Von Menschen und Nachos, oder: Das Kino hassen

von Gerrit Wustmann

An der Sitzlehne klebt irgendwas Eingetrocknetes. Ich nehme den Arm wieder runter und lege ihn in den Schoß. Nach einer halben Stunde Werbung ist mir schon der linke Fuß eingeschlafen. Ich wecke ihn auf. Als der Film endlich losgeht, bin ich in Gedanken längst woanders. Links neben mir stopft jemand Nachos in sich rein. Seit einer halben Stunde. Ein kurzer Seitenblick: Es ist die ganz große Schale. Er isst sie einzeln. Und kaut ausgiebig. Eine der zentralen Fragen des Lebens drängt sich einmal wieder auf: Welcher Vollidiot hatte die Idee, in Kinos Nachos zu verkaufen? Ausgerechnet diese Dinger, die man unmöglich leise essen kann. Das ist so grausam wie ein Zugnachbar, der bei jedem Griff in die Chipstüte noch mehr Krach macht als mit dem Beißapparat, minimal unter dem Kapitalverbrechen namens Apfel. (Disclaimer: Ich mag Äpfel. Sehr sogar. Aber ich möchte niemandem beim Apfelessen zuhören, das ist wie Fingernägel auf Tafel.) Ich vermute dahinter eine Verschwörung der Filmindustrie: Je weniger man im Kino mitbekommt, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass man sich den Streifen hinterher zu Hause nochmal ansehen will.

Fast forward: Der Film läuft seit einer Stunde. Die leere Nachoschale steht am Boden und wartet drauf, dass jemand in den übrig gebliebenen Käsedip latscht und ihn zwischen den Sitzreihen verteilt. Hinter mir tuschelt ein Pärchen. Wenn sie doch einfach knutschen und die Klappe halten würden. Zwei Reihen weiter sitzt ein Experte, der jede Einstellung kommentiert, als wäre es ein Fußballspiel. Ich habe keinen Schimmer, worum es im Film geht. Also stehe ich auf. Und gehe. Liebes Kino: Auf Nimmerwiedersehen!

Gut, ja, ich übertreibe. Man kennt das alles, aber alles auf einmal und gleichzeitig habe ich auch noch nicht erlebt. Werde ich auch nicht mehr. Ich habe nicht vor, in diesem Leben nochmal ein Kino zu betreten. Egal, ob gemütliches Programmkino oder seelenlosen Blockbustertempel (wobei die oben erwähnten Unerträglichkeiten in beiden gleichermaßen zu studieren sind). Und selbst wenn niemand essen oder reden oder rumzappeln würde: Egal. Ich kann mich bei diesem Rudelcineasmus nicht auf einen Film konzentrieren.

Wenn ich die poetischen Bildlandschaften von Abbas Kiarostami genießen will oder bei einem Horrorfilm darauf hoffe, mich ordentlich zu fürchten (The Descent: Ist auch beim fünften Sehen immer noch so grausig wie beim ersten Mal!), dann geht es nicht anders: Ich muss mir den Film allein anschauen. Nur dann kann ich mich voll und ganz drauf konzentrieren und jede Szene aufnehmen.

Aber das Erlebnis! Aber die große Leinwand! Der Sound! 3-fucking-D!

Wozu? All das Klimbim braucht man doch ohnehin nur für das Effekthascherzeug aus Hollywood, bei dem mit Mega-BoomBang übertüncht wird, dass kein Drehbuch existiert. Einen wirklich guten Film kann man auf einem kleinen Bildschirm zu Hause und mit Stereoklang genauso genießen, oder besser gesagt: Noch mehr! Apropos: Genau das tue ich. Auf einem Röhrenfernseher aus den Neunzigern, wenn ich mir eine DVD ansehe. Oder auf einem Tablet, wenn ich was streame. Übrigens ganz ohne jegliches Streaming-Abo bei Netflix, Amazon, Disney und all den anderen Digitalkraken. Bevor jemand was sagt: Nein, ich verpasse nichts. Aber danke.

Irgendwie ist Kino doch eh ein Anachronismus in Zeiten, in denen jeder, der drauf steht, eine Fünfmeterbilddiagonale in Nullprozentfinanzierung und mit einer Auflösung, die dreimal höher ist als das, was das Auge wahrnehmen kann, im Wohnzimmer hat. Und kommt mir jetzt bitte nicht – analog zu den Musikfetischisten, die meinen, Vinyl sei besser als CD – mit Kino sei das einzig wahre Filmerlebnis. Es sei denn, eure selektive Wahrnehmung funktioniert so advanced, dass ihr all den Unbill um euch herum tatsächlich ausknipsen könnt. Und wenn ihr es könnt: Seid euch meiner neidischen Hochachtung sicher!

Was mir allerdings noch deutlich mehr auf den Keks geht als Menschen und Nachos im Kino, ist das Feuilleton, wenn es über Filme berichtet. „Der wichtigste Mann am Set ist der Drehbuchautor“, schrieb Robert Rodriguez einmal (und die Drehbuchautorin!). Natürlich stimmt das. Das größte Budget, die besten Darsteller*innen, die beste Kamera, der grandioseste Schnitt sind nichts wert, wenn das Buch nichts taugt.

Und trotzdem kennen wir vor allem die Namen der Regisseure und Regisseurinnen, nicht die Namen der Autor*innen (mal ganz davon abgesehen, dass der Großteil aller Filme, die sehenswert sind, auf Büchern basieren, aber das ist wieder ein anderes Thema…). Wenn über Filme berichtet wird, heißt es stets, „der Film von Regisseur XY“, nicht „der Film von Autorin Z“. Und natürlich wird in Rezensionen auch der Regie angelastet, wenn die Story Logiklöcher hat und die Figuren unglaubwürdig sind. Klar, die Regie trägt eine Mitschuld, ebenso wie der Cast. Aber im Kern liegt es am Buch.

Können wir das bitte in Zukunft so halten, dass wir mindestens sagen „der Film von Autor*in X und Regisseur*in Y“? Das wäre näher an der Realität und würde dafür sorgen, dass der wichtigste Mann und die wichtigste Frau am Set nicht immer in der Dunkelheit verschwindet und die Regie Lorbeeren und / oder Prügel für etwas erhält, wofür sie relativ wenig kann.

Die Autor*innen haben es in der Filmbranche ohnehin schwer genug. Sie werden oft lausig bezahlt, arbeiten unter massivem Druck, und dann schmieren auch noch Redakteure der Sender und Studios, die das Filmemachen nur vom Schreibtisch aus kennen, in ihren Texten rum, um einen vermeintlichen Publikumsgeschmack zu treffen (was öfter in die Hose geht, als dass es funktioniert). 

Also, egal ob Ihr Filme im Kino oder zu Hause oder sonstwo anschaut: Merkt Euch, wer sie geschrieben hat. Denn das sind die Namen, denen Ihr die gute Zeit in allererster Linie zu verdanken habt. Und während Ihr das tut: Kaut leise! Bitte!  

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