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Tödliche Intelligenz – Science Fiction und K.I.

von Matthias Warkus

Am 7. Juli 2023 beschwor eine Schlagzeile im »Guardian« ein fürchterliches Szenario: Alle Menschen auf der Erde könnten in derselben Sekunde tot umfallen. Der Auslöser: künstliche Intelligenz. Am 9. August stellte dann auch  der »Tagesspiegel« vor dem riesigen Bild eines verpixelten Atompilzes die Frage: »Ist KI die neue Atombombe?«

Computer, die die Menschheit vernichten könnten: Das Thema ist wegen der aktuellen gut sichtbaren Fortschritte bei KI-Systemen und vermehrter Warnrufe prominenter Galionsfiguren der kalifornischen Ideologie offensichtlich gerade wieder einmal ganz oben auf der Agenda. Aber neu ist es nicht. Silicon-Valley-Propheten und ihre Hausdenker wie etwa Nick Bostrom warnen schon seit etwa zwanzig Jahren vor der Auslöschung der Menschheit durch eine universelle künstliche Intelligenz. (Der Urheber der Guardian-Vision der synchron tot umfallenden Menschheit ist übrigens Bostroms Mitarbeiter, der berühmt-berüchtigte Nerd-Ideologe Eliezer Yudkowsky, bekannt geworden vor allem durch – kein Scherz – den umfangreichen Fanfiction-Roman »Harry Potter and the Methods of Rationality«, 2010–2015.)

Ein gewichtiger Grund dafür, warum Warnungen vor solchen Szenarien sich medial so gut verkaufen lassen, ist, dass es für sie so gute fiktive Vorlagen gibt. Spätestens seit »Terminator« (1984) gehört die Vorstellung einer künstlichen Superintelligenz, die aus irgendwelchen Gründen beschließt, die Menschheit auszurotten, unangefochten zum popkulturellen Zeichenvorrat.

Wenn man das Motiv zurückverfolgt, findet man als berühmten frühen Vertreter Harlan Ellisons Story »I Have No Mouth, and I Must Scream« von 1965. Auch dort geht es wie in »Terminator« letztlich um einen zur Führung des Dritten Weltkrieges entwickelten Supercomputer. Er hat die Menschheit fast völlig ausgelöscht und findet sein einziges Vergnügen darin, einige wenige Menschen zu quälen, die er am Leben gelassen hat. Doch Ellisons Höllenvision, vielfach anthologisiert und adaptiert (u.a. 1995 als preisgekröntes Computerspiel), verdeckt, zumindest für den Blick von außerhalb des Science-Fiction-Betriebes, eine noch etwas früher beginnende Reihe von Storys, Novellen und Romanen, die das Konzept »KI gegen Leben« im Detail durchdeklinieren, nämlich den sogenannten »Berserker«-Zyklus von Fred Saberhagen (1930–2007).

Die namensgebenden Berserker sind intelligente Maschinen, die unter der Direktive operieren, alles Leben zu vernichten. Sie tauchen in unterschiedlichster Form auf, als bewaffnete Raumschiffe, als ortsfeste Computer, als bewegliche Kampfroboter aller Art. Sie wurden in vorgeschichtlicher Zeit von einer außerirdischen Zivilisation entwickelt, um eine andere intelligente Spezies zu bekämpfen, haben aber beide ausgerottet und sind seitdem als ständige Bedrohung in der Galaxis unterwegs.

Saberhagens Beschäftigung mit dem Thema beginnt 1963 mit Kurzgeschichten, die oft eine überraschende Pointe und damit einen gewissen Rätselcharakter haben, eine Tradition, die über die Meister des Genres der Science-Fiction-Story zurückgeht bis zu Arthur Conan Doyle und Edgar Allan Poe. Relativ bald folgen aber größere Erzählungen, zwischen 1969 und 2005 auch eine Reihe von – für heutige Verhältnisse angenehm kurzen – Romanen. Große Teile des Zyklus spielen dabei eher am Rande des Geschehens, in Zeiten und Gegenden, in denen große Schlachten des Krieges gegen die Berserker bereits geschlagen, relative Ruhe und zögerlicher Optimismus eingekehrt sind. (Nicht das schlechteste Setting – »Das Imperium schlägt zurück« ist ja nicht von ungefähr der beste Star-Wars-Film.)

Es ist berückend, wie leichtfüßig Saberhagen mit verwickelten Prämissen umgeht. So spielt die Rahmenhandlung von »Brother Assassin« (1969) auf einem Planeten, auf dem und um den herum Zeitreisen möglich sind. Die Berserker greifen dort an, indem sie unterschiedliche Waffen und Roboter in der Zeit zurückschicken, um die Vergangenheit zu manipulieren (15 Jahre vor »Terminator«!). Ich muss zugeben, dass ich das Buch beim ersten Lesen, direkt nachdem ich die Prämisse verstanden hatte, wieder weggelegt habe, weil ich befürchtete, die Darstellung dieses »Zeitkriegs« könnte anstrengend, langweilig und verwirrend werden, wie es bei Science-Fiction über Zeitreisethemen oft der Fall ist. Aber genau dazu kommt es nicht – das Buch bleibt immer hinreichend plausibel und zugleich mitreißend. Ich halte es für eine der besten Darstellungen von Zeitreisen in der Science Fiction überhaupt, was noch erstaunlicher wird, wenn man berücksichtigt, dass die Zeitkrieg-Rahmenhandlung überhaupt nur geschrieben wurde, um drei bereits zuvor fertiggestellte novellenhafte Episoden zusammenzuhalten.

Das alles wäre aber nicht so spannend, wenn das interessanteste Phänomen in Saberhagens Killerroboter-Saga nicht existierte: die Menschen, die darin als »Goodlife« bezeichnet werden; Menschen, die mit den Berserkern kollaborieren und somit an der Vernichtung ihrer Mitmenschen mitwirken. Dafür gewähren die Maschinen ihnen ein komfortables Leben und die Aussicht, erst als Allerletzte sterben zu müssen, und dann auf schmerzlose Weise. »Goodlife« sein heißt, um den Preis, sich an einem immensen Verbrechen mitschuldig zu machen, die Gewissheit zu haben, dass es für einen selbst »nicht ganz so schlimm« werden wird. Und es gibt längst nicht nur Goodlife und Helden,  auch menschlicher Alltag und durchschnittliche Schicksale im Angesicht der Bedrohung werden glaubwürdig skizziert. Der Roman »The Berserker Throne« (1985) beginnt damit, dass eine Untergrundorganisation bei einem Volksfest aufblasbare Berserker-Attrappen steigen lässt und so Chaos stiftet – eine friedliche Protestaktion, um darauf hinzuweisen, dass die verdrängte Bedrohung durch die Maschinen nach wie vor besteht. Die Analogien zu den verschiedensten Ereignissen und Verhältnissen unserer Gegenwart brauche ich nicht auszubuchstabieren.

Saberhagen nutzt das Szenario, die Menschheit mit völlig fremdartigen, völlig unmenschlichen Maschinengegnern zu konfrontieren, als Vehikel dazu, in verschiedenster Hinsicht zu thematisieren, was eigentlich menschlich ist. Kunst, insbesondere Bildhauerei, spielt immer wieder eine bedeutende Rolle. Auch schafft es der Autor, ein praktizierender Katholik, einen glaubwürdigen und seriösen Umgang mit dem Thema Religion in sein Werk einzubringen. All das kontrastiert wohltuend mit dem reaktionären Machismo populärer militärisch akzentuierter Science-Fiction-Literatur (man denke an David Weber oder S. M. Stirling), die wenig Sinn fürs Schöngeistige hat und sich eher an panzerquartetthaften Beschreibungen militärischer Hardware ergötzt.

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Die Lektüre von Saberhagens Berserker-Stories und -Romanen lohnt sich nicht allein wegen des aktuellen Interesses am Thema destruktiver Künstlicher Intelligenz. Man lernt bei ihr darüber hinaus etwas darüber, was Science Fiction sein kann und einmal war; auch wenn man es heute, aus Gründen, die vor allem mit der Struktur des Marktes für Genreliteratur zusammenhängen, nicht mehr von ihr erwartet.

Wenn wir nur auf die Literatur im engeren Sinne schauen (also nicht auf Comics und audiovisuelle Medien), findet Science Fiction heutzutage hauptsächlich im Medium des Dickromans ab etwa 400–500 Seiten statt. Mindestens genauso, wenn nicht noch stärker, betrifft dies die Fantasy, die Science Fiction an Popularität und Regalraum irgendwann um die Jahrtausendwende herum übertroffen hat. Böse Zungen sagten schon damals, die minimale publizierbare Einheit bei Science Fiction und Fantasy sei inzwischen die Romantrilogie. Es ist ein stehender Topos des Redens über die Vergangenheit der westlichen Science Fiction, dass damals in wesentlich kürzeren und in der Regel freistehenden Werken (Erzählungen und relativ kompakten Romanen) viel mehr passierte als in den aktuellen, viel umfangreicheren Werken, die meistens den Charakter von Episoden größerer Zyklen haben.

Das Genre wurde einmal von Kurzgeschichten und Fortsetzungsromanen in Zeitschriften getragen. Der Übergang von Magazinen zu Büchern im dominierenden amerikanischen Science-Fiction-Markt nach dem Zweiten Weltkrieg wurde durch das Ende des kriegsbedingten Papiermangels sowie durch Verschiebungen in der Verlagsindustrie, unter anderem durch den Untergang des quasi-monopolistischen Zeitschriftengrossisten ANC (American News Company) 1957, katalysiert. Der Übergang von freistehenden, recht schmalen Romanen und Anthologien zu Zyklen und Serien von Dickbüchern war seinerseits maßgeblich dadurch getrieben, dass Genreliteratur Literatur für Viel- und Schnellleser*innen ist, normiert auf schnelle Weglesbarkeit ist, weswegen mehr Seiten in aller Regel mehr Nutzungsdauer und damit mehr Unterhaltung bedeuten. Zudem verkaufen sich Bücher stark über die Dicke, was unter anderem dazu geführt hat, dass Science Fiction heutzutage gerne in recht lockerem Satz auf dickem Volumenpapier gedruckt wird. (Dasselbe gilt mindestens genauso sehr für Fantasy und für Jugendliteratur. Der Trend geht aktuell zu Papier, das bei immer größerem Volumen gleich viel wiegt. Polemisch könnte man sagen, dass der Bedruckstoff genauso zur Schwammigkeit tendiert wie die Texte.)

Der Blick auf Saberhagens Berserker-Reihe ist daher so aufschlussreich, weil sie ihren Ursprung in  einer Übergangszeit hatte, in der sich die Norm der endlosen Verlängerbarkeit und der endlosen Serienproduktion von Sequels (bei Fantasy spricht man gerne von »Extruded Fantasy Product«, ein 1999 geprägter Ausdruck) noch nicht etabliert hatte. Die Erzählungen, Novellen und Romane spielen im selben Universum und haben wiederkehrende Motive, sind aber alle weitestgehend freistehend (und zwar ganz offiziell). Wer heutzutage mit Genreliteratur sozialisiert wurde, atmet nun möglicherweise tief durch: Es gibt keine empfohlene oder notwendige Lesereihenfolge, keine Spoiler, keine Bandnummern, keine Werke, die ihren Sinn allein darin haben, Kleber zwischen anderen Werken zu sein, in denen mehr passiert. Es gibt auch die berüchtigten »Infodumps« nicht, also keine langen handlungslosen Passagen, die nur dazu dienen, Hintergrundwissen zu transportieren. Und die Romane sind zum allergrößten Teil nur etwa 200–300 Seiten lang.

Leider ist nahezu nichts aus der Berserker-Serie ins Deutsche übersetzt worden. Es existiert eine Übersetzung des ersten Erzählungsbandes »Berserker« von Leonore Petz (erschienen 1986 bei Moewig); sie war vermutlich kein Erfolg und ihr folgten meines Wissens keine weiteren. Angesichts des im positiven Sinne antiquierten Formats mit vielen Kurztexten und keiner festen Continuity sowie des eher konventionellen Space-Opera-Hintergrunds wäre ohnehin auf dem kleinen und umkämpften deutschen Science-Fiction-Markt kein Erfolg zu erwarten, der auch nur die Übersetzung finanzieren könnte. Daher kann ich notgedrungen nur empfehlen, die Originale zu lesen, die im Verlag JSS Literary Productions von Saberhagens Witwe digital erschienen sind und sich auf allen gängigen E-Book-Marktplätzen für 4,49 € pro Stück erwerben lassen.

Traditionell werden Science Fiction oft zwei komplementäre Rollen zugewiesen, nämlich einerseits triviale Unterhaltung und andererseits das (literarisch tendenziell blutleere) Spekulieren über technisch-wissenschaftliche Ideen. Saberhagens Berserker-Reihe unterhält wirklich bestens, hier explodieren Raumschiffe, ganze Planeten werden verteidigt oder vernichtet, schillernde Charaktere bestehen galaktische Abenteuer. Zugleich dekliniert sie eine Fülle von Aspekten des Grundeinfalls einer nichtmenschlichen, zerstörerischen KI durch. Aber – und das macht sie so gut: Man kann sie zugleich und vor allem auch als Literatur im ganz klassischen Sinne von Reflexion über die Conditio humana lesen. Es ist vielleicht nicht ganz Balzac mit Killerrobotern; aber es ist zumindest nah dran. So etwas konnte der Mainstream von Science-Fiction-Literatur einmal hervorbringen.

Die medienwirtschaftlichen und kulturellen Rahmenbedingungen haben sich seither verschoben. Noch 1990 tauchen die Namen der 1940er-Jahre-Klassiker Isaac Asimov, Alfred Bester und Arthur C. Clarke bei den »Simpsons« als Paradigma für die Interessen nerdiger Schulkinder auf.

Aber diese Art von Science Fiction, die jahrzehntelang das entsprechende Milieu der amerikanischen Popkultur prägte, ist heute ein völliges Randphänomen geworden, und das wird sich vermutlich auch nicht mehr ändern. Der Blick zurück kann sich jedoch zumindest punktuell durchaus lohnen. Speziell in diesem Fall könnte er zudem dabei helfen, unsere Wahrnehmung dafür zu schärfen, wie sehr die aktuell auf künstliche Intelligenz projizierten Befürchtungen durch popkulturelle Konventionen konditioniert sind, die bei Saberhagen als demjenigen, der den Topos populär machte, noch gar nicht etabliert sein konnten.

Ich danke Sebastian Pirling und Catherine Beck für die aufmerksame Lektüre. Sebastian danke ich zudem für wertvolles Feedback zur aktuellen Situation auf dem Science-Fiction- und Fantasy-Buchmarkt.

Foto von Aideal Hwa auf Unsplash

Es schimmert, es glüht, es funkelt – Zur Ästhetik der KI-Bilder

von Roland Meyer

Da war es wieder, dieses Leuchten. Anfang März kündigte Open AI ein „experimentelles“ Update seiner KI-Bildgenerierungssoftware Dall-E an, und viele der Ergebnisse, die bald auf Twitter und anderswo zirkulierten, wirkten auf den ersten Blick seltsam vertraut: Strahlten sie doch jenen auratischen Glanz aus, der zuvor für allem für die Produkte der Konkurrenz von Midjourney typisch schien. Doch Midjourney, das zunächst vor allem als Spezialist für’s „Malerische“ galt (oder, weniger freundlich ausgedrückt: für eher kitschige Fantasy-Illustrationen), scheint mittlerweile Dall-E auch in Sachen „Fotorealismus“ den Rang abzulaufen – und das ist vermutlich der Grund, warum Open AI sein KI-Modell, rund ein Jahr nach seiner spektakulären Premiere, derzeit generalüberholen lässt.

Das Update, vorläufig nur für einen exklusiven Kreis von Beta-Tester*innen verfügbar, soll schärfere Details liefern, eine höhere Bildqualität und realistischere menschliche Gesichter. Doch was es vor allem zuverlässig liefert, so hat es der Konzeptkünstler Nils Pooker, der es bereits ausprobieren durfte, treffend benannt, ist „fluffy glamour glow“: Ein diffuses Schimmern, Funkeln und Glühen, als ob die Bilder von innen heraus leuchten würden.

KI-Modelle wie Dall-E, Midjourney oder die ebenfalls beliebte Open-Source-Variante Stable Diffusion versprechen, nahezu jeden nur denkbaren visuellen ›Stil‹ perfekt zu imitieren. „In the style of …“ im Prompt scheint zu genügen, um vom Pinselstrich van Goghs über den spezifischen Look der Pixar-Filme bis zur Anmutung alter Polaroids alle möglichen ‚Stile‘ auf einen beliebigen Bildgegenstand zu applizieren. Stil, im allerweitesten Sinne des Wortes verstanden als Bündel wiedererkennbarer formaler Qualitäten, wird so zum scheinbar beliebig einsetzbaren Parameter der Bilderzeugung. Doch die sich ankündigende ‚Midjourneyfizierung‘ von Dall-E macht deutlich, dass zumindest die kommerzielle KI-Bildgenerierung, wie sie derzeit vermarktet wird, auch ihren eigenen wiedererkennbaren Stil ausbildet – eben jenen „fluffy glamour glow“, der sich, wie Pooker auf Twitter demonstrieren konnte, beim neuen Dall-E selbst da einstellt, wo man die Software um eine Paul-Klee-Variation oder ein Landschaftsgemälde im Stil Gustave Courbets bittet.

Dieser Look diffusen Schimmerns, Glühens und Funkelns ist kein genuines Produkt ‚künstlicher Intelligenz‘. Varianten des Looks finden sich auf Instagram oder in aktuellen Werbekampagnen, auf Buchcovern und in TV-Serien, und zahlreiche Youtube-Tutorials führen vor, mit welchen „Glow“-Effekten sich Bilder in Photoshop zum Leuchten bringen lassen. Doch seine eigentliche Heimat scheint er auf Plattformen wie DeviantArt gefunden zu haben, einer kommerziellen Online-Kunst-Community, auf der aktuell 48 Millionen registrierte Nutzer*innen ihre digitalen Werke anbieten. Nicht zufällig wird DeviantArt, ebenso wie Midjourney und Stability AI (die Firma hinter Stable Diffusion), derzeit in den USA von einer Gruppe von Künstler*innen wegen Urheberrechtsverletzung verklagt: Die Plattform soll nämlich ihren eigenen Bildgenerator auf Stable-Diffusion-Basis, „Dream Up“, unter anderem mit den Bildern der Kläger*innen trainiert haben.

Welche Rolle die Millionen von digitalen Illustrationen und Fotografien auf DeviantArt für das Training von Midjourney oder der neuen Dall-E-Version gespielt haben, bleibt zwar bislang das Geheimnis der Firmen, aber wer sich ein wenig auf dem Midjourney-Discord oder anderen einschlägigen Foren umschaut, erkennt schnell, dass die ästhetischen Vorlieben, die bei DeviantArt vorherrschen, auch dort dominieren. Das betrifft das einschlägige Motivrepertoire zwischen Science-Fiction und Fantasy, Manga und Märchenwelt, Cyber- und Steampunk, ebenso wie eher formale Aspekte der Farbigkeit und Bildkomposition. Wenn sich also, jenseits charakteristischer Artefakte wie der anhaltenden Schwierigkeit der KI, anatomisch überzeugende Hände zu generieren, derzeit so etwas wie ein Stil kommerzieller Bildgenerierungssoftware abzeichnet, dann ist es letztlich wohl der Stil von DeviantArt.

Charakteristisch für diesen Stil ist jenes diffuse, aber intensive Licht, das weniger von einzelnen Lichtquellen zu stammen als vielmehr aus dem gesamten Bild herauszustrahlen scheint – ein Effekt, der sich in der KI-Bildgenerierung, die ja im Gegensatz zu Raytracing oder anderen klassischen Verfahren der Computergrafik kein optisches Modell der Lichtführung kennt, noch verstärkt. Denn KI-Bildgeneratoren simulieren Lichtführung als rein visuelles Phänomen: Sie sind, anders als etwa Renderingprogramme, unfähig zur exakten Berechnung von Lichtstrahlen und ihren Effekten, aber sehr effizient darin, Licht und Schatten visuell stimmig in der Bildfläche zu verteilen. Darin ähnelt Bildgenerierung, selbst bei scheinbar ›fotorealistisch‹ anmutenden Bildern, weit mehr der Malerei als der Fotografie oder anderen optischen Medien. Tatsächlich ist das vielleicht eine der Pointen jener Ästhetik des Schimmerns, die sich mit Midjourney und dem neuen Dall-E durchzusetzen scheint: Der vermeintliche fotografische Realismus, auf den viele dieser Bilder zielen, ist primär ein malerischer Effekt.

Verstärkt wird das diffuse Leuchten durch ein wiederkehrendes Farbschema, das sich –– mal mehr, mal weniger deutlich – durch den Output dieser kommerziellen KI-Tools zieht. Es ähnelt dem seit einigen Jahren überaus beliebten „Teal and Orange“-Look, der mittlerweile in zahlreichen Blockbuster-Filmen und Streaming-Serien zum Einsatz kommt, als Standard-Filter bei Instagram verfügbar ist und zum Beispiel von Adobe als der einschlägige Look des 21. Jahrhunderts vermarktet wird, um Videos und Fotos mehr „Leben“ einzuhauchen. Dabei geht es darum, bestimmte Bildpartien, vor allem die Hauttöne menschlicher Gesichter, in warmen, orange-gelblich leuchtenden Farben wie von Sonnenschein durchflutet vor einem eher kalten, blaugrünlichen Hintergrund hervortreten zu lassen. Zentrale Bildmotive rücken so in den Fokus der Aufmerksamkeit, das Bild wirkt kontrastreicher, lebendiger, zugleich durch das reduzierte Farbspektrum auch einheitlicher und harmonischer – ein Look, der zugleich zeitgenössisch wie vage nostalgisch anmutet (mehr dazu bald in Berit Glanz‘ neuem Buch über Filter).

Wer einmal auf solche forcierten Warm-Kalt-Kontraste geeicht ist, wird sie im Output der Bildgeneratoren immer wieder entdecken: Insbesondere die Kombination von warmen Kupfer- und Bronzetönen mit blaugrünlichen Metallic-Farben, typisch für viele Fantasy- oder auch Steampunk-Illustrationen auf DeviantArt, legt sich als glänzender Farbschleier auch über vermeintlich fotorealistische KI-Bilder. Eine Variante dieses Schemas ist der Kontrast von hellem Türkis und dunklem Magenta oder „ultra violet“, ein Look, der vage an 80er-Jahre-Cyberpunk-Ästhetik erinnert und wie „Teal and Orange“ in den letzten rund zehn Jahren beinahe zu einem Klischee des Color Grading, der Farbabstimmung für Kino und TV, geworden ist. Im Farbglanz kommerzieller KI-Bildgenerierung verdichten, verstärken und verfestigen sich so die visuellen Trends der jüngsten Vergangenheit.

Damit aus dem bloßen Glänzen aber ein wahrhaftes Funkeln wird, muss noch ein weiteres Element hinzutreten. Typisch für viele der Bilder auf DeviantArt wie für den Output von Midjourney erscheint die Kombination extremer Detailschärfe in einzelnen Bildelementen, auch solchen, die im Schatten oder Hintergrund liegen, mit diffusen atmosphärischen Unschärfen und selektiv weichgezeichneten Konturen. Besonders augenfällig wird das dort, wo es um etwa Wolken, Haare oder schimmerndes Fell geht: das „fluffy“ in „fluffy glamour glow“.

Der partielle Weichzeichner erinnert an den beliebten „Bokeh“-Effekt, bei dem Bildhintergründe in der Unschärfe verschwimmen; die hyperrealistische Detailliertheit wiederum ähnelt jenen Effekten, die etwa iPhones der neueren Generationen mittels »Deep Fusion« und High Dynamic Range (HDR) erzeugen, indem sie eine Vielzahl unterschiedlicher Einzelaufnahmen algorithmisch miteinander verrechnen. Dabei entstehen standardmäßig Bilder, die häufig irritierend artifiziell wirken: Wolkenformationen etwa, die sich so übernatürlich kontrastreich vom Himmel abzeichnen, dass sie, wie Kyle Chayka im New Yorker schrieb, an die „übersaturierten Horizonte von Anime-Filmen oder Computerspiele“ erinnern. Der „fluffy glamour glow“ führt so einen Trend der Aufhebung aller Grenzen zwischen fotografischer Aufzeichnung und algorithmischer Halluzination fort, der dank computational photography längst unsere smarten Geräte erfasst hat.

Insbesondere bei Midjourney tritt zur typischen Farbigkeit und selektiven Detailschärfe noch ein weiteres wiedererkennbares Stilelement hinzu: Zentrale Bildmotive werden nicht selten in die Bildmitte gerückt, und wenn der Hintergrund nicht ohnehin räumlich unbestimmt bleibt, erscheint er meist als zentralperspektivischer Tiefenraum, dessen Fluchtpunkt häufig ebenfalls in der Bildmitte liegt. In früheren Versionen der Software waren zudem bestimmte Kompositionsschemata wie mittig positionierte Figuren vor leuchtenden, sich nach außen hin abdunkelnden konzentrischen Kreisformen so typisch für deren Output, dass etwa das durch einen Kunstpreis auf einer Landwirtschaftsmesse in Colorado berühmt gewordene Bild des Amerikaners Jason Allen für nahezu alle außer der Jury auf den ersten Blick als Midjourney-Produkt erkennbar war.

Inzwischen ist die Variationsbreite größer geworden, doch immer noch gibt es eine wahrnehmbare Vorliebe für frontale, symmetrische Kompositionen, die manchmal auch wie mit einer leichten Fischaugenoptik verzerrt und so noch stärker auf die Bildmitte hin ausgerichtet erscheinen. Unterstützt wird dies gerne durch einen auch auf Instagram beliebten Effekt: eine subtile Vignettierung, die die Ränder dunkler erscheinen lässt und das Bildzentrum umso stärker hervorhebt. All diese Stilmittel, die sich nicht zuletzt dank einschlägiger Apps und Filter in unterschiedlichem Maße in vielen Bildern finden lassen, die heute auf digitalen Plattformen zirkulieren, zielen auf denselben Effekt: Das zentrale Bildmotiv soll gleichsam aus dem Bild hervortreten und direkt unseren Blick adressieren.

Was KI-Tools wie Midjourney derzeit mit diesen ästhetischen Standardvorgaben massenhaft produzieren, lässt sich leicht als Kitsch abtun. Dennoch lohnt es, dessen formale Qualitäten möglichst genau zu beschreiben. Denn dieser Stil kommerzieller Bildgenerierung ist keineswegs willkürlich oder bedeutungslos. Vielmehr verweist er auf zeitgenössische ästhetische Werte, die sehr viel mit den Medien zu tun haben, mit denen wir heute Bilder betrachten. Digitale Bilder sind für die Anzeige auf mobilen Displays bestimmt: Es sind Bilder aus Licht auf kleinen leuchtenden Rechtecken, die uns direkt und individuell ansprechen sollen.

Mehr denn je, so scheint es, erwarten wir von Bildern heute, dass sie zugleich aus sich heraustreten und uns in ihren Bann ziehen. Umso stärker sie dabei glänzen, umso erfolgreicher erscheinen sie gegenüber all den anderen Bildern, mit denen sie konkurrieren und die stets nur einen Klick oder eine Wischbewegung auf dem Touchscreen weit entfernt sind. Doch wo alles schimmert, glüht und funkelt, droht es zugleich, immer austauschbarer zu werden. Es ist daher wohl nur eine Frage der Zeit, bis die KI-Firmen beginnen, das Leuchten ihrer Bilder wieder ein wenig zu dimmen. Tatsächlich deutet manches, was bereits von der neuesten, mittlerweile fünften Midjourney-Version zu sehen ist, darauf hin, dass genau das geschieht.

Der Autor dankt allen, die diese Phänomene mit ihm im 54books-Discord diskutiert haben.