In seinem Buch Erwachsenensprache (258 S., Fischer, 3. Aufl. Januar 2018) stellt Robert Pfaller die Bezeichnung von »Putzfrauen« als »Raumpflegerinnen« als Phänomen der »vom Neoliberalismus zerfressenen Situation der Postmoderne« dar (164). Wer das vage bekannt findet, kennt das Beispiel vielleicht noch aus dem einen oder anderen Deutschbuch der 1980er; jedenfalls ist es tatsächlich so, dass die Verwendungshäufigkeit des Wortes »Raumpflegerin«, soweit der Korpus von Google es kennt, ihren Höhepunkt exakt mit dem Jahr 1973 erreicht hat, dem Jahr der Ölkrise, das selbst für die härtesten Neoliberalismustheoretiker als ein Jahr gelten darf, in dem mit dem sozialdemokratischen Westen gerade noch eben alles in Ordnung war. Seitdem hat die Frequenz wieder stark abgenommen. Die Konjunktur von »Putzfrau« ist übrigens durch »Raumpflegerin« nie auch nur verlangsamt worden. Merkwürdigerweise ist es so, dass um dieselbe Zeit, nämlich 1975, der Ausdruck »adult language« für sexuell explizite Sprache den Höhepunkt seiner Popularität im Englischen erreicht; und dies ist der Ausdruck, an dessen bloßer Existenz Pfaller sein gesamtes Buch hochzieht (bzw.: es hochzuziehen behauptet, da es sich hier um einen Essayband handelt, der so tut, als sei er eine geschlossene Abhandlung, ein Ärgernis, das mir schon bei Ulrich Greiner aufgefallen ist).
So funktioniert über weite Strecken das ganze Werk: Es nimmt sich irgendwelche Phänomene her (entweder per Anekdote oder durch bloße Behauptung), entledigt sie jedes prüfbaren Kontexts, der irgendwie Informationen dazu liefern könnte, wie groß oder klein ihre tatsächliche Bedeutung ist, und reiht sie in eine Erzählung ein, die längst geschrieben ist. Diese Erzählung lässt sich in wenigen Sätzen zusammenfassen: Die USA betreiben seit Langem erfolgreich eine auf Verarmung der Menschheit und Verwüstung der Erde zugunsten des Einflusses einer winzigen, mächtigen Elite gerichtete neokoloniale Politik. Flankiert wird dieser Feldzug durch identitätspolitische Maßnahmen, die sicherstellen, dass die Menschen infantil, dumm, empfindlich, narzisstisch und sich untereinander spinnefeind werden, sodass sie keinen Widerstand leisten. (Es sind in der Tat »die Behörden der USA«, die weltweit für antirassistisches Gedankengut oder Empfindlichkeit für weiße Privilegien verantwortlich sind, weil die USA die Welt »mit Dekolonialisierung […] kolonialisieren«; 38f.) Alles in allem war alles noch nie so schlimm wie heute und alles wird immer schlimmer (16 ff.). Es handelt sich wirklich um ein ganz altmodisches, klassisch antiamerikanisches Buch. Man fühlt sich bei der Lektüre immer wieder mitten in die Nullerjahre zurückversetzt. Dass so etwas wie der Krieg in Syrien möglicherweise nicht allein auf amerikanischem Mist gewachsen sein könnte, wird nirgendwo auch nur in Erwägung gezogen. Ein irgendwie empirisch gestützter diachroner und globaler Blick auf Phänomene wie Armut, Ungleichheit, Krankheit und Krieg, der das ausgebreitete Höllenpanorama relativieren könnte, geschieht schlicht nicht. Das Buch ist ein Buch für heterosexuelle weiße Europäer, da mache man sich nichts vor.
Viele der interessantesten Sätze stehen, wie gesagt, gänzlich ohne Literaturhinweise oder Erläuterung herum – wenn es etwa heißt, es seien »in westlichen Gesellschaften in den letzten Jahrzehnten meist grüne und sozialdemokratische Kräfte [gewesen], die nach Polizei und bürokratischer Regulierung […] riefen« (138) oder dass »Ausbildung zur Eigeninitiative« an Hochschulen heute bedeute, »dass man Studierenden alles vorschreibt, was sie zu tun haben« (34). Es wird bereits im ersten Kapitel glasklar, dass Erwachsenensprache ein Buch ist, das niemanden von irgendetwas überzeugen will. Hier spricht jemand zu einem Publikum, das das Gesagte für ebenso selbstverständlich hält wie Pfaller selbst.
Aber was genau wird nun über Sprache gesagt, außer, dass in ihrem Medium anscheinend irgendetwas Sinistres, amerikanisch Getriebenes, Postkoloniales und Postmodernes passiert, das die Welt zerstört? Es wird ein recht großer Theorieapparat in Stellung gebracht, der u.a. mit Marx, Freud und Nietzsche operiert und auch vor anspruchsvoller eigener Begriffsbildung nicht zurückschreckt (vgl. den Aufsatz »Weiße Lügen, schwarze Wahrheiten«, 70–111), aber der gezogene Schluss ist recht einfach: Pfaller fordert in erster Linie eine Entprivatisierung des Öffentlichen, ein Heraushalten von Befindlichkeiten und Empfindlichkeiten aus dem öffentlichen Raum. Die Öffentlichkeit soll (wie Pfaller findet: wieder) ein Raum werden, in dem »starke, stolze Menschen« (140) einander als Gleiche gegenübertreten. Es ist nirgendwo die Rede, wie damit umgegangen werden soll, dass es ja tatsächlich nennenswerte Probleme mit Befindlichkeiten und Empfindlichkeiten gibt – sie werden schlicht wegdeklariert. Tatsächlich beschädigte oder diskriminierte Menschen tauchen bei Pfaller nicht auf; jede Beschwerde, die nicht antikapitalistisch-antiamerikanisch ist, ist das Ergebnis eingeredeter und eingebildeter Schwäche. Reiß dich zusammen, werde stark und klage über das Richtige!, ruft er uns zu, und passenderweise weiß er auch genau, was das Richtige ist. Die von mir laienhaft immer für das Spezifikum linker Theoriebildung gehaltene Zurückhaltung davor, Einzelnen oder Gruppen persönliche Verantwortung für die Verhältnisse zuzuschreiben, ist dabei nicht erkennbar – im Gegenteil werden diverse Personenkreise (z.B. alle Angehörige von Minderheiten, die sich für die Berücksichtigung von deren Rechten innerhalb von Institutionen einsetzen) als »Kollaborateure« (28) geziehen.
Pfallers Zusammenwerfen sämtlicher Arten behaupteter postmoderner Entmündigungen und Schwächungen des Subjekts bietet dem demonstrativen Raucher immer wieder die Möglichkeit, Gesundheitsinitiativen und spezifisch Rauchverbote als deren Paradigma darzustellen. Seine Nemesis ist der fanatische Nichtraucher, der noch nicht einmal einen Atemzug Passivrauch riskieren will, weil er befürchtet, dadurch sofort irreparabel geschädigt zu werden (154f.). Alles echte oder imaginierte Leiden an gesellschaftlicher Schlechterstellung, das nicht in seinen antiamerikanisch gefassten Hauptwiderspruch passt, steht für ihn auf einer Stufe damit, einmal ein bisschen Rauch in die Lunge zu bekommen. Aber es ist eben nicht nur Rauch in der Lunge; und auch die gern als geistige Quelle des ganzen Unheils beschimpften amerikanischen Universitäten sind nicht so, wie Pfaller und all die anderen glauben, dass sie sind. Dass das niemanden kümmert und der Medienbetrieb ein so völlig an Wahrheit oder Falschheit seiner eigenen Weltbeschreibung desinteressiertes Buch wie das Pfallers nicht nur im Ganzen und weitgehend ohne es zu hinterfragen schluckt, sondern sich dabei mutmaßlich auch noch aufklärerisch vorkommt – das ist schlimm.
Dieser Beitrag ist der erste Teil einer Trilogie aus Rezensionen kulturpessimistischer Bücher von sich dem Rentenalter nähernden Österreichern.
Anhang: Was Robert Pfaller glaubt
- Gleichstellungsinitiativen an Universitäten führen dazu, dass »junge Wissenschaftlerinnen, um bessere Chancen zu gewinnen, sich verstärkt mit Genderthemen beschäftigen müssen. Dadurch aber vernachlässigen sie andere Fragen, und es wird in der Folge […] zunehmend schwieriger, überhaupt geeignete weibliche Expertinnen für [andere] Themen zu finden. Frauen bleiben dann weiterhin unterrepräsentiert. Umso notwendiger, können die Arbeitskreise dann rufen, ist unsere Tätigkeit.« (28)
- Die Zacken des Gender-Sternchens stehen für das Empfinden verschiedener Gruppen (29).
- Die EU betreibt »im Interesse der NATO in der Ukraine eine gefährliche Aggressionspolitik gegen Russland« (37).
- Das Wort »N*ger« ist unproblematisch, da »in keinem europäischen Land Sklaven aus Afrika gehalten wurden wie in den USA und dieses Wort somit niemals dieselbe Bedeutung besaß wie das amerikanische Wort ›N*gger‹« (beide Wörter im Text ausgeschrieben, 39).
- Performative Sprechakte nach Austin bestehen einfach darin, dass beim Vollzug bestimmter Handlungen immer bestimmte Äußerungen ausgesprochen werden (70).
- »Es ist mittlerweile fast unmöglich oder wenigstens sehr teuer geworden, auch nur irgendwelche Kleidung zu erwerben, die nicht von punkigen Elementen wie Löchern, Rissen, Sicherheitsnadeln, riesigen Markenlogos oder mehr oder weniger politischen Parolen markiert wäre.« (104)
- Es ist organisierte Einbildung, die dafür sorgt, dass »Frauen bestimmte ihrer geschlechtsspezifischen Privilegien plötzlich als Nachteile wahrnehmen« (159).
- »Es ist doch ganz hübsch, wenn man mit Handkuss begrüßt wird oder an einer Türe den Vortritt gelassen bekommt, auch wenn man vielleicht eine kleine Überraschung unter dem Rock trägt.« (165)
- »Mit neidischem Staunen schließlich sehen wir in alten Filmen, wie rauschend, glamourös und heiter unsere Eltern oder Großeltern ihre Partys feiern konnten.« (188)
Schlimmer Artikel, der sich eben dem anbiedert, was Pfaller kritisiert! Ich halte Kulturpessimismus aktuell für angebrachter denn je, und die Bücher der gemeinten österreichischen Autoren sowieso und seit jeher für außerordentlich lesenswert.