Social-Media-Benimmkolumne: Warum Drükos peinlich sind

von Franziska Reuter

Es kommt vor, dass ganze soziale Systeme ein Verhalten kennen, das eigentlich alle falsch finden — außer bei sich selbst. Normalerweise funktioniert das über Entschuldigungen: Ja, ich hätte an der Kasse sagen sollen, dass ich fünf Euro zu viel rausbekommen habe, aber ich war irgendwie gestresst oder pleite oder sauer, weil die Kassiererin unhöflich war. Bei einem selbst gelten diese Entschuldigungen. Für welchen Struggle sollte man auch mehr Verständnis haben als für den, den man selbst erlebt? 

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Bei anderen betrachtet man dieses Verhalten schon strenger. Vor allem, wenn man selbst, um im Bild zu bleiben, die Kassiererin ist, die am Abend die Abrechnung machen muss und feststellt, dass die Zahl nicht stimmt.

Auf Twitter ist dieses Verhalten der Einsatz von Drükos. Für Nichttwitterer*innen: Das sind Drüberkommentare, im Unterschied zu Drukos, also Drunterkommentaren. Niemand weiß, warum sich diese beknackte Nomenklatur eingebürgert hat, die sich auf den Apps oder auf der Website überhaupt nicht wiederfindet. Drükos sind einfach Zitattweets und Drukos einfach Antworten. Aber so ist es jetzt nun mal. Drükos entstehen, indem jemand auf das Retweet-Symbol tippt, „Tweet zitieren“ auswählt und dann oberhalb des Zitats eine eigene Anmerkung schreibt.

Nun gibt es durchaus ein paar harmlose Anwendungsbeispiele. Sie sind nur in der Minderheit. Wenn man durch einen fremden Account scrollt, der einem neuerdings folgt, und dort sehr viele Drükos findet, sollte man einen Softblock zumindest in Erwägung ziehen. Drüko-Ultras zeichnen sich meist durch eine Mischung aus aggressiver Rechthaberei und Feigheit aus. Lediglich das Verhältnis dieser beiden Eigenschaften differiert. Klingt das wie eine Persönlichkeit, mit der Kommunikation Spaß macht? 

Fangen wir mit den harmlosen Beispielen an. Sogenannte Mitmachtweets laden zum Drüko geradezu ein. Wenn der Ausgangstweet lautet „Dein Superhelden-Name ist die Farbe deiner Socken und der Name deines ersten Haustier“ und jemand zitiert das mit den Worten „Blue Bello“, hat das mit Drüko-Ultras nichts zu tun. Dasselbe gilt für die meisten affirmativen Drükos. Angenommen, jemand postet ein Foto eines Buches, wäre der Drüko „Das habe ich neulich auch gelesen und fand es toll!“ sozial völlig verträglich.

Auf gefährlicheres Terrain kommen wir dort, wo dem Ausgangstweet nicht wirklich eine Information hinzugefügt wird. So wie manche Meetings E-Mails hätten sein können, könnten manche Drükos einfach Retweets sein. Das ist besonders peinlich bei Gags, die dann noch einmal anders formuliert zitiert werden. Man kann lange diskutieren, was dahinter steckt: Die Überzeugung, es besser zu können? Reine Gedankenlosigkeit? Das Verlangen nach Likes für einen selbst? Letzteres ist natürlich Selbstbetrug — wenn mir jemand ein Kompliment macht für die Hose, die ich trage, geht das Kompliment im Grunde immer noch an den Hersteller und nicht an mich. Es sei denn, die Leistung soll hier das Finden und Erkennen des Qualitätstweets sein. Aber wie gesagt, ein Retweet täte es dann auch.

Ebenfalls gutartig, aber sinnlos: Affirmative Drükos, die eigentlich Drukos sein sollten. „Ja, genau“ ist schon als Druko nur mittelgeistreich. Unter dem Ausgangstweet ist es womöglich hilfreich oder zumindest gut aufgehoben, aber den anderen Follower*innen je nach Relevanz des Themas vielleicht völlig egal. Wenn ich mich mit einem Freund prima und ausdauernd über die Herstellung von Mango Chutney unterhalten kann, heißt das nicht, dass mein ganzer Bekanntenkreis auch für dieses Thema zu begeistern ist. Manchmal ist es besser, wenn ein Gespräch dort weitergeführt wird, wo es herkommt. Zumal ein Drüko sicher vieles ist, aber keine Einladung zum weiteren Gespräch. Man bricht die Kommunikation ab, um sie woanders hinzutragen.

Das bringt uns zu den Drüko-Ultras. Genau das ist nämlich ihr Ziel: Sie wollen kein Gespräch, sondern die Diskussion gewinnen, und zwar so schnell und stressfrei wie möglich. Also begeben sie sich an einen Ort, an dem sie erstens Widerspruch technisch blocken können, wenn es ihnen zu bunt wird, und wo zweitens ihre eigenen Follower*innen sind, von denen sie sich Unterstützung erwarten. Ein solcher Drüko entspricht also mindestens einer von zwei Verhaltensweisen, die wir von Kindern kennen: die eigene Meinung laut rauszubrüllen, während man sich selbst die Ohren zuhält, oder Streit mit Stärkeren vom Zaun zu brechen und sich dann von seinen älteren Geschwistern verteidigen zu lassen.

Die Erfahrung zeigt: Es gibt Leute, die es für sophisticated halten, einen Tweet direkt und ohne vorherige Kommunikation mit den Worten „Was für ein Unsinn“ zu zitieren. Wenn es sich um den Tweet einer Politiker*in handelt: Geschenkt. Die würden sowieso nicht antworten. Aber bei Privatpersonen heißt es im Grunde: „Ich diskutiere nicht mit der Person, die das getwittert hat, denn ich halte sie nicht für satisfaktionsfähig. Aber auf meinem eigenen Account, wo mir viele Gleichgesinnte folgen, wäre ich unter Umständen zu einer kleinen Diskussion zum Thema bereit, falls jemand anderer Ansicht sein sollte als ich. Die Tatsache, dass dieser Jemand mir folgt, zeigt schließlich seinen ansonsten guten Geschmack und qualifiziert ihn zum Gesprächspartner. Und wenn es schiefgeht, wird mich schon jemand von meinen anderen Follower*innen raushauen.“ Narzissmus mag ein Modewort sein, aber das nicht als narzisstisches Verhalten zu sehen, fällt schon schwer. 

Ansonsten entstehen die Drükos aber häufig aus der verzweifelten Situation, dass jemand schon dabei ist, die Diskussion in einem Thread unter dem Ausgangstweet zu verlieren. Also antwortet ein Drüko-Ultra dort irgendwann nicht mehr, sondern zitiert stattdessen. Ab sofort geht es nicht mehr ums Reden, sondern ums Rechthaben. Daran erkennt man, ob es sich hier um einen Austausch handelt, den beide sportlich nehmen, oder um einen eitlen Schaukampf der Beteiligten. 

Auf manchen Accounts sieht man die Überreste dieser sinnlosen Schlachten: Mehrere Tweets hintereinander, die auf diese andere Diskussion verweisen und um Unterstützung betteln. Besondere Genies zitieren dabei nicht nur die Tweets ihrer Gegner, sondern auch ihre eigenen Diskussionsbeiträge. Wahrscheinlich liegt ihnen am Herzen, dass ihre Followerschaft keinen einzigen ihrer brillanten Gedanken versäumt.

Paradoxerweise finden alle solche Drükos unverschämt, wenn es sie selbst trifft. Manche werfen auch schnell mit dem Wort Shitstorm um sich, wenn sie plötzlich mehrere fremde Accounts in ihren Antworten haben, die ihre abweichende Meinung mehr oder minder wertschätzend kundtun. Aber wenn sie dasselbe tun, finden sie stets einen Grund, zumindest moralisch im Recht zu sein. Oft ist es das Gefühl, von Andersdenkenden umgeben zu sein. Das kommt aber nun mal schnell auf, wenn man unter dem Tweet einer anderen Person eine Diskussion beginnt. Das heißt nicht, dass man es grundsätzlich lassen soll. Manche Dinge erfordern Widerspruch. Aber bei den meisten Themen, die einem durch erboste Drükos in die Timeline gespült werden, wird eine Twitterdiskussion uns gesellschaftlich nicht voranbringen. 

Was also tun? Ehrlichkeit wäre eine Lösung. Mir ist in mehr als zehn Jahren auf Twitter kein einziger Drüko begegnet, der das Offensichtliche zugegeben hätte: „Ich bin da in eine Diskussion geraten und jetzt gehen mir die Argumente aus, weiß jemand von euch noch eins?“ Das wäre ein Drüko, der Respekt verdient hätte. Oder auch: „XY und ich führen gerade eine Diskussion, die vielleicht auch manche von euch interessiert.“ Oder: „Wie seht ihr das?“ Alles deutlich weniger passiv-aggressiv gegenüber den Kontrahenten und höflicher gegenüber den eigenen Follower*innen, die sich ernst genommen und nicht als Like-Lieferanten missbraucht fühlen wollen.

Drükos sind ein Eskalationsmittel und sollten deshalb ausgesprochen sparsam eingesetzt werden. Da sind wir wieder beim Beispiel mit der Kassiererin: Egal wie gestresst oder genervt man gerade ist — man muss sich trotzdem fragen, ob man nicht unter Umständen doch am längeren Hebel sitzt und dem Gegenüber mittelfristig viel mehr Ärger verursacht, als man selbst gerade empfindet. Und was bringt die Eskalation einem schon am Ende? „Hat seit 2015 keine Diskussion mehr auf Twitter verloren“, ist nichts, was man sich in den Lebenslauf schreiben kann. Oder sollte.

Foto von Photoholgic auf Unsplash

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