von Svenja Reiner
Als ich noch jung war und dachte, eine Großstadt zeichne sich vor allem durch die Dichte der Fast Fashion Läden in ihrem Zentrum aus, verließ mich meine Mitbewohnerin für einen Auslandsaufenthalt in Wien. In ihrem Zimmer zog eine Frau ein, die für diese Zeitspanne einer unbezahlten Tätigkeit am Institut für Friedenssicherungsrecht und Humanitäres Völkerrecht der Universität Bochum nachgehen wollte. Als die echte Mitbewohnerin zurückkam, wusste ich, dass man auch ohne Bezahlung Überstunden machen kann und dass manche Menschen das Betreten gemeinschaftlich genutzter Räume nicht notwendigerweise als Anlass sehen, auf Pause zu drücken und die weißen Earpods aus den Ohren zu fummeln. Die letzte Angewohnheit übernahm ich von der Zwischenmieterin, allerdings lief ich nur mit Kopfhörern durch die Wohnung, wenn ich alleine war – das kam jetzt öfters vor, denn die Mitbewohnerin führte nun eine Fernbeziehung nach Wien.
Die neue Hörgewohnheit verdoppelte meinen Podcastkonsum und machte Platz für mehr. Als Chris Hardwick in seinem formely-known-as Nerdist-Podcasts einmal Jen Kirkman einlud, wurde mir schnell klar, dass diese Frau sehr viel Interessanteres zu sagen hatte und niemals schreien oder mir etwas über Videospiele erzählen wollen würde. Ihre Show I Seem Fun. The Diary of Jen Kirkman lief knapp bereits eineinhalb Jahre und hatte bereits 104 Folgen, die ich erstaunlich schnell aufholte. Seitdem bin ich überzeugte Hörerin.
Jen Kirkman arbeitete prä-pandemisch als Stand-Up Comedienne und hat zwei Bücher veröffentlicht, zwei Netflixspecials produziert sowie für Serien wie The Marvelous Mrs. Maisel oder Chelsea Lately geschrieben, bei letzterer war sie auch Livepanelist. Für Drunk History erzählte sie die Geschichte der Quäkerin und Aktivistin Mary Dyer, die gehängt wurde, weil sie mehrfach unerlaubt Boston betreten hatte, und die Interimsepisode, in der Edith Wilson ihren Ehemann vertrat und technically als erste Präsidentin regierte. Als Reaktion auf die Annahme vieler neugewonnener Fans, dass Kirkman auch in ihrer Freizeit ähnlich oft betrunken sei, nannte sie ihren Podcast zunächst I Seem Fun, mittlerweile heißt er No Fun, was natürlich eine Lüge ist.
Jen Kirkmans Fun ist anders, aber sehr relatable: An Freitagabenden wäscht sie gerne Wäsche (Trocknerklappern ist ein wiederkehrender Hintergrundsound) oder stoppt Dokumentationen, um alle Referenzen bei Wikipedia nachzulesen. Ihr Podcast ist eine Stream of Consciousness-Mischung aus Geschichten ihrer Bostoner Jugend und ihrem Alltag in Los Angeles. Sie spricht über ihre Eltern, alte Nebenjobs, die Suche nach der perfekten Thermoskanne, Feminismus, ungefragte Ratschläge, Old Hollywood Showbiz, die Entscheidung, keine Kinder zu kriegen oder Flugangst. Manchmal singt sie. Manchmal liest sie Zeitungsartikel vor.
Das mag nach einem eigenwilligen Format klingen und das ist es auch. Ich verfolge die Gedanken Kirkmans, weil sie ein sehr anderes Leben lebt als ich, aber wir über ähnliche Themen nachdenken. Seit Beginn der Corona-Pandemie spricht sie offen über soziale Herausforderungen, etwa wie damit umgehen, wenn sich gemeinsame Freund*innen treffen in dem Glauben, dass man sich schon nicht anstecken wird? Wie beunruhigt man die eigenen Eltern genug, damit sie nicht einkaufen gehen, aber nicht so sehr, dass sie Angst vor der Welt bekommen? Und wird es sich anfühlen, post-pandemische Verabredungen zu treffen?
In ihrer aktuellen Folge Komedy Kulture kündigt sie an, in nächster Zeit keine weiteren Stand-up Shows zu spielen. Trotz ihrer Warnung zu Beginn, nicht mit dieser Episode in ihr Podcastœuvre einzusteigen, würde ich diesen Hinweis großzügig ignorieren und sogar dazu raten. Im ersten Teil der Folge beschreibt sie kritisch den Stand ihrer Karriere nach 23 Jahren Erfahrung: Zwei erfolgreiche Specials auf Netflix, zwei erfolgreiche Bücher – und keine Aussicht auf einen neuen Vertrag. Was passiert, wenn die Gatekeeper das Tor verschließen? Wenn die Karriere nicht einfach weitergeht? Welche systemischen Voraussetzungen hat eigentlich eine Laufbahn als Comedienne in den USA? Und wie möchte man als Mittvierzigerin arbeiten?
Diese sehr aktuellen Fragen diskutiert Kirkman im Dialog mit sich selbst. Sie ist pointiert, wägt ab, ist selbstkritisch, korrigiert sich an Stellen, an denen sie missverstanden werden könnte. Sie beendet die Folge mit einer Anekdote aus ihrem Schauspielstudium, und erzählt, wie eine Freundin ihnen beiden einen Job als Wahrsager*innen auf einer Highschool Graduation besorgte. Ein Acting Gig, dachte Kirkman, und teilte sich ein Tarotkartenset mit der Kommilitonin. Diese Mischung aus Ernst und Unterhaltung, aus Gedankenfragmenten, politischen Fragen und der eigenen Lebenserfahrung, ist die Stärke dieses Podcasts. So, until next week, have fun!
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