von Jonas Lübkert
Juni ist Pride Month. In diesem Monat feiert die LGBTQIA+ Community stolz und selbstbewusst ihre vielfältigen Identitäten. Für einen Großteil der Öffentlichkeit aber bedeutet Pride Month etwas mehr Regenbogenflaggen als sonst, eine (leider nur temporäre) Auseinandersetzung mit Diskriminierung und Unternehmen, die versuchen auf eine möglichst peinliche Art daraus Profit zu schlagen. So will es das Gesetz der freien Marktwirtschaft. Budweiser wirbt mit Let‘s Grab Beers Tonight Queens“. Target, der zweitgrößte Discounteinzelhändler in den USA, bringt eine Pride-Collection heraus. Eins ihrer rosa Poloshirts ist übersät mit Wörtern wie „OMG“, „Out“ und einem Einhorn.
Targets Motto ist ironischerweise „Expect More“. Dabei hat niemand wirklich etwas erwartet. Enttäuscht wurden trotzdem alle. Der internationale Spielehersteller Bethesda etwa zeigt seine deutschen, brasilianischen und US-Accounts auf Twitter in Regenbogenfarben. Die Avatare von Bethesda Middle East, Russia und Turkey bleiben aber unverändert. Man könnte diesen Unternehmen kaltblütiges Kalkül vorwerfen, aber bei dermaßen unbeholfenen Versuchen, weltoffen zu wirken, wäre das fast ein Kompliment.
Der Preis für die am eindrucksvollsten gescheiterte Aktion geht dieses Jahr allerdings an eine Kampagne von Warner Bros. Im Jahr 2017 veröffentlichte der Publisher Injustice 2, ein Kampfspiel, bei dem sich vorwiegend Figuren aus DC Comis (Batman, Superman, Wonderwoman) miteinander prügeln. Im gleichen Jahr erschien neben der Playstation-, Xbox und PC-Version auch eine mobile Variante. Zum Pride Month 2021 hat sich die Marketingabteilung des Handyspiels aber etwas Besonderes ausgedacht: Um spezielle Ausrüstung freizuspielen, soll die Comicfigur Poison Ivy insgesamt 400.000 mal besiegt werden. Das ganze wurde auf Twitter mit dem Hashtag #pride versehen und enthält den stark nach Neunziger-Actionkino klingenden Satz: „Great work, heroes“.
So weit, so merkwürdig. Denn was genau hat ein Fighting-Spiel mit der LGBTQIA+ Community zu tun? Die Antwort lautet: Poison Ivy ist kanonisch queer. Es muss also zwei Möglichkeiten geben: Die Marketingabteilung bei Warner Bros. hat sich ihre eigenen Charaktere nicht genau angeschaut oder niemandem ist für eine ganze Weile aufgefallen, dass auf eine queere Figur einzuprügeln, um Pride Month zu feiern eine durch und durch schlechte Idee darstellt. Inzwischen hat sich der Entwickler mit einem in die Geschichte der desaströsesten Promokampagnen eingehenden Post entschuldigt:
We recognize associating our latest Global Challenge with Pride was insensitive and inappropriate. Real life violence against the LGBTQIA + community and women within that commmunity in particular is all too common and we should actively engage in efforts to end LGBTQIA+ violence, not normalize it. We apologize to the greater community, but especially LGBTQIA+ members. We are commited to listening and doing better.
In diesem Kontext klingt „actively engage“ fast wie eine Drohung. Man möchte den Zuständigen zurufen: Bitte „engaged“ mit niemandem mehr. Wir alle hatten genug „Engagement“ mit Unternehmen für diesen Monat.
Traurig an dieser Aktion ist auch, dass die Comicfigur Poison Ivy dabei nicht ausreichend gewürdigt wurde. Ursprünglich als Femme Fatale entwickelt, die bei ihrem ersten Comicauftritt in den 1960er Jahren noch ankündigt, was sie alles Böses vorhat, entwickelte sich die Figur in den 1980er Jahren erst zu tragischen Antiheldin und seit 2016 zu einem plastischen Charakter mit eigener Agenda. Wegen illegaler Experimente spürt sie die Emotionen von Pflanzen. Daraus resultieren ihre Superkräfte, aber auch eine radikale Wut auf Konzerne und Menschen, die Natur zerstören.
In ihrer ersten Soloreihe Poison Ivy: Cycle of Life and Death, auf der das Design des Injustice-Spiels basiert, kehrt sie zur ihrem Leben als Botanikerin Dr. Pamela Isley zurück und löst den Fall ihrer gestohlenen Forschung. Aktuell führt sie in den Comics eine Beziehung mit der ebenfalls ambivalenten Figur Harley Quinn. Wer mehr über die radikale Umweltaktivistin mit Superkräften wissen möchte, dem sei Poison Ivy: Thorns von Kody Keplinger und Sara Kipin ans Herz gelegt. Zu Queerness und Superheld*innen lohnt sich die Youtuberin Rowan Ellis, speziell die Videoessays Gay Superheroes: Queerbaiting And Camp und Definitive Proof Captain Marvel is Gay, das den ikonischen Satz enthält: „Make it gay, you goddamn cowards“.
Auch nächstes Jahr werden profitorientierte Instanzen versuchen, den Pride Month finanziell zu nutzen und dabei auf glorreiche Art scheitern. Vermutlich sollte man von Großkonzernen nicht zu viel erwarten. Regenbogenfarbige Logos zeigen zumindest, dass irgendwer bereit ist, das absolute Minimum zu tun. Für ein LGBTQIA+-freundliches Umfeld zu sorgen, damit dort auch Menschen arbeiten wollen, denen auffällt, dass es keine gute Promotion ist, queere Charaktere auf diese Art als Gegner in ein Fighting Game einzubauen, wäre allerdings eine noch bessere Idee.
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