Türen öffnen – Interview mit Sharon Dodua Otoo über das Schwarze Literaturfestival „Resonanzen“

Das Gespräch führte Isabella Caldart

Über Diversität in der Buchbranche wird seit einigen Jahren viel diskutiert, um ihren Mangel zu kritisieren und um für eine größere Vielfalt einzustehen. Sharon Dodua Otoo, Bachmann-Preisträgerin und Autorin des Romans „Adas Raum“ (Fischer 2021) gehört in diesem Diskurs zu den wichtigsten Stimmen- Jetzt hat sie gemeinsam mit den Ruhrfestspielen das Schwarze Literaturfestival „Resonanzen“ (19. bis 21. Mai) ins Leben gerufen, um anderen deutschsprachigen Schwarzen Autor*innen den Weg in den Literaturbetrieb zu ermöglichen. Wie genau das aussehen soll, verrät sie uns im Interview.

„Auch wenn wir es wollen, steht unsere Kunst nicht für sich allein – sie wird zur Repräsentation einer ganzen Community. Wie gehen wir damit um?“, hast du 2020 bei deiner Keynote „Dürfen Schwarze Blumen Malen“ für den Bachmannpreis gesagt. Ist das Festival „Resonanzen“ eine Antwort auf deine eigene Frage?

Ja! Beziehungsweise: Es ist eine mögliche, nicht die Antwort darauf. Ich habe überlegt, was ich im Rahmen meiner Möglichkeiten machen kann, jetzt, da ich mitten im Literaturbetrieb bin. Ich sehe es tatsächlich als meine Verantwortung, zur Öffnung beizutragen. Ich denke viel darüber nach, wie eine Intervention aussehen kann, damit weitere Schwarze Personen – und damit meine ich nicht nur Autor*innen, sondern auch Kritiker*innen, Übersetzer*innen, Lektor*innen und Grafiker*innen zum Beispiel– vertreten sein können.

Was bedeutet Resonanz für dich?

Resonanz ist ein schönes Wort um das zu beschreiben, was Schwarzen Menschen in mehrheitlich weißen Räumen fehlt. Ich habe das Wort von Katja Kinder, eine der Gründungspersonen von ADEFRA, ein Schwarzer queerfeministischer Verein. Es ist üblich, Festivals nach einer Person zu benennen, um diese Person zu würdigen. Ich habe erst an Dualla Misipo gedacht, ein Autor, der in Kamerun geboren wurde, als das Land noch eine Kolonie von Deutschland war. Deswegen konnte er zur Zeit der Weimarer Republik nach Deutschland einreisen und hat hier eine Familie gegründet und zwei Romane geschrieben. Eine andere Möglichkeit wäre gewesen, das Festival nach May Ayim zu nennen. Sie ist eine  wegweisende Dichterin für afrodeutsche und afrodiasporische Communitys, nach der aber bereits der May Ayim Literatur Award und der May Ayim Fonds benannt sind. Was mir aber eigentlich mit der Veranstaltung vorschwebte, war weniger die Ehrung einer Person, sondern einen Raum für ganz verschiedene Menschen aufzumachen, für Autor*innen, die bisher nur im Selbstverlag, einem Kleinverlag oder noch gar nicht veröffentlicht haben, damit sie Zugang finden zum Literaturbetrieb. Es ist weniger mein Interesse, den „besten“ Text zu finden, ich weiß auch gar nicht, was das sein soll. Mir geht es darum zu überlegen, was sich die Geschichten gegenseitig und im Hinblick auf andere literarische Werke, andere afrodiasporische Texte erzählen. Das ist für mich Resonanz: Wenn eine Schwarze Person einen Text schreibt und Würdigung in einem Raum findet, weil Lesende wissen, was gemeint ist, worauf der Text Bezug nimmt, an was er erinnert. Diesen Resonanzraum hätte ich mir zum Beispiel für Olivia Wenzels Roman „1000 Serpentinen Angst“ gewünscht.

Im Rahmen des Festivals entstehen neue Texte, die von einer Jury beurteilt werden. Ist das Festival vom Bachmannpreis inspiriert?

Ja. Der Aufbau ist auf jeden Fall daran angelehnt. Ich hatte auf einer Veranstaltung in Frankfurt schon darüber gesprochen, wie es wäre, wenn man ausschließlich Schwarze Personen zum Bachmannpreis einladen würde – als Lesende und Jurymitglieder. Später wurde ich von den Ruhrfestspielen kontaktiert und eingeladen, die diesjährige Eröffnungsrede zu halten. Eine große Ehre. Wir kamen dann ins Gespräch und ich wurde gefragt, ob ich Lust hätte, etwas zu kuratieren, und da fiel mir die Idee mit dem Wettbewerb wieder ein. Davon bin ich aber weggekommen, weil es keinen ersten Preis geben soll, sondern verschiedene Arten, einen Text zu diskutieren und zu würdigen. Das Ziel ist, dass alle weiterkommen.

Das heißt, die Jury kürt nicht eine Siegerin oder einen Sieger, sondern gibt Feedback zu den Texten?

Richtig. Der Fokus liegt auf der Diskussion. Die Jurymitglieder sind alle unterschiedlich positioniert, was ihren Hintergrund, Referenzen und Interessen betrifft, wodurch sie diverse Gedanken in die Diskussion einbringen können. Ich hoffe auch, dass die Autor*innen mitdiskutieren, was beim Bachmannpreis nicht oft passiert. Die Diskussion soll wertschätzend sein, was nicht bedeutet, dass es keine Kritik geben darf. Aber es soll vor allem ein gemeinsames Nachdenken sein. Und damit das nicht ausfranst, wird es am Ende aller drei Tage einen zusammenfassenden Kommentar geben: Nouria Asfaha gibt einen Leitfaden und ordnet die diversen Themen ein.

„Resonanzen“ stellt sechs Nachwuchs-Schriftsteller*innen in den Fokus. Die Namen sind bis zum Eröffnungsabend geheim – aber kannst du erzählen, woher du die sechs kennst?

Alle Personen, die ich eingeladen habe, habe ich persönlich schon mal erlebt – zum Teil ist das lange her, in einem Fall sogar über zwanzig Jahre. Ich wusste von ihnen, dass sie schreiben, dass sie sich mit Literatur auseinandersetzen. Und ich kann mir bei allen sechs vorstellen, dass sie unter anderen Umständen auch da wären, wo ich bin, hätten sie die gleichen Möglichkeiten gehabt wie ich. Einige haben erstmal geschluckt, als ich sie angefragt habe, und mussten sich überlegen, ob sie sich das zutrauen. Dass sie mitmachen, ist ein großer Vertrauensvorschuss. Es gibt die Idee, die Veranstaltung jährlich stattfinden zu lassen. Wenn das so sein sollte, werden Leute sich zukünftig bewerben können. Übrigens: Voneinander wissen sie auch nicht, wer sie sind. Und die Texte sind anonymisiert, die Jury kennt keine Namen.

Inhaltlich wissen wir nur, dass sich die Texte um den Begriff „Erbe“ drehen sollen. Wieso „Erbe“?

Das ist einfach ein Impulswort. Mir wurde inzwischen zweimal zugetragen, dass das im deutschen Kontext auch negativ betrachtet werden kann. Das hatte ich mit meinem nicht deutsch sozialisierten Ohr nicht beachtet, sondern das Wort als offenen Begriff gewählt. Ich bin gespannt, wie die Diskussionen werden. Die Autor*innen haben es sehr unterschiedlich ausgelegt; ich kenne inzwischen alle Texte und kann versprechen, dass das Konzept, wie die Geschichten zusammen wirken sollen, aufgeht.

Welche Art von Literatur erwartet uns, Prosa, Gedichte, Essays?

Das sind alles Kurzgeschichten. Mein Fokus ist, weitere Schwarze Stimmen in die deutschsprachige Belletristik zu bringen. Die Länge ist ähnlich wie beim Bachmannpreis: Die Lesungen umfassen jeweils 25 Minuten, was ungefähr zehn Seiten Text sind, die Diskussionen sollen auch 25 Minuten dauern.

Für die Eröffnungsrede konntet ihr Tsitsi Dangarembga gewinnen…

Worüber ich mich sehr freue! Tsitsi spricht zwar Deutsch, aber nicht auf der Bühne. Deswegen wurde die Frage gestellt, ob sie, weil das ein deutschsprachiges Literaturfestival ist, überhaupt passt. Sie hat aber eine Geschichte mit Deutschland: Sie hat in Berlin Film studiert und es gibt Gründe, warum sie nicht hiergeblieben ist. Auch sie ist ein Teil der deutschsprachigen Literaturgeschichte. „Nervous Conditions“ wurde damals bei Rowohlt veröffentlicht [1991 unter dem Titel „Preis der Freiheit“ in der Übersetzung von Ilija Trojanow] und jetzt ist sie Preisträgerin des Friedenspreises des deutschen Buchhandels. Tsitsi Dangarembga zeigt, dass eine Geschichte nicht immer deutschsprachig sein muss, um etwas über die deutsche Literaturlandschaft auszusagen.

Literatur von Schwarzen Autor*innen hat in Deutschland eine lange Tradition, wie es in der Ankündigung zum Festival heißt. Warum ist so wenig über sie bekannt?

Was ich beobachte, ist, dass die deutschsprachige Literaturlandschaft stark über Netzwerke funktioniert. Die Leute kennen sich gut, beziehen sich aufeinander. Lange Zeit gab es nur die [weiß-] deutsche Literatur, alles andere galt als „international“, später war es dann die „Migrationsliteratur“, die im Gegensatz zur deutschsprachigen Literatur stand – auch eine eher unnötige Trennung. Schwarze Deutsche waren da schwer einzuordnen, weil sie durch alle Raster fielen; sie gehörten nicht zur Gastarbeitergeneration und sie sprachen fließend Deutsch, weswegen man nicht mit dem „Ausländer“-Begriff arbeiten konnte. May Ayim hat versucht, in Deutschland Karriere zu machen. Bekannt geworden ist sie aber in den USA und hat erst darüber Rezeption in Deutschland erfahren. Diese Erfahrung, dass sie erst über die Anerkennung im Ausland hier bekannt wurden, haben einige Leute gemacht. Es scheint mir, dass Menschen, die im deutschsprachigen Literaturbetrieb etabliert sind, dachten, dass sie da sind, wo sie sind, weil sie gute Literatur schreiben oder anspruchsvolle Rezensionen verfassen. Was sie sicherlich auch tun. Doch sie hatten wenig im Blick, dass sie auch da sind, weil sie sich zum Beispiel untereinander kennen und sich ihre Literatur kulturell und kanonisch aufeinander bezieht. Schwarze deutschsprachige Literatur wurde weniger beachtet oder unterschätzt, und in der Folge ausgegrenzt. Das ist zumindest mein Eindruck.

Hat sich inzwischen was verändert?

Ich habe in den vergangenen fünf Jahren wahrgenommen, wie sich ein Verständnis dafür entwickelt, dass es eine diversere Literaturlandschaft braucht, damit weitere Identitäten, nicht nur die von Schwarzen Deutschen, repräsentiert sein können. Es gibt aber wenige Ideen, wie genau das gemacht werden soll. Mein Plädoyer ist, dass es radikale Interventionen braucht, dass ein Schwerpunkt gesetzt werden muss. Das gilt nicht nur für Schwarze Autor*innen, sondern auch für Menschen mit Behinderungen, für queere Personen, für Menschen, die strukturell mehrfach diskriminiert werden… aber wir sind ja immer noch bei #frauenzählen. Aktuell ist mein Schwerpunkt Schwarze deutschsprachige Autor*innen in der Belletristik. Ich möchte, dass sich die Literaturlandschaft bewegt, damit weitere Schwarze Autor*innen Platz in großen Verlagen finden. Für mich wurde die Tür geöffnet und ich versuche jetzt, sie für viele Leute offenzuhalten.

Vergangenes Jahr sagte Elisa Diallo im Gespräch mit 54books: „Ich bin generell für Quoten und proaktive Maßnahmen, sonst warten wir noch drei Generationen, und dafür habe ich keine Geduld.“ Siehst du das auch so? Benötigt es Quoten, damit sich in der hiesigen Buchbranche etwas ändert?

Ich kann nicht sagen, dass ich für Quoten bin. Ich bin auch nicht dagegen, aber es ist nicht mein Fokus. Ich hätte auch ein Literaturfestival mit allen möglichen und mit Schwarzen Personen machen können, also quasi wie mit einer Quote, aber mein Fokus ist zu sagen: Es braucht Interventionen, Momente der Irritation, damit Menschen innehalten und denken, uff, was ist das? Meine Hoffnung ist, dass diejenigen, die dem Festival beiwohnen und den Lesungen zuhören, diese Erfahrung mitnehmen und dass Kontakte geknüpft werden zwischen Autor*innen, Kritiker*innen, dass Gespräche entstehen und hoffentlich auch Angebote und Verträge, und dass das eine Art Schneeballeffekt hat. Das Ziel ist am Ende, dass sich in der deutschsprachigen Literaturlandschaft so viele Menschen wie möglich repräsentiert sehen. Es wird unterschätzt, dass auch Menschen, die zur sogenannten Dominanzgesellschaft gehören, von diverser Literatur profitieren. Die unterschiedlichen Geschichten und Perspektiven sind für uns alle wichtig.

Photo by John-Mark Smith on Unsplash

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