist der Ekelreflex deswegen größer, wenn wir die Fotografie einer benutzten Binde sehen, als wenn uns Menstruation in Literatur sprachlich geschildert wird – nicht umsonst ist die Blutersatzflüssigkeit in der Werbung für Monatshygieneprodukte blau eingefärbt.

Die Darstellung  von aus der Gebärmutter kommendem Blut ist  mit einem großen visuellen Tabu belegt und erheblich stereotypisiert. Das erscheint kaum überraschend, denn die Zeichnung weiblicher Figuren in Filmen und Fernsehen ist ebenfalls oft stereotyp und holzschnittartig, viele der dargestellten Frauenfiguren unterliegen bekanntermaßen einem stark männlich geprägten Blickregime, für das von der Filmtheoretikerin Laura Mulvey bereits 1975 der Begriff des male gaze geprägt wurde. Bei diesem Konzept geht es um die Frage, wer Objekt und wer Subjekt sein darf, wer beobachtet und wer beobachtet wird. Das Konzept des male gaze verweist darauf, dass Frauenfiguren oft als sexuelle Objekte dargestellt werden. Objekte die dem Trieb der männlichen Figuren und implizit dem Blick des männlichen Zuschauers untergeordnet werden. Zu diesen visuellen Machtverhältnissen, die dann erzählerisch gespiegelt werden, gehört es auch, dass weibliche Figuren oft über eine Vergewaltigung charakterisiert werden, ihre Charakterentwicklung also aus einem Gewaltakt heraus motiviert wird.

Stellen wir uns vor: Auf der einen Seite ist ein ehrgeiziger junger Adliger, der trotz jungenhafter Schönheit als autoritärer Aufsteiger und menschlich korrupte Figur inszeniert werden soll, auf der anderen Seite ist die schöne Tochter der Königs. Aus strategischen Gründen soll sie mit eben diesem jungen Adligen verheiratet werden. Wie zeigt man nun den bedingungslosen Aufopferungswillen der Tochter für die Machtambitionen des Vaters? Die erste Antwort, die der Mehrheit der Drehbuch-Schreibenden und auch den Machern der Serie Last Kingdom, aus deren zweiter Staffel diese Szene stammt, auf eine solche Frage einzufallen scheint, ist die Vergewaltigung der weiblichen Figur durch die männliche Figur. Dieser Übergriff wird dann in der späteren filmischen Umsetzung gerne ausgesprochen graphisch umgesetzt. Die psychischen Wunden der Protagonistin bieten die Grundlage für die weitere Entwicklung der Figur – als könnten weibliche Figuren nicht auch anders motiviert werden, beispielsweise durch bedingungslosen Machtwillen, Neid, Rachelust, Arroganz oder eine große humanistische Vision, eben durch die ganze Bandbreite an menschlichen Handlungsantrieben. Stattdessen findet sich immer und immer wieder die zentral gesetzte Vergewaltigung als Fokuspunkt der Figurenzeichnung.

Mittlerweile empfinde ich vor allem Wut, wenn dieser langweilige erzählerische Trick eingesetzt wird, der in Filmen und Fernsehserien unter dem Deckmantel einer Sensibilisierung immer auch die voyeuristischen Impulse des Publikums befriedigen soll. Dabei geht es mir nicht darum, dass sexualisierte Gewalt gegen Frauen nicht abgebildet werden sollte; sie ist leider so allgegenwärtig für die Realität von Frauen, dass sie natürlich auch in Fiktionen auftauchen muss. Die Frage, die sich mir vielmehr stellt, ist, warum ihrer graphischen Darstellung besonders in Fernsehserien und Filmen so viel Raum geboten wird und warum sie oft zum wesentlichen Antrieb und Charakterisierungselement weiblicher Figuren gerät. Je gewaltvoller die Ausgangsrealität der Serie, desto mehr Fokus richtet sich auf Frauen als Opfer von Vergewaltigungen. Keine Wikingerserie ohne vergewaltigende Horden, die über Dörfer herfallen, kein historischer Machtkonflikt mit politisch motivierten Eheschließungen ohne anschließenden Missbrauch in den königlichen Gemächern. Die Antwort auf die Frage nach der erzählerischen Notwendigkeit ist dann oft ein Verweis auf die realistischen Ansprüche der Darstellung.

Sexualisierte Gewalt ist ein trauriger Erfahrungsbestandteil im Leben vieler Frauen. Es scheint jedoch eine auffällige Unwucht bei der realitätsnahen Darstellung des Lebens von Frauen zu geben. Interessant ist nämlich, dass diesem Aspekt weiblicher Realität so viel Aufmerksamkeit zukommt, während ein anderer völlig ignoriert, ja sogar tabuisiert wird: die Menstruation. Hier muss natürlich der Hinweis erfolgen, dass nicht nur Frauen, sondern auch Männer menstruieren können und außerdem bei weitem nicht alle Frauen menstruieren. Im Kontext filmischer Darstellung von sexualisierter Gewalt werden jedoch überwiegend  cis Frauen vor der Menopause abgebildet, also Frauen, von denen die meisten bei einer realistischen Figurenzeichnung einen monatlichen Blutungszyklus haben müssten. Auf Twitter merkt Heike Lindhold im Kontext einer Diskussion zu diesem Thema ironisch an: “Realismus muss auch Grenzen haben und die heißen nunmal: Regelblutung und Achselhaare.” Präziser und pointierter kann man diesen blinden Fleck kaum ausdrücken.

Nun kommen die Regelblutung und die daraus erwachsenden Probleme für menstruierende Figuren durchaus in historischen Romanen und anderen Literaturgattungen vor, aber in filmischen Umsetzungen ähnlicher Stoffe oder in Adaptionen werden diese Aspekte geflissentlich ignoriert. Aus der Vagina kommendes Blut am Körper von Frauen resultiert, wenn es denn überhaupt gezeigt wird, aus Vergewaltigungen oder einer Entjungferung. Regelblut wird maximal als beim Aufwachen gefundener Blutfleck auf dem (idealerweise weißen) Laken gezeigt.Die eigentlich zwangsläufig dazugehörige durchgeblutete Nachtbekleidung wird vermieden, das Blut erscheint quasi per Zauberhand auf dem Bett. Diese erstaunliche Abwesenheit visueller Darstellung aber auch erzählerische Thematisierung der Menstruation ist so drastisch, dass in dem Wiki TV Tropes unter der Überschrift “No Periods, Period” gesammelt wird, in welchen Serien diese eigentlich sehr dringende Fragestellung völlig ausgelassen wird. Hat beispielsweise der Doctor in Doctor Who für seine Begleiterinnen Tampons in der Tardis?

Vielleicht lohnt sich der Blick auf die kommerziell ausgesprochen erfolgreiche Serie Game of Thrones, um dieses Problem deutlicher zu illustrieren. Als wesentliches Plotelement kommt lediglich die Periode von Sansa Stark vor. Sie fürchtet das Einsetzen der Regelblutung, weil diese den Beginn ihrer körperlichen Reife impliziert und damit die Möglichkeit Kinder des brutalen Joffrey auszutragen. Die Periode wird also exakt dann relevant, wenn es um eine mögliche körperliche Verfügbarkeit der Figur geht. Vergewaltigung und versuchte Vergewaltigung werden im Gegensatz dazu in den Episoden von Game of Thrones insgesamt siebzehn Mal gezeigt – die dargestellten Opfer sind ausnahmslos weiblich.

Immer wieder wird bei Problematisierungen und Kritik an dieser Häufung von Vergewaltigungsdarstellungen geantwortet, dass dies eben realistisch für die extreme Lebensrealität der dargestellten weiblichen Figuren sei.  Ich schlage deswegen vor, Filme und Serien in Zukunft an einem Quotienten von dargestellter Menstruation zu dargestellter Vergewaltigung zu messen. Wenn die volle Bandbreite körperlicher Realität realistisch abgebildet werden soll, warum ist dann Regelblut so merkwürdig abwesend von den Bildschirmen, besonders in Serien und Filmen, die sich ansonsten bei der Darstellung von Blut und Splatter beileibe nicht zurückhalten? Ein solcher Quotient würde dann vielleicht darauf hinweisen, wobei es in der gehäuften Darstellung von sexualisierter Gewalt gegen Frauen wahrscheinlich mehr geht, als um den Realismus der dargestellten Fiktion: um die Präsentation von Frauen als konsumierbare Objekten für männliche Figuren. Ein sich wiederholender männlicher Blick, der sich an die implizit männlichen Zuschauer wendet.

Photo by Cassi Josh

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