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Alle sind wunderschön und niemand horny – Die Desexualisierung von Superheldenfilmen

von RS Benedict
übersetzt aus dem Englischen von Tobias Eberhard

Als Paul Verhoeven in den späten 1990er Jahren Starship Troopers drehte, wusste er damals schon, dass er die Zukunft voraussagte? Der endlose Wüstenkrieg, die allgegenwärtige Militärpropaganda, eine Person, die freudig schreiend den Sieg verkündet, während sich im Hintergrund die Körper immer weiter auftürmen.

In der Szene aber, die sich wahrscheinlich am nachhaltigsten in den Köpfen der 90er-Jahre-Kinder festgesetzt hat  – und die gleichzeitig unsere aktuelle Filmära vorwegnahm – kommen weder Insektenaliens noch Waffen vor. Es ist, wie sollte es anders sein, die Duschszene, in der unsere heroischen Soldaten und Soldatinnen ihr gemeinsames Körperpflegeritual zelebrieren.

Oberflächlich betrachtet herrscht die absolute Idylle: ethnische Harmonie, Geschlechtergleichheit, Einigkeit gegenüber einem gemeinsamen Ziel – und stramme Ärsche und Brüste.

Und dann unterhalten sich die Charaktere, natürlich über den Militärdienst. Eine hat sich gemeldet, um ihre politische Karriere voranzubringen. Ein anderer spricht davon, wie sehr es ihn danach verlangt, den Feind zu töten. Eine andere wiederum hatte gehofft, durch den Militärdienst schneller an ihre Lizenz zur Fortpflanzung zu kommen. Niemand schaut sein Gegenüber an. Niemand flirtet.

Ein Raum voll wunderschöner, nackter Körper, und alle sind einzig und allein geil auf den Krieg.

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In den frühen 2000ern gab es eine kurze Phase, in der Schauspielerinnen vorgaben, dass sie von Natur aus, fast zufällig, dünn seien. Magere Berühmtheiten gestanden in Magazinen ihre Liebe zu Burgern und Pommes; Models verleibten sich in aller Öffentlichkeit Nudeln ein, während sie für Steckbriefe interviewt wurden; Hauptdarstellerinnen machten Witze darüber, wie wenig Sport sie trieben und wie sehr sie das Trainieren verabscheuten. Das war natürlich Quatsch: Ohne auf die Kalorienzufuhr zu achten, sieht niemand so aus. Wir wussten es damals, und wir wissen es auch heute. 

Mittlerweile machen wir uns aber nichts mehr vor. Wie auch, bekommen wir doch bei jeder Blockbuster-Promotionstour detailreiche Beschreibungen der Fitnesspläne der Darsteller*innen. Wir sehen Schauspieler*innen unter den strengen Augen der Personal Trainer Burpees machen oder Seile schlenkern. Ab und an wird von Diäten gesprochen, aber Genaueres darüber hört man selten – und natürlich verliert niemand ein Wort über Steroide oder andere Hormonzusatzmittel, wobei alles auf chemische Hilfsmittelchen hindeutet, wenn Schauspieler ihre sehr plötzlich sehr aufgepumpten Körper auf Instagram präsentieren.

Schauspieler*innen sind äußerlich perfekter als jemals zuvor: unfassbar schlank, schockierend muskulös, umwerfend frisiert, mit hohen Wangenknochen, makellosen chirurgischen Verbesserungen und reiner Haut – dieses Gesamtpaket wird uns in körperbetonten Superheld*innenkostümen präsentiert, wobei die obligatorische Oben-ohne-Szene natürlich nicht fehlen darf, damit wir die definierten Bauch- und tanzenden Brustmuskeln gebührend bewundern können.

Und das beschränkt sich nicht nur auf die Hauptrollen und Love Interests. Auch die Nebencharaktere sehen so aus, sogar die Bösewichte (oftmals unter monströsem Make-Up verborgen) werden von konventionell attraktiven Schauspieler*innen verkörpert. Selbst die Kompars*innen sehen gut aus, oder zumindest unanstößig nichtssagend. Niemand ist hässlich. Niemand ist wirklich dick. Alle sind wunderschön.

Und doch ist niemand horny. Selbst beim Sex nicht. Niemand fühlt sich zu irgendwem hingezogen. Niemandem verlangt es nach irgendwem.

Wenn sich Millennials oder Gen-X-Leute heute einen Film aus den 80ern oder 90ern anschauen, sind sie oft erstaunt über die mittlerweile in Vergessenheit geratenen sexuellen Inhalte: John Connors Zeugung in “Terminator”, Jamie Lee Curtis oben ohne in “Trading Places – Die Glücksritter”, der spektrale Blowjob in „Ghostbusters“. Niemand war beim ersten Sehen über diese Szenen schockiert. Natürlich kommt in Filmen Sex vor. Ist das nicht immer so?

Die Antwort ist klar: Nicht mehr – zumindest nicht im Fall der modernen Blockbuster.

Uns wird gesagt, dass Tony Stark und Pepper Potts ein Liebespaar seien. Aber in keinem der Filme spüren wir irgendeine romantische oder sexuelle Anziehung zwischen den beiden. Auch Wonder Woman und Steve Trevor fehlt sie, als Zuschauer*in nimmt man ihnen zu keiner Zeit ab, dass sie so sehr Bock aufeinander haben, dass einer von beiden einen komatösen Körper übernehmen würde (so wie es in “Wonder Woman” 1984 passiert), damit sie postum noch einmal miteinander rummachen können. Ganz untypisch für die nordische Mythologie grinst Chris Hemsworths Thor Natalie Portman nur dümmlich wie ein Hundewelpe an, ohne dass er jemals den Versuch unternimmt, naja, seinen mächtigen Hammer zu schwingen. Und es ist nicht so, als ob die Konkurrenz da irgendwie besser wäre. Auch wenn er immer wieder als Ikone der Incel-Bewegung bezeichnet wird, ist es Heath Ledgers Joker, und nicht Christian Bales keuscher und sexloser Batman, der in der Dark-Knight-Trilogie noch am ehesten irgendeine sexuelle Energie versprüht.

Und wenn wir gerade schon mal bei Christopher Nolans unerklärlich sexlosem Oeuvre sind – fand es sonst niemand seltsam, dass sie in “Inception” in die tiefste Ebene des Unterbewusstseins eines reichen Mannes vordringen und dort keinen abartigen psychosexuellen, ödipalen Alptraum vorfinden, sondern eine … Ski-Abfahrt?

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Aber machen wir uns nichts vor: Das alte Hollywood war auch nicht gerade für seine progressive Body Positivity bekannt. Seit das frühe Sexsymbol Theda Bara von der Kinoleinwand Abschied genommen hatte, haben Schauspieler*innen stets das Äußerste unternommen, um einen bestimmten Look aufrechtzuerhalten. Rita Hayworth unterzog sich einem „ethnischen Umstyling“, um ihre spanischen Wurzeln zu verbergen und so mehr Hauptrollen zu bekommen. Die Stars der 1920er Jahre limitierten ihre Flüssigkeitszufuhr auf zwei Gläser am Tag, um damit Gewicht einzusparen. Jane Fonda litt am Zenit ihres Status’ als Sexsymbol an schwerer Bulimie, ebenso wie Marlon Brando.

Aber in alten Filmen sah man immer noch erkennbare menschliche Körper und Gesichter, Körper, die man als einfache Person ohne ein Team von Personal Trainern, Ernährungsberater*innen, Privatköch*innen und Chemiker*innen erreichen konnte, sollte man das denn wollen. 

In den Filmen der Achtziger und Neunziger sahen die Stars gut aus, klar, aber eben auch noch wie Menschen. Kurt Russels Snake Plissken war ein absoluter Traumtyp, aber in Oben-ohne-Szenen sieht man, dass seine Bauchmuskeln nicht wie ein Waschbrett aussehen. Bruce Willis war ansehnlich, aber er ist heutzutage muskulöser als er es in den Neunzigern war, als er noch als wahres Sexsymbol angesehen wurde. Wenn sich Isabella Rosselini in “Blue Velvet” auszieht, kommt ihre blasse Haut und ihr weicher Körper zum Vorschein. Sie sieht verletzlich und real aus.

Aber: Diese Charaktere haben noch gebumst. Dorothy Vallens und Jeffrey Beaumant bumsten in „Blue Velvet“. Michael Keatons Batman und Michelle Pfeiffers dominante Catwoman bumsten. Kyle Reese und Sarah Conner bumsten. Snake Plissken haben wir zwar nie bumsen sehen, aber der ganze Charakter verströmt diese überwältigende Energie von jemandem, der bumst. Und ich würde wetten, dass mir niemand einen Mainstream-Film nennen kann, in dem eine geilere und queerere Szene vorkommt als das sexy Saxophonsolo aus “The Lost Boys”.

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Aus heutiger Sicht ist eine der markantesten Szenen aus “Poltergeist” (1982) nicht die mit der bösen Clownpuppe oder dem monsterhaften Baum, sondern ein Moment der unverkrampften Liebe zwischen den Eltern. Der Vater, gespielt von Craig T. Nelson, inklusive Glatze und Bierbauch, witzelt für seine Frau herum, während sie in ein altbackenes Nachthemd gehüllt einen Joint raucht und typische Grasgedanken zum Besten gibt und dabei über die Showeinlage ihres Mannes lacht. Schließlich wirft sich ihr Mann ausgelassen zu ihr aufs Bett. Die beiden sehen in dieser Szene nicht wirklich anmutig aus, aber ihre Beziehung fühlt sich greifbar und gewohnheitsmäßig und charismatisch und einfach echt an.

Auch ihr Haus wirkt echt. Überall liegen Spielsachen und Hefte auf dem Boden. Es stehen Pappkartons rum, die seit dem kürzlichen Umzug darauf warten, ausgepackt zu werden. Gerahmte Bilder lehnen an der Wand; offensichtlich ist noch niemand dazu gekommen, sie aufzuhängen. Die Küchenanrichten sind vollgestellt, die Mahlzeiten sind ausgelassen und chaotisch, wie man das in einem Haushalt mit drei Kindern erwarten würde. Sie bauen sich im Garten einen Pool, aber nicht um des Prestiges willen: Es soll ein Ort für die Kinder sein, zum Schwimmen, für die Eltern, um dort Partys zu schmeißen, und für den Vater, der dort seine Liebe zum Tauchen wieder aufleben lassen möchte.

Damals stand dieses Haus für eines der Ideale des US-amerikanischen Wohlstands. Im Kontrast dazu stehen die Häuser in heutigen Filmen, mit ihren riesigen, sterilen, gähnenden Räumen und minimalistischen Möblierung. Die Küchen haben Industrieausmaße und sind blitzblank, und nirgendwo ist etwas zu essen zu sehen. Es gibt kein Übermaß, kein Chaos.

In ihrem Blog „McMansion Hell“ bespricht die Journalistin und Architekturkritikerin Kate Wagner sehr genau, warum diese weithin verabscheuten 500-m2-Monstrositäten so furchtbar sind. Wieder und wieder kommt sie darauf zurück, dass diese „McMansions“ nicht dafür gebaut wurden, um als Zuhause zu dienen. Es sind kurzfristige Finanzanlagen.

Sie schreibt Folgendes: „Das Innere der McMansions wurde so designt, dass möglichst viele ‘Features’ zum kleinstmöglichen Preis hineinpassen.“ Diese Features sind allein dafür da, den Wiederverkaufswert des Hauses zu steigern, nicht um daraus einen Ort zu machen, an dem man gerne lebt. Es wird kein Gedanke an die Arbeit verschwendet, die nötig ist, um diese Häuser sauber und in Schuss zu halten. Das große Badezimmer ist mit fein gearbeiteten Steinoberflächen ausgestattet, die man nur mit einer Zahnbürste gereinigt bekommt. Die kathedralenartigen Decken im Wohnzimmer lassen die Heiz- und die Stromkosten für die Klimaanlage in exorbitante Höhen schießen. Der Kronleuchter in der Eingangshalle hängt so hoch, dass sich die Leuchten nicht mal mit einer Leiter tauschen lassen.

Das gleiche Schicksal hat unsere Körper ereilt. Ein Körper ist kein ganzheitliches System mehr. Er dient uns nicht mehr dazu, während unserer kurzen Zeit auf dieser Erde Freude und Genuss zu erfahren. Er ist kein Zuhause, in dem wir leben und glücklich sind. Auch er ist nur noch eine Ansammlung von Features: Sixpack, Thigh Gap, Cum Gutters. Diese Features haben auch nicht den Zweck, unser Leben angenehmer zu machen, sondern unseren Anlagewert zu steigern. Unsere Körper sind Investitionen, die ständig optimiert werden müssen. Nur warum eigentlich? Um uns das vage Gefühl zu geben, ein besseres Leben zu führen? Ist ein Leben mit Brot objektiv schlechter als eines ohne? Haben wir als Kinder davon geträumt, jede Kalorie und jeden Schritt zu zählen?

Noch vor ein oder zwei Generationen war es normal, dass Erwachsene nicht zur Selbstoptimierung sondern einfach nur zu ihrem Vergnügen Sport trieben. Menschen tanzten, weil sie Spaß daran hatten. Pärchen verbrachten zusammen Zeit beim Tennis. Kinder spielten Ball, weil sie nichts anderes zu tun hatten. Das Workout im Fitnessstudio erfüllte auch einen sozialen, und keinen moralischen Zweck. Menschen trainierten, um heiß auszusehen, damit sie andere heiße Menschen klarmachen und mit ihnen ins Bett steigen konnten. Wie auch immer man zu dem Ethos dahinter steht, das letztendliche Ziel war das Vergnügen.

Aber nicht heutzutage. Heute sind wir perfekte Inseln der emotionalen Selbstständigkeit, und das Verlangen danach, berührt werden zu wollen, wird als peinlich und co-abhängig angesehen. Wir machen das alles nur für uns selbst, da wir uns, natürlich ganz zufällig, verzweifelt nach einem körperlichen Standard sehnen, den eine gesichtslose Entität irgendwo in einem Versicherungsbüro festgelegt hat. 

Die Werbung für Fitnessstudios ist heutzutage meistens auf die streng autonome Selbstoptimierung ausgerichtet: Sei dein bestes Ich. Schaffe ein neues Ich. Wir treiben keinen Sport mehr – wir trainieren, mithilfe von Fitnessprogrammen, die Namen tragen wie Booty Bootcamp, als würden wir unsere Ärsche darauf vorbereiten, sie in den Großen Booty-Krieg zu schicken. Es gibt kein Versprechen von Intimität. Wie unsere Helden des Marvel-Cinematic-Universums und Rico und Dizzy und alle anderen Infanteriesoldat*innen aus Starship Troopers sind wir allein geil auf die Vernichtung.

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Eine Nebenwirkung der extremen Kalorienbeschränkung, über die wenig gesprochen wird, ist der Verlust der Libido. Dies passiert bei Bodybuildern, wenn sie auf Radikaldiäten sind, um schnell Fett zu verlieren, damit ihre Muskeln bei Wettbewerben besser zur Geltung kommen. Auch wenn sie physisch wie die angeblich perfekte Verkörperung der Männlichkeit aussehen, träumen sie nicht von Sexualpartner*innen, sondern von Burgern und Pommes. Viele Menschen, die an Essstörungen leiden, verlieren ihr Verlangen nach Sex vollständig und hören sogar auf zu menstruieren.

Werden einem Körper nicht ausreichend Kalorien zugeführt, muss er die zentralen lebenserhaltenden Systeme gegenüber allen Funktionen, die nicht unmittelbar für das Überleben des Körpers benötigt werden, priorisieren. Das sexuelle Verlangen gehört zur zweiten Kategorie, ebenso wie das höhere abstrakte Denken. Ein Körper, dessen Nahrungszufuhr bei gleichzeitiger erhöhter körperlicher Betätigung beschränkt wird, glaubt sich in einer Phase der Hungersnot – ein nicht gerade idealer Zeitpunkt zur Fortpflanzung.

Ist es nicht grausam puritanisch, ein sexuelles Ideal zu erschaffen, das gleichzeitig zum Verlust der Freude am Sex führt?

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Wenn sich eine Nation bedroht sieht, pumpt sie sich auf. Deutschland und Norwegen waren zum Ende der napoleonischen Zeit geradezu besessen von individueller Selbstoptimierung durch körperliche Ertüchtigung. Die Briten übernahmen diese Körperkultur, als sich das 19. Jahrhundert – und das britische Weltreich – dem Ende zuneigte. Selbst Yoga, wie wir es heute kennen, nämlich als Form des meditativen Krafttrainings, entstammt der indischen Unabhängigkeitsbewegung der 1920er und 30er Jahre.

Der treibende Gedanke dieser Bewegungen besteht nicht darin, einfache Freude an der Fitness, an körperlicher Stärke und äußerlicher Schönheit zu finden. Stattdessen steckt etwas Kompetitives dahinter. Es geht darum, stark genug zu werden, um gegen den Feind zu kämpfen, wer auch immer das sein mag.

Auch die Bevölkerung der USA, wie sollte es anders sein, konnte sich dessen nicht erwehren. Der Presidential Fitness Test kam zur Mitte des 20. Jahrhunderts auf, nachdem in Studien herausgefunden worden war, dass die US-amerikanischen Kinder ihren europäischen Altersgenoss*innen in einigen Turn- und Flexibilitätsprüfungen hinterher waren. Die Paranoia des Kalten Krieges verstärkte diese Ängste, besonders zum Beginn der 1980er Jahre. Was, wenn die Kinder zu dick sind, um den Kommunismus zu besiegen? Diese Besessenheit verschmolz wunderbar mit dem Boomer-Yuppie-Narzissmus und brachte schließlich den Aerobic-Trend hervor.

Dann kamen die Neunziger, die Berliner Mauer fiel, und Spandex und Schweißbänder wurden plötzlich zum peinlichen Ding der Vergangenheit. In den USA war man immer noch ganz scharf darauf, dünn zu sein, aber nicht aus Gründen der körperlichen Kraft. Zwei Dinge geschahen zum langsam anbrechenden neuen Jahrtausend, die die Körperkultur zurück auf den Plan rufen sollten.

Zunächst wurde im Jahr 1998 beschlossen, den BMI-Standard um ein paar Punkte zu ändern. War in der Vergangenheit noch ein BMI von 27 (für Frauen) oder 28 (für Männer) nötig, um als übergewichtig zu gelten, war dies beim neuen Standard nun schon bei 25 Punkten der Fall. Über Nacht wurden neunundzwanzig Millionen US-Amerikaner*innen übergewichtig, ohne ein Gramm zugenommen zu haben. Gemäß den neuen Richtlinien konnten Ärzt*innen nun Diätpillen verschreiben oder ihren Patient*innen Operationen zur Gewichtsreduktion empfehlen.

Eine landesweite Panik war die Folge. In drastischen Überschriften las man von einer neuen Plage an dicken Menschen, deren Körper tickende Zeitbomben darstellten, die die Gesellschaft jederzeit in Tod und Zerstörung stürzen konnten. Archivbilder von dicken Menschen in der Öffentlichkeit, die vom Hals abwärts gefilmt wurden, um ihre Persönlichkeitsrechte zu wahren (und sie noch effektiver zu enthumanisieren), waren ein allgegenwärtiger Anblick im Fernsehen, wo hagere Nachrichtensprecher*innen von den Horrorszenarien der Adipositas-Epidemie berichteten. Seltsamerweise hielt man es nur in sehr wenigen dieser Berichte für nötig, die Änderung des BMI-Standards zu erwähnen.

Das zweite Ereignis war natürlich der 11. September.

Der Angriff auf das World Trade Center und das Pentagon hatte einen neuen Krieg gegen den Terror zur Folge. Die USA musste sich also in Form bringen, um als Sieger daraus hervorzugehen. Die hypermilitaristische Militärkultur der USA nach 9/11 vermischte sich mit der Gewichtspanik und resultierte in einer angsteinflößenden Entwicklung. Zum Sportunterricht in öffentlichen Schulen gehörten nun spezielle Militär-Fitness-Tage, an denen die Schüler*innen unter anderem das Werfen von Granatenattrappen übten. George W. Bush fügte dem Presidential Fitness Program eine Fitness Challenge für Erwachsene hinzu. Über das US-amerikanische und britische TV rollte eine neue Welle an Dokumentationen und Reality-Shows hinweg, in denen die Gesellschaft dafür fertiggemacht wurde, dass sie zu dick für den Sieg über al-Qaida sei: Honey, We’re Killing the Kids; Supersize Me; You Are What You Eat, eine Show, in der Brit*innen angemotzt wurden, wenn ihre Fäkalien nicht irgendwelchen peinlich genau gesetzten Standards entsprachen. Oder natürlich The Biggest Loser, worin sich die dicken Kandidat*innen von schlanken Trainer*innen auf eine Art und Weise anschreien lassen müssen, die sehr stark an die stereotypischen Methoden eines Drill Instructors erinnert.

Und nun sind Muskeln – riesige, pulsierende, durch Steroide aufgeblasene Muskeln – wieder auf den Bildschirm zurückgekehrt. Nur geht der neuen Muskelära die Erotik des 80er-Jahre-Actionkinos ab. Arnold Schwarzenegger zeigte seinen Allerwertesten in Terminator, Sylvester Stallone zog sich für den ersten “Rambo” und für “Tango & Cash” aus; in „Bloodsport“ sehen die geneigten Zuschauer*innen mehr von Jean Claude Van Dammes Körper als vom Körper seines Love Interests.

Die Adonisse des aktuellen Kinos sind meistens jedoch Never Nudes. Das Marvel Cinematic Universe ist strikt auf PG-13 (etwa FSK 12) ausgelegt, so wie man das von einem Disney-Produkt erwarten würde, aber auch im DC-Universe findet man sehr wenig menschliche Sexualität. Die Fans rufen stets nach „erwachseneren“ Superheld*innenfilmen; was sie damit meinen ist mehr explizitere Gewalt, niemals aber mehr Sex. Sie verloren vollkommen die Nerven wegen Dr. Manhattans leuchtendem blauen Penis in Watchmen, und sie haben Joel Schumacher niemals dafür vergeben, dass er Nippel auf Batmans Anzug gepackt hat. 

Die heutigen Stars sind Actionfiguren, aber keine Actionheld*innen. Ihre perfekten Körper existieren einzig und allein dafür, anderen Menschen Gewalt anzutun. Spaß haben bedeutet schwach sein, sein Team im Stich lassen, dem Gegner eine Chance zum Sieg präsentieren. So wie der zwischenzeitlich dicke Thor in “Endgame”.

Dieser Filmtrend spiegelt die alldem zugrunde liegende Kultur wider. Selbst vor der Pandemie waren die Millenials und Zoomer weniger sexuell aktiv als die Generation vor ihnen. Vielleicht machen wir uns zu viele Sorgen um das Ende der Welt; vielleicht sind wir zu pleite um auszugehen; vielleicht sorgt die Tatsache, dass wir mit Mitbewohner*innen oder unseren Eltern zusammenleben müssen, dafür, dass es uns unangenehm ist, jemanden mit nach Hause zu bringen; vielleicht stören in die Umwelt entlassene Chemikalien unseren Hormonhaushalt; vielleicht wissen wir nicht, wie wir außerhalb der Rape-Kultur mit menschlicher Sexualität umgehen sollen; vielleicht hat die uns anerzogene Botschaft, dass unsere Körper eine nationengefährdende Bedrohung darstellen, unsere Freude an körperlicher Lust getrübt. 

Gleichzeitig hat die Häufigkeit der Essstörungen stets weiter zugenommen. Wir bereiten unsere Körper immer noch darauf vor, gegen den Feind zu kämpfen. Und da wir hier gegen ein abstraktes Konzept Krieg führen, ist dieser Feind unsichtbar und nicht (an)greifbar. Um ihn zu besiegen, müssen sich unsere Körper auch ihrer Solidität entledigen.

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Aber es besteht Hoffnung. 

Robert Pattinson hat die Hauptrolle im neuen Batman-Film übernommen (2022). Er hat ganz stolz verkündet, dass er sich weigert, sich für die Rolle aufzupumpen, ganz zur Entrüstung der Fans. 

In einem Interview mit der Variety aus dem Jahr 2019 sagte Pattinson: „In meinen letzten drei oder vier Filmen hatte ich eine Masturbationsszene. In „High Life“. In „Damsel“. Und in „The Devil All the Time“. Mir ist das erst aufgefallen, als ich es zum vierten Mal [in “The Lighthouse”] gemacht habe.“

Ob er letztendlich der Held war, den wir brauchten, muss jede*r für sich selbst entscheiden.

Beitragsbild von Ali Kokab

Barbiecore und der Kampf gegen das Patriarchat: Trägt die neue feministische Welle pink?

von Katharina Walser

“Wie Barbie zur feministischen Ikone wurde”, erklärt ein Artikel im Icon. Dass der Barbie Film in der Mode noch “Spuren hinterlassen” werde, mahnt ein Artikel in der Annabelle an, und “Warum Barbie und Pink jetzt als Feminismus-Symbole gefeiert werden” will das Emotion-Magazin erklären. So oder so ähnlich stand es in den vergangenen Monaten in zahllosen Artikeln in Lifestyle-Magazinen, Feuilletons und Newslettern. Die oft wiederholten Kernaussagen all dieser Texte wirken erst einmal simpel, aber einiges daran lohnt einen zweiten Blick. Am vordergründigsten die folgenden zwei Behauptungen: (1.) die zeitliche Chronologie und logische Kausalität “Barbie-Film führt zu Mode-Trend” und (2.) Greta Gerwigs kinematografischer Ausflug in Barbies Traumland ebenso wie der Modetrend selbst seien feministisch. 

Schauen wir uns das Ganze genauer an: Was war zuerst da? Die Barbiecore-Henne oder das Barbie-Film-Ei? Und was genau ist an beiden potenziell “feministisch”? Und zuallererst: Was um alles in der Welt ist eigentlich Barbiecore?

Wurzeln des Barbiecore im “Dopamin Dressing” und Y2K Revival

Wer den Begriff “Barbiecore” als Hashtag bei TikTok eingibt, stellt fest, dass es zu dem Schlagwort die absurde Zahl von über 500 Millionen Aufrufe gibt. Schnell erfasst man die große Palette an Produkten, die sich hinter dem Mode-Trend verbirgt: von knallpinken Kleidern über durchsichtige Plastik-Accessoires, Glitzer-Schuhen im Mules Stil (das sind die Peep-Toe-Pumps, die hinten wie ein Flip-Flop offen sind) bis hin zu allen anderen Kleidungsstücken, die geradewegs aus der Garderobe der ikonischen Plastik-Puppe stammen könnten. Aber man findet auch Beauty Trends wie den “Barbie Girl Blush” (eine sanft-pinke Rouge-Tönung) oder die “Barbie Nails”, die mal mit aufgesetzten Perlen-Details, mal mit aufgeklebten Barbie “B’s” vor allem dem Motto folgen: make it pink and make it bright! 

@namvoglow

Please @Fenty Beauty bring back this beautidul barbie pink cream blush! #barbiemakeupchallenge @Yada Villaret #barbiepink #namvoglow #dewydumplings #pinkcreamblush

♬ Puff – Hany Beats

Aber ist der Trend, der so augenscheinlich die Ästhetik der Barbie-Puppe imitiert, wirklich eine direkte Folge auf Greta Gerwigs Barbie-Film, in dem wir Margot Robbie, Ryan Gosling und Co. durch eine detailreich inszenierte Spielzeuglandschaft wandeln sehen – unbiegsame Plastikwellen und abgehobene Fersen inklusive?

Ganz so einfach ist es mit keinem Modetrend. Denn Trends werden nicht einfach so geboren, sie sind lang gewachsene und kompliziert verwobene Netze des Zeitgeistes. Natürlich stimmt es, dass die Ankündigung des Barbie-Filmes im Juni 2022 wie ein Brennglas auf alles pinke und glitzernde funktionierte. Das schweizerische Lifestylemagazin Annabelle berichtete etwa, dass nach der Veröffentlichung des ersten Trailers laut der Shopping-App Lyst die Suchanfragen nach Mules, um 115 Prozent und die Anfragen nach pinker Mode um 80 Prozent höher waren als noch am Vortag. Die Google-Suche zu Haar-Blondierungen habe sich außerdem über Nacht verdreifacht. Und trotzdem – kein Trend der Welt kann so schnell durch eine Filmankündigung hochkochen, wenn er nicht schon vorher vor sich hin gebrodelt hatte.

Und es brodelte auch vor Trailer-Release stark im Barbie-Dreamland – sowohl bei Content-Creator:innen in den sozialen Medien als bei den Houte-Couture-Schauen einiger Luxus-Labels, die ihre Frühjahrs-/Sommer-Kollektionen 2022 der pinken Renaissance widmeten. Wohl mit am eindrucksvollsten ist die Valentino “Pink PP Collection”, für die ein individueller Pink-Ton entwickelt wurde, den es so nur bei Valentino geben sollte. Wer High-Fashion-Fashion-Schauen eher weniger verfolgt, erinnert sich vielleicht trotzdem an Florence Pugh, die bei der Vorstellung der Kollektion in Rom in einem transparenten pinken Tüll-Traum auftauchte (und daraufhin in den sozialen Medien für ihre Freizügigkeit angegangen wurde). 

Ähnliche Entwürfe sah man auch bei Chanel, Marine Serre, Versace, Moschino oder Pucci und die pinken Designs hatten schnell weitere prominente Schirmherrschaft, mit Sängerin Lizzo, die das Valentino Pink auf Instagram bewarb, oder Kim Kardashian, die sich (zugegebenermaßen pünktlich zum Trailer-Release) im Juni 2022 in einem pinken Ganzkörper-Anzug auf rosafarbener Satin-Bettwäsche räkelte. Sängerin Dua Lipa – die dem Soundtrack zum Barbie-Film ihre Stimme leiht und auch einen Cameo Auftritt im Film selbst hat – hat mit Donatella Versace im Rahmen ihrer “La Vacanza” Kollektion einen Bikini entworfen, der Barbie neidisch machen würde, und Hailey Bieber ist quasi seit einem Jahr eine wandelnde pinke Werbetafel. 

Da man die Barbie-Ästhetik nun so häufig sieht, vergisst man auch schnell, dass sie absolut kein neues Phänomen ist. Schließlich hat Moschino bereits 2015 den Barbie-Style im Rahmen der Frühjahr/Sommerschauen neu zum Leben erweckt und prominente Frauen wie Britney Spears oder Paris Hilton haben aus dem Barbie-Image schon in den 2000er Jahren Ruhm und finanzielle Imperien aufgebaut. Allerdings wurden sie dabei entweder abschätzig belächelt oder als nicht ernstzunehmende, kurzweilige popkulturelle Referenz abgetan (wie bei Moschino). Woher kommt nun also das Überschwappen vom Laufsteg zu TikTok, Instagram und den High-Street-Retailern der Welt? Denn der Barbiecore-Trend gewinnt dieses Jahr auch deshalb so richtig an Fahrt, weil die pinken Glitzerteile längst nicht mehr nur bei Valentino und anderen Luxusmarken zu kriegen sind, sondern auch bei H&M, Asos, Zara und Co. 

Der endgültige Durchbruch des Barbiecore-Trends ist, wie eigentlich alle Trends, dem richtigen Timing geschuldet. In diesem Fall spielen auch Post-Pandemie-Trends – Stichwort “Dopamin Dressing” – und das Y2K-Revival der Gen Z eine elementare Rolle. Aber auch die über Jahre erstarkte feministische Debatte um stereotypisierte Weiblichkeit.

“Dopamin Dressing” ist schnell erklärt: Nach den extrem auf Reduktion ausgerichteten Mode-Bewegungen während der Pandemie – wir erinnern uns an einen Einheitsbrei von farblich zusammenpassenden Loungewear-Twinsets in Beigetönen und farblose Trends wie die monochrome “Vanilla Girl Ästhetik” inklusive Nude-Make-up und “natürlich” gesträhnten Blondtönen, die 2021/2022 überall zu sehen war – folgte nach der Pandemie, wie es einige Modeexpert:innen bereits prophezeit hatten, die Rückkehr auf die Laufstege und das Street-Style-Leben mit einem Knall: sowohl farblich als auch, was die ausladenden, asymmetrischen Schnitte und hypertransparenten Stoffe anging. 

Beinahe gleichzeitig entdeckte die Gen Z die Mode der Nullerjahre wieder für sich: enge Croptops zu Baggy Jeans kamen zurück, genauso wie Hüftketten, Strassverzierungen und lange Baguette-Taschen. Also eigentlich alles, was Carrie Bradshaw in den ersten drei Staffeln “Sex and the City” getragen hatte.

Und, was Spears und Hilton um die Jahrtausendwende auf dem roten Teppich zeigten. Barbiecore ist quasi die unausweichliche Folge aus beiden Trendbewegungen. Und wie bei jedem Revival kommt es zu einer Umdeutung einiger Bestandteile des ursprünglichen Trends. Im Falle des Barbiecore ist es die Dekonstruktion seiner vermeintlichen Banalität und angeblich fehlenden Authentizität.

Die feministische Rückeroberung des Glamours

Wie funktioniert das feministische Rebranding des Barbiecore Trends, von dem TikTok- Creator:innen und Modeketten sprechen? Antworten findet man bei unserer lokalen Schirmherrin des Barbiecore – quasi bei unserer “Spitzenreiterin” (so auch der Titel ihres Romans) des pinken Trends: bei Autorin Jovana Reisinger. 

Nicht nur das Cover ihres aktuellen Buches “Enjoy Schatz”, eine kluge Verwebung der Themen Lust, Kapitalismus und Patriarchat, leuchtet strahlend pink,  auch im semi-privaten Raum auf Instagram und bei Lesungen lebt die Autorin den “Tussi-Lifestyle”, wie sie selbst sagt. Dass Tussi und Barbie nur zwei Begriffsseiten derselben Medaille sind, zeigt Reisinger schon durch die synonyme Verwendung des Begriffs in ihrem Text “Die subversive Kraft der Tussi, oder: In Barbiecore gegen das Patriarchat” für Vogue Germany. Darin erklärt sie, worin die empowernde Kraft eines Lifestyles zwischen gemachten Nägeln, blondierten Haaren und Glitzer-Tops liegen kann. Nämlich in der Rückeroberung eines misogyn gelabelten, “hyperfemininen” Looks. Es ist höchste Zeit, denn Reisinger zeigt in ihrem Text, wie unhaltbar und verheerend die Vorstellung ist, jemand, der:die dem klassischen “Tussi-Bild”entspreche, könne nicht clever, weltgewandt und interessant sein und zeigt deutlich, dass sich hinter dieser Parallelisierung in den letzten Jahrzehnten eine große antifeministische Agenda versteckte.

Aber sie zeigt ebenso auf, dass ein großes Potenzial darin liegen kann, auf diese Weise unterschätzt zu werden und zitiert am Ende ihres Essays eine befreundete Schriftstellerin, die ihr gesagt habe, “harmlos eingeschätzt zu werden, hat auch seine Vorteile – die wissen gar nicht, wie ihnen geschieht, wenn wir sie zerlegen.” Die, das sind diejenigen, die Profit daraus schlagen, Ästhetiken, die als “typisch weiblich” gelabelt werden,  abzuwerten. Die moderne Barbie zelebriert also den Glamour neu, den das Patriarchat ewig als “unauthentisch”, “hohl” und “fake” gelabelt hat – vielleicht nicht als Rache, aber doch als Abrechnung mit diesem unterkomplexen Stereotyp. Fun Fact Nummer 1: Glamour ist ursprünglich ein Begriff, mit dem unredliche Zauber oder Hexereien bezeichnet wurden, und ist somit geradezu prädestiniert misogyn besetzt zu werden. Fun Fact Nummer 2: 1993 vertauschten US-amerikanische feministische Aktivist:innen in verschiedenen Spielzeugläden die Stimmen der Barbie-Puppe mit der im Inneren der Militär-Action-Figur G.I. Joe, woraufhin Barbie auf Knopfdruck ​“vengeance is mine” rief. 

Barbie als Antitypus des Pick-Me-Girls

Barbiecore ist, wenn man ihn denkt wie Reisinger, auch die ultimative Versöhnung mit allen Britneys und Parises, die nicht nur von Männern im Patriarchat abgewertet wurden, sondern auch von Frauen, die zu lange versucht haben, dem Male Gaze gefällig zu sein. Hier kommt die dritte Säule ins Spiel, die der Rückkehr des Barbiecore mit seiner neuen politischen Schlagkraft die Bühne bereitet hat. Nämlich die Debatte um eine der größten Antagonistinnen der vierten feministische Welle: das Pick-Me-Girl. 

In feministischen Kreisen, die sich aktiv den Schnittstellen von Kapitalismuskritik und Patriarchatskritik widmen, steht das Pick-Me-Girl synonym für eine Ellenbogen-Kultur mancher Frauen, die sie anwenden, um innerhalb eines patriarchalen Systems nach oben zu kommen, statt dieses selbst zu unterwandern. Typische Sätze des Pick-Me-Girls sind: “Ich bin nicht wie andere Frauen”, “Ich kann viel besser mit Männern, die machen weniger Drama” oder auch: “Eine Frauenquote finde ich unnötig – wer sich anstrengt kann alles schaffen”. Das Pick-Me-Girl ist der Antityp zu solidarischen Bewegungen und die (weibliche) Galionsfigur der Hustle Culture. 

Barbiecore entfaltet also feministisches Potenzial, indem die Träger:innen mal ernsthaft, mal spielerisch in alle Klischees eintauchen, die das Pick-Me-Girl ablehnt – inklusive pinker Stilettos und Gespräche über das beste Maniküre-Studio.

Der Barbiefilm als kapitalistische Vermarktungsmaschine

Und wenn wir schon bei Kapitalismuskritik in Verschränkung mit Feminismus sind, sind wir auch schon bei Greta Gerwigs Barbie-Blockbuster, beziehungsweise bei der nicht so leicht zu beantwortenden Frage, inwieweit in ihm feministisches Potenzial steckt. Vorneweg: ein Film ist niemals feministisch. Er kann feministische Figuren inszenieren, er kann sicherlich auch im Plot feministische Fragen verhandeln und implizit feministische Aussagen über das Schicksal seiner Figuren treffen – aber der Film selbt, insbesondere einer in der Größe wie Gerwigs “Barbie”, ist in erster Linie eine Vermarktungsmaschine. In diesem speziellen Fall vielleicht eine der besten Film-Vermarktungsmaschinen aller Zeiten. Inklusive Barbie-Filtern, mit dem jede:r Instagram-User:in eine individuelle Selfie-Version der Film-Poster erstellen kann, einem pinkes Dreamhouse, das Airbnb-Gäste ein paar Wochen vor Film-Release plötzlich in den Inseraten in Malibu entdeckten und legendären Press-Tour-Looks von Margot Robbie, deren Stylist für jede Premierenfeier ein anderes Outfit rekreierte, das die echte Barbie-Puppe in der Vergangenheit trug. 

Diese extreme Anstrengung, ein signifikantes popkulturelles Erlebnis zu schaffen, das über den Film hinausweisen soll, ist kein Wunder, bedenkt man, dass Mattel – der Spielzeughersteller der Barbie-Puppe – nicht nur Rechte für den Film freigegeben hat, sondern diesen initiiert und gesponsert hat. Mattel verfolgt mit dem Barbie-Film ein zeitgemäßes Rebranding seiner Puppen mit ökonomischem Kalkül. Ein Fakt, der spätestens nach einem Artikel des Time Magazine klar wird, das von Mattels Plänen berichtete, nach Barbie auch Polly Pocket, He Man und andere Plastik-Figuren aus dem Spielzeughaus ihren Weg auf die Leinwand finden.

Die Anstrengungen, Barbie wieder populär zu machen, leistet der Hersteller bereits seit 2014. Zuvor hatte das Unternehmen Rekord-Tiefs in seinen Umsatzzahlen verzeichnet – nicht zuletzt aufgrund von umfassender Kritik an dem problematischen Body/Diversitäts-Image, das die weiße, normschöne, dünne, cis-Puppe verkörpere.   Es folgten Schwarze Puppen, behinderte Puppen, Plus-Size Puppen, und jetzt eben ein Film, der von vornherein wusste, was er zu tun hatte, um als zeitgemäß zu gelten. 

Allen voran Greta Gerwig als Regisseurin einzusetzen, denn schon lange bevor der Trailer zum Film erschien, waren sich Content-Creator:innen in den sozialen Medien und Greta-Fans einig: der Film würde eine feministische Botschaft haben. Schließlich sei die Frau am Werk, die mit dem emanzipatorischen Coming-of-Age Film Lady Bird und der Neuerzählung des Historiendramas Little Women als Erfolgsgeschichte einer jungen Autorin, bekannt wurde. 

Auch die Plakate der Barbie-Film sprächen für eine feministische Botschaft, hieß es von allen Seiten. Diese zeigten nämlich nicht nur die verschiedenen Body-diversen Schauspieler:innen, die unterschiedliche Barbie und Ken-Versionen verkörpern sollten, von einer Schwarzen Schauspielerin zu einer trans Frau – sondern konzentrierten sich auch auf die Bewerbung des wohl feministischen Attributs der originalen Barbie-Puppe. Ihre Karriere. So waren die Protagonist:innen auf den Postern alle von ihrer (sehr angesehen) Berufsbezeichnung begleitet. “This Barbie is a doctor” (Hari Nef), “This Barbie has a Nobel Prize” (Emma Mackey), “This Barbie is a diplomat” (Nicola Coughlan). Die Ken Poster hingegen waren begleitet von den Phrasen “He is just Ken”, “He is also Ken”, “He is ken, too”. Es sei der ultimative Kommentar darauf, dass Ken schon immer bestenfalls ein menschliches Accessoire für Barbie war, während diese in ihrem langen Puppenleben schon in über 200 Karrieren brillierte. Als Astronauten-Barbie von 1986, als Piloten-Barbie 1991 oder als Sportlerin bei den olympischen Spielen 2001. 

Eines hat das Marketing in jedem Fall geschafft: Einen Hype kreiert – ob es darum ging, dass Personen in den sozialen Medien teilten, welches ihre erste Barbie war, oder Kolleg:innen in der Kaffeeküche davon sprachen, was sie zur Premiere tragen würden. Ein Hype der durch die Oppenheimer/Barbie-Memefication zu Barbenheimer (beide Filme wurden auf den 20.07. geplant) nur noch größer wurde. 

Aber kann eine Verfilmung, die bereits im Vorfeld so viel Erwartungen entfacht hat, das Versprechen des Barbiecores einlösen, wenn sie die Barbie bereits auf den Plakaten ausgerechnet als Girl Boss (übrigens die Schwester des Pick-me-Girls) und Ken als bloßes Beiwerk inszeniert, wo doch das neue Pink – zumindest im echten Leben – nicht nur eine Befreiung von veralteten Bildern zu Weiblichkeit sein soll (niemand muss mehr Anwältin, Mutter und Model zugleich sein), sondern darüber hinaus alle Formen von binären Genderstereotypen unterlaufen soll. Auch, und vielleicht sogar allen voran, die Vorstellung von Maskulinität. Denn das ist es schließlich, was die Idee des Pick-me-Girls aufrechterhält. Barbiecore ist Teil dieser unterlaufenen altmodischen Männlichkeit, ob in Harry Styles plüschiger Bühnenästhetik oder als Daniel Craig, der zur letzten Bondpremiere in einem fuchsiafarbenen Samtanzug erschien. Nicht zuletzt deshalb ist die Gleichsetzung des Barbiecores mit der Hyperfeminität, die man nun in zahlreichen Rezensionen liest, unzureichend.

Ab hier Spoiler-Warnung zum Film.

Ken muss also mindestens mit der Inszenierung seiner reinen Männlichkeit hadern, wenn Greta Gerwigs Film zeitgemäßen Feminismus porträtieren will. Und der Film muss clever mit dem Übertritt in die “echte Welt” arbeiten, den Barbie vollziehen muss, nachdem sich ihre Fersen absenken und sie plötzlich – statt wie sonst elegant schwebend – plump von ihrer Veranda neben ihr Cabrio zu Boden fällt. So verkündet es ihr zumindest die “weird Barbie”, die die Rolle eines Orakels einnimmt. Barbie müsse nun wählen, heißt es, zwischen ihrem alten, sorglosen Leben im Barbie-Matriachat (sie hält symbolisch einen pinkfarbenen Stiletto in die Höhe) und der Rettung des Mädchens, das im echten Leben (symbolisiert durch eine dunkelbraune Birkenstock-Latsche)  mit ihr spiele. Denn die seltsamen Vorkommnisse samt flacher Fersen, seien ein unweigerliches Indiz, dass es besagtem Mädchen im echten Leben nicht gut ginge. 

David Pfeifer vermutete bereits im September 2022 in der SZ, was hinter diesem Plot-Kniff stecken könnte: “Barbie muss Barbieland aufgrund ihrer Makel verlassen und stellt in der echten Welt fest, wie wenig äußere Schönheit bringt, wenn es drinnen nicht stimmt.” Das wäre – nicht nur für die Idee des Barbiecores, sondern auch aus feministischer Sicht – mehr als enttäuschend in seinem über simplifizierten Gegensatz von äußerer Ästhetik und inneren Werten. Und zum Glück kommt es im Film auch nicht zu dem vereinfachten Dualismus zwischen echter Welt und Barbieland – ebenso wenig, wie er sich darauf festnageln will, dass Barbie eine feminstische Heldin ist. 

Noch keine drei Minuten des Films sind vergangen, da hört man bereits Helen Mirren als Erzählerin sehr überspitzt formulieren, dass Barbie wirklich jedes Problem gelöst habe, das Frauen in der realen Welt so haben. Und wir gehen mit diesem schmunzelnden Bewusstsein in den Film, dass Barbie vielleicht eine Idee sein kann, aber eben auch nicht mehr als das. Unter diesen Vorzeichen begleiten wir sie dabei, wie sie in der echten Welt auf den CEO von Mattel und Entscheidungsträger über die neuen Barbies trifft, die auf den Markt kommen sollen und der es nicht für nötig erachtet, Frauen in seinem Führungsstab zu haben. Wir sehen, wie Ken in der echten Welt zum ersten Mal den für sich süßen Nektar des Patriarchats schmeckt – und ihn direkt mit ins Barbieland nimmt, um mit allen anderen Kens eine cowboyeske Parallelgesellschaft zu erschaffen. Und wir sehen, wie Barbie Barbieland von den Einflüssen der echten Welt wieder befreien will. 

Ob diese echte Welt gerettet wird, darum ging es nie – ebenso wenig darum, dass Barbie ihren Glamour ablegen muss, um das Patriarchat zu bekämpfen. Vielmehr war es die Rettung von Barbieland und der Idee Barbie, der sich “Stereotypical Barbie” annehmen muss, um dem sehr natürlichen, ernüchternden Prozess des Erwachsenwerdens als Frau entgegenzutreten. Sehr im Modus des Kindes auf der Schwelle zum Jugendalter ist es schließlich der Gedanke an den Tod, der Barbies erste Verbindung mit der echten Welt eröffnet, in der die Männer regieren und die Erfinderin der Barbie, Ruth Handler, nur noch in einem abgeschiedenen Zimmer in der Traumfabrik Mattel an einem kleinen Küchentisch vor sich hin denkt. 

Barbie als feministische Befreierin hat in diesem ernüchternden Prozess keinen Platz mehr, das macht ihr das Mädchen in der echten Welt schnell klar, die schon seit Jahren nicht mehr mit Barbie spiele, ebenso wie die Idee der reinen Männlichkeit, nicht mit Barbieland vereinbar ist, in dem nach der patriarchalen Kenifizierung Präsidentinnen-Barbie, Nobel-Preis-Barbie und Co. nur noch eisgekühlte Getränke servieren. Man ahnt es bereits in den ersten Szenen, lange vor dem finalen Kampf, der eigentlich ein Dance-Battle der Kens ist, dass in der Befreiung der Kens ein zentraler Schlüssel der neuen Barbie-Idee liegen muss, die zu Beginn des Filmes nur dann zusammenkommen, wenn es darum geht, Macht gegeneinander zu markieren. Der andere elementare Bestandteil der Überdauerung der Barbie-Idee kommt, wie sollte es auch sonst sein, von der einzigen Person in der Geschichte, die noch aktiv mit Puppen spielt, ihre Geschichten weiterdenkt und Barbie in ihren Mode-Skizzen neue Kostüme zurechtschneidert. Ihr Vorschlag: die Entwicklung einer “ordinary barbie”, die, so die menschliche Protagonistin des Filmes, einfach nur durch ihren Tag kommen will, vorzugsweise in einem cuten Top – also quasi die Anti-Girl-Boss-Barbie. Das ist alles sehr viel besser als die Vorstellung, dass Barbie in der echten Welt erkennen muss, dass ihre Barbie-Welt nichts als Schaum und Traum ist – und es wäre der natürlichen Bewegung von Kindheitsträumen und dem Identifikationsspiel mit Puppen auch nicht gerecht. 

Wenn der Film allerdings dieselbe Bewegung machen würde, wie der Barbiecore Trend, dann wäre es nicht Barbieland, was gerettet werden müsste, sondern es wäre Barbie, die, mit all ihrer Widersprüchlichkeit und pinkem Glitzer, die echte Welt rettet. Und Barbie würde, wenn sie sich zuletzt entscheidet, lieber in der echten Welt zu leben, auch nichts von ihrem Glitzer oder Make-up einbüßen müssen, wie sie es leider im Film letztlich tut. Über diese Enttäuschung tröstet dann leider auch nicht mehr das verkitschte Gespräch mit Ruth Handler hinweg, die ihr Dea ex Machina nach der Rettung des Barbielands begegnet, um ihr die Absolution zu erteilen, ein ordinäres Leben mit all seinen Höhen und Tiefen in der echten Welt zu leben. Nicht nur wird in dieser Szene ein durch und durch unangenehmer Mutter-Komplex auf den Plan gerufen, das Publikum wird außerdem noch einmal daran erinnert, dass der Film, so viel an ihm in feministischer Hinsicht aufgehen mag, auch zur aktiven Neuschreibung der Firmengeschichte Mattels durch die Inszenierung der Gründerin als sanftmütige Gerechtigkeitskämpferin dienen soll. 

Zumindest rettet “Steretypical Barbie” – im Kollektiv mit den anderen Barbies wohlgemerkt – Barbieland vor den Einflüssen des Patriarchats, das Ken aus der echten Welt miteingeschleppt hat. Die Erkenntnis, die das Kenoversum schließlich zum Bröckeln bringt, besteht darin, dass Ken (oder die Männlichkeit) nicht als Einheitsbrei funktionieren muss, sondern von der Vielzahl der individuellen Kens lebt, die die Kenergy aktiv selbst gestalten können. Und ganz am Ende bekommen die Barbiecore-Feminst:innen doch noch ein kleines metaphorisches Versöhnungsgeschenk-Geschenk in der echten Welt, wenn die ursprüngliche Wahl zwischen pinken Stilettos und Birkenstocks in Margot Robbies letztem Kostüm des Filmes in pinkfarbenen Glitzer-Latschen aufgelöst wird. Ganz so als sollten wir mit der Botschaft den Kinosaal verlassen, die auch Barbiecore mitliefert, nämlich dass wir – die Feminist:innen der Gegenwart – uns nicht entscheiden müssen zwischen einem glamourösen Leben und dem politischen Kampfgeist – beides geht zu gleichen Teilen und miteinander vielleicht sogar noch besser als vorher.

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Im Western nichts Neues? Zur Aktualität eines Genres, das es in Deutschland schwer hat. 

von Oliver Pöttgen

Wenn ich Leute frage, ob sie Western mögen, winken sie oft ab. „Filme von Männern über Männer auf Pferden.“, spottete meine Freundin neulich, als ich vorschlug, die Serie Django zu schauen. Das Genre hat es gerade in Deutschland nicht leicht: Das Wort „Western“ ruft hier ein assoziatives Gemisch hervor, in dem sich Karl May, Bully Herbig, Bud Spencer oder Clint Eastwood und die Macho-Welt der Italo-Western versammeln. Ein Sammelsurium aus Winnetou, Der Schuh des Manitu, Vier Fäuste für ein Halleluja oder Spiel mir das Lied vom Tod. Im Osten Deutschlands kommen als Erbe des DDR-Kinos noch die sogenannten „DEFA-Indianerfilme“ hinzu, wie Spur des Falken oder Tödlicher Irrtum, denen zugutezuhalten ist, dass sie mit antikolonialistischem Ansatz die Perspektive von Nordamerikas Ureinwohner*innen ins Zentrum ihrer Erzählungen rückten. 

In dieser Gemengelage sind besonders die Karl-May-Stoffe ein Problemfeld, das mittlerweile auch politisch aufgeladen ist, wie 2022 die Winnetou-Debatte zeigte. Karl May und seine Geschichten aus fernen Regionen scheinen für manche ein Nationalschatz zu sein, der, um in der Sprache des Genres zu sprechen, bis aufs Messer verteidigt werden muss – gern auch im Winnetou-Kostüm. Als stünde die eigene, oft verklärte Kindheit am Pranger und als wäre die Unschuld sonntäglicher TV-Nachmittage bedroht, als Der Schatz im Silbersee im ZDF gezeigt wurde und der Winnetou-Darsteller Pierre Brice einer der größten Stars in Deutschland war. Als es noch kein Gendersternchen und keine oder wenig Kritik an diskriminierenden Begriffen gab; als Frauen noch von männlichen Helden gerettet werden mussten und unter den Glorreichen Sieben nur weiße Männer waren.

Western und ihre Ästhetiken haben Konjunktur

Hierzulande scheint der Western, gerade durch die Strahlkraft der Karl-May-Filme, ein Genre für die Boomer-Generation zu sein, das mitunter reaktionäre Fantasien bespielt oder zumindest durch solche vereinnahmt wird. „Winnetou würde AfD wählen.“, stand im September 2022 auf einem AfD-Banner. Ein solches Bild vom Western und seinen narrativen Welten verstellt den Blick darauf, dass sich in dem Genre in den vergangenen Jahren viel getan hat. Das „über die Maßen resiliente“ Western-Genre erlebt, nicht zum ersten Mal, ein Revival, auch abseits des Mediums Film. [1] Geradezu symbolhaft für das Revival des Westerns steht, dass der kürzlich verstorbene Schriftsteller und Pulitzer-Preisträger Cormac McCarthy vor seinem Tod noch ein Drehbuch zu seinem Western-Epos Blood Meridian schrieb und auch ausführender Produzent des geplanten Films sein sollte. Frühere Versuche der Verfilmung des bereits 1985 erschienenen Romans waren stets gescheitert.

Die Gründe für dieses Revival mögen mit, seit den Trump-Jahren sehr deutlich sichtbaren, soziopolitischen Entwicklungen in den USA zusammenhängen. Die Republikanische Partei radikalisiere sich immer mehr und stürze in den Faschismus ab, schreibt die USA-Expertin Annika Brockschmidt. Der Kampf zwischen Altem und Neuem tobt zur Zeit gerade dort besonders heftig – und ist ein wichtiges Thema von Western-Erzählungen. Historisch war der Western für die USA oft Medium zur Vermittlung und Verhandlung nationaler Geschichte und Identität. Er gilt als Nationalmythos und in einer sehr weißen Perspektive auf die Geschichte Nordamerikas als „ur-amerikanisch“. Western-Geschichten sind als Mittel US-amerikanischer Identitätsverhandlung etabliert und können deshalb besonders geeignet dafür sein, auch die US-Gegenwart erzählerisch zu verarbeiten. Über soziokulturelle Millieugrenzen hinweg kann das Genre Antworten auf die Frage „Wie wollen wir sein?“ liefern.

Medienübergreifend hat jedenfalls die Zahl der Veröffentlichungen zugenommen, die sich eindeutig als Western kategorisieren lassen oder die Anleihen im Genre nehmen und audiovisuell mit Western-Ästhetiken oder erzählerisch mit Western-Themen spielen. Solche Themen sind etwa die pionierhafte Eroberung neuer Lebenswelten und deren Ausbeutung, das Ringen des Menschen mit den Kräften der Natur oder das Streben des Individuums nach Besitz und Selbstbestimmung in einem „sozial immer prekären Raum.“ [2] Zu den prominentesten Beispielen für Western-Einflüsse zählen zwei der aktuell erfolgreichsten Serien: The Last of Us und The Mandalorian. Besonders in The Mandalorian sind die Anleihen so deutlich, dass die in der Star-Wars-Welt angesiedelte Serie als Weltraum-Western gilt. Eine Hauptrolle in beiden Serien spielt Pedro Pascal, der bald auch in dem Kurzfilm-Western Strange Way of Life zu sehen sein wird, an der Seite von Ethan Hawke und unter der Regie von Pedro Almodóvar. Der Film wird als queerer Western vermarktet, als Almodóvars Antwort auf Ang Lees Brokeback Mountain (2005), der von der Liebe zwischen zwei Cowboys erzählt. Um Homosexualität unter Männern und Männlichkeitsbilder geht es auch in The Power of the Dog (2021) mit Benedict Cumberbatch und Kirsten Dunst. Der Film lässt sich als revisionistischer Western lesen und sei ein Beispiel für den „wider trend of women reinventing the Western“, schreibt der Filmkritiker Eric Kohn. Autorin und Regisseurin des Films ist Jane Campion.

Weitere bekannte Schauspieler*innen, die sich in den vergangenen Jahren am Western-Genre versucht haben, sind Matthew McConaughey (Free State of Jones, 2016), Jessica Chastain (Woman Walks Ahead, 2017), Christian Bale (Hostiles, 2017) oder Rachel Brosnahan (Dead for a Dollar, 2022). In letzterem spielen auch Willem Dafoe und Christoph Waltz mit, der schon in Quentin Tarantinos Django Unchained (2012) auftrat. Die Altstars Anthony Hopkins und Ed Harris sind in Westworld (seit 2016) zu sehen: Die Serie ist, vor allem in den ersten zwei Staffeln, ein Sci-Fi-Western, in dem Besucher*innen eines gigantischen Western-Parks mit sehr vermenschlichten Androiden „Wilder Westen“ spielen können. Kevin Costner, der mit Dances with Wolves (1990) wohl einen der bekanntesten Western-Filme geschaffen hat, spielt seit 2018 eine Hauptrolle in der Neo-Western-Serie Yellowstone. Sie verhandelt Western-Themen in der Gegenwart und wird von manchen als reaktionär wahrgenommen, als „celebration of the old’s ruthless fight to retain what it has, and believes in“. An Yellowstone lässt sich das Western-Revival besonders deutlich festmachen. Ihr Erfolg hat bisher zu nicht weniger als drei Spin-off-Serien geführt: 1883 und 1923 sind bereits erschienen, 6666 könnte 2024 folgen. In den Spin-offs spielen unter anderem Helen Mirren, Harrison Ford und Sam Elliott mit.

Hart an der Grenze

2017 sorgte die Mini-Serie Godless für Aufsehen, weil sie von Netflix als feministischer Western beworben wurde. „Frauen können im Western niemals Helden sein. Das würde das Ende des Genres bedeuten.“, schrieb 1988 die Filmhistorikerin Pam Cook. [3] Bereits damals mag dieses Urteil etwas zu rigoros ausgefallen sein, schließlich nennt Cook selbst einige Filme, für die sie zumindest Ansätze weiblicher Held*innenschaft verzeichnet, wie Calamity Jane (1953) oder Hannie Caulder (1971). Das zentrale Kriterium für wirkliche Held*innenschaft scheint in Cooks Augen zu sein, inwiefern weibliche Figuren bis zum Schluss der Erzählungen tradierte Geschlechterrollen übertreten  dürfen, ob die Revolverheldin Revolverheldin bleibt oder schließlich doch zur Hausfrau und Mutter wird. Das ist eine, auch für Western, sehr diskutable Sicht auf Held*innenschaft, erklärt aber, warum es für Cook bis 1988 nur einen Western gegeben haben dürfte, bei dem sie zweifelsfrei von einer Heldin sprechen würde: Johnny Guitar (1954; mit Joan Crawford). Es sei der Film, mit dem „Hollywood einem feministischen Western am nächsten kam.“ [4] Sein deutscher Titel hat den Zusatz „Wenn Frauen hassen“, was wohl auf die vermeintliche Unerhörtheit dieses Zustands anspielen sollte.

US-Filmplakat für Johnny Guitar (1954)

Die Netflix-Serie Godless jedenfalls zeigt, wie vor ihr auch schon The Quick and the Dead (1995; mit Sharon Stone) oder Bandidas (2006; mit Salma Hayek und Penélope Cruz), dass Frauen sehr wohl Western-Heldinnen sein können – selbst wenn sie in Godless, wie bemängelt wurde, nicht ohne die Hilfe von Männern auskommen. Aus feministischer Sicht ist allein schon der große shoot-out bemerkenswert, bei dem Frauen ihren Ort gegen den Angriff einer Bande verteidigen. Western sind oft auch Action-Filme, manche mehr, andere weniger, und was Godless hier bietet, muss sich vor Sam Peckinpahs Genre-Klassiker The Wild Bunch (1969) nicht verstecken. Inwiefern Feminismus und todbringende Gewalt vereinbar sind, ist eine andere Frage. Sie stellt sich aber weniger, wenn Gewalt, wie hier, der Selbstverteidigung dient.

Western-Erzählungen haben also wieder Konjunktur. Sie waren zwar nie wirklich weg, wie auch die mitunter shakespearesk anmutende Serie Deadwood (2004-2006) zeigt, aber seit einigen Jahren blüht das Genre wieder besonders auf. Das gilt nicht nur für Filme oder Serien, auch bei Videospielen, hier sei vor allem Red Dead Redemption 2 (2018) genannt, und nicht zuletzt in der Belletristik ist eine Zunahme von Werken zu verzeichnen, die sich als Western ausgeben oder in denen Western-Einflüsse deutlich werden.

Für letzteres ist Robert Harris’ Roman Act of Oblivion (2022) ein Beispiel. Er spielt zwar im 17. Jahrhundert und an der Ostküste Nordamerikas, also in einer anderen Zeit und an einem anderen Ort, als Western es für gewöhnlich tun. Westernesk sind aber die Flucht der Hauptfiguren und die Jagd nach ihnen, ihr Verstecken und ihr Überlebenskampf in der Wildnis und an der besiedelten Grenze zu Gebieten, in die die Kolonialmächte noch nicht vorgedrungen waren – oder, um ein Schlüsselwort des Western-Diskurses aufzugreifen: an der Frontier. Hier zeigen sich Parallelen zu Filmen wie The Last of the Mohicans (1992) oder The Revenant (2015; mit Leonardo diCaprio), die zeitlich und örtlich ebenfalls nicht im „Wilden Westen“ spielen, aber mit ähnlicher Ästhetik und Erzählweise dieselben Themen haben wie Western, deren Geschichten sich genretypischer ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in westlichen Bundesstaaten der USA entfalten.

Es tut sich allerdings nicht nur quantitativ etwas, auch qualitativ ist einiges im Gang. Das Western-Genre entwickelt sich inhaltlich weiter und scheint sich dabei, zumindest in Teilen, erstaunlich gut mit Gegenwartsthemen verbinden zu lassen. Vielleicht würden nicht wenige, die das Genre bisher als altbacken wahrgenommen haben, staunen, was in Western-Erzählungen heute passiert. Für konservative und rechtsreaktionäre Rezipient*innen war das Genre lange Zeit ein sicherer Hafen, weil es ihre Sicht auf die Ordnung der Welt nur selten gestört hat. Stattdessen würde man sich heute nicht über US-Republikaner*innen wundern, die sich darüber echauffieren, der Western sei „woke“ geworden. 

Wenn Schwarze Öl finden: Western als Geschichten nicht-weißer Ermächtigung

Die Serie Django wurde im Februar 2023 auf Sky veröffentlicht und ist ein prägnantes Beispiel für Western-Serien, die aktuell auf Streaming-Plattformen laufen. Weitere sind Hell on Wheels (2011-2016), The Ballad of Buster Scruggs (2018) oder The Head Of Joaquín Murrieta (2023). Laut Sky ist Django eine „zeitgemäße Neuinterpretation“ der Django-Filme, die zu den bekanntesten Italo-Western zählen. Deren Hauptdarsteller Franco Nero hat in Django einen Gastauftritt als Priester. Die Figur des Django spielt Matthias Schoenaerts.

Noomi Rapace und Nicholas Pinnock in der seit Februar 2023 auf Sky laufenden Serie Django, © 2021 Cattleya Srl

Bemerkenswert ist Django im Rahmen dieses Textes vor allem, weil die Serie hinsichtlich Machtverhältnissen zwischen Geschlechtern und zwischen Hautfarben in Western ein Novum darstellen dürfte: Im Mittelpunkt steht kein Konflikt zwischen (weißen) Männern, sondern zwischen einem Schwarzen (John Ellis, gespielt von Nicholas Pinnock) und einer Weißen (Elizabeth, gespielt von Noomi Rapace). Als Patriarch und Matriarchin stehen sie ihren Familien und Gemeinden vor und sind ausgesprochene Machtmenschen. Das gilt besonders für Elizabeth, die als mehrdimensionale Bösewichtin angelegt ist, also einen Part einnimmt, der in Western meist männlichen Figuren vorbehalten war. Waffenkundig wie sie ist, lässt sie nicht nur töten, sondern tötet auch selbst. Sie ist eine christliche Fanatikerin, Rassistin und Anhängerin der Südstaaten, die kurz zuvor den Bürgerkrieg verloren haben. John Ellis hat darin als Offizier auf Seiten der Nordstaaten gekämpft, was auch in der US-Flagge zum Ausdruck kommt, die am Tor seiner Siedlung New Babylon in Texas weht. Hingegen flattert im Ort, den Elizabeth kontrolliert, die Flagge der Südstaaten. Ellis hat New Babylon, das an ein westerntypisches Fort erinnert und somit als Symbol für das Leben an einer Grenze steht, als Enklave für Ausgestoßene gegründet und führt es mit seinen Söhnen. Das als gesellschaftliche Utopie und idealisierte USA im Kleinen lesbare New Babylon ist Elizabeth ein Dorn im Auge, umso mehr, als dort Öl gefunden wird.

In Django sind Schwarze nicht nur Western-Helden, die weiße Banditen töten, sie haben auch Öl. Sie haben den Rohstoff, der ein Symbol für Macht und eine Quelle weißen Reichtums und nationalen Wohlstands der USA ist. Die Szene, in der plötzlich Öl aus dem Bohrloch schießt und auf Schwarze niederregnet, dürfte eine der erinnerungswürdigsten Öl-Fund-Szenen der Western-, wenn nicht Filmgeschichte sein. Ganz besonders diese Szene symbolisiert in Django, dass Western keine Geschichten mit vorwiegend weißen Held*innen mehr sind oder sein müssen. Schwarze als Hauptfiguren in Western sind zwar nicht völlig neu, siehe etwa Unforgiven (1992) oder die Blaxploitation-Western der 1970er-Jahre, bemerkenswert aber ist, gerade im Spiegel heutiger Machtverhältnisse zwischen Weißen und Schwarzen, mit welcher Macht Schwarze in Django versehen sind und mit welcher Wucht sie als Kollektiv ihren Interessen nachgehen.

Queer mit Colt: Western als Widerstandserzählung für Marginalisierte 

Weitere Beispiele für die in Django sichtbare Diversifizierung von Figuren und Themen in Western-Erzählungen sind die Romane Outlawed (2021) von Anna North und The Thousand Crimes of Ming Tsu (2022) von Tom Lin. Für beide Romane sind Umsetzungen als TV-Serie geplant. Outlawed lässt sich als queerfeministischer Western lesen, der Diskriminierungs- und Gewalterfahrungen heterosexueller cis Frauen mit denen queerer Figuren zusammendenkt. So eine Figur ist besonders „The Kid“, der*die als nicht-binär erzählt wird und Anführer*in der Bande ist, der sich Ada, die weibliche Hauptfigur, anschließt. Die Gruppe hat in der Wildnis ein Lager, das als safe space dient, als Schutzort für Ausgestoßene, die geschlechtlichen oder sexuellen Normen der Dominanzgesellschaft nicht entsprechen und verfolgt werden. Davon besonders betroffen sind gebährfähige Menschen, die sich der Fortpflanzung und der Mutterrolle verweigern. Die Geschichte kommt ohne Bösewicht*in in Form einer Figur aus: Die Bösewichtin ist, wenn man so will, die Dominanzgesellschaft, das Patriarchat, verkörpert insbesondere durch Sheriffs. 

Im Kleid des Westerns verhandelt Anna North in Outlawed sehr aktuelle Themen, wie ein Blick auf Entwicklungen in (nicht nur) den USA hinsichtlich Abtreibungsrecht oder Anti-Transgender-Politik zeigt. Dabei erzählt sie Marginalisierte nicht bloß als Opfer, sondern als Handelnde, als sich Organisierende und Wehrende, notfalls mit Waffen. Outlawed ist eine Geschichte über erfolgreichen, wenn nötig gewaltsamen Widerstand gegen Diskriminierung und Verfolgung, eine Geschichte über Ermächtigung und Überleben. Im Kontext gegenwärtiger politischer Ereignisse mag dieser Western ein Mutmacher für Marginalisierte sein. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch, wie sehr sich Outlawed und andere Western heute als Polizeikritik deuten lassen. Teils wirkt es, als führten die Debatten um polizeilichen Machtmissbrauch, Rassismus und Polizeigewalt zu einer in dieser Hinsicht kritischeren Darstellung von Western-Sheriffs.

„I’m not your Chinaman“: Western als Medium des Anti-Rassismus

Von Ermächtigung und Widerstand erzählt auch The Thousand Crimes of Ming Tsu. Im Roman von Tom Lin geht es um den Auftragskiller Ming Tsu, der chinesischer Abstammung ist und sich auf einen Rachefeldzug begibt, um seine weiße Frau, die er entführt wähnt, zu retten. Von Interesse ist neben der, wie bei Outlawed, hohen literarischen Qualität des durch magischen Realismus geprägten Romans auch seine Hauptfigur Ming Tsu. Mit ihr eignet sich Tom Lin als nicht-weißer Autor ein Genre an, das lange Zeit als sehr weiß galt. Zudem trägt er dazu bei, die Geschichte chinesischer Immigrant*innen und ihrer Nachkommen in den Nationalmythos der USA einzuschreiben.  

Ming Tsu ist als Kommentar gegen anti-asiatischen Rassismus lesbar. Die Figur bricht mit teils immer noch üblichen, klischeehaft-rassistischen Bildern von männlichen US-Amerikanern, die sich als chinese-american oder asian-american identifizieren. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gab es solche Begriffe noch nicht; im Roman fällt als Fremdzuschreibung oft der (abwertende) Ausdruck Chinaman. „I’m not your Chinaman.“, fährt Ming Tsu den Direktor an, der ihn als Begleitschutz für seine Zirkustruppe engagiert hat.

Der Bilderbruch besteht bei der Figur Ming Tsu darin, dass sie kein schwächlicher Nerd, namenloser Eisenbahn-Arbeiter oder durchtriebener Opportunist wie Mr. Wu in Deadwood ist. Ming Tsu ist mit Eigenschaften versehen, die vor allem weißen Western-Helden zugestanden wurden und werden. Er ist eine Kampfmaschine, die sich durch die Lande schießt; kaum ein Gegenspieler ist ihm gewachsen. Dabei bedient er sich – auch das ist ein Bruch mit Stereotypen – keiner ostasiatischen Kampfkunst, wie die Figur „Shanghai Joe“ in dem Italo-Martial-Arts-Western Der Mann mit der Kugelpeitsche (1974; italienischer Originaltitel: Il mio nome è Shanghai Joe), sondern nutzt Schusswaffen. Er ist ein Meister im Umgang mit ihnen und pflegt sie mit Liebe und Respekt. Damit macht sich die Figur ein Merkmal weißer Männlichkeit in den USA zu eigen, eines, auf dessen Ausbildung Western-Erzählungen signifikanten Einfluss gehabt haben dürften. Daneben ist Ming Tsu auch prinzipientreu, Liebhaber (weißer Frauen) und Ersatzvater; zudem zeichnen ihn Momente der Reue und Reflexion aus. Hier werden Spuren verletzlicher Männlichkeit sichtbar, die auch in der Serie Django eine Rolle spielt, etwa bei der Verarbeitung von Kriegstraumata oder der erotischen Annäherung zwischen Django und einer männlichen Nebenfigur.

Im Western viel Neues – aber wo sind die Ureinwohner*innen?

Bündelt man obige Eindrücke, spricht einiges dafür, dass das oft als wertkonservativ wahrgenommene Western-Genre eine Frischzellenkur durchläuft und seinen Weg in ein Heute findet, das um Inklusivität und ein anderes Verständnis von Männlichkeit bemüht ist. Die beschriebenen Phänomene sind zwar keine gänzlich neuen, haben sich in den zurückliegenden 10 Jahren aber verdichtet. Die Merkmale „weiß“ und „männlich“ sind heute bei Hauptfiguren (und Autor*innen von Western-Geschichten) weniger häufig anzutreffen und es ist zu beobachten, dass das Bewusstsein für die, historisch immer schon gegebene, Vielfalt menschlicher Sexualität und Geschlechtsidentitäten auch in Western-Erzählungen vermehrt Einzug hält. Hier zeigt besonders Outlawed von Anna North, wie kompatibel Queerness und Western-Narrative sein können, gerade hinsichtlich Themen wie der Behauptung gegenüber Autoritäten und dem Überleben in feindlich gesinnter Umwelt. 

In einem Bereich allerdings hat sich im Vergleich eher wenig getan: Die Repräsentation von Nordamerikas Ureinwohner*innen hat sich ab 1990, als Dances with Wolves hier neue Maßstäbe setzte, zwar deutlich verbessert, indigene Hauptfiguren sind aber nach wie vor selten. Und wenn es sie gibt, sind sie oft mit Veteran*innen wie Wes Studi besetzt, der vor allem durch seine Rollen in Geronimo (1993), Dances with Wolves, The Last of the Mohicans und zuletzt Hostiles der international bekannteste Darsteller indigener Charaktere in Western sein dürfte. Die Serie Yellowstone startete 2018 mit dem Anspruch, auch ein „authentic portrayal of Native life in America“ zu liefern. Nach nunmehr fünf Staffeln scheint das jedoch nur bedingt gelungen zu sein. Für Craig Falcon, Angehöriger der Blackfeet Nation in Montana und kultureller Berater bei The Revenant, ist Yellowstone ein Rückschritt: „We have a giant full-blood Native population here, but casting people and movie directors aren’t tapping into that population.“ Der Hollywood Diversity Report weist auch für 2022 einen verschwindend geringen Anteil indigener Menschen aus, die an der Produktion von Filmen und Serien beteiligt sind.

Es bleibt zu hoffen, dass das gegenwärtige Western-Revival dazu beiträgt, diese Situation zumindest etwas zu verbessern. Längst überfällig ist zum Beispiel eine Serie, die die Kolonialisierung des Westens der USA aus Sicht von Ureinwohner*innen erzählt. Als Genre hat der Western bei ihnen nach wie vor viel gutzumachen: „Aus der Vielfalt [indigener] Kulturen und Nationen, die in einem steten Austauschprozess begriffen waren, im Mittelpunkt einer ‚eigenen‘ Geschichte, wurde das statische Wesen [‚Ureinwohner*in‘], seiner Geschichte und Identität beraubt und zu einer Randerscheinung in der Geschichte der Weißen.“ [5]

[1] Anja Peltzer, Jörn Ahrens: Der Western der Gegenwart. Eine Einleitung, in: Anja Peltzer, Jörn Ahrens (Hrsg.): Politik der Grenze. Interdisziplinäre Perspektiven auf die Frontier im Western der Gegenwart, Halem, Köln, 2021, S. 7-26, S. 9.

[2] Ebenda, S.10. 

[3] Pam Cook: Frauen und der Western, in: Bert Rebhandl (Hrsg.): Western. Genre und Geschichte, Zsolnay, Wien, 2007, S. 82-92, S. 88.

[4] Ebenda, S. 90.
[5] Georg Seeßlen: Filmwissen: Western. Grundlagen des populären Films, Schüren, Marburg, 2011, S. 12. Im Zitat wurde an zwei Stellen ein aus Kolonialzeiten stammender Begriff ersetzt, der heute als diskriminierend gilt und von den Gemeinten abgelehnt wird.

Bild: ha11ok auf Pixabay

Weiße Blicke brechen – Die „Arielle-Debatte“ und Potenziale des conscious casting

von Katharina Walser

Es ist der 11.09.22, ein Teaser erscheint auf YouTube, Twitter und Instagram User*innen vergessen für einen Moment den Tod der Queen of England, denn scheinbar gibt es einen neuen Skandal: In Disneys Live-Action Arielle, der 2023 erscheinen soll, wird die kleine Meerjungfrau von Halle Bailey gespielt, einer Schwarzen Sängerin. 

Unter dem Hashtag #notmyariel führen aufgebrachte Personen daraufhin im Internet einen erbitterten Kampf gegen die angebliche Zerstörung ihrer heißgeliebten Kindheitserinnerungen, bzw. gegen die Bedrohung ihrer weißen Bubble. Diese Empörung ist alles andere als neu, man kennt sie aus den Reaktionen auf die ersten beiden Staffeln von Bridgerton oder auf die Veröffentlichung von Netflix’ Persuasion. Auch im Moment ist Halle Bailey als Arielle nicht das einzige Ziel eines rassistischen Feldzugs, der in den Sozialen Medien gegen das Casting von Schwarzen Personen in Remakes und Prequels zuvor ausschließlich weißer Filme und Serien geführt wird. Nicht nur unter dem Meer oder in der britischen Aristokratie des 19. Jahrhunderts, sondern auch in Mittelerde und Westeros, den Fantasywelten von Tolkien und George R.R. Martin, wollen diese Personen keine BIPoCs sehen. Folglich versuchen sie, die rassistische Willkür ihrer Ansichten mit biologistischen Argumenten zu legitimieren.

TikToker*innen und Youtuber*innen, vor allem weiße Männer, erklären ihren Zuschauer*innen aufgebracht, Arielle könne gar nicht Schwarz sein, weil sich eine solche Pigmentierung unter Wasser so gar nicht entwickeln könne. Oder sie beharren versessen auf Arielles vermeintlich dänischer Nationalität, als gäbe es keine Schwarzen Däninnen. Dabei wird zudem ignoriert, dass Die kleine Meerjungfrau (Disney 1989) zwar auf der Märchen-Version des dänischen Schriftstellers Hans Christian Andersen beruht, dieser aber in seinem Text weder das Unterwasser-Königreich national verortet, noch der “Erfinder” der Figur Arielle ist. Seine kleine Meerjungfrau ist lediglich ein Kondensat von Fragmenten verschiedener jahrhundertealter Sagen um mystische Wasserwesen, deren Varianten bereits in frühen assyrischen Legenden und in der griechischen Mythologie auftauchen. 

Kurz: Die Verfechter*innen eines erzählerischen Realismus verstehen das Konzept einer Adaption nicht, bzw. wollen es nicht verstehen. Schon Disneys erste – weiße – Arielle mit ihrem heteronormativen Happy End hatte wenig mit Andersens schauriger Erzählung zutun, in der die kleine Meerjungfrau bei jedem Schritt an Land das Gefühl durchleben muss, als würde sie auf tausend Messern wandeln, während sie darauf wartet, dass sie die Liebe eines Mannes von ihren Schmerzen befreit. Dieser verliebt sich jedoch in die Prinzessin des Nachbarlandes, woraufhin sich die kleine Meerjungfrau in Meeresschaum auflöst und ihr Dasein fortan als Meeresgeist fristen muss. Disney hat sich also schon immer bestenfalls Inspiration bei klassischen Märchen-Texten gesucht und diese in eine heile (meist weiße) Normwelt nach US-amerikanischen Standards eingebettet und vor allem kindgerecht angepasst – andernfalls hätte auch Tangled, Disneys Version des Grimmschen Rapunzels, eine Altersfreigabe ab 16 erhalten müssen.

So amüsant manche Tweets sind, in denen die Verfechter*innen dieser biologistischen und nationalistischen Beiträge, die auf einer weißen Arielle beharren, darauf hingewiesen werden, wie absurd es ist, Realismus ausgerechnet in einer Geschichte zu suchen, in der neben einer Meerjungfrau auch sprechende Meerestiere und eine Hexe auftreten, müsste man soweit überhaupt nicht gehen. Denn wer auch nur ein wenig Ahnung von fiktionalen Erzählungen hat, sollte erkennen, dass Arielle keine Dokumentation und auch kein Biopic einer historischen Person ist. Die Verweigerung das anzuerkennen zeigt, dass es in diesen Realismusdebatten eben nicht um die Wahrung eines ursprünglichen Stoffes geht – weshalb die Teilnehmenden vermutlich auch immun gegen solche Hinweise zur fiktionalen Adaption sind – was schon klar wird, wenn man sich vor Augen führt, dass es niemanden auch nur ein Müh interessiert hat, als die britischen Schauspielerinnen Lily James und Emma Watson, Cinderella und Belle auf der Leinwand zum Leben erweckten – zwei Figuren, die in Frankreich groß geworden sind.  Die Untertöne verzweifelter Bemühungen der #notmyariel Fraktion für eine Aufrechterhaltung eines ausgekochten Diskurses sind so letztlich nichts als rassistische Stammtisch-Parolen. Ihre Beiträge sind daher auch keine Kritik, sondern Hetze. 

Dabei könnte man die Casting-Entscheidung für Bailey durchaus nutzen, angebrachte Kritik zu üben. Zum Beispiel an der problematischen Erzählung von Disneys Arielle an sich, die von Dickfeindlichkeit bis Antifeminismus (Frau verkauft ihre Stimme (!) für einen Unbekannten) einiges auf den Plan ruft, was man überarbeiten sollte. 

Man könnte auch über die unzähligen Figuren der Filmgeschichte sprechen, die von weißen Schauspieler*innen verkörpert wurden, obwohl es sich ganz offensichtlich nicht um weiße Figuren handelt. Denken wir an Holly Golightlys Vermieter aus Breakfast at Tiffany’s “Mr. Yunioshi”, gespielt von Mickey Rooney, oder an neue Produktionen wie Ghost in the Shell, die “Major Motoko Kusanagi” von Scarlett Johansson spielen lässt. Schlimmer noch: auch nicht fiktive Charaktere wurden in der Filmgeschichte immer wieder whitewashed und/oder blackfaced – Elizabeth Taylor als Cleopatra, Rooney Mara als Maria Magdalena, oder Jake Gyllenhaal als Prince of Persia. Ein solches Gespräch dürfte auch nicht beim Film verstummen, sondern im Zusammenhang des Aufruhrs um Arielle auch Fehlinterpretationen von Held*innenfiguren mit größerer Tragweite in den Blick nehmen. Einige Diskurs-Teilnehmende fachen deshalb im Moment zurecht die Diskussion um weiß-gewaschene Heiligen-Bilder des Christentums neu an. Die Autorin Chelsea Sims bringt es in einem Tweet auf den Punkt, wenn sie schreibt: „“Ariel wasn’t Black” and Jesus wasn’t white. Cope”. 

Man könnte auch die Diskussion darauf lenken, dass Halle Bailey vor allem aufgrund ihrer fantastischen Singstimme dazu qualifiziert ist, Arielle zu spielen, doch all diese Themen finden keinen Platz, wo statt ausgewogener Debatte, weiße Abwehrgesten den Raum dominieren. 

Vielleicht weniger offen rassistisch als die Parolen der Bailey Gegner:innen, aber immer noch problematisch und bezeichnend für die Tiefe des Alltagsrassismus, der sich in diesen weißen Abwehrgesten gegen eine Schwarze Arielle offenbart, sind die Aussagen einiger weißer Diskurs-Teilnehmenden, die mit dem bloßen Argument: „ist doch egal was Arielle für eine Hautfarbe hat” für Deeskalation sorgen wollen. Dr. Natasha A Kelly, unter anderem Afrofuturistin und promovierte Soziologin, verweist auf Instagram darauf, dass diese Aussagen im Sinne eines anything goes nichts anderes sind als die „altbewährte Farbignoranz der weißen Welt”, welche die Tatsache herunterspielt, dass es für viele marginalisierte Gruppen durchaus einen Unterschied macht, wer Raum – und nebenbei viel Geld – einnimmt. So ist auch die Debatte rund um die Möglichkeiten eines “color-blind” Castings, abgesehen davon, dass der Begriff ableistisch ist, keinen Schritt weiter als diejenigen, die auch im Alltag gerne von sich behaupten, Hautfarben gar nicht wahrzunehmen. 

Interessanter – und auch fruchtbarer für eine zukünftige Debatte – als der Begriff und der unhaltbare Anspruch eines “color-blind” Castings könnte eine produktive Umdeutung des “color-conscious” Castings sein, als bewusst gesetzte politische Kontrapunkte durch die Besetzung. “Conscious” Casting ist die Praxis, in der die Besetzung unter Berücksichtigung der Hautfarbe, der Körperform und anderer Merkmale der Schauspielenden entschieden wird. Wenn diese Praxis rassismuskritisch betrieben wird, macht sie es möglich, (mehrfach) marginalisierten Personen bewusst dort eine Plattform zu geben, wo sie im Sinne eines weißen Blicks nicht erwartet werden. Eine Praxis, die sehr viel mehr Inklusion einlösen kann, als es der Anspruch des “blind castings” kann. Denn “blindes” oder “unvoreingenommenes” Casting ist ein Bemühen, das innerhalb eines rassistischen Systems scheitern muss, weil es die “color blindness” an sich eben nicht gibt und die Berufung auf eine solche lediglich den Unwillen zeigt, sich mit den eigenen internalisierten Rassismen auseinanderzusetzen. Innerhalb eines verantwortlichen “color-conscious” Castings wird nicht an leeren Versprechen von Unvoreingenommenheit festgehalten oder gar behauptet, dass race innerhalb von fiktionalen Stoffen keine Rolle spielen solle, sondern sinnvolle Rekontextualisierung möglich – das Ändern von Sehgewohnheiten durch bewusste Brüche. 

Was ein solch bewusst gesetzter Kontrapunkt leisten kann, davon zeugt auch eine ganz andere Art Videos neben den Kritiken, die auf TikTok, Instagram und YouTube in den Tagen nach dem Teaser-Release das Internet füllen. Kinder, vor allem BIPoC Mädchen, die mit freudigen Gesichtern und mit ebenso freudiger Überraschung auf diese neue Arielle reagieren. „Mum, she is a black girl”, „Look, she looks like me”,  rufen sie in Video-Kompilationen, die unter anderem auf dem Instagram Kanal des Rosa Mag, einem Online-Lifestylemagazin für Schwarze FLINTA*, zu sehen sind. Die Videoausschnitte zeigen, was ihr Hashtag fixiert: #represantationmatters. Und: dass die #notmyariel Verfechter:innen im Grunde mit einer Sache recht haben: Diese Figur ist nicht für sie, denn sie haben bereits genug weiße Held:innen – Held:innen, die so aussehen wie sie. Es ist Zeit für andere Geschichten, die anderen gehören und die Selbstverständlichkeit, mit der etablierte Held:innen immer weiß bleiben müssen, gehört nicht mehr in diese Zeit. Man kann also sogar sagen, dass unabhängig davon, dass es wohl einige Gründe geben kann, die Geschichte von Arielle an sich kritisch zu diskutieren, eine Schwarze Arielle wirklich das einzige ist, was an diesem Film mit Gewissheit zeitgemäß und gut sein wird. 

Photo von Nsey Benajah auf Unsplash

„Everything Everywhere All at Once“ – Der Film, der das Internet versteht

von Titus Blome

Ohne es zu erwähnen, zeichnet Everything Everywhere All At Once ein buntes doch pessimistisches Bild des Internets – und ist glorreich darin. Der SciFi-Film des Regieduos »Daniels« (Daniel Kwan und Daniel Scheinert) gibt sich als Kaleidoskop unterschiedlichster Szenerien, Charaktere und Emotionen. In rasanter Abfolge ist der Film tragisch, lustig, eklig, flach und tiefgründig. Um die halsbrecherische Geschwindigkeit und absurde Ästhetik des Films zu genießen, darf man sich nicht dagegenstemmen: Es heißt zurücklehnen und mitreißen lassen.

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Ein Mann einsam auf der Leinwand – Über Tom Cruise, Authentizität und das Altern

von Fabius Mayland

Tom Cruise begibt sich wieder vor unseren Augen in Lebensgefahr. Zuletzt, das war 2018 in Mission Impossible: Fallout, sprang er aus über 7.000 Metern Höhe aus einem Flugzeug, stürzte sich von Gebäuden und steuerte eigenhändig einen Helikopter — jetzt fliegt er einen Kampfjet, setzt sich g-Kräften aus, wie sie sonst nur Astronauten beim Wiedereintritt in die Atmosphäre oder Kunstflugpiloten kennen.

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Von kapitalistischen Vampiren und kommunistischen Gespenstern – Julian Radlmaiers Film ‚Blutsauger‘

von Lukas Betzler und Judith Niehaus

Holt die blauen Bände raus, es ist Marx-Lesekreis: Zu Beginn von Julian Radlmaiers Blutsauger, an “einem Dienstag im August 1928”, wie eine anfänglich eingeblendete Zeitangabe verrät, will eine in den Dünen sitzende Gruppe von Arbeiter*innen das achte Kapitel im ersten Band des Kapital besprechen – Absatz für Absatz. Der Arbeiter Bruno (Bruno Derksen) hat jedoch zu einer Stelle eine brennende, keinen Aufschub duldende Frage. Er zitiert:

[…] ‘Das Kapital ist verstorbne Arbeit, die sich nur vampyrmäßig’ – Achtung, darum geht’s mir jetzt – ‘die sich nur vampyrmäßig belebt durch Einsaugung lebendiger Arbeit und umso mehr lebt, je mehr sie davon einsaugt.’ Und dann ein bisschen später: ‘Die Verlängerung des Arbeitstags in die Nacht hinein … stillt nur annähernd den Vampyrdurst nach lebendigem Arbeitsblut.’ Ja und noch weiter unten steht: ‘daß in der Tat sein Sauger nicht losläßt, solange noch ein Muskel, eine Sehne, ein Tropfen Bluts auszubeuten’ ist. [1]

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Nostalgie und Culture War

von Jonas Lübkert

Nostalgie lässt einen schlimme Dinge tun: Batman v Superman schauen zum Beispiel. Der Film gilt sowohl unter Kritikern*innen als auch Fans als misslungen. Auf der Plattform Rotten Tomatoes ist er aktuell bei 29 Prozent und hat einen Audience Score von 63. Habe ich ihn trotzdem geschaut? Natürlich. Zwei Mal. Und ich war damit nicht allein: Fast 900 Millionen US-Dollar hat der Film eingespielt. Transformers: Age of Extiction mit einem Audience Score von 50 hat dem Studio über eine Milliarde US-Dollar eingebracht. Wir scheinen eine  Menge an Medien zu konsumieren, die wir auf Nachfrage eigentlich als schlecht erachten.

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Unheimlich blond – Der Weihnachtsfilm „Der kleine Lord“

von Thomas Wortmann

In meiner Erinnerung ist Weihnachten das Fest der blonden Kinder. So zumindest wirkte es im Fernsehen: Der oder die mit einem Atomkraftwerk im Miniaturformat beschenkte Dicki Hoppenstedt, der alleine zu Hause bleibende Kevin – und natürlich das Christkind selbst: ob glatt oder gelockt, alle waren sie blond. Geradezu unheimlich blond und strahlend aber war Cedric Errol, dieser kleine amerikanische Junge, der eines Tages zum Lord wird und durch seine Güte die Herzen aller Menschen gewinnt und dasjenige seines griesgrämigen Großvaters erweicht. An Cedrics Engagement musste ich denken, als ich las, dass Ricky Schroder, der 1980 als Zehnjähriger den kleinen Lord spielte, sich 2020 mit einem mindestens sechsstelligen Betrag an der Millionenkaution beteiligte, um Kyle Rittenhouse, der während der Proteste in Kenosha zwei Menschen erschossen hatte, aus dem Gefängnis zu befreien. Ganz so blond wie 1980 ist Schroder auf aktuellen Bildern nicht mehr, unheimlich wirkt er aber trotzdem, gerade weil es so eine auffallende Nähe zwischen Figur und Schauspieler gibt: Wie der kleine Lord, den er vor über vierzig Jahren spielte, setzt Schroder sein Geld für andere ein. Nur die Ziele sind unterschiedlich, um es freundlich zu formulieren. Irgendwo muss Ricky falsch abgebogen sein.

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John McClane im Bade – Weihnachten mit „Die Hard“

von Sandra Beck

In meiner persönlichen Filmbiographie hat Die Hard einen eigenen Platz. Einerseits ist das historische Datum meiner Erstrezeption mit Weihnachten verbunden. Denn das erste Mal habe ich die Schweinebackerei und den Hohoho-Showdown zwischen John McClane (Bruce Willis) und Hans Gruber (Alan Rickman) als Stirb langsam irgendwann in den 90er Jahren gesehen, als ich mich – ebenfalls zum ersten Mal – geweigert habe, nach dem Kindergottesdienst auch noch die Christmette im Dom zu besuchen. Blut, Gewalt, Fluchen und seltsames Deutsch on screen, Krippe, Christbaum, ausgepackte Geschenke schräg rechts neben den Fernseher. Andererseits markiert das Sehen des Filmes ein Gegenkonzept zu einem Weihnachten, dessen familiär verordneten Rituale und Zeremonien wesentlich durch die Gottesdienst-Besuche getaktet wurden. Anders formuliert: Bedingung dafür, den Film zu sehen, war der kurzzeitige Austritt aus dem Familienverbund, denn alle anderen sind in die Kirche gegangen.

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